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6Intelligenz

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Es ist heute gang und gäbe über Intelligenz und Intelligenzförderung zu sprechen. Die Entwicklung des Menschen soll Schritt halten mit den umwälzenden technologischen Veränderungen, die die Erfindung des Computers ermöglichte. Gentechnologie und Chaosforschung sind nur einige Ausschnitte davon. Daher will man mit der Intelligenzförderung möglichst früh beginnen, möglichst schon im Mutterleib oder am besten schon bei der Familienplanung. Es gab sogar einmal eine Phase, als werdenden Müttern in den USA klassische Musik auf Tonträgern mitgegeben wurde, weil das angeblich die Intelligenz des Kindes steigern sollte.

Dieser Geist hat alle erfasst, die Zeitungen sind voll davon, die Expertenliteratur zur Kindererziehung und –förderung nimmt ungeahnte Ausmaße an.

Die Eltern, jedenfalls in den meisten Fällen auch die Väter, wünschen sich das Beste für ihr Kind, sie wünschen sich, dass ihr Kind intelligent wird, sie wünschen sich, dass es ein erfolgreiches Leben führen kann mit einem guten Job und in guten sozialen Verhältnissen. Die Verwirrung darüber, wie das zu erreichen ist, ist nach wie vor groß. Es gibt widersprechende Lehrmeinungen, Konflikte in den Familien, die sogar bis zur Trennung der Partner führen können, Streit mit den Kindern bis hin zur Gewalt gegen Kinder, die nicht tun, was man für das Beste hält. Ja die Konflikte und Leiden in diesem Bereich sind ungeheuer. Man schlägt einander förmlich die Köpfe ein mit Meinungen über Richtig und Falsch des Weges zum Erfolg und bleibt dabei oft auf der Strecke. Die Opfer sind dabei nicht zuletzt die Kinder. Verweigerungen, Furcht vor Kontakten oder Ängsten bzw. Aggressionsbereitschaft der Schüler und Schülerinnen werden von Autoritätspersonen in den Institutionen häufig mit einem Scherbenhaufen im Familienleben verknüpft. Schnell werden dann beispielsweise Scheidungskinder oder Kinder von Alleinerziehenden oder Einzelkinder zu Problemfällen erklärt, hinter die Mauern der Fassaden der äußeren Lebensumstände wird nicht geblickt. Das unproblematische Kind, das den Leistungsanforderungen entspricht, ist das Erziehungsziel, selten wird individuell das pädagogische Konzept auf die konkret vorhandenen Kinder abgestimmt. Aus Angst vor dem Bewertungsdruck werden daher Probleme von den Eltern möglichst retuschiert und vor der Öffentlichkeit geheim gehalten (Familiengeheimnisse). Das führt wiederum dazu, dass Eltern selten in der Lage sind, offen über etwaige ähnlich gelagerte Probleme zu reden, um selbständig Ursachen aufzuspüren. Sie sind bei der Erziehung zunehmend isoliert und daher zunehmend auf Ratgeber und Experten angewiesen. Eine Desolidarisierung der Gesellschaft macht sich breit.

Die Eltern und ihr Versagen werden stärker in den Mittelpunkt der Verantwortung gerückt, wie bei Haarer werden sie und vor allem die Mütter schuldig gesprochen, wenn das Kind nicht funktioniert, dabei werden jedoch die äußeren Umstände außer Acht gelassen. Tatsächlich hat sich in den zeitgenössischen Eltern-Kind-Beziehungen einiges verändert. Einfache Ursache-Wirkungs-Modelle führen jedoch zu voreiligen Bewertungen, verstärken den Erfolgsdruck der Eltern, die damit selbst in die Gefahr der öffentlich geschimpften oder für unfähig erklärten Eltern kommen. Eine Leistungsstressreaktion hat im Extremfall sogar meiner Meinung nach zum Kindesmord geführt, als ein Vater sein schreiendes Baby so schüttelte, dass es daran verstarb. Das Kind einer guten Mutter oder eines guten Vaters hat nicht zu weinen. Ich gebe zu, die Schreiphasen eines Babys sind ohnehin Nerven zerreißend, aber dies Schreien zu begleiten unter dem Leistungsstress, etwas beweisen zu müssen, ist unaushaltbar.

Tatsache ist, dass heutige Kinder bereits im Kleinkindalter als Konkurrenzobjekte zwischen Eltern dienen. Dass dabei viele Kinder auf der Strecke bleiben, ist nicht weiter verwunderlich. Kindliche Bedürfnisse und solche Anspruchshaltungen sind letztlich unvereinbar, sie steigen innerlich aus, es kommt zu Leistungsverweigerung und Stresssymptomen.

Der Druck, intelligent sein zu müssen, zu sollen, bringt Phänomene hervor wie die Beschimpfung der Kinder durch Eltern, Lehrer und gegenseitig: „Du bist blöd.“, was so viel bedeutet wie: Du entsprichst nicht, du passt nicht, was nicht selten das Kind, aber auch die Eltern in hoffnungslose Verzweiflung stürzt.


Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Familie unter einem enormen Erziehungsdruck, Erfolgsdruck und Bewertungsdruck steht. Gleichzeitig sind die Erziehenden in ihrer Arbeit zunehmend isoliert.

Unstrittig ist, dass die Familie die erste und eine sehr wichtige Sozialisationsinstanz ist. Ausgesprochen wichtig ist jedoch auch die wohnliche Situation, sowie das soziale Umfeld, in das das Kind hinein wächst. Weiters spielen bereits ab dem Kleinkindalter die überbordende Unterhaltungsindustrie und Massenkultur für Kinder, die keinerlei Kontrolle unterliegen und jegliches Bemühen wohlwollender Eltern vereiteln können eine bedeutende Rolle, da sie über die soziale Schiene des Miteinanders der Kinder sehr wichtig wird. Von großer Bedeutung sind die Institutionen Kindergarten, Schule und Hort, die ebenfalls bereits massiver Kritik unterworfen werden.


Zurzeit hält auch die Diskussion um das öffentliche Schulwesen die Öffentlichkeit in Atem. Zweifel an den „Experten“ Lehrer werden laut, verschiedene Konzepte, wie eine möglichst lernbereite aktive und flexible Nachkommenschaft herangezogen werden kann, werden breit diskutiert. Die Schule steht vor Erziehungsaufgaben, denen sie bisher nicht gewachsen ist.


Im Wesentlichen stimmen alle „Erzieher“, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Vertreter der verschiedenen politischen Couleurs in den Zielen überein:

Wir brauchen Menschen mit „intelligentem Wissen“, das auch auf neue Wissensbereiche transferierbar ist, also nicht rein reproduziertes Faktenwissen. Wir brauchen Menschen, die ein Leben lang aktiv lernen wollen, damit sie mit dem Wandel in allen Lebensbereichen umgehen können. Wir brauchen Menschen, die fähig und bereit sind, vernetzt und komplex zu denken, also nicht einseitig fachspezifisch orientiert sind. Wir brauchen Menschen, die selbstverantwortlich handeln und ihre Kompetenzen einschätzen können, Menschen, die fähig sind im Team zu arbeiten und soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Nicht zuletzt sollen diese Menschen auch Kompetenzen erwerben, um aktive Teilhaber an modernen multikulturellen demokratischen Gemeinschaften sein zu können. Soweit die Ziele, wie sie auch als Bildungsziele im Thesenpapier der Zukunftskommission formuliert werden. (Das Reformkonzept der Zukunftskommission. Von Günter Haider, Ferdinand Eder, Werner Specht, Christiane Spiel. Veröffentlicht im Internet unter www.klassezukunft.at)

Die Frage ist allerdings die nach dem Weg. Dort jedoch scheiden sich die Geister. Wie werden diese Ziele erreicht?


Ich möchte an dieser Stelle nicht die verschiedensten Positionen referieren, sondern selbst einen Weg anbieten, darüber nachzudenken.


a. Der erste Streit entscheidet auch bereits über die erste Trennung: Intelligenz ist angeboren, wird vererbt und kann nur minimal gefördert und entwickelt werden.

Gegen diese gar nicht so wenig verbreitete Ansicht richtet sich die moderne Hirnforschung mit ihren Ergebnissen:


Das menschliche Gehirn besteht demnach in seiner Konstanz aus Neuronen, die mittels chemischer Transmitter, die in elektrische Impulse übersetzt werden, an so genannten Synapsen miteinander in Verbindung stehen. Die Gehirnfunktionen stehen also insgesamt sehr stark mit dem gesamten chemophysischen und –psychischen Prozess eines Lebewesens in Zusammenhang. „Neun Monate nach der Empfängnis sind die meisten Neuronen, die unser Gehirn aufbauen, zu ihrem Bestimmungsort im Gehirn gewandert. Dort angekommen schlägt jedes Neuron Wurzeln und macht sich daran, synaptischen Kontakt mit seinen Nachbarneuronen aufzunehmen.“ (Greenfield, Susan: Reiseführer Gehirn; Heidelberg/Berlin; 2003; S.140) Das Gehirn verfügt über wesentlich mehr Neuronen, als im weiteren Verlauf des Lebens genutzt werden können. In den folgenden drei Jahren wächst das Gehirn des Kindes auf ungefähr die vierfache Größe als zur Zeit der Geburt. 85% der nachgeburtlichen Gehirnentwicklung findet in den ersten drei Jahren des Kindes statt. Ein Großteil der spektakulären Größenzunahme des Gehirns nach der Geburt geht auf die Entwicklung der Fortsätze zurück, die als Kommunikationsverbindungen zwischen den Neuronen dienen. Neuronen, die nicht genutzt werden, werden nicht vernetzt und verlieren ihre Funktion. Dafür gibt es ebenfalls ungewöhnliche Beispiele: So ergaben z.B. die Untersuchungen an einem 6-jährigen italienischen Jungen, der auf einem Auge blind war, ein medizinisches Rätsel. Soweit Augenärzte feststellen konnten, war das blinde Auge völlig in Ordnung. Wie sich herausstellte, war das Auge des Jungen, als er noch ein Baby war, zwei Wochen lang wegen einer leichten Infektion verbunden worden. Eine solche Behandlung wäre bei einem älteren Kind mit bereits ausgebildeten neuronalen Verbindungen ohne negative Folgen geblieben. Aber so kurz nach der Geburt befand sich die Ausbildung der Augen-Gehirn-Schaltkreise in einer kritischen Periode. Da die Neuronen, die das verbundene Auge versorgten, nicht arbeiteten, wurde ihre normale Zielregion von Nerven des unverbundenen, normal arbeitenden Auges übernommen. Das Gehirn behandelte die Neuronen, die nicht arbeiteten, so, als ob sie nicht vorhanden wären. Sensibel ist das neuronale System vor allem während der ersten drei Lebensjahre des Kindes auf Erfahrungen mit der Umwelt. Vernetzungen stellen sich her oder eben nicht. Das Prinzip „Use it or loose it“ bezüglich der Neuronen ist genauso von Bedeutung wie das Prinzip „Use it as much as you can“. Je aktiver Hirnregionen durch aktiven Austausch mit der Umwelt gefordert werden, umso mehr Schaltkreise bilden sich aus, die elektrisch aktiv sind und chemische Verbindungen zur Verfügung haben. Diese wiederum stehen wie gesagt in engem Zusammenhang mit dem chemophysischen und –psychischen Prozess des Lebewesens: Ernährung, Erholung, Schlaf, Stressvermeidung, Gesundheit usw. spielen also ebenfalls eine bedeutsame Rolle.

Meine Schlussfolgerung lautet demnach: Intelligenz wird „vererbt“ durch die Umgangsformen der Eltern mit ihrem Kind. Wenig ist dabei fix angeboren, das Wenige ist selten nachweisbar, aber auch das Interaktive, das, was sich konkret im Austausch zwischen Kind und Betreuungsperson abspielt, ist selten exakt nachweisbar. Interaktion im nonverbalen Raum ist nichts Messbares.

Auf jeden Fall sind das menschliche Gehirn und der Prozess seiner Entwicklung im Mutterleib seit 45.000 Jahren derselbe geblieben. Mit dem Gehirn, das wir als Neugeborene haben, könnten wir genauso gut in der Urzeit der frühen Cro-Magnon-Menschen überlebt haben. Anders gesagt, ein in unsere Zeit versetztes Cro-Magnon-Baby könnte durchaus genauso geschickt und intellektuell beweglich im Umgang mit Computern werden wie es viele Jugendliche in Industrieländern heute sind. Die größte Herausforderung für das anpassungsfähige menschliche Gehirn besteht darin, sich unter zeittypischen Umwelteinflüssen und Zwängen zu entwickeln und heranzureifen, unter denen es überleben muss, sei es in der Welt des Computers oder in der Welt des Dschungels. Die Windungen des Gehirns, der Cortex, reifen erst relativ spät, etwa im 7. Schwangerschaftsmonat heran. Der Vorteil des gefurchten Cortex ist, dass auf begrenztem Raum mehr Oberfläche untergebracht werden kann.



b. Der zweite Streit bezieht sich darauf, dass das Baby uninteressant, weil geistig noch nicht besonders gescheit, also entwickelt, die Beschäftigung mit ihm daher fad und etwas für vernarrte, ein bisschen dabei verblödete Mütter oder Väter, bzw. für bezahlte Betreuungspersonen sei:


Ich behaupte, es kommt ganz darauf an, mit welchem „Bild“, ja sogar mit welchem „Weltbild“ man hier hantiert.

In der älteren Hirnforschung heißt es

„Dass das Auftauchen eines Archetyps nicht sofort mit einer reflexhaften Instinktreaktion des Menschen beantwortet wird, liegt im Sinne der Bewusstseinsentwicklung, denn die Erkenntnis des Objektiven, sei es des Objektiven der Welt außen oder der psychischen Welt innen, des kollektiven Unbewussten, wird durch die Wirkung der emotional-dynamischen Komponente des Unbewussten gestört und sogar verhindert...Bewusstsein, Ich und Wille, welche den Stoßtrupp zumindest der abendländischen Menschheitsentwicklung bilden, tendieren dahin, den Zusammenhang zwischen den materiellen und den dynamischen Komponenten, d.h. der emotional betonten Instinkt-Reaktionen und –Handlungen zu trennen, sich der materiellen Komponenten, der Inhalte des Unbewussten zu bemächtigen und sie zu verarbeiten.“ (Neumann, Erich: Ursprungsgeschichte des Bewusstseins, a.a.O., S.357)

An der Uni Wien wurde in den 70er und 80er Jahren im Fach Pädagogik unterrichtet, man erziehe Zöglinge stufenweise zu sich herauf. Sie entwickelten Stufe für Stufe mehr an Kenntnissen und Fähigkeiten, bis sie im Idealfall den Mentor erreichten. Dabei müsse der Mentor helfen


Auch im Verhältnis zu anderen Kulturen wünschen viele, die anderen mögen sich zu unseren hoch entwickelten Standards herauf entwickeln. Man blickt bisweilen freundlich, jedoch kritisch auf die „Primitiven“, die Verachtung ist nicht zu übersehen.

Da die ältere Hirnforschung der emotionalen, dynamischen Seite des Unterbewussten untergeordnete Funktionen zuschreibt, die durch die rationale Seite des Bewusstseins unter Kontrolle gehalten werden müssen, damit Menschen nicht in primitive Reiz-Reaktions-Verhalten verfallen, konstruiert sie hier die Entwicklung von einem „primitiven Menschen“, meint damit gleichzeitig einen ‚Frühmenschen’, einen ‚Urwaldmenschen’ und ein Kleinkind zum hoch entwickelten Individuum abendländischer Provenienz. Dieses Weltbild ist auch in dieser Theorie enthalten.

Wer seine Zeit mit „Untermenschen“ verbringen muss, um diese höher zu entwickeln, beschäftigt sich mit mühsamer niedriger Arbeit. Besser scheint es doch in so einem Fall, sich dann nur an den Produkten zu erfreuen.

Die Beschäftigung mit Kindern scheint so wenig reizvoll zu sein.


Frauen und ihr Erbe

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