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1Vorwort
ОглавлениеFrauen und ihr Erbe?
Der Titel „Frauen und ihr Erbe“ lässt auf Tradition schließen. Eine Tradition aber, die, was das Textuelle, die schriftliche, aber auch die materielle, greifbare Überlieferung betrifft, jedoch so gut wie nicht existiert, kann nicht wahrhaft Tradition genannt werden.
„Man konnte nicht zur Landkarte gehen und sagen Columbus entdeckte Amerika und Columbus war eine Frau; oder einen Apfel nehmen und bemerken, Newton entdeckte das Gesetz der Gravitation und Newton war eine Frau.; oder in den Himmel schauen und sagen, es fliegen Flugzeuge über uns und Flugzeuge wurden von Frauen erfunden.“ (Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein, Berlin 1978)
Doch jeder Mensch hat eine Mutter und die Mutter ist eine Frau, über deren Leben verschiedentliche Vermutungen und Beobachtungen angestellt werden. Doch über die Mutter soll man nicht sprechen. Große Leistungen von Frauen werden heutzutage vor allem in den traditionell männlichen Wirkungsräumen gewürdigt, also vornehmlich im naturwissenschaftlichen und im technischen Bereich. Vereinzelt gibt es durchaus große Wissenschaftlerinnen wie Madame Curie, große Pädagoginnen wie Maria Montessori und viele andere, die heute bereits aufgelistet werden.
Das Problem aber, vor dem die Frauen stehen, wenn sie ihren Spiegel, ihr Bild in der Überlieferung suchen, ist die Tatsache, dass sie auf die Massivität des Schweigens stoßen. Der Versuch, eine eigene weibliche Kulturgeschichte zu konstruieren, läuft Gefahr, wenn dieser Versuch die Geschichte weiblicher Geschichtslosigkeit vernachlässigt, in die Ausbildung von Frauenmythen zu verfallen, die als unwissenschaftlich gebrandmarkt werden.
Tradierte unbegriffene Vorurteile betreffend die Anthropologie und die Biologie bzw. den Biologismus, d.h. die Ableitung vorgeblich zwingender menschlicher Verhaltensformen aus biologischen Gegebenheiten können sowohl die Frauenforschung selbst beeinträchtigen wie auch die Kritik an der Frauenforschung in eine Schieflage bringen, sodass offene Fragen gar nicht mehr zu stellen sind. Beispielsweise wäre die Formulierung ‚Frauen wurden in der Geschichte nachweisbar immer unterdrückt’ bereits ein Wegweiser in die Deutung, warum dies auch so sein müsse. Denn auch das Schweigen steht nicht im leeren Raum. Denn viele Philosophen der abendländischen Geschichte wie sogar Kant und Hegel haben formuliert, dass Frauen an einer Kulturgeschichte gar keinen Anteil nehmen könnten.
Daher muss es auch statthaft sein, gerade angesichts der Aussparung des Weiblichen aus der Überlieferung und angesichts des Ausschlusses der Frauen aus den kulturellen und politischen Positionen, die Geschichte prägten und angesichts sogar der Verdrängung dieser Absenz des Weiblichen in der Geschichte das eigene Sosein als ein Gewordenes, als ein, wenn auch nicht Überliefertes, so doch auf verschiedenen Wegen Tradiertes zu rekonstruieren zu versuchen. Es muss statthaft sein, das eigene Selbstbild als vollwertiges Menschenwesen in die Geschichte zu werfen wie eine Frage, um zu sehen, ob die Geschichte mit ihren Quellen und Überlieferungen diesen Entwurf auch trägt, im Bemühen sich selbst quasi einzuholen und mit einem mehr an Wissen aus dem Exkurs in die Geschichte zurückzukehren. Zweifellos wird es dabei nötig sein, besonders an dem Ausgesparten zu kratzen, an dem Nicht-Überlieferten, die Fragen neu zu formulieren, um Antworten zu suchen, die so noch nicht gegeben sind. Mein Bemühen um weibliche Präsenz in Geschichte und Gegenwart führt mich auf allen Wegen zum vielschichtigen Begriff der Mutter, die in vielen Variationen Geschichte und Gegenwart geprägt hat und das durchaus machtvoll. Auch wenn heutzutage der Begriff Mutter manchen ein Relikt aus der Vorzeit zu sein scheint, nicht mehr als der Name einer Betreuungsperson in Kinderzeiten, der man dafür dankt, die aber leicht ersetzbar ist, ist doch dieser Begriff ein seltsam zentrales Gestirn, umwölkt von vielen, auch zerstörerischen Ideologien wie der aus der Nazizeit. Man meint, in der Nazizeit wären Mütter hoch angesehen gewesen, verehrt bis zum Mutterkreuz. Aber tatsächlich gab es einen warmen Händedruck, ein Abzeichen als Dank, dass man dem Führer viele Soldaten geschenkt hat und Mädchen, die wieder „erbgesunde“ Soldaten hervorbringen werden. Die Erziehungskultur der Nazis war tatsächlich eine hartherzige und zielte darauf ab, eine „harte Jugend“ hervorzubringen, die auch bereit sein sollte zu Grausamkeit. Die NS-Erziehungsratgeber von Johanna Haarer („Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ und „Unsere kleinen Kinder“) zeigen abschreckende nationalsozialistische Maximen. „Haarers Erziehungskonzept zielt auf die Einordnung in die Volksgemeinschaft, auf militärische Tugenden wie Mut, Opferbereitschaft, Disziplin, Führungsstärke, Gehorsam, Pflichtgefühl, Ordnung, Sauberkeit, Schmerz- und Gefühlsunterdrückung, Verachtung von Schwäche. Die Mutter wird für die gelungene Heranzüchtung solcher Charaktereigenschaften verantwortlich gemacht und bei Misslingen schuldig gesprochen“(Gudrun Brockhaus: Muttermacht und Lebensangst – Zur Politischen Psychologie der NS- Erziehungsratgeber Johanna Haarers, S. 63 in „Mütterliche Macht und väterliche Autorität“. Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXVI (2008))
Ich werde es wagen, mich dem Begriff der Mutter (und in dem Zusammenhang auch dem Begriff Vater) auf neue Weise zu nähern. Denn Psychologen und Psychologinnen wissen schon seit Langem über die prägende Bedeutsamkeit der ersten Erfahrungen im Kinderleben mit der Mutter wie auch dem Vater Bescheid, weshalb ihre Rolle nach wie vor besonders bedeutsam und kulturprägend ist, auch wenn im deutschen Diskurs die Nazizeit einen Bruch darstellt, über den man sich noch nicht ausreichend verständigt hat. Heutzutage ist allein die Erwähnung, dass Mütter kulturprägend sind, verdächtig, dass der Sprecher/die Sprecherin der politisch Rechten angehört. Es ist ähnlich wie beim Begriff „Heimat“, den Alexander van der Bellen als Linker provokant ins Zentrum seiner politischen Bewerbung ums Bundespräsidentenamt gestellt hat. Zum ersten Mal gibt es nun ein Buch von linken Intellektuellen mit dem Titel „Unser Land“ (2020) aus dem Falter-Verlag, die den Begriff „Heimat“ nicht den Vilimskys und den Gabaliers, also der Rechten überlassen wollen. Aber auch schon Peter Turrini und Wilhelm Pevny haben mit ihrer Alpensaga der österreichischen „Heimat“ ein Denkmal gesetzt.
Ich möchte den Begriff der Mutter, der Mütterlichkeit, des Vaters, der Väterlichkeit ebenfalls nicht der Rechten schenken. Mütter haben wir alle, es geht nicht darum, das Kind mit dem Bade auszuschütten und Frauen das Muttersein abzugewöhnen, bzw. sie möglichst rasch nach der Geburt wieder in der Arbeitswelt haben zu wollen, weil sie sonst in Gefahr geraten könnten, als reaktionär zu gelten.
In seltsamer Korrelation zu der aus der Überlieferung ausgesparten Geschichte der Frauen steht die Geschichte des einfachen Volkes, das ebenfalls kaum auf Überlieferung verweisen kann. Es wurde zwar versucht, Alltagskultur beispielsweise des Mittelalters durch Quellenforschung zu rekonstruieren. Der Weg jedoch ist auch hier blockiert und sperrig, da tatsächlich kaum überliefert wurde, wie das Leben des Volkes sich tatsächlich vollzog, welchen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen und Riten es de facto folgte und wie es sein Leben verwirklichte. Es gibt aber auch hier bereits Forschungsergebnisse. Die jüngste Geschichte des Faschismus wurde mittels Dokumentationen durch Zeitzeugen in dieser Hinsicht relativ umfassend erarbeitet, wenn auch in der historischen Tiefendimension noch nicht ausreichend erfasst. Besonders die Frauen- und Männerkonstruktionen der Nazizeit sind von so bedeutenden Theoretikern wie Klaus Theweleits „Männerphantasien“ angeschaut, aber noch nicht ausführlich genug erfragt worden. Denn sonst käme man nicht auf die Idee, die Verführbarkeit des Volkes durch Populisten auf seine „Dummheit“ und auf seine Neigung zum Reaktionären und Faschistoiden zu reduzieren. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten.
Auch die Geschichte der Männer ist eine sehr vielfältige. Sie als eine der geglückten und ihr volles menschliches Potential ausschöpfendes herrschendes Geschlecht aufzufassen, an dessen Produktionen und Lebensformen die Frauen jetzt nur noch Anschluss suchen müssten, geht ebenfalls an der Realität weit vorbei. Die Suche nach dem wahren Menschenbild, nach dem wahren Männer- und Frauenbild steht auch für Männer an.
In Wahrheit ist es dringend nötig, den Begriff des Menschen und der Entfaltung all seiner/ihrer wesenhaften Anlagen in historischer Tiefendimension gegen alle Unterdrückung zur Geltung zu bringen, um weiteren gesellschaftlichen Deformationen und Fehlentwicklungen wirksam entgegen treten zu können.
Ich befasse mich in meiner Arbeit nicht mit Menschen aus dem Transgenderbereich oder mit den vielfältigen kulturellen Varianten von Frauenleben, sondern versuche über Menschen zu sprechen, die die reproduktive Kraft des Empfangens und Austragens von Kindern von Natur aus als Potential in die Wiege gelegt bekommen haben und in der großen Mehrheit als Frauen bezeichnet werden können.