Читать книгу Unerfüllte Träume einer jungen Liebe - Marie-Claire de Bergér - Страница 24

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Der Verlorene am Piz Bianco

Über den Berggipfeln war Ruh und der Mond zog oberhalb der Berninagruppe seine Bahn. Am Firmament glitzerte das Mondlicht silberhell jenseits des Biancogrates, um eine verlassene, verlorene und einsame, männliche Gestalt zu bescheinen. Mühsam kämpfte der Mann sich den steilen Weg hinauf. Ohne Steigeisen und Pickel, weder mit einem Seil noch mit Eishaken oder sonstiger Kletterausrüstung stieg er mühselig weiter bergan, um auf den Gipfel des Piz Bianco beziehungsweise den des Piz Bernina zu gelangen. Hinter ihm waren die Männer des Schweizer Bundesheeres, einer Spezialeinheit der Heeresbergführer, die ihn jagten. Er war der Kapuzenmann, der an der Diavolezza Bergstation entwischt war, als man im Begriff war, die Bande zu verhaften. Stunden hatte er gebraucht, bis er hier oben mitten auf dem Grat den Steig zum Gipfel des Piz Bianco erstiegen hatte. Gegen die Steilheit dieses Berggrates ankämpfend, der sich dann als Himmelsleiter entpuppte, schob er sich diesem weißen Berg entgegen: 3995 Meter war der Berg des Grates hoch. Sein Ziel war die Marco e Rosa-Hütte des C.A.I Sondrio. Aber bis dahin hatte er noch einen weiten Weg vor sich: Er musste den Hauptgipfel, den Piz Bernina, den einzige Viertausender der Ostalpen, ersteigen, aber nicht nur den, denn dann ging es über den Piz Alv und ein Stück über den Spallagrat hinunter und über Schneefelder und Spalten zur italienischen Hütte. Dass der Flüchtling über diese besagten Gipfel musste, das wusste er nicht. Hätte er es gewusst, er wäre mit Sicherheit nicht auf diese Himmelstreppe gestiegen. Es war ein Höllentrip und sein Wille war es, zu überleben. Aber das wäre nur möglich gewesen, wenn er wie ein Bergsteiger eine spezielle Ausrüstung dabei gehabt hätte. Da half auch kein Spezialtraining in den Anden. Er war am Ende seiner Kräfte, seine Lungen schmerzten, sein Atem ging schwerer. „Nur einmal kurz hinsetzen, ausruhen, ich kann nicht mehr“, dachte er bei sich. „Sollen sie mich doch finden.“ Es war aussichtslos. Mitten auf dem Grat des Piz Bianco fiel er auf die Knie und krabbelte auf allen vieren bis zum Beginn der Felsen empor. Dort ließ er sich erschöpft nieder und schloss die Augen. Sein Herz raste, sein Kopf dröhnte, er sah nichts mehr, die Schneeblindheit hatte seine Augen erfasst. Sein Weg des Lebens war hier und jetzt zu Ende.

Am nächsten Morgen fand ihn Uerli, der Pilot, mit dem Helikopter. Uerli war mit dem Heli von der Basis Air Pontresina aus aufgestiegen, um nach ihm zu suchen. Er gab die Meldung durch, dass der Gesuchte gefunden worden war.

Bei Urs Sutter klingelte an diesem Morgen, als er beim Frühstück saß, das Telefon. Schimpfend stand er auf und meldete sich.

„Hallo Urs, hier ischt Uerli. Bin mit dem Hubschrauber uffgestiege. Han den Vermissten gefunde am Biancograt. Er ischt erfrore und net mehr weiterkumme, der Kollege von der Air Base soll ihn mit der Seilwinde heruffhole. Aber den Doktor müsset ihr mitbringe, um zu schaue, ob er noch am Läbe ischt, die Vorschrift halt, Urs.“

„Hab verstande, Uerli!“, antwortete Urs.

„Bischt so guet, Urs, und gebest Bescheid fürs Gelinge.“

„Ischt in Ordnung, Uerli. Salü!“ Urs legte den Hörer auf. Er machte sich ein paar Notizen und ging wieder frühstücken. Es war noch sehr früh am Morgen, alle andern schliefen noch. Laut gähnte er und dachte bei sich: „Junge, du kannst noch ein paar Stunden auf der Couch ausruhen.“ Gedacht, getan. Er ließ sich nieder und es dauerte keine Viertelstunde, da hatte ihn die Müdigkeit überwältigt.

Ursula hatte gut geschlafen. Leise zog sie ihren Trainingsanzug an und schlich aus dem Zimmer. Geräuschlos stieg sie die Treppe hinab, huschte zur Haustüre hinaus und begab sich im Dauerlauf hinunter zum Diavolezza-See. Sie drehte zuerst eine langsame Runde, machte Lockerungsübungen und merkte bald, dass man in dieser Höhe alles etwas ruhiger angehen musste. Ihr Atem wurde kürzer, sie spürte ihre Lungen beim Luftholen. Nach der zweiten Runde um den See lief sie zurück zur Berghütte. Als sie gerade an der Türe war, wurde diese geöffnet und Diether trat heraus – im Jogginganzug. „Warst du schon oder läufst du noch?“, fragte er lachend.

„Ich war zwar schon, doch eine See-Umrundung laufe ich noch mit“, sagte sie grinsend.

Es wurden dann doch noch ein paar Runden mehr daraus. Erschöpft kehrten sie schließlich zur Jagdhütte zurück. „Man glaubt es kaum, aber in zweitausend Metern Höhe ist Laufen anstrengend, gell Schatz?“, meinte Diether schnaufend. Lachend gingen sie ins Haus. In der Berghütte war alles ruhig. Die Herrschaften schliefen wohl noch. Stillschweigend stiegen sie die Treppe empor in den ersten Stock. Ulli verschwand ins kleine Bad und Diether ins größere für Buben. Dann aber kam Uschi eine Idee. Sie klopfte an die Türe, hinter der ihr Freund verschwunden war, und rief leise: „Diether, kimm außer, wir gehen ins Schwimmbad!“

Er öffnete die Badtüre und fragte verwundert: „Wie, was Hallenbad?“

„Du Spökenkieker, hier unter dem Wintergarten ist doch auch eines, genau wie im Chalet Resi.“

„Wenn das so ist, hole ich die Badehose.“

„Und ich meinen Badeanzug“, kicherte Ulli. „Übrigens, Badetücher sind auch da.“ Eilig liefen sie mit den Badesachen in den Händen die Treppe hinab. Beide erreichten die kleine Pforte des Tropengartenhauses und die verborgene Eingangstüre zum Pool. Doch da wurde die kleine Türe wie von Geisterhand geöffnet und Urs erschien in ihrem Rahmen. Unvermittelt standen sie voreinander und drängten sich gegenseitig ins Innere des Schwimmbades. „Nanu, Urs, du hier, ich habe dich doch noch gerade auf dem Sofa liegen sehen, bevor ich zum See joggen ging? Du hast geschnarcht wie ein Holzknecht“, sprach Uschi verschmitzt.

„Drum bin ich ja hier, um wieder klar denken zu können. Aber es ist kein Wasser da! Ihr könnt nicht schwimmen, nur auf dem Trocknen“, erklärte er.

„Och nee, du bist doch vor ein paar Tagen selbst noch drin gewesen, als ich dich gerufen habe“, antwortete Ulli erstaunt. „Dös gibt’s net, Urs. Lass schauen, ich weiß, dass du flunkerst wie eine Eins!“ Da drehte er sich etwas zur Seite und Uschi erkannte ihre Patentante, die im Wasser des Bassins ohne Badeanzug genüsslich ihre Bahnen zog.

Daraufhin ergriff Ulli energisch Diethers Hand und zog ihn vom Eingang weg in den Wintergarten hinein. Dort berichtete sie atemlos: „Du, Großer, wir können nicht ins Becken, Mariele schwimmt dort ohne Bikini herum, verstehst du jetzt, warum kein Wasser im Schwimmbad war.“

„Dieser Gauner, ich fasse es nicht, dieser Schlawiner, Ulli.“ Er musste über Urs List laut lachen.

„Kimm Bub, dann gehen wir halt ins obere, große Bad und setzen uns mit dem Badedress in die Wanne.“ Sie gingen die Treppe nach oben ins salle de bain, zogen ihre Badesachen an und machten es sich in der Wanne gemütlich. Dort kuschelten sie sich aneinander und ließen sich von dem einlaufenden Wasser massieren. Diese Massage regte nicht nur den Kreislauf an, sondern erregte bei beiden auch gewisse andere Körperteile. Diether küsste Ulli mehrmals und das entflammte sie noch mehr. Dass das sprudelnde Nass so eine Wirkung bei ihnen auslöste, hätten sie nicht für möglich gehalten. Bei Diether hatte es eine Erektion verursacht und bei Ulli den Höhepunkt. Diether küsste sie abermals liebevoll und hielt sie fest in seinen Armen. Dabei meinte er heiser: „Du, Uschilein, deine Tante macht mich einen Kopf kürzer, wenn sie das erfährt.“

„Das wird niemand erfahren, Schatz“, sagte sie, langsam wieder zu Atem kommend, an seiner Schulter.

„Es war halt nur, wie die Amerikaner sagen, ein Petting bei verliebten Paaren, die das Äußerste noch nicht wollen.“

„Du hast recht, Liebes, was anderes haben wir auch nicht getan. Da können wir später einmal drüber reden, okay?“, meinte Diether zärtlich zu ihr.

„Wo du recht hast, hast du recht.“ Sie stiegen aus dem kleinen Wasserbecken und trockneten sich ab. Ulli ließ das verbrauchte Wasser ab und spülte das Sitzbecken tüchtig mit dem Brausekopf aus. Nun war alles wieder blitzblank.

Uschi verschwand hinter dem Paravent, um sich fertig abzutrocknen. Hinterher schlang sie sich ein Badetuch über den Busen und kam hinter dem Ankleideständer hervor. Diether hatte sich der nassen Schwimmshorts entledigt, um sich trocken zu rubbeln. Er wickelte sich ebenso ins Badelaken ein und band es über der Hüfte zusammen. „Kimm, Kleines, du kannst in die Stube gehen und dich fertig ankleiden, ich ziehe mich im Bad an, da meine Sachen dort auf dem Bügel hängen.“

„Ist in Ordnung, Großer, danach können wir frühstücken. Unten läuft schon der Kaffee durch die Maschine.“ Uschi lief in ihr Stüberl und kleidete sich eilig an. Dann schritt sie die Treppe hinab und traf in der Küche ihre Patentante.

„Guten Morgen, Mariele, hast du gut geschlafen?“

„Ach, Ulli, du bist’s. Gut geruht, würde ich eher sagen als geschlummert, denn Urs hat vom Alkohol so geschnarcht. Zum Glück musste er früh aufstehen.“

„Das habe ich heute Morgen in aller Herrgottsfrühe gehört und gesehen. Diether und ich waren laufen, zuerst bin ich alleine unterwegs. Nach der zweiten Runde um den See wollte ich zur Türe herein, da erschien Diether auf der Bildfläche und ich bin ein drittes Mal mitgelaufen. Anschließend beabsichtigten wir, ins kühle Nass zu springen und ins Hallenbad zu gehen. Aber da hatte jemand den Stöpsel herausgezogen.“ Marie-Theres wurde dunkelrot vor Verlegenheit, sagte aber nichts dazu. Dafür fuhr Uschi fort: „Nur merkwürdig, dass ich eine nackte Nixe wahrgenommen habe, die munter ihre Runden im Wasser schwamm, doch nicht auf dem Trockenen, wie Urs es uns weismachen wollte.“

Mariele prustete los, sie konnte vor lauter Lachen nicht antworten. Uschi erging es nicht anders und sie lachte mit. „Mir war klar, dass Diether dich nicht so erblicken sollte, stimmt’s?“

„Genau, Urs musste ja was einfallen, und da ist ihm das mit dem leeren Becken eingefallen. War doch clever von ihm, oder?“

„Sehr ehrenhaft, und wir sind drauf reingefallen. So sind wir halt in der Wanne gelandet und haben uns wunderbar massieren lassen, das Gefühl war traumhaft“, erwiderte Uschi freudig und merkte, dass sie dabei rot wurde. Sie musste aufpassen, sonst würde sie sich noch verplappern. Nur nicht mehr daran denken!

Fee gesellte sich zu den beiden. Diether und Urs hatten sich schon an den gedeckten Tisch ins Esszimmer gesetzt, während Ursula und die Baronin sich noch in der Küche unterhalten hatten. Die Gräfin wünschte darum einen guten Morgen. „Hallo Mariele, ma chère, alles gut?“

„Oui, ma chère Fee“, antwortete die Baronin.

„Ursula, ma petite, du warst aber schon früh auf, n’est-ce pas? Bist du joggen gegangen mit deinem chèr ami? War aber bestimmt il fait une froid de canard draußen, ma chère, oder nicht? Brrr! Ich könnte nicht so früh aufstehen und um den Lac Diavolezza laufen. Non il fait froid, comprennent, mes amie?“

„Ich weiß, Feelein, du liebst die Wärme. Komm mit zum Vespern, die Mannsbilder hocken schon eine ganze Weile da. Nehmt ihr zwei bitte die Tabletts in die Hand, dann wäre alles soweit fertig und wir können mit dem Frühstück beginnen“, bemerkte Mariele gelassen. Dann setzten sich die drei Damen zu den Herren an die Tafel. Dabei ließen sich alle das opulente Mahl gut schmecken. Nach der Morgenmahlzeit brachen Diether und Ulli zu einer Wanderung zum Munt Pers auf.

Unerfüllte Träume einer jungen Liebe

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