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Victor Léons Ursprünge

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»Im Alter von 82 Jahren starb völlig verarmt der Librettist Victor Leon, der für Strauss, Lehár und andere Komponisten Texte schrieb. Sein Vermögen und sein Grundbesitz waren nach dem deutschen Einmarsch in Österreich beschlagnahmt worden. Leon war der Sohn des Philosophen und Rabbiners Dr. Heinrich Hirschfeld.«

Mit dieser beinahe lakonischen Pressemeldung informiert der Aufbau, die Zeitschrift der Emigranten in New York, seine Leser am 3. Mai 1940 über den Tod eines der bedeutendsten Librettisten der Operettenszene. Ein Leben, das enorme Erfolge, Ruhm und Ehre beinhaltet hatte, war am 23. Februar dieses Jahres zu Ende gegangen, erst zehn Wochen später gelangte die Nachricht an die Öffentlichkeit. Wie hätten die Nachrufe geklungen, wäre alles noch in Ordnung gewesen? »Die Wiener Operette verliert einen ihrer begabtesten und erfolgreichsten Librettisten«, hätte es geheißen. Und der Hinweis auf den enormen Erfolg hätte sicher nicht gefehlt: »Der erste wirkliche Welterfolg der modernen Wiener Operette war Lehars ›Lustige Witwe‹, deren Buch Victor Leon und Leo Stein verfaßten. In diesem Buche hatte Stein sich auf jene moderne internationale Tonart eingestellt, deren Pathos und Eleganz zwar nicht ganz echt waren, aber sehr stark wirkten.« So ist es jedenfalls im Nachruf auf Léons Coautor Leo Stein am 30. Juli 1921 in der Neuen Freien Presse zu lesen. Victor Léon blieb diese Würdigung verwehrt.

Geboren wurde Victor Hirschfeld, wie er eigentlich hieß, am 4. Jänner 1858 im ungarischen Szenitz, nur eineinhalb Stunden von Wien entfernt und doch in einer völlig anderen Welt. Nichts erinnert heute mehr an die jüdische Gemeinde, bis auf den kreisrunden Friedhof, der zwischen Fußballstadion und Tragluft-Tennishalle ein Relikt einer untergegangenen Welt ist. Victors Vater Jakob war als Rabbiner in Szenitz tätig; als Victor fünf Jahre alt war, wurde der Vater nach Augsburg berufen. Dort beginnt Victor seine Schullaufbahn, um sie dann im niedersächsischen Seesen fortzusetzen. Warum gerade in Seesen, fragt man sich. Die Antwort verblüfft: In Seesen war 1802 die Jacobson-Schule gegründet worden, ein Institut im Sinne der Aufklärung und des Reformjudentums, interkonfessionell ausgerichtet und für jüdische und christliche Kinder gleichermaßen offen. Auf hebräische Grammatik und Schreiben wurde ebenso Wert gelegt wie auf naturwissenschaftliche Fächer und alte Sprachen sowie Französisch. Wie die Morgenandacht für die Schüler aller Konfessionen zur Zeit Victor Léons begann, beschreibt der damalige Direktor Josef Arnheim: »Dies beginnt mit den rituellen Gebeten für die jüdischen Schüler und schließt mit einem allgemeinen Choral, der von sämmtlichen Schülern ohne Ausnahme gesungen wird.«1 Dass ein Rabbiner seinen Sohn in eine solch modern ausgerichtete Schule schickt, spiegelt seine eigene Geisteshaltung und beweist, dass Jakob dem Reformjudentum sehr nahe steht.


Vergangenheit und Gegenwart: Der jüdische Friedhof in Szenitz und das Fußballstadion

Am 6. März 1878 erscheint Victor Léon, wie er sich mittlerweile nennt, erstmals als Theaterautor in der Öffentlichkeit mit dem Lustspiel Falsche Fährte, das am Wiener Sulkowski-Theater aufgeführt wird. Valentin Niklas, der Leiter dieses kleinen Theaters, fördert mit Kräften junge Talente – so auch den erst zwanzigjährigen Léon. Im folgenden Jahr wird das Stück unter dem Namen Postillon d’amour publiziert – ein zugegebenermaßen sehr seichtes Stück, gewidmet dem »verehrten Bühnenschriftsteller f. Zell«.


Die Jacobson-Schule in Seesen

Damals war Heimat

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