Читать книгу Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner - Страница 17
4.1.3 ‚simulare vs. simulacra‘
ОглавлениеDas Verbum simulare taucht wie auch dissimulare im gesamten ‚liebes-elegischen‘ Œuvre Ovids, den Amores, den Heroides, der Ars amatoria und den Remedia amoris, auf,1 wobei dem Motiv der Täuschung und Selbst-Täuschung aufgrund seiner Omnipräsenz2 in den didaktischen Werken strukturgebende Funktion zugesprochen werden kann.3 Vorab seien hier Wilfried Strohs (1972, 1979) Erkenntnisse dargestellt, der die Parallele zu den rhetorischen Konzepten der simulatio und der dissimulatio artis berausgearbeitet hat; denn die rhetorische Tradition bildet eine der Grundlagen der Ars amatoria4 und der Remedia amoris.5 Im ursprünglichen Rede-Kontext sind die beiden komplementären Figuren der Ironie zugeordnet. Beschreibt die dissimulatio das „Verbergen von […] Wissen, Kunst oder auch Talent“6, artikuliert man mithilfe der simulatio etwa Meinungen, die der Wahrheit entbehren oder hinter denen man nicht steht.7 Die dissimulatio artis findet in ihrer ursprünglichen rhetorischen Bedeutung Eingang in die Ars amatoria. So soll der Liebhaber beispielsweise nicht vor dem begehrten Mädchen deklamieren oder den Kunstcharakter seiner Rede herausheben, sondern seine Kunstfertigkeit verbergen und als mühelos versierter Redner erscheinen (vgl. ars 1, 463f.: sed lateant uires, nec sis in fronte disertus; / effugiant uoces uerba molesta tuae).8
Auch die simulatio begegnet dem lernwilligen Schüler bei den Instruktionen des praeceptor in Form von Anweisungen zur simulatio amoris (vgl. ars 1, 611–646). Die gleichfalls auf dem ‚So-Tun-Als-Ob‘-Mechanismus beruhende simulatio sanitatis9 in den Remedia (quod non es, simula positosque imitare furores: / sic facies uere, quod meditatus eris, rem. 497f.) „korrespondiert“, wie Stroh herausstellt, also mit der simulatio amoris der Ars.10
Die Täuschung zum Zweck der Erregung bzw. Beendigung von Liebesleidenschaft funktioniert, so Stroh, analog zur simulatio der Rhetorik. Da für einen Redner, wie Cicero in de orat. 2, 189 beschreibt, eine „Affekterregung“ beim Zuhörer „Affektübertragung“ sein müsse, sei ein bestimmter Grad an Täuschung (simulatio) unvermeidlich.11 Die Simulation des Affektes könne jedoch auf den Redner rückwirken und die vorgegebene in eine authentische Haltung transformieren.12 So auch beim Liebenden, dessen Begierde bereits entfacht ist:13 In einem amor simulatus steckt das Potenzial, nicht nur wahre Liebe beim Mädchen, sondern auch im werbenden Mann selbst zu erwecken. Durch die Adaption der in der Redekunst bewährten simulatio für die Ars und die simulatio sanitatis als „Technik einer zum guten Teil rhetorischen Selbsttherapie“ werde Stroh zufolge „der Affekt der Liebe endgültig verfügbar“14.
Mein Interesse liegt jedoch weniger auf den rhetorischen Strukturen und Elementen in Ovids liebesdidaktischer Tetralogie, sondern vielmehr auf einem anderen Bereich, auf den das Wort simulare verweisen kann. Dieser betrifft nicht die Rhetorik, sondern die epikureische Erkenntnistheorie und die Rolle, welche den simulacra darin zukommt. Wenn man den quantitativen Gebrauch des Verbs in den Remedia betrachtet, fällt auf, dass Ovid es ausschließlich und kumulativ dreimal im Zuge des praeceptum zur Vorspiegelung der eigenen Genesung verwendet (vgl. rem. 493–515). Das Wortfeld des Täuschens wird dabei durch die im Hinblick auf ihre Semantik grundsätzlich vergleichbaren Verben fallere (vgl. V. 513), decipere (vgl. V. 501), imitari (vgl. V. 497) und fingere (vgl. V. 504), welche dem Leser ebenfalls bereits aus der Ars amatoria bekannt sind,15 ausgebreitet. Wie Einträge im ThLL und dem OLD16 zeigen, nähern sich diese Wörter der Bedeutung von simulare („[t]o act the part of, pretend to be“17) an: Für die Semantik von imitari in rem. 497 lautet die Paraphrase: „c[um] notione i n a n i t a t i s vel fallaciae, fere i.q. simulare, falso ostentare sim[iliter]“18, wobei simula explizit als Synonym für die Imperativform imitare ausgewiesen ist. Fingere steht an dieser Stelle in den Remedia (V. 504) laut OLD für „to make a pretence of (doing or feeling something), feign, simulate […] [,] to play the part of, pose as, imitate“19.
Das breite Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten für die Selbsttäuschung, welches Ovid in seinem liebesdidaktischen Opus auch vielfach gebraucht, lässt die Häufung und Dominanz von simulare in diesem praeceptum der Remedia auffällig erscheinen, in dem die Lehrer-Persona fordert, dass man sich in seinem Verstand so lange der illusorischen Vorstellung der eigenen Genesung hingeben müsse, bis die Simulation zur Realität würde. Ovid preist die Selbsttäuschung dabei mithilfe des lexikalischen Wortmaterials, das etymologisch zwar mit simulacrum, einem zentralen Begriff seines Vorgängers, verwandt ist,20 dem lukrezischen Rationalismus aber diametral entgegensteht; das Mittel zum – beiden Werken gemeinsamen – Ziel der Befreiung von Liebe und Liebeswahn bildet also einen Kontrast zum philosophischen Lehrgedicht. Auch wenn die Brüche mit der Vorlage bereits innerhalb der lukrezischen ‚Heilmethoden-Klammer‘ spürbar sind, wird der Kontrast nie so klar ersichtlich wie in dem praeceptum in V. 489–522,21 in dem Ovid die Aufforderung zur Täuschung derart deutlich expliziert.
Doch wie lässt sich dieser Befund interpretieren? Welches Verhältnis von Ovid zu Lukrez kann hieraus erschlossen werden? In den vergangenen Jahrzehnten wurde des Öfteren der Begriff des (literarischen) Spiels22 herangezogen. Joachim Latacz etwa interpretierte Ovids Umgang mit der epischen Tradition in den Metamorphosen auf diese Weise,23 und auch bei Niklas Holzberg24, Bernd Effe25 und Marion Steudel26 findet sich diese Ansicht im Hinblick auf die Lehrgedichtstradition. Diese Sicht ist für das Verständnis von Ovids Texten durchaus wichtig. Denn im Wesentlichen kann man dem tenerorum lusor amorum – so Ovids Selbstaussage in trist. 4, 10, 1 (vgl. auch die Grabinschrift trist. 3, 3, 73) – diese Haltung durchaus zusprechen: Ovid spielt mit literarischen Traditionen und verarbeitet sie u. a. zur besonderen Form der Remedia amoris. Doch ist das „literarische Spiel“ kein wissenschaftlich geeigneter Terminus, mit dem man die literarischen Besonderheiten von Ovids Texten präzise beschreiben könnte. Darüber hinaus kann man die zentralen Effekte, die sich aus der Reorganisation existierenden Sprachmaterials und Gattungstraditionen ergeben, hinreichend mit den Begriffen Intertextualität und Parodie beschreiben; denn der Humoraspekt, der für die Spiel-Überlegungen bedeutsam war, ist in diese Überlegungen untrennbar miteingeschlossen. Ich verbanne das Wort ‚Spiel‘ dabei aber nicht gänzlich aus meiner Abhandlung, da ich es nicht als ‚falsch‘ empfinde und es m. E. den Denkrahmen für die Gesamtinterpretation des ovidischen Œuvres richtig umspannt. Bei der textanalytischen Arbeit verzichte ich jedoch weitestgehend darauf und beschränke mich vor allem auf die genannten wissenschaftlichen Termini und verwende auch den neutraleren Begriff ‚Referentialität‘. Deutliche intertextuelle Bezüge und Witz, der sich aus parodistisch verarbeiteten Lukrezpassagen speist, sind also die Ergebnisse, die man beim Deutungsversuch, wie Ovids Remedia mit De rerum natura und der Gattung des Lehrgedichts im Allgemeinen umgehen, erhält. Damit wende ich mich – in entgegengesetzter ‚Stoßrichtung‘ – auch gegen Interpretationsansätze in diesem Feld, die eine ernst gemeinte Opposition zu Lukrez vermuten.27