Читать книгу Das Schicksal der Lilian H. - Marie Louise Fischer - Страница 11
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ОглавлениеKriminalinspektor Kramer war ein erfahrener Beamter und immer bemüht, ohne Vorurteile an eine Morduntersuchung heranzutreten. Aber Lilian Horn hatte auf ihn einen denkbar schlechten Eindruck gemacht, und er hätte sie, wenn sie kein Alibi aufzuweisen gehabt hätte, auf der Stelle verhaftet.
Bei den Nachforschungen in der Kayserschen Villa in der Rheinallee hatte sich ergeben, daß tatsächlich nichts aus dem Zimmer der Verstorbenen oder aus dem Haus entwendet worden war. Natürlich konnte man das erst genau wissen, wenn Herr Kayser zurückkam. Aber auf Anhieb war Kriminalinspektor Kramer überzeugt, daß kein Raubmord vorlag. Vielmehr deutete alles darauf hin, daß die Kranke aus dem Wege geräumt worden war, weil sie störte. Wen? Ihren Mann und dessen Geliebte.
Kurt Kayser traf am späten Samstagabend auf dem Flughafen Düsseldorf-Lohausen ein und wurde dort von Kriminalinspektor Kramer empfangen, der ihn im Polizeiauto nach Hause brachte. Der Gatte der Verstorbenen wirkte übernächtigt, die Tränensäcke hingen schwer unter den vorquellenden Augen herab. Er gab sich erschüttert, aber gefaßt, behauptete, sich nicht vorstellen zu können, daß irgend jemand seine Frau ermordet haben könnte, und fragte immer wieder, ob nicht doch ein Freitod vorliegen könnte.
Als der Kriminalinspektor nach seinen Beziehungen zu Lilian Horn forschte, wischte er sich nervös mit dem Taschentuch über den kahlen Schädel, auf dem sich Schweißtropfen gebildet hatten.
»Wir hatten nie ein Verhältnis miteinander, wenn Sie das meinen«, entgegnete er, »aber sie ist eine ausgesprochen attraktive Frau, und ich müßte lügen, wenn ich abstreiten würde, daß sie mich hin und wieder … nun eben … sehr gereizt hat. Haben Sie schon mit ihr gesprochen? Na, dann werden Sie sich ja vorstellen können, was ich meine.«
Der Kriminalinspektor ließ es vorläufig damit bewenden und erkundigte sich, wann Kurt Kayser in Sylt eingetroffen war und wo und wie er die Nacht vom Freitag auf Samstag verbracht hatte.
»Ich bin von der Firma aus direkt zum Flughafen gefahren und gleich darauf mit dem privaten Hubschrauber eines guten Freundes, der übrigens auch selbst mit an Bord war, weiter nach Sylt.«
»Wann kamen Sie da an?«
»Etwa halb neun. Wenn Sie es genau wissen wollen, müssen Sie den Piloten fragen. Am Wochenende pflege ich so wenig wie möglich auf die Uhr zu sehen.«
»Und weiter?« fragte Kriminalinspektor Kramer.
»Wir fuhren mit dem Taxi zum Haus meines Freundes, eines Hamburger Reeders. Wenn Sie Namen und Adresse wissen wollen …«
Der Kriminalinspektor winkte ab. »Später. Sie waren also, wenn ich Sie recht verstanden habe, kurz vor neun im Haus Ihres Freundes?«
»Ja, wir hatten gerade noch Zeit, uns ein wenig frisch zu machen, da kamen schon die übrigen der Korona. Im ganzen waren wir fünf Herren. Wir haben bis in den frühen Morgen hinein gepokert.«
»Und Sie waren immer alle zusammen?«
»Ja.«
»Keine Frauen?«
»Nein. Eine reine Herrenparty.«
»Wenn ich Sie recht verstanden habe, waren Sie also nur allein in der Zeit zwischen etwa einundzwanzig Uhr und einundzwanzig Uhr dreißig.«
Direktor Kayser dachte nach. »Ja, das stimmt. Da war ich auf meinem Zimmer. Hat das etwas zu bedeuten?«
»Nein. Nicht, wenn Ihre anderen Angaben stimmen«, mußte der Kriminalinspektor zugeben.
»Die können Sie nachprüfen.«
Dazu war Kriminalinspektor Kramer entschlossen. Aber er war schon jetzt überzeugt, daß der Ehemann der Ermordeten die Wahrheit sprach. Direktor Kayser gehörte nicht zu dem Typ von Menschen, der sich in einen Haufen leicht zu entkräftender Lügen verstrickte.
Er gab an, daß sich im Sterbezimmer weder Briefe, Geld, Schmuck oder irgendwelche anderen Dinge von Bedeutung befunden hatten, war aber nur zögernd bereit, in den Nachttisch der Verstorbenen zu sehen, um festzustellen, ob etwas fehlte.
»Hm, ich glaube«, sagte er endlich, »meine Frau hatte da so ein Notizbuch, ein kleines grünes Notizbuch.«
»Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen«, versicherte der Kriminalinspektor, »das haben wir sichergestellt.«
Kurt Kayser öffnete den Mund, als wenn er etwas fragen wollte, unterließ es dann aber doch.
In Begleitung von Kriminalinspektor Kramer ging er durch das ganze Haus, schloß auch den Safe auf und stellte fest, daß alles an seinem Platz war.
Als er bereits in der Haustür stand, schoß der Kriminalinspektor seine letzte Frage ab. »Gibt es in Ihrem Bekanntenkreis ein weibliches Wesen mit dem Anfangsbuchstabenl?«
»Vor- oder Nachname?«
»Egal. Beides kommt in Frage. Es kann auch eine Bekannte Ihrer Frau sein.«
Direktor Kayser schob die dicke Unterlippe vor. »Ach, wissen Sie, meine Frau hatte eine Menge mehr oder weniger nahestehender Freundinnen, jedenfalls in der Zeit, als sie noch gesund war. Sollte mich wundern, wenn es unter denen keine mit dem Anfangsbuchstaben L geben sollte, aber so auf Anhieb könnte ich nicht sagen …«
»Und was ist mit Lilian? Lilian Horn?«
»Meine Sekretärin?« Direktor Kayser schnappte nach Luft.
»Aber die hat meine Frau doch gar nicht gekannt … oder sagen wir besser: nur ganz flüchtig. Sie war ein einziges Mal hier im Haus.«
»Ja, das wissen wir«, sagte Kriminalinspektor Kramer, »trotzdem glaubte die Verstorbene, Grund zur Eifersucht zu haben.«
»Du lieber Himmel.« Kurt Kayser lachte ärgerlich auf. »Das waren doch Hirngespinste. Fantastereien einer ans Bett gefesselten Frau. Darauf würde ich an Ihrer Stelle keinen Pfifferling geben.«
Der Verdacht Kriminalinspektor Kramers war durch dieses Gespräch nicht entkräftet worden. Es gab ein Indiz, das er weder Lilian Horn noch einem seiner anderen Zeugen gegenüber erwähnt hatte, eine Bemerkung, die die Verstorbene am Mordtag in ihr Notizbuch eingetragen hatte, mit der krakeligen Schrift einer Schwerkranken, die kaum noch den Bleistift halten konnte: »L. hat mich angerufen. Will mich besuchen. Wundere mich, daß L. nicht in S. ist. Wird ein interessantes Gespräch werden.«
Kriminalinspektor Kramer war überzeugt, daß L. nur Lilian bedeuten konnte – Lilian Horn. Den ganzen Samstag und Sonntag versuchte er, ihre Alibi-Zeugen aufzutreiben. Ruth Fiebig und Herrn Kerst, den Leiter der Hostessen-Agentur, aber beide waren übers Wochenende verreist.
Am Sonntag nachmittag um sechs Uhr wurde ihm gemeldet, daß Herr Kerst soeben mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Hause gekommen war.
Kriminalinspektor Kramer fuhr sofort hin.
Das Haus machte einen netten, nicht übertrieben luxuriösen Eindruck. Als der Kriminalinspektor über den Kiesweg des Vorgartens schritt, hörte er die Kinder toben.
Die blonde Frau, die ihm öffnete, wirkte abgehetzt. »Was wollen Sie?« fragte sie und strich sich mit dem Handrücken eine Strähne aus der Stirn. »Ich bin noch beim Kofferauspacken und deshalb …«
»Lassen Sie sich nicht stören.« Der Kriminalinspektor hatte seinen Hut in die Hand genommen. »Ich möchte nur ein paar Worte mit Herrn Kerst sprechen.«
»Aber mein Mann … er bereitet das Abendbrot.«
Kriminalinspektor Kramer wies sich aus.
»Ogottogottogott!« rief Frau Kerst. »Polizei! Aber wir haben doch nichts verbrochen!«
»Natürlich nicht. Ich brauche nur eine Zeugenaussage Ihres Mannes. Kein Grund zur Aufregung.« Der Kriminalinspektor drängte sich an ihr vorbei in den Flur und sah sich wenig später Herrn Kerst in dem bieder-modern eingerichteten Wohnzimmer gegenüber. Der Kriminalinspektor legte seinen Hut auf einen Sessel, seinen Regenmantel darüber und nahm selber, ohne dazu aufgefordert zu sein, Platz.
»Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was eigentlich los ist?« fragte Herr Kerst. Seine unauffällige Persönlichkeit wirkte in dem Freizeithemd mit den schreienden Farben wie verkleidet; an der Stirn und den Unterarmen zeigte sich die Röte eines beginnenden Sonnenbrandes.
Kriminalinspektor Kramer beobachtete ihn aus seinen kleinen, doch fast bannenden Augen. »Sie betreiben eine sogenannte Hostessen-Agentur?«
»Eine Hostessen-Agentur, ja. Keine sogenannte.«
»Na, jedenfalls beschäftigen Sie junge Mädchen, die sich nach Feierabend etwas dazuverdienen, indem sie Geschäftsleute unterhalten. Ist das richtig so?«
»Nicht ganz. Die Mädchen müssen mehr können. Jede beherrscht mindestens zwei Fremdsprachen perfekt, die meisten sogar drei, manche noch mehr. Sie werden in erster Linie als Dolmetscherinnen engagiert.«
Kriminalinspektor Kramers scharf geschnittenes Gesicht blieb ausdruckslos. »Auch Lilian Horn?«
Herr Kerst reagierte bei der Nennung dieses Namens zuerst überhaupt nicht. »Ja, Lilian auch. Sie ist fit in Englisch und Französisch, zur Not kann sie auch bei einer spanischen Unterhaltung einspringen.« Plötzlich wurde er stutzig. »Warum fragen Sie mich nach Lilian Horn? Ist sie in irgendwelche Schwierigkeiten geraten?« Er setzte sich.
Der Kriminalinspektor strich sich über das spitze Kinn. »So kann man es nennen. Wann haben Sie Lilian Horn zum letztenmal gesehen?«
»Um Gottes willen, sie ist doch nicht tot?«
Kriminalinspektor Kramer beantwortete diese Frage nicht.
»Wann haben Sie sie zum letztenmal gesehen?« wiederholte er.
»Vorgestern. Also Freitag abend. Ich habe sie vom Sekretärinnen-Silo abgeholt, ich meine vom Appartement-Hochhaus, in dem sie wohnt …«
»Wann war das?« fuhr Inspektor Kramer dazwischen. Herr Kerst dachte nach. »Das Treffen war für neun Uhr angesetzt, Ruth Fiebig saß schon im Wagen. Also muß es etwa zwischen zwanzig bis zehn Minuten vor neun gewesen sein. Auf die Uhr gesehen habe ich nicht.«
»Wohin fuhren Sie dann die Mädchen?«
»Zur ›Taverne‹, ein Restaurant auf dem Rheindamm –« Inspektor Kramer unterbrach ihn. »Ich kenne das Lokal. Sie trafen dort also gegen neun Uhr ein?«
»Ja. Die Herren erwarteten uns schon. Ich stellte vor und da lief der Abend auf die übliche Weise ab.«
»Was heißt das, ›die übliche Weise‹?« Inspektor Kramer beugte sich vor.
»Es gab Cocktails, dann wurde gegessen, geplaudert, später ein wenig getanzt. Das Beisammensein dauerte bis zwei Uhr, das kann ich anhand meiner Geschäftsunterlagen nachweisen. Und danach –«
»Halt!« Kriminalinspektor Kramer hob gebieterisch die Hand. »Sie wollen also behaupten, daß Sie zwischen neun und zwei Uhr ununterbrochen mit Lilian Horn zusammen waren?«
»Was heißt hier ununterbrochen? Natürlich sind die Mädchen von Zeit zu Zeit mal herausgegangen. Die Herren übrigens auch.«
»Aber Lilian Horn ist einmal auffallend lange fort gewesen …« Kramer blickte Herrn Kerst beschwörend in die Augen. »Daran müssen Sie sich doch erinnern.«
Herr Kerst schlug sich gegen die Stirn. »Ja, stimmt. Zu Beginn des Abends. Sie war nicht dabei, als die Herren bestellten, und sie kam erst zurück, als wir schon bei den Vorspeisen waren.«
»Wie lange«, fragte Kriminalinspektor Kramer so sanft, als wenn er fürchten müßte, daß jedes laute Wort seinen Gesprächspartner aus dem Konzept bringen könnte, »wie lange etwa war Lilian Horn fort?«
»Eine halbe Stunde etwa … ja, eine knappe halbe Stunde.«