Читать книгу Haus der gefangenen Herzen - Marie Louise Fischer - Страница 9

5.

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Yvonne rückte zur Seite und sah Hans Mayr verblüfft an. „Ob ich noch Jungfrau bin, willst du wissen? Du spinnst wohl. Das würde ich dir gerade auf die Nase binden!”

Hans Mayr lachte. „Also doch noch Jungfrau”, sagte er und trat stärker aufs Gaspedal. „Da muß ich mir aber schwer überlegen, ob ich mich überhaupt herbeilasse …”

„Hab’ ich dich etwa darum gebeten?” fauchte Yvonne. „Du bist auch nur halb so schön, wie du glaubst, und trotz deiner Playboyallüren nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Pennäler.”

„Komm, hau nicht so aufs Blech”, sagte er besänftigend, „vorläufig gehst du ja auch noch auf die Penne, also passen wir ganz gut zusammen. Oder wartest du auf was Besseres?”

„Kann schon sein.”

„Dann viel Glück. Aber wenn es eine Enttäuschung werden sollte … du weißt, du brauchst mich bloß anzurufen.”

Als Hans Mayr mit Yvonne in seinem Sportwagen aus dem Schloßhof gekurvt war, hatte Helga mit Schrecken festgestellt, daß sie sich beeilen mußte, wenn sie den Mittagszug nach München noch erwischen wollte.

Sie schleppte ihren Koffer die Treppe hinunter und eilte keuchend über den fast leeren Burghof in Richtung Bahnhof. Aber schon nach einigen Minuten mußte sie verschnaufen und ihren Koffer absetzen.

In diesem Augenblick hupte es gerade hinter ihr; sie fuhr erschrocken zusammen.

„Oh je, das habe ich nicht gewollt! Darf ich Sie ein Stück mitnehmen?” fragte Dr. Jung aus dem heruntergekurbelten Fenster seines Autos.

Sie zögerte eine Sekunde. Dann sagte sie: „Herzlichen Dank! Sie kommen wie gerufen! Ich muß in spätestens fünf Minuten am Bahnhof sein.” Sie schob ihren Koffer auf den Rücksitz und setzte sich neben Dr. Jung.

„Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir es schaffen! Wohin fahren Sie? Nach Traunstein?”

„Nein. Nach München.”

„Wunderbar. Dann brauchen wir uns gar nicht zu beeilen. Ich fahre auch nach München. Ich werde Sie also nach Hause bringen.”

Helga konnte ihr Glück klaum glauben. „Das wäre wahnsinnig nett von Ihnen! Vielen Dank.”

„Ich muß mich bedanken, daß Sie mir Gesellschaft leisten. Ich habe mein Appartement in München noch nicht aufgegeben. Eigentlich brauche ich es jetzt ja nicht mehr, weil ich jetzt auf Hohenwartau bin. Aber ich kann mich nicht entschließen, alle Brücken abzubrechen. Es ist wunderbar in den Voralpen, aber die Großstadt hat auch etwas für sich. Hin und wieder überfällt mich das Verlangen, in ein Theater, ein Konzert, eine Kunstausstellung zu gehen.”

Er redete viel, um ihr zu helfen, ihre Verlegenheit zu überwinden.

„Das kann ich gut verstehen”, sagte sie.

„Und was werden Sie heute unternehmen, Helga?” fragte er.

„Ich werde mich meiner Familie widmen.”

„Ist das nicht ein bißchen wenig?”

Sie lachte. „Da kennen Sie meine Familie nicht! Ich habe riesig nette Eltern und fünf jüngere Geschwister, und jeder möchte mich eine Zeitlang ganz für sich allein haben. Sie möchten mit mir reden, ich soll ihnen helfen, Fahrradschläuche flikken, elektrische Autos reparieren … so ein Wochenende geht herum, ohne daß ich zur Besinnung komme.”

„Und was sagt ihr Freund dazu?” fragte er.

„Ich habe keinen”, erwiderte sie ehrlich.

Er schwieg.

„Glauben Sie mir nicht?”

Er sah sie von der Seite an. „Wenn ich ehrlich sein soll: Nach allem, was man so hört und liest, habe ich angenommen, daß jedes 17jährige Mädchen einen Freund hätte.”

Sie strich sich das dunkle Haar aus dem Gesicht.

„Das stimmt aber nicht. In unserer Klasse zum Beispiel hat nur Ellen einen festen Freund. Margot ist verlobt. Hannelore bildet sich ein, daß alle Männer auf sie fliegen, auch Yvonne hat hie und da einen Flirt, aber wir anderen sind unter Garantie alle solo.”

Plötzlich überfiel sie der Verdacht, daß er sie nur über Yvonne aushorchen wollte. „Der junge Mann, der Yvonne abgeholt hat …” begann sie.

„Ist sie von einem jungen Mann abgeholt worden?”

Helga konnte nicht klug aus ihm werden. Hatte er tatsächlich nichts gesehen, oder tat er nur so? „Na, jedenfalls ist er ihr Vetter”, sagte sie, „und zwischen den beiden ist überhaupt nichts.”

Schien es ihr nur so, oder hatte er vielleicht aufgeatmet?

„Na, wenn es nicht der ist, so ist es ein anderer”, sagte er trocken. „Yvonne gehört zu den Mädchen, die sich unentwegt von den Männern bewundert und bestätigt sehen wollen.”

„Sie tun ihr unrecht”, sagte Helga unwillkürlich, „wir waren lange Jahre befreundet, und ich kenne sie ganz gut. Yvonne wirkt zwar ein bißchen oberflächlich, sie ist aber ganz in Ordnung.”

„Aber trotzdem ist sie nicht mehr Ihre Freundin?”

„Wir haben uns gestritten”, sagte sie, „fragen Sie bitte, nicht warum. Es ist ein ganz persönlicher Grund.”

Um ihn abzulenken, fügte sie rasch hinzu: „Sehen Sie, wenn ich einen Freund haben wollte, wäre mir das viel eher als Yvonne möglich. Meine Eltern haben viel Verständnis und noch mehr Vertrauen und lassen mir alle Freiheiten.”

„Aber Sie haben noch kein Interesse an einer festen Freundschaft?”

„Sie wollen es aber genau wissen”, sagte Helga.

„Wenn ich zu neugierig bin …”

„Aber nein. Sehen Sie, ich hätte schon manchmal ganz gerne einen Freund … nur dürfte er natürlich nicht zu kindisch sein … ich müßte zu ihm aufsehen können und das Gefühl haben, daß er mich versteht. Ich stelle mir so eine Freundschaft herrlich vor. Aber wir könnten uns doch nur in den Ferien sehen, und es ist sicher zuviel verlangt, daß ein junger Mann dreiviertel des Jahres auf mich wartet und sich mit Briefen begnügt.”

„Sie verzichten also aus praktischen Erwägungen auf die Liebe?”

„Es fällt mir gar nicht so schwer. Erstens ist mir der Passende noch nicht über den Weg gelaufen, und zweitens habe ich ja noch viel Zeit. Bisher ist mein Leben auch so bis zum Rande ausgefüllt. Glauben Sie mir.”

Er lachte. „Sie sind ein vernünftiges Mädchen!”

Helga zuckte zusammen. Wenn sie etwas haßte, dann war es, ein vernünftiges Mädchen’ genannt zu werden. Das war fast so schlimm, als wenn er behauptet hätte, sie sei ein Kumpel, mit dem man Pferde stehlen könne.

Aber was hatte sie denn anderes erwartet?

Er sah in ihr nur die gute Schülerin, ein verläßliches Wesen. Sie mußte verrückt sein, wenn sie gehofft hatte, daß er mehr in ihr sehen würde.

Tapfer schluckte sie ihre Enttäuschung hinunter und wechselte rasch das Thema. Sie erzählte vom Weihnachtsmärchen, das sie mit den jüngsten Schülerinnen in diesem Jahr inszenieren sollte, und vermied jedes persönliche Wort.

Als sie die Autobahn bei der Einfahrt nach München verließen, schlug sie vor, beim Lotsenhäuschen auszusteigen und mit einem Taxi nach Hause zu fahren. Aber er bestand darauf, sie bis vor ihre Haustür zu bringen.

„Ich danke Ihnen nochmals, Herr Doktor, daß Sie mich mitgenommen haben”, sagte sie beim Abschied formell.

Er hielt ihre Hand fest. „Und wie kommen Sie morgen abend zurück?”

„Entweder mit dem Zug oder mit einer Klassenkameradin.”

„Mit Yvonne?”

Sie entzog ihm ihre Hand mit einem Ruck. „Mit ihr bestimmt nicht!”

„Und wie wäre es, wenn ich Sie wieder abholen würde? Ich würde mich freuen, wenn Sie es mir erlauben würden. Es war nett und aufschlußreich für mich, mit Ihnen zu plaudern.”

Sie hatte wieder einmal das Gefühl, daß er sich über sie lustig machte. Aber sie hatte nicht die Kraft, ihm eine Absage zu erteilen.

Außerdem fiel ihr keine glaubhafte Ausrede ein.

„Ja gerne”, sagte sie kurz entschlossen.

„Wunderbar. Dann hole ich Sie also ab. Sagen wir um sechs Uhr? Dann sind wir pünktlich in Hohenwartau.”

„Gut.” Sie hatte die Autotür schon geöffnet und stieg aus.

Er nahm ihren Koffer vom Rücksitz und stellte ihn vor der Gartenpforte ab.

„Darf ich ihn hineintragen?” fragte er lächelnd.

„Danke, das ist nicht notwendig.” Helga nahm ihren Koffer und öffnete die Tür.

Dr. Jung stieg wieder in sein Auto und sah ihr nach. Helga ging den Weg zum Haus hinauf und war sofort umringt von ihren Geschwistern. Man riß ihr den Koffer aus der Hand und umarmte sie, als kehrte sie von einer Weltreise zurück.

An der Haustür drehte sie sich noch einmal um. Herbert Jung hatte gewartet. Er winkte ihr zu, und sie lächelte zurück. Dann fuhr er ab.

Yvonne kam eine Viertelstunde später zu Hause an, denn die Villa ihrer Eltern lag in einem feudalen Vorort. Hans Mayr mußte die halbe Stadt durchqueren, bis er mit Yvonne das Ziel erreicht hatte. Als er anhielt, wartete sie, bis er ihr die Tür öffnete, bevor sie ausstieg.

Cilly, die Hausangestellte, sehr adrett im blauen Kleid und weißen Schürzchen, ließ sie herein und nahm Hans Mayr den Koffer ab.

Sie traten in die große Diele, die ein berühmter Innenarchitekt mit einem freistehenden Kamin versehen hatte.

Yvonne rief ungeduldig durchs Haus: „Mama! Papa! Wo seid ihr denn? Wollt ihr mich nicht begrüßen?”

In diesem Augenblick kam ihre Mutter die breit geschwungene Treppe herab; Mama war Ende 30, sehr gepflegt mit einer kunstvoll zerzausten Frisur, perfektem Make-up und modisch kurzem Kleid, das ihre sehr schönen schlanken Beine bis weit über die Knie freiließ.

„Mein Liebling”, rief sie, „da bin ich schon! Ich habe mich nur ein bißchen frisch gemacht!”

Sie umarmte ihre Tochter. „Gut siehst du aus, Süße! Du ahnst ja nicht, wie froh ich bin, daß du endlich mal wieder zu Hause bist!”

„Das Vergnügen”, sagte Yvonne und nahm sich aus einer goldenen Zigarettendose eine Zigarette, „könntest du immer haben. Ich reiße mich bestimmt nicht darum, im Internat zu versauern.”

„Ich bitte dich!” Ihre Mutter hob entsetzt die Hände. „Nun fang nicht wieder davon an! Du weißt, daß du auf Hohenwartau bist, weil ich Papa im Geschäft helfe, und deshalb keine Zeit habe, auf dich aufzupassen!”

„Erstens brauchst du Papa gar nicht zu helfen, der würde sehr gut ohne dich fertig werden”, erklärte Yvonne, „und zweitens besteht nicht die geringste Notwendigkeit, auf mich aufzupassen. Ich weiß sehr gut, was ich zu tun und zu lassen habe.”

Ihre Mutter seufzte. „Wie wäre es mit einem Drink vor dem Essen?” fragte sie ablenkend. „Du bleibst doch, Hans?”

„Tut mir leid, Tante Ina. Meine Eltern warten auf mich.”

„O, ich könnte sie anrufen … aber nein, du hast ganz recht, wir wollen nicht egoistisch sein. Bestimmt können sie es kaum erwarten, dich wiederzusehen.”

Hans zog eine kleine Grimasse, sagte aber nichts.

„Nochmals herzlichen Dank, daß du uns Yvonne heimgebracht hast. Morgen abend brauchst du dich nicht zu bemühen, ich werde sie zurückbringen.”

Hans Mayr verabschiedete sich von Frau Holzer mit einem Handkuß und von Yvonne mit einer korrekten Verbeugung. „Du kennst mein Angebot, Yvonne, Es bleibt vorläufig für dich offen!”

Yvonne mußte über seine Frechheit lachen. „Danke. Darüber werden wir noch mal reden.”

„Was meint er denn?” fragte ihre Mutter, als Hans Mayr gegangen war, aber eine Sekunde später hatte sie den kleinen Zwischenfall schon vergessen. „Wir haben heute früh ein ganz großes Geschäft abgeschlossen”, erzählte sie, „mit einer amerikanischen Firma. Deshalb konnte ich dich auch nicht abholen, Liebling. Dafür stehen wir dir aber das ganze Wochenende zur Verfügung.”

„Fabelhaft”, sagte Yvonne betont lustlos.

„Unser Plan sieht folgendermaßen aus”, sagte Frau Holzer und ging hinter die kleine Hausbar, „zuerst …”

Sie unterbrach sich.

„Sieh mal, wer da kommt! Fein, daß du schon da bist, Harry! Ich bin gerade dabei, unserer Kleinen zu erklären … nimmst du auch einen Gin tonic vor dem Essen?”

Yvonne lief auf ihren Vater zu, einen schweren Mann mit hartem Kinn und freundlichen Augen. Er nahm sie zärtlich in die Arme und rief zu seiner Frau hinüber: „Ja bitte, Ina, viel Gin und wenig Tonic, ich kann es brauchen.”

Er zog die Hand seiner Tochter unter seinen Arm und führte Yvonne zur eleganten Hausbar.

Er schwang sich, ohne Yvonne loszulassen, auf einen der hohen Hocker. „Und was habt ihr beiden Schönes vor?”

„Aber das weißt du doch, Harry!” Frau Holzer reichte Yvonne ein Glas. „Zuerst gehen wir zum Friseur, dann holen wir dich hier ab, nehmen einen Cocktail im Bayerischen Hof, essen anschließend bei Humplmayr und besuchen danach die Oper …”

„Na, wunderbar”, sagte Herr Holzer und leerte das vor ihm stehende Glas mit einem Zug. „Höchste Zeit, daß wir wieder etwas für unsere Bildung tun.”

„Es wird, Othello’ gegeben”, erklärte seine Frau, „sag mal, Süße, was machst du denn für ein Gesicht? Freust du dich etwa nicht?”

„Oh doch”, sagte Yvonne bitterböse, „ich bin außer mir vor Vergnügen.”

„Klingt aber gar nicht so”, bemerkte ihr Vater mit einem Seitenblick.

„Was erwartet ihr denn?” Wütend drückte Yvonne ihre Zigarette aus. „Daß ich vor Freude einen Luftsprung mache, weil ihr so großzügig über meine Zeit verfügt?”

„Siehst du, Harry, ich habe dir doch gesagt, das wird für die Kleine zu viel werden”, behauptete ihre Mutter, „dann schlage ich etwas ganz anderes vor: Wir bleiben alle drei zu Hause und machen uns einen gemütlichen Tag!”

„Einverstanden”, erklärte Herr Holzer erleichtert.

Yvonne sah ihre Eltern an und begriff, daß sie nur die Wahl hatte, mit ihnen auszugehen oder mit ihnen zu Hause zu bleiben. „Ich bin ein bißchen nervös”, sagte sie seufzend, „entschuldigt, bitte, natürlich gehe ich gerne mit euch aus. Darf ich mein Cocktailkleid anziehen?”

„Aber natürlich, Liebling!”

Cilly erschien auf der Schwelle des Eßzimmers und vermerkte, daß serviert sei.

„Endlich! Herrje, habe ich einen Hunger!” rief Yvonne und stürmte davon.

Ihre Eltern folgten ihr und warfen sich einen zufriedenen Blick zu; sie ahnten nicht, daß Yvonne weit weniger harmlose Gefühle bewegten als Hunger.

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