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2 »Die glänzendste Virtuosenerscheinung seit Paganini …« Der Meistergeiger Joseph Joachim und das Haus Hannover Gmunden, Cumberlandstraße 36

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Kaum ein Sommergast verbindet so viele Familien, die rund um den Traunsee angesiedelt sind: Joseph Joachim, der heute fast völlig vergessene Meistergeiger. Ein Nachruf auf ihn in der Neuen Freien Presse fasst seine vielfältigen Beziehungen zum Traunsee zusammen: »Josef Joachim stand zur Familie Wittgenstein in den freundschaftlichsten Beziehungen. Schon als Knabe fand er in diesem kunstsinnigen Hause herzliche Aufnahme und reiche Förderung. Die Mutter der Brüder Wittgenstein hatte ihn schon als Knaben in ihr Haus gezogen und Joachim betrachtete die geistig hochstehende Dame zeitlebens gewissermaßen als seine Ziehmutter. Felix Mendelssohn war in Leipzig der treue Mäzen des jungen Künstlers: beide verband trotz des Altersunterschiedes innige Freundschaft. Ebenso treue Freunde waren ihm die Mitglieder der Familie Mendelssohn in Berlin durch Jahrzehnte. Sein inniges Verhältnis zu Brahms ist bekannt; ebenso die Verehrung, welche Joachim für die Familie des Herzogs von Cumberland hegte und diese für den Künstler. Fast jeden Sommer war Joachim Gast des Herzogs von Cumberland in Gmunden; hier gab er zu wohltätigen Zwecken Konzerte, oder er stellte seine Kunst in den Dienst der Kirche.«9

All die Genannten verbringen den Sommer am Traunsee: Familie Wittgenstein in Gmunden, Familie Mendelssohn in Rindbach, Johannes Brahms in Gmunden, ebenso der Herzog von Cumberland, wie sich das Haus Hannover nun nennt. Und mittendrin Joseph Joachim (siehe Kapitel 10, 27, 26).

Doch wie kommt es zu diesem europäischen Netzwerk? Joseph Joachim gilt als Wunderkind, musiziert bereits in jungen Jahren mit Felix Mendelssohn Bartholdy und begeistert durch seine vollendete Technik – ideale Voraussetzungen, um sich einen Rang in einer Epoche zu erobern, die von großer Begeisterung für Virtuosen geprägt ist. Es ist die Zeit des Teufelsgeigers Paganini, des ebenso dämonischen Pianisten Franz Liszt, des angehimmelten Geigers Heinrich Wilhelm Ernst. Das Publikum liebt diese Künstler, die von einer Aura des Unheimlichen umgeben sind. Joseph Joachim steht ihnen um nichts nach. 1852 wird er Konzertmeister am Hannoveranischen Hof, sieben Jahre später Konzertdirektor. Das Jahr 1866 bedeutet für Joachim, aber vor allem für das Königshaus von Hannover, einen bedeutenden und schmerzlichen Einschnitt: Nach dem Ende des deutsch-österreichischen Krieges wird Hannover zu einer preußischen Provinz degradiert, der König muss ins Exil und findet dieses in Gmunden. Auch Joachim verlässt Hannover und übernimmt die Leitung der neu gegründeten Königlichen »Lehranstalt für ausübende Tonkunst« in Berlin. Dem Hause Hannover bleibt er trotzdem verbunden.

»Schon als Konzertmeister in Hannover nahm er eine bevorzugte Stellung ein. Der musikliebende Hof war stolz auf seinen Besitz und zeichnete bei jeder Gelegenheit ihn aus. Der König Georg V., die Königin Marie waren für ihn sorgende Freunde, denen sein Wohl am Herzen lag – und wie hat er ihnen die Treue bis zuletzt gewahrt! Kein Sommer, in dem er das Königspaar im Exil und nach dem Tode des Königs die Königin Marie nicht besucht und durch die alten Weisen an die alten Zeiten erinnert hätte! Denn was auch in politischer Hinsicht gegen das Hannover des letzten Königs gesagt werden mag und muß: In künstlerischer Hinsicht ward es von keiner anderen deutschen Stadt übertroffen.«10

In Gmunden nimmt Joseph Joachim eine ganz besondere Stellung ein, wie sich Maria Komorn anlässlich seines 100. Geburtstags am 28. Juni 1931 erinnert – eine ganz rührende Geschichte: »Gmunden am Traunsee in den Ferien 1893. In einer altvaterischen ›Einspänner‹-Droschke kann man sehr häufig einen schönen alten Herrn mit goldener Brille und breitem Hut auf seiner Morgen- oder Nachmittagsspazierfahrt sehen, und gleich stecken die Vorübergehenden in ehrfürchtigem Flüstern die Köpfe zusammen. Die Kinder aber, neugierige Grünschnäbel wie sie sind, fragen: ›Mutti, war das der Bürgermeister?‹ – ›Aber nein, das ist ja der Joachim!‹ –? – Ahnungsloses Kinderstaunen. ›Und wer ist das, der Joachim?‹ – ›Das ist ein berühmter, großer Künstler, der Geige spielt und den ihr vielleicht nächstens hören dürft. Aber nur, wenn während dieser Woche zumindest eine halbe Stunde täglich anständig geübt wird!‹ Von da ab sahen wir dem ›Einspänner‹ bereits scheu und wissend nach.«


Der große Geiger Joseph Joachim, Gemälde von John Singer Sargent, 1898

Der berühmte Künstler weiß, was von ihm erwartet wird: Seine Kunst auch den Gmundnern zugänglich zu machen. So gibt er am 14. August 1898 ein Konzert in der evangelischen Kirche, das Maria Komorn unvergesslich bleibt: »Dieses Konzert vom Sommer 1898 ist mein frühestes Musikerlebnis und durch seine Intensität unauslöschlich. In unbestimmtem Abenddunkel lag der schlichte, kahle Kirchenraum, nur auf der Orgel-Empore flackerten ein paar Lichter. Das Schweigen der Menschen im Kirchenschiff unten hatte für uns Kinder etwas Beklemmendes. Endlich aber blicken alle zur Orgel hinauf, denn oben steht plötzlich der alte Herr aus dem ›Einspänner‹, den edlen Kopf von Flackerlicht beleuchtet, die Geige unterm Kinn. Das alles war so lautlos vor sich gegangen, daß in dem Augenblick, wo nun der seelenwärmste aller Geigentöne den Raum durchdrang, die Musik wie ein Naturereignis wirkte, dessen Ursachen man nicht kennt oder vergessen hat.«11

Bis 1933 dauert die idyllische Koexistenz zwischen der Familie Hannover und Gmunden, dann entschließt sich Ernst August von Hannover, auf die Domäne Blankenburg in Braunschweig zu übersiedeln. Für Gmunden bedeutet das einen großen Einschnitt, hat sich doch der große, an die 200 Personen umfassende Hofstaat ebenfalls hier niedergelassen und das Leben der Stadt fast 70 Jahre mitgeprägt. »Die prächtigen Equipagen, die alt-hannoveranischen Livreen mit den zinnoberroten Röcken, zu denen Kutscher und Lakaien stets weiße Perücken trugen, fuhren fast täglich durch die Stadt und die am Seeufer gelegenen Ortschaften, und wenn die Hoheiten nach Ischl ihrem greisen Gastgeber ihre Besuche abstatteten, konnte man so recht das wunderbare Material des Marstalles bewundern«, erinnert sich das Wiener Salonblatt am 17. Dezember 1933.

»Aber auch die Geselligkeit verstand dieser liebenswürdige Hof in vornehmster und gastfreundlichster Art zu heben und zu fördern«, kann man weiter dem Salonblatt entnehmen. »Allsommerlich wurden in der schloßartigen Villa Cumberland Dinners und Einladungen gegeben, zu denen zahllose Gäste von nah und fern geladen waren.« Die schlossartige Villa überragt die Stadt im Nordosten als Symbol des Historismus. Ernst August von Hannover beauftragte Ferdinand Schorbach, einen Architekten aus seiner Heimat, mit dem Entwurf eines neogotischen Schlosses, ganz dem Geschmack der damaligen Zeit entsprechend. Die Baumaterialien kamen aus der Gegend,12 auch die Inneneinrichtung entspricht völlig dem historistischen Geschmack – das Wort »überladen« wirkt fast zu schwach für dieses Schloss voller Rüstungen, altdeutscher Möbel, Vertäfelungen und Wandmalereien. Es gibt kaum einen freien Platz oder eine unverzierte Wandfläche. Wenige Jahre nach Fertigstellung entsteht ein weiteres Gebäude, das sogenannte Prinzenstöckl.


Schloss Cumberland

In den 1930er-Jahren wird im Schloss Cumberland ein Welfen-Museum eingerichtet, doch 1938 beschlagnahmen die Nationalsozialisten den Besitz, nach dem Zweiten Weltkrieg betreibt die Republik Österreich ein Spital – die Zeiten der Repräsentation sind endgültig vorbei. Heute beherbergt das Schloss ein Pflegeheim – man ist versucht zu sagen, dass dies ganz im Sinne der Familie Cumberland ist, die sich in Gmunden vor allem der Wohltätigkeit gewidmet hat.

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