Читать книгу Die Villen vom Traunsee - Marie-Theres Arnbom - Страница 16

5 »Beim zweiten Gartentürl links ist das Museum.« Familie Miller-Aichholz und Johannes Brahms Gmunden, Lindenstraße 11

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Das Kapitel über die Familie Miller-Aichholz verleitet zum Namedropping – Künstler aller Genres gingen in der Villa ein und aus, doch die reine Aufzählung der Namen macht nur atemlos und lässt keinen der Menschen klar erscheinen, sondern in der Menge vorbeirauschen. Schade, denn jeder Einzelne aus diesem Kreis wäre es wert, gewürdigt zu werden, doch würde dies zu weit führen und ein eigenes Buch füllen.


Enge Freunde: Theodor Billroth (li.) und Viktor Miller-Aichholz mit einem unbekannten Dritten in Gmunden

Wer ist die Familie, die so viele Künstler um sich schart? Franz Miller-Aichholz zählt zu den Pionieren der österreichischen Großindustrie und begründet ein Unternehmen, das in unterschiedlichen Bereichen tätig und erfolgreich ist. Seine Söhne Viktor und Eugen führen dies fort und betätigen sich beide als Kunstmäzene mit verschiedenen Interessensschwerpunkten. Für Viktor steht die Musik im Mittelpunkt – ihr öffnet er auch seine Villa in Gmunden.

Viktors Enkel Rudolf von Stummer gibt in einer Rückschau auf »Gmundens große musikalische Zeit« Einblick in die Zeiten seines Großvaters: »Immer herrschte die fröhlichste Stimmung, der selbst der führende Musikkritiker dieser Zeit, der strenge und gefürchtete Hanslick, unterlag, der bei solchen Gelegenheiten sehr fidel werden konnte. Auch Max Kalbeck, einer der feinsten und gescheitesten Menschen und Künstler, die mir je begegneten, zählte zu den ständigen Gästen, Professor Julius Epstein, Professor Mandyczewski, der Dichter Paul Heyse, der Komponist Ignaz Brüll, ferner der ausgezeichnete Pianist Richard Epstein, der Sohn des großen Julius, der lange vor dem Kriege nach England und dann nach Amerika übersiedelte und mit Alice Strauß, der Stief- und Adoptivtochter des Walzerkönigs, verheiratet war.«25

Ein Künstler spielt jedoch im Hause Miller-Aichholz eine besondere Rolle: Johannes Brahms. 1905 gründet Viktor Miller-Aichholz in Gmunden ein Brahms-Museum, das aus drei Ausstellungsräumen besteht, an die sich ein Nachbau der beiden Zimmer in Brahms’ Ischler Domizil anschließt. Was für ein rührendes Monument für den 1897 verstorbenen Komponisten. Doch das liebevolle Gedenken erstarrt – und damit auch die Erinnerung an Brahms. 1910 stirbt Viktor, seine Frau Olga erbt den großen Besitz in Gmunden und somit auch das Brahms-Museum. Olga gerät 1931 in eine missliche finanzielle Lage und kann die von der Stadt Gmunden geforderte Steuer nicht bezahlen. Die Angelegenheit geht bis zum Verwaltungsgerichtshof. Dort wird festgehalten, »daß die Beschwerdeführerin eine Reihe von Luxusvillen besitze, mit denen aber bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen nichts anzufangen sei; sie werfen so wenig Ertrag ab, daß ihre Erhaltung mehr kostet als der durch Vermietung an Sommerparteien erzielte Mietzins.«26 Und die Begründung geht noch einen Schritt weiter, denn Hausbesitz charakterisiere nicht die wirtschaftliche Lage einer bestimmten Person. Am 26. November 1931 stirbt Olga, ihre Erben müssen den großen Besitz in Gmunden verkaufen – doch was geschieht mit dem so liebevoll zusammengetragenen Brahms-Museum?


Johannes Brahms (re.), gern gesehener Gast im Hause Miller-Aichholz

Rudolf von Stummer erkennt die neuen Zeiten genau: »Wohin sind alle diese glänzenden Assemblées? Eine nüchterne und häßliche neue Zeit hat die Mäzene ausgerottet. Den Leuten mit Verständnis fehlt leider meistenteils das Geld und feinsinnige Geselligkeit und künstlerische Salons haben entsprechend darunter gelitten. Im pietätvollen Andenken an meinen Großvater und in den Intentionen meiner im November 1931 verstorbenen Großmutter wünsche ich von Herzen, daß ihr ›Brahms-Haus‹, wie wir es stets nannten, als museales Ganzes erhalten bleibe, um die Nachwelt schöner vergangener Tage weihevoll zu erinnern und ihr immer Antrieb zu liebevoller Pflege der Kunst zu geben.«27

Diesem Wunsch zu entsprechen erweist sich als schwierig, denn Olga hat testamentarisch nichts festgelegt – daher wirken die freien Kräfte. Olgas Erben müssen drei Villen verkaufen, doch »die eigentliche Stammvilla Miller-Aichholz, umgeben von einer prachtvollen Parkanlage, verschiedenen Nebengebäuden und einer Gärtnerei, und das sogenannte ›Brahms-Haus‹ mit dem Brahms-Museum, sind noch nicht veräußert worden, doch tragen sich die Erben mit der Absicht, Gründe in größerem Ausmaße in Bauparzellen zu zerlegen und als Baugründe zu verkaufen, was bereits aufgestellte Tafeln ankündigen. Schade wäre es nur, wenn bei der Aufteilung dieser Gründe die verschiedenen Anlagen, welche liebliche Spazierwege vielseitig durchqueren, so zerrissen würden, daß auch das eindrucksvolle Gesamtbild litte.« Was für ein fast prophetischer Blick des Linzer Volksblatts am 19. April 1932 in die schreckliche Zukunft der völligen Zersiedelung der Landschaft.

Was soll nun mit dem Brahms-Museum passieren? Es war »alljährlich das Ziel der Brahms-Verehrer von weither. Im Fremdenbuche sind stolze Namen der Großen der Welt neben jenen von solchen aus dem Reiche der Kunst und Wissenschaft vereint«, weiß das Linzer Volksblatt am 12. Februar 1932 zu berichten. Gerüchten zufolge gibt es amerikanische Interessenten: »Der große Kunstfreund und Förderer, Viktor von Miller, der das Museum aus tiefer Verehrung zu seinem Freunde Brahms geschaffen hat, würde über den Vorsatz, die Brahms-Reliquien mit den vielen handschriftlichen Widmungen an ihn und seine Gattin gegen klingende Münze einzuwechseln, schwer erstaunt sein. Es ist schon möglich, daß die nüchtern gewordene Welt auch das noch mitansehen muß«, resümiert das Linzer Volksblatt weiter. Doch so weit kommt es nicht. Das Museum bleibt bestehen. Obwohl es schon ein Jahr zuvor kaum auffindbar war, wie Hilda Strauß-Gutmann unter dem Titel »Das verschollene Brahms-Museum in Gmunden« im Neuen Wiener Journal am 22. September 1931 schildert: »Der Traunsee liegt stahlgrau und regungslos, tief hängende Wolken verhüllen seine Berge und wandeln die großartige Lieblichkeit dieser Landschaft in umdüsterte Schwermut des scheidenden Sommers. Und düster und leer ist zu dieser frühen Vormittagsstunde die Esplanade in Gmunden, in der ich, von Ischl kommend, den Satori-Anlagen zuschreite. Dort soll sich, gemäß der erhaltenen Auskunft bei der Kurkommission und nach Angabe des gedruckten Prospektes, das Brahms-Museum befinden, welches Viktor v. Miller-Aichholz dem Andenken seines toten Freundes errichtet hat. Eine alte Dame in Ischl, die einst dem Freundeskreis von Johannes Brahms angehörte, klagte mir in beweglichen Worten, daß diese Erinnerungsstätte nahezu gänzlich dem Vergessen anheimzufallen droht. Und sie hat recht gehabt. In den Satori-Anlagen ist kein Brahms-Museum zu finden. Auf meine Frage schütteln die Gmundener Eingebornen verwundert den Kopf und wollen mich in das städtische Museum weisen. Endlich schlage ich auf eigene Faust den Weg zum Besitz der Familie v. Miller-Aichholz ein, der mich aus der Stadt Gmunden hinaus in die Ortschaft Traunleiten führt. Von der vom Regen aufgeweichten Landstraße zweigt ein Seitenweg ab, auf dem man zum Park der hochgelegenen Villa kommt. Hier steht ein Torwart, der mich belehrt: ›Beim zweiten Gartentürl links ist das Museum.‹

Ein verfallenes Holzgitter, ohne Tafel oder Aufschrift, eine morsche Tür, hinter der ein Müllhaufen mit zerbrochenen Scherben ein fliegenumsummtes Dasein führt. Unmöglich, hier kann kein Brahms-Museum sein! Nach längerem Suchen entdecke ich eine andere Tür, komme längs eines Glashauses mit zerbrochenen Scheiben endlich zu einer menschlichen Behausung. Ein Mann davor weist mich an, den Parkweg weiter hinauf zu gehen, nach einigen Schritten werde ich das Haus mit dem Brahms-Museum finden. Er will indessen jemanden holen, der die Zimmer aufsperrt.

In einer halben Minute bin ich angelangt. Vor mir steht, von alten Bäumen dicht umbuscht, ein kleines Gebäude im Jagdhausstil, mit einem Hirschgeweih über der eichenen Tür. An schönen Tagen mag der Blick auf den Traunstein prächtig sein. Jetzt aber steht das Haus in Einsamkeit und Melancholie getaucht unter dem leise plätschernden Regen. Da kommt der Gärtnerbursch aus der nahen Villa und sperrt die Tür auf. Ich sehe auf die Uhr: über eine Stunde habe ich mit Suchen und Fragen verloren. Aber aller Unmut ist verflogen, da ich die Schwelle des kleinen Museums übertreten habe. Mit unerhörter Geduld und Liebe hat Viktor v. Miller alles zusammengetragen, was mit Brahms, mit seiner Kunst und mit seinem Menschlichen zusammenhängen mochte. Fünf kleine Zimmer umfaßt das Museum. Drei davon enthalten, in Vitrinen aufbewahrt, allerlei Erinnerungen, die Wände sind mit Bildern bedeckt, zahlreiche Büsten des Meisters stehen auf den Regalen. Viel Raum nehmen die Fotographien ein, die immer wieder Brahms, allein oder an der Seite des Hausherrn, darstellen.

In einer anderen Vitrine sieht man eine Handschrift Max Kalbecks ›Persönliches über Johannes Brahms‹. Daneben Bilder seiner treuen Hausgenossin und Pflegerin Cölestine Truxa, die heute noch frisch und rüstig in ihrem mit Brahms-Erinnerungen ausgestatteten Wiener Heim lebt. Darüber hängen ein Ölbild Josef Joachims von Laszlo und eine Radierung, Brahms darstellend, von Michalek.

Ergriffen von soviel Freundestreue verlasse ich die Räume. Ich soll mich noch ins Gästebuch eintragen. Das Büchlein verzeichnet achtzehn Besuchernamen für das Jahr 1931. Als ersten Professor Forke aus Hannover-Münden am Johannistag, dann unter anderen einen Gast aus Indianapolis, einen aus New York und Fürstin Fürstenberg aus Strobl. Der Aufseher verspricht mir, als er hinter mir das Tor schließt, eine Tafel, die er selber anfertigen will, an der Gartentür anzubringen, zur Orientierung der Besucher. Wäre es aber nicht Pflicht von Bund, Land und Gemeinde, für das kleine Museum und seine Instandhaltung zu sorgen?«

Deutlicher wird ein Besucher mit den Initialen C. M., der im Neuen Wiener Journal am 26. Juli 1932 über die Transferierung der Brahms’schen Wohnräume von Bad Ischl nach Gmunden berichtet: »Liebende Freundeshände entführten das Häuschen des Unsterblichen von den Ufern der Traun und trugen es über die Berge an den blauesten See des Salzkammerguts. Wer also Johannes Brahms’ Ischler Sommerhaus sehen will, muß nach Gmunden fahren. Eugen Miller v. Aichholz, der heutige Herr des grandseigneuralen Alt-Gmundner Besitzes, hat als junger Mensch den berühmten Freund seines Vaters gut gekannt. Hier in Gmunden hat man den Meister eigentlich immer in aufgeräumter, oft sogar übermütiger Stimmung gesehen.«

Die beiden Zimmer entsprechen in keiner Weise mehr dem Standard der 1930er-Jahre: »Wie unvorstellbar bescheiden, ja primitiv war doch so eine gutbürgerliche Sommerwohnung der achtziger Jahre! Da steht an der Wand des Arbeitszimmers, eigentlich eines winzigen Kabinetts, die kleine, unbequeme Ottomane, daneben ein paar roßhaargepolsterte Sessel und der altmodische, häßliche Kachelofen. Die typische ›möblierte Wohnung‹ aus der guten alten Salzkammergutzeit, in der das Wort Komfort nicht erfunden war. Es ist wohl die unpersönlichste Stätte, an der je ein großer Mann unsterbliche Werke geschaffen hat.« Wie erstarrt präsentiert sich der gedeckte Frühstückstisch: »Da steht die Kaffeemaschine, auf der er sich selbst den Kaffee bereitete. Seine Frühstückstasse, sein Eibecher, sein einfaches Besteck. Wir gehen hinüber in das anstoßende, noch kleinere Schlafkabinett. Das Bett des Meisters und wieder ein Sofa, beide schmal und unbequem. Kein auf Urlaub gehender, kleiner Kommis würde heute so wohnen wollen. Ein primitiver Waschtisch mit zwei Zahnbürstchen und einem Handtuch.«28

So wird das Brahms-Museum zugleich Pilgerstätte und Zeitdokument der frühen Jahre der Sommerfrische – heute wird die Erinnerung an Johannes Brahms im Kammerhofmuseum Gmunden liebevoll bewahrt. Die schöne Villa, das einstige Zentrum so regen kulturellen Lebens, beherbergt heute eine Volksschule – die Brahmsschule.

Die Villen vom Traunsee

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