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Das taqíyya-Verstellungsprinzip Demnach ist es den Muslimen in Notzeiten erlaubt, sich gegenüber Nicht-Muslimen zu verstellen, d.h. eine andere Religion öffentlich anzunehmen und den Islam sowie dessen Bräuche und Traditionen im Geheimen zu praktizieren: Die Erfüllung der jährlichen Kommunion und Ohrenbeichte zu Ostern, das sogenannte cumplimiento, deuteten sie für sich als cumplo y miento (ich tu’s und lüge), oder sie gingen auf Reisen, um die Osterpflicht nicht erfüllen zu müssen; in einigen abgelegenen Dörfern wie Hornachos in der Extremadura, wo Morisken unter sich lebten, gelang ihnen die Verstellung trotz des 1530 in der Nähe gegründeten Franziskanerklosters bis zur Vertreibung von 1609. Ähnliche Geschichten gibt es auch unter Conversos aus dem Judentum, vor allem in Portugal.

Convivencia

Die von Américo Castro für das Hochmittelalter so gelobte religiös-kulturelle Convivencia hatte in diesen „schweren Zeiten“ (s. Kap. IV) keine Chance. In Wirklichkeit war sie immer, auch im 13. Jahrhundert, angesichts der immanenten Eifersucht der drei Monotheismen eine prekäre Sache: Die Angst um die „Glaubensreinheit“ und um die Pflege der eigenen Religionskultur ist in der Tat in den drei Religionen allgegenwärtig. Der religiös-kulturell Andere wurde stets als jemand gesehen, vor dem man sich in Acht nehmen muss, mit dem nur ein vorsichtiger Umgang möglich ist. So war die Convivencia, wie Castro selbst zugibt, mehr Ergebnis einer spontanen Lebensart in der Nachbarschaft als Frucht einer Toleranz gegenüber Religions-verschiedenheit, auf die weder Spanien noch ein anderes Land der Christenheit vorbereitet war.

Aber Juden und Morisken waren auch aus geopolitischen Gründen ein Problem angesichts der realen türkischen Gefahr nach der Eroberung Konstantinopels (1453). Vor dem Hintergrund der Erfahrung zu Beginn des 8. Jahrhunderts bei der arabischen Eroberung, als die Juden den Westgoten den Rücken kehrten und mit den Arabern kollaborierten, hegen Volk und Kirche Zweifel an der Loyalität von Juden und Morisken. In den letzten Jahren vor der Vertreibung der Juden finden wir Inquisitionsprozesse gegen Conversos, die ihnen nicht nur das Judaisieren zur Last legen, sondern auch, dass sie schadenfroh den Aufstieg der Türken kommentieren. In der von diesen betriebenen Zerstörung der Christenheit sehen sie ein Vorzeichen für die Ankunft des Messias. Es ist schwer zu sagen, wie viel davon den Tatsachen entspricht und wie viel von der Inquisiton hineininterpretiert wurde, um den Druck auf die Könige zu verstärken. Apokalyptische Schriften damaliger Sefarden wie der Danielkommentar des Isaac Abravanel, des führenden geistigen Kopfes der Vertriebenen, bestätigen jedenfalls, dass die Juden im Aufstieg der Türken ein Vorzeichen für die Ankunft des Messias und den Anbruch jenes „fünften Reiches“ sahen, des Reiches Israels, „dessen Herrschaft auf kein anderes Volk übergehen wird und in Ewigkeit bestehen soll“ (vgl. Dan 2,44–45; s. Kap. I). Angesichts dieser religiösen, kulturellen und geopolitischen Rücksichten entschloss sich Spanien zur Vertreibung von Juden und Morisken, obwohl dies aus wirtschaftlicher Hinsicht unvernünftig war.

Mit der Vertreibung oder Bekehrung der Juden 1492 bzw. der Morisken zwischen 1502 und 1614 versuchen die Katholischen Könige und ihre Nachfolger ein religiös homogenes Reich zu schaffen. Die Vertreibung der Juden ist noch ein „mittelalterliches“ Phänomen, der Schlussstein der vielen Vertreibungen von Juden aus dem christlichen Europa im Schatten des Kreuzfahrergeistes. Die Massenvertreibung der Morisken zwischen 1609–1614 ist hingegen bereits ein „frühneuzeitliches“ Phänomen, vergleichbar mit der späteren Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich.

Das Spanische Jahrhundert

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