Читать книгу Salvatore - Ein Mafioso sucht das Glück - Mariana Boscaiolo - Страница 7
Оглавление25 Jahre später
„Wisch das Blut auf, Salvi!“
Der Padre wirft Salvatore einen dreckigen Lappen zu.
„Und dann lässt du den Typ verschwinden.“
„Der lebt ja noch“, stammelt Salvatore vorsichtig.
„Dann mach dem ein Ende, du Stümper. Ach, lass es! Sergio mach’s du, unser Salvatore ist und bleibt ein Weichei.“
Salvatore dreht sich angewidert weg, er kann kein Blut sehen. Das geht ihm schon beim Blutabnehmen so.
Sergio setzt seine Brille, dann den Schalldämpfer auf.
Das Opfer, Don Pappalardo, wimmert, blickt entsetzt auf das Blut auf dem Holzboden. Mit einem dumpfen Knall beendet Sergio den grausigen Anblick.
„Willkommen im Jenseits!“
Diesen dummen Spruch sagt Sergio immer, wenn er trifft.
Kein Entkommen: Salvatore, sein Vater, alias der Padre, und Salvatores Brüder, Sergio und Gianni, schleifen den schweren Körper nach draußen. Sie verstauen ihn im Heck des weißen Lieferwagens, getarnt als Pizzawagen.
Ich muss wieder mitmachen, ob ich will oder nicht, sonst gibt’s Probleme. Mafia-Schicksal, denkt Salvatore bei sich.
Es ist dunkel und ungewöhnlich kalt in dieser Nacht. Seltsam für Palermo. Der prasselnde Regen verwischt schnell ihre Spuren. Sie fahren los. In zwei Wagen. Der Tote und Salvatore im Pizzawagen und die anderen im schwarzen Lamborghini.
Typisch. Wieso kann ich nicht Nein sagen? Nie sage ich nein! Ich bin so ein erbärmlicher Angsthase. Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase …, hallt eine Stimme in Salvatores Kopf.
Er biegt vom matschigen Waldweg ab auf die graue Landstraße Richtung See. Dort wollen sie den Toten versenken.
Wer war der Tote überhaupt? Salvatore hatte bei der Planung mal wieder nicht richtig zugehört.
Nach ein paar Kilometern hört er es im Heck klopfen.
Bilde ich mir das jetzt ein? denkt er, während sein Blut gefriert. Bloß nicht durchdrehen!
Er tritt nochmal auf das Gaspedal, um die anderen einzuholen. Das Klopfen wird lauter, drängender, pocht in seinem Kopf.
Nochmal, Gas: 150 km/h. Rechts und links rasen Schatten hoher Pinien vorbei.
Mist, wo sind nur die anderen? Warum müssen die auch die Abkürzung fahren? Vor ihm plötzlich: Straßensperre!
Polizei?
Die verfeindete Mafiafamilie Pappalardo aus Kalabrien?
Es summt in seinen Ohren, seine Hände werden feucht, auch das noch!
Salvatore kann den Wagen nicht mehr bremsen, ist viel zu schnell, reißt das Steuer herum.
Der Kastenwagen schlittert aus der Kurve steil bergab die Böschung hinunter, begleitet von diesem grausigen Klopfen. Endlich, er bleibt irgendwo hängen.
Nur: Der Wagen springt nicht mehr an. Salvatore fischt nervös nach seinem Handy, tippt 888, die Familien-N otfall-Nummer.
Der Padre ist sofort dran. „Wo bist du, Salvatore?“, schreit er.
„Wo seid ihr? Wieso rast ihr mir davon? Ich bin vor einer Straßensperre in der Kurve rechts die Böschung hinunter. Und euer toter Mann lebt übrigens noch!“, stammelt Salvatore.
„Unsinn, du siehst und hörst Gespenster, der ist so tot wie ein Stein! Du bist erwachsen, jetzt hör mit deinen Fantasien auf. Du sollst mal mein Nachfolger werden. Also sei ein Mann und durchhalten!“
„Ich will nicht dein Nachfolger werden“, stöhnt Salvatore in die Muschel, aber da hat der Padre schon aufgelegt.
Salvatore schließt die Augen. Einatmen, ausatmen, nochmal und nochmal. Minuten vergehen. Das Klopfen, es hat tatsächlich aufgehört. Hat es das?
Er schreckt hoch. Nein, es klopft jetzt an der Scheibe.
Mamma Mia, denkt er, soll das nun auch mein letztes Stündchen gewesen sein?
Aus den Augenwinkeln sieht er Giannis breites Grinsen. Sein Goldzahn blinkt. Mit Anfang 30.
„Entspann dich! Alles paletti, Bruder. Die Pappalardo haben tatsächlich die Straße gesperrt. Wahrscheinlich hatte der Tote auch einen Notfallknopf und Verstärkung organisiert. Du kommst jetzt hier raus und wir fackeln den Karren samt Inhalt ab. Zum See, das schaffen wir bei dem Chaos, das du fabrizierst, nicht. Die Bande von der Straßensperre haben wir schon kalt gemacht. War ein Kinderspiel. Kommst du nachher noch mit in die Trattoria?“
„Du, ich habe für heute eigentlich genug“, erwidert Salvatore müde.
Das ist jetzt das allerletzte Mal, schwört er sich, aber das hat er sich die letzten 100 Male auch schon geschworen.
*
Ein paar Stunden später sitzt Salvatore Pulvirenti, 36, ältester von drei Brüdern, vor seinem vollen Teller mit der für Sizilien so typischen Pasta con le Sarde.
Hochgewachsen, 1 Meter 85, muskulös, dunkle Locken umrahmen sein weiches Gesicht. Nur die Nase ist zu groß, gibt ihm aber etwas von einem stolzen Adler. Seine Augen sind kurioserweise hellgrün, wie das klare Meer bei Palermo.
Auf der Brust erinnert eine lange Narbe an die Messerstecherei mit Fernando, dem Sohn und Anführer des Pappalardo-Clans. Aus Kalabrien versuchen sie, immer weiter nach Sizilien vorzurücken, zum Leidwesen der Pulvirenti. Sizilien ist ihr Boden, schon immer gewesen.
Während die Familie einen Rotwein nach dem anderen bechert, versinkt Salvatore in Gedanken:
Ich bin ein stiller Mensch. Rede nicht viel, betrachte lieber das Meer, fühle den warmen Sand in meinen Händen, sammle Muscheln. Die gibt es bei uns in allen Farben und Formen. Ansonsten schreibe ich Gedichte und romantische Songs.
Ich mag hier nicht mehr mitspielen. Die Grausamkeit der Cosa Nostra, Drohungen, Erpressungen, schrecklich. Gianni und Sergio liegt es einfach besser. Ich fühle mich immer fremder in dieser brutalen Welt. Der Padre will nichts davon hören. Es gab schon arg Streit deswegen. Als ich ihm damals vorgeschlagen habe, einen normalen Beruf zu ergreifen, ging er auf wie eine Pizza Calzone:
„Schande! Schäm dich! Ich habe wohl in deiner Erziehung versagt“, donnerte er los. „Nie wieder kommst du mir mit so einem Unsinn, dass das klar ist!“
Er verließ dann fluchend den Raum.
Nur, um wen geht es denn hier eigentlich?
Um mich, Mich, MICH?
Nein! Nur um ihn, Ihn, IHN!
Oft sitze ich nachts verzweifelt am Strand, frage die Sterne um Rat. Was tu ich nur hier …? Verbreite Leid, vergeige mein eigenes Leben, unterwerfe mich dem Willen anderer. Wie kann ich diesem Damoklesschwert entkommen? Ich müsste schon das Mittelmeer durchschwimmen, Richtung Afrika. Aber selbst da würde mich einer unserer Schlepper schnappen. Überall hat der Padre seine Finger drin: Libyen, Rom, und sogar in New York.
Ich kann ein Lied davon singen. Es ist unmöglich, seinen Fängen zu entkommen.
Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen?
Als Kronzeuge hätte ich eventuell eine Chance da rauszukommen. Luigi, mein Freund bei der Lokalpolizei, deutet es manchmal an. Ob er etwas ahnt? Aber um danach zu überleben, müsste ich weit weg aus meiner geliebten Heimat. Vielleicht sogar bis nach Neuseeland. Schafe züchten.
Was wäre dann mit der Mamma, mit Nina? Ich würde auch sie ins Grab bringen.
Das bringe ich nicht übers Herz. Lieber opfere ich mich und mache weiter, so milde, wie es für einen Mafioso eben geht.
„Dolce?“, ruft der Ober und reißt Salvatore aus seinem Traum. „Cassata, cannoli, gelato?“
Salvatore blickt auf, schüttelt dann traurig den Kopf. Nach so viel Blut bringt er keinen Nachtisch mehr runter.
Achselzuckend verlässt der Ober den Tisch.
Komisch, das hat Salvatore doch sonst immer gerne gegessen.