Читать книгу Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner - Страница 19

4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris

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Ovids produktive Verarbeitung der Lehrgedichtstradition geht, wie ich denke, noch weiter und zielt über die Erweiterungen formaler Konventionen1 und den spezifischen Bezug auf einzelne Prätexte hinaus. Denn Ovid erreicht seine inhaltlichen und formalen Innovationen nicht einfach nur durch die von ihm selbst gesetzten Akzente. Vielmehr gewinnt die Liebestherapie ihre Konturen vor dem Hintergrund herkömmlicher didaktischer Themen, die in ihrer Bedeutung dem Prozess des ‚Entliebens‘ hierarchisch untergeordnet werden.

Zu Beginn der ars agendi bringt Ovid einen Dreierblock an Vorschriften, mit denen das dediscere (vgl. rem. 211) der Liebesqualen möglich sei. In den Versen 169–210 wird dem Schüler, wie bereits angeführt, zunächst die Landarbeit mit dem Bestellen der Felder in bukolisch anmutender Umgebung und der Ruhe und Stabilität bringenden Routine des Jahresablaufs empfohlen: rura quoque oblectant animos studiumque colendi; / quaelibet huic curae cedere cura potest (V. 169f.). Der Abschnitt von V. 199–210 ist in die Beschreibung zweier studia aufgeteilt, der Jagd auf Hasen, Hirsche und Eber (bis V. 206), und des Vogel- und Fischfangs (bis V. 210). All diese Bereiche sind nun laut Laurel Fulkerson (2004) „fit subjects for didactic poetry“2, wie man auch mit Blick auf die Lehrgedichtstradition zur Zeit Ovids und im weiteren Verlauf der Kaiserzeit sehen kann.3 So wird das nur fragmentarisch überlieferte Lehrgedicht Halieutica, das von den natürlichen Schutzmechanismen von Fischen und von möglichen Fangtaktiken handelt, Ovid zugeschrieben (vgl. die Aussage Plinius’ des Älteren: mihi uidentur mira et quae Ouidius prodidit piscium ingenia in eo uolumine, quod sat alieuticon inscribitur, Plin. nat. 32, 11), wenngleich die Authentizität der 134 Hexameter oft angezweifelt wird.4 Als Beispiel für ein Lehrgedicht zum Thema Jagd lassen sich Grattius’ ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Cynegetica anführen, deren Programm zu Beginn dieses Werkes ersichtlich wird: carmine et arma dabo et uenandi persequar artis (V. 23).5 Ovid selbst erwähnt Grattius und, als Anspielung auf dessen Proöm,6 aptaque uenanti […] arma, die er dem Leser an die Hand gibt, und zwar in seinem Katalog befreundeter Dichter (Ov. Pont. 4, 16, 34). Und mit Vergils Georgica, die in der Remedia-Passage beispielsweise mit Blick auf die Bienenzucht (vgl. rem. 185f.) mehrfach aufgerufen werden,7 liegt schließlich ein prominentes Zeugnis für die Behandlung landwirtschaftlicher Themen vor. Dass Landleben und Jagd zudem auch topisch als Mittel für die Heilung von Liebeskummer gelten,8 schließt dabei m. E. die Möglichkeit nicht aus, dass Ovid hier die didaktisch-generische Bedeutungsdimension dieser Themen fokussiert.

Ob er nun direkt auf bestimmte, eventuell auch selbst verfasste, didaktische Werke, oder nur allgemein auf typische Lehrgedichtsthemen anspielt: Sicherlich reduziert Ovid ihre Bedeutung darauf, dass sie nur noch als einzelne Vorschriften für sein übergeordnetes Programm der Liebestherapie aufgeführt9 und somit im Rahmen seiner eigenen Didaxe funktionalisiert werden.10 Die „anamorphotische“11 Tendenz Ovids wird also auch hier spürbar: Während er beispielsweise aus Lukrez’ „miniature remedia amoris“12 ein Opus im Umfang von 814 Versen kreiert, komprimiert er ganze Lehrgedichte und verwandelt sie in praecepta sanitatis, die letztlich Mittel zum Zweck, sich von der Liebe zu lösen, werden. Möglicherweise lässt sich diese Deutung noch weiterführen, wenn man den Umfang der genannten ‚Lehrgedichts-praecepta‘ betrachtet. Auf die Vorschrift, dass man sich landwirtschaftlich betätigen solle, entfallen 30 Verse, auf die Großtierjagd acht und auf Fisch- und Vogelfang nur vier Verse. Herkömmliche didaktische Themen werden also nicht nur Teil von Ovids Werk, vielmehr verringert sich ihre Präsenz, wofür die geringer werdende Verszahl Indiz ist, bis sie letztlich aus dem Text verschwinden.13 Daran zeigt sich, dass Ovid die Innovationslust des Genres auf die Spitze treibt, indem er in Abgrenzung zur eigenen Gattungstradition ein neues Themenfeld erobert.14

Dass all dies jedoch keine ernst gemeinte ‚Revolutionierung‘ didaktischer Standards und nur eine weitere Potenzierung des literarischen Spiels (hier scheint mir dieser Begriff passend) Ovids darstellt, wird vor allem dann klar, wenn man danach fragt, ob die Remedia amoris auch wirklich ‚funktionieren‘ und ihr didaktisches Versprechen einlösen können. Dazu müssen die Spannungen, die aus der Verbindung elegischer und didaktischer Gattungselemente entstehen und die von der Forschung mittlerweile in weiten Teilen aufgearbeitet wurden, berücksichtigt werden. Denn hierdurch zeigt sich die parodistische Multivalenz des Lehrgedichtaspekts erst in ihrem vollen Umfang.

Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris

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