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Schwester Elise machte sich in dem weiten, vom Sonnenlicht durchfluteten Zimmer zu schaffen, während Frau Kayser telefonierte. Dabei beobachtete sie die Patientin unauffällig aus den Augenwinkeln, so daß sie gleich zur Stelle war, als der Hörer der kraftlosen Hand entfiel und an der kurzen Schnur hinunterbaumelte. Sie schnappte ihn, hielt ihn ans Ohr, legte ihn dann jedoch, da sie nur das Freizeichen hörte, auf die Gabel zurück. Danach blieb sie beim Bett stehen und blickte mit undeutbarem Ausdruck auf Irene Kayser herab, die mit geschlossenen Augen in ihren Kissen lag. Die bemalten Lippen der Kranken, die getuschten Wimpern und die gezupften Brauen wirkten gespenstisch in dem blassen, schlaffen, aufgedunsenen Gesicht. Frau Kaysers dunkles, mit einer weißen Strähne durchzogenes Haar war sorgfältig frisiert. Sie trug ein langärmeliges, weißes, hochgeschlossenes, mit Spitzen besetztes Nachthemd, und trotz der sommerlichen Wärme hatte sie einen bunten Kaschmirschal um den Hals geschlungen.

Die junge Schwester sagte nichts und fragte nichts, denn sie war lange genug im Haus, um zu wissen, was ein solcher Anruf Herrn Kaysers am späten Freitagnachmittag zu bedeuten hatte.

Als die Kranke sich nicht rührte, trat die Pflegerin in die offene Terrassentür hinaus und blickte über den sehr grünen kurz geschnittenen Rasen, auf dem die Wassersprenger sich drehten, zu den Beeten blühender, leuchtender, duftender Rosen hinüber.

»Schwester …«

Die Stimme Irene Kaysers war kaum vernehmbar, dennoch genügte sie, um die Pflegerin zusammenzucken zu lassen. Sie drehte sich um und eilte an das Bett.

Die Patientin sah sie aus glanzlosen Augen an. »Sie können mich abschminken, Schwester.«

Der Raum, in dem die Kranke lag, war ursprünglich das Eßzimmer der Kayserschen Villa gewesen, davon zeugte noch jetzt die Anrichte aus weißem Ahornholz, die eine ganze Wand einnahm. Auf ihr hatte Schwester Elise die Utensilien aufgebaut, die sie zur Pflege der Patientin brauchte. Jetzt stellte sie verschiedene Flaschen und Dosen auf einen Teewagen, holte aus der Küche eine flache Plastikschale voll lauwarmen Wassers und schob den so beladenen Wagen dicht an das freistehende Bett. Sie setzte sich auf den äußersten Rand, beugte sich hinüber und begann sehr behutsam das Gesicht der gelähmten Frau mit einer dicklichen weißen Flüssigkeit zu massieren.

»Sie dürfen das meinem Mann nicht übelnehmen«, sagte Irene Kayser, »er ist so vital … so voller Leben … er muß von Zeit zu Zeit hier heraus, verstehen Sie?«

»Wir beide werden uns ein ganz gemütliches Wochenende machen«, versprach Schwester Elise, »wenn es morgen so schön bleibt, kann ich Sie vielleicht auf die Terrasse schieben.«

Die Stimmung der Patientin schlug plötzlich um. »Spielen Sie bloß nicht die Aufopferungsvolle! Als wenn ich nicht wüßte, wie sehr Ihnen die Arbeit, die ich Ihnen mache, zum Hals heraushängt.«

»Sie gehört zu meinem Beruf«, erwiderte Schwester Elise sanft, »für den ich mich freiwillig entschieden habe.« »Tun Sie nur nicht so, als wenn es Ihnen nichts ausmachen würde, einen Krüppel wie mich zu pflegen! Ich weiß genau, wie sehr Sie mich hassen … nein, nein, verteidigen Sie sich nicht, ich nehme es Ihnen ja gar nicht übel, ich hasse mich ja selber. Was für ein Leben. Immer nur allen anderen zur Last fallen … ohne Aussicht auf eine Heilung.«

»So dürfen Sie nicht reden, gnädige Frau«, erklärte Schwester Elise mit Nachdruck, »Doktor Koblenz … wir alle haben Hoffnung. Erinnern Sie sich noch … vor zwei Wochen ging es Ihnen viel besser …« Sie ließ die Patientin nicht zu Wort kommen, sondern redete weiter: »Wir erleben jetzt einen kleinen Rückfall, aber das ist doch kein Grund, den Mut zu verlieren. Wir müssen tapfer sein, ja?«

Irene Kayser hob mühsam die Hand und griff nach Schwester Elises Arm. »Sie sind so gut zu mir!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Sie müssen mich ja für eine Hexe halten.«

»Aber nein, bestimmt nicht.« Schwester Elise wischte ihr die Lotion mit einem feuchten Wattebällchen aus dem Gesicht.

»Ich arbeite gerne hier … wirklich.«

»Es wird zuviel für Sie. Sie sind noch so jung und … wissen Sie was? Sie werfen heute abend einmal alles hin und gehen ins Kino.«

»Gnädige Frau, das geht doch nicht! Sie wären ganz allein im Haus und …«

»Ich bitte Sie!« Irene Kayser lachte fast. »Was habe ich schon zu befürchten? Nichts. Ich habe nichts mehr zu gewinnen und nichts mehr zu verlieren. Also gehen Sie schon. Tun Sie mir den Gefallen!«

»Es läuft zur Zeit gar nichts Vernünftiges.« Schwester Elise tupfte die Spuren von Feuchtigkeit mit einem weichen, sauberen Handtuch ab. »Nur Sex-Filme und so weiter.«

»Dann gehen Sie eben in einen Sex-Film, ja, es ist mein voller Ernst.« Die Patientin geriet geradezu in Eifer. »Gerade das ist es, was Sie brauchen. Sie sind ein bißchen zu prüde, Schwester! Glauben Sie mir, wenn Sie weiter so brav und zurückhaltend bleiben, kriegen Sie nie einen Mann.« Schwester Elises Gesicht verschloß sich. »Vorläufig habe ich auch noch nicht vor zu heiraten.«

Irene Kayser ließ sich nicht abspeisen. »Das sagt man so dahin, und mit einem Mal ist es zu spät. Je mehr ich es mir überlege, ein Sex-Film ist genau das Richtige für Sie. Das ist ein Befehl, Schwester. Ich schicke Sie ja auch aus Egoismus, damit Sie mir endlich wieder mal was zu erzählen haben.« Schwester Elise war schon fast überzeugt. »Und wie soll das mit dem Abendbrot werden?«

»Unwichtig. Ich esse heute eben früher. Sie machen mich zur Nacht fertig, geben mir meine Tabletten, und schon sind Sie endlich mal von mir und dieser Krankenstubenatmosphäre befreit. Keine Widerrede. So wird’s gemacht.«

Das Schicksal der Lilian H.

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