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Rittmeister Brand
III

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Nun erfuhr Brand, was heiße Reue ist. Er sagte sich, daß es doch besser gewesen wäre, im Kampfe gegen seine Herzensneigung zu unterliegen als zu siegen. Schade, schade um diese edle Sophie, die ihm herabgewürdigt schien durch eine nicht aus Liebe geschlossene Verbindung. Die Schuld an dem schweren Unrecht, das damit an ihr begangen wurde, maß er mit gutem Grunde sich selbst zu.

Alles, was Brand damals im Stillen litt, trat aber bald in den Hintergrund vor einem anderen wichtigen Ereigniß, das über seine ganze Zukunft entscheiden sollte.

Von Kind auf hatte er bedauert, daß er keine Geschwister gehabt, keinen schwachen, kleinen Bruder, den er hätte beschützen, leiten, erziehen können. Im Regimente fand er, was die Familie ihm schuldig geblieben war, den jüngern, etwas unselbständigen Kameraden, auf den er alle Bruderliebe, die in ihm geschlummert hatte, übertragen konnte, und der ihm dafür durch unbedingte Ergebenheit dankte.

Es war ein schöner, etwas zur Melancholie geneigter Mensch, dem das Leben mehr Bitternisse zu kosten gegeben hatte als gut ist für eine feine, scheue Natur. Früh verwaist, arm, die ganze Kindheit hindurch auf das Gnadenbrot angewiesen, das wohlhabende Verwandte ihm und seiner Schwester widerwillig reichten, schlug für ihn die erste glückliche Stunde, als seine Angehörigen seinem Drängen nachgaben und ihm erlaubten, in eine Militär-Erziehungsanstalt zu treten. »Er wird die harte Schule bald satt haben,« meinten sie, »und ungestümer herausstreben, als er hineingestrebt hat.« Sie irrten. Er bestand die harte Schule zum Verdruß der Onkel und Tanten, denen seine Ausdauer als eine weitgetriebene und ziemlich respektlose Rechthaberei erschien. Sobald die lange – oft endlos scheinende – Lehrzeit vorbei und er Offizier geworden war, hatte er seine Schwester zu sich nehmen wollen. Darüber lachte man nur. Einem zwanzigjährigen Lieutenant, wenn er auch ein Muster von Solidität ist, pflegt man nicht ein achtzehnjähriges Mädchen zur Vollendung ihrer Erziehung zu übergeben. »Ihr müßt warten,« sagten der Onkel-Vormund und seine Frau, denen es sehr angenehm war, eine unbesoldete Bonne im Hause zu haben, auf die man sich unbedingt verlassen konnte.

Die Geschwister warteten, bis die Ernennung Wildensteins zum Rittmeister nahe bevorstand und seine Schwester mündig gesprochen werden sollte. Sie hatten in dem kleinen, dunkeln Hofzimmer, das sie bewohnte, das letzte, kurze Wiedersehen vor der letzten Trennung gefeiert. »In drei Wochen also komme ich und hole Dich« – hatte er gesagt, und sich erhoben und ihr die Hand gereicht. Aber sie hatte die Hand nicht erfaßt, sie war in unaussprechlichen Jubel ausgebrochen. Die Schüchternheit, von der sie sonst in der Nähe des abgöttisch verehrten Bruders ergriffen wurde, verschwand. Sie stürzte in seine Arme, und ihre Glückseligkeit verrieth ihm, wie viel sie bisher gelitten hatte: So nahe der Augenblick, in dem die Sehnsucht ihres ganzen Lebens sich erfüllen sollte! So nahe die Erlösung! Es war kaum zu fassen, es berauschte sie, es stand vor ihr wie das plötzlich geöffnete Himmelsthor: »Ich werde bei Dir sein!« Sie lag an seiner Brust, die kleine, stille Dulderin, seine echte Schwester, so schweigsam und tapfer in ihrer Weise, wie er in der seinen – und weinte.

Da verlor er seine gewohnte Selbstbeherrschung, sein Herz überfloß. Sie erfuhr, daß er ihrer bedurfte, ihrer tröstenden, heilenden Nähe, der immer wach erhaltenen Überzeugung: da ist ein Wesen, für das ich leben muß. Wäre sie nicht, würde er selbst nicht mehr sein; er hätte längst den Qualen einer thörichten, verdammenswerthen und unüberwindlichen Liebe ein Ende gemacht. Als er seine Schwester in die Tiefen seiner Seele blicken ließ, lernte sie mit Entsetzen eine Leidenschaft kennen, von der bis jetzt nicht die leiseste Ahnung in ihr gedämmert hatte. Ihr Bruder liebte eine Unerreichbare, liebte wie nur einsame und verschlossene Menschen lieben, die bezaubernde junge Frau seines Obersten. Gräfin Erny ermuthigte ihn nicht – er betheuerte, daß sie es nie gethan habe. An Wahnsinn grenzte, sich einzubilden, der Wunsch vermöchte die Erfüllung zu erzwingen, es war Aberwitz, kühne Hoffnungen zu nähren. Er wollte sie austilgen, sich befreien, dem entnervenden Kampfe ein Ende machen, und zählte dabei auf die Hülfe seiner Schwester.

Als er sie verließ, blieb sie, im Innersten erschüttert, zurück. Erhört oder zurückgewiesen werden, fragte sie verwirrt und rathlos: Was ist das größere Unheil in dieser sündhaften Liebe? Aus ihrem Gleichgewicht gebracht, in unsäglicher Angst um ihn, hätte sie sich an seine Fersen heften, nicht mehr von ihm weichen mögen. Sie hatte so lange geduldig gelitten und gewartet; die zwanzig Tage, die sie noch von dem Zusammenleben mit ihm trennten, glaubte sie nicht überdauern zu können.

Sie schrieb ihm täglich; er beschäftigte sich mit den Vorbereitungen zu ihrem Empfang, und Rittmeister Brand, der sonst zu zetern und zu wettern pflegte, wenn die Ankunft einer Frau in der Station bevorstand, erwartete die Schwester des Freundes mit fast ebenso großer Ungeduld wie dieser selbst. Ehe noch ein Auge sie erblickt hatte, that sie Wunder: Brand sehnte ihr Erscheinen herbei, Wildenstein brachte es in der Selbstbeherrschung so weit, vierzehn Tage lang den Anblick der geliebten Frau zu meiden. Das war mehr, als er sich zugetraut hatte, und es gewährte ihm eine stolze schmerzvolle Freude, der Schwester schreiben zu können: »Wieder ein Tag, an dem ich sie nicht gesehen habe. Sei Du nur einmal da, und was mir jetzt als etwas Ungeheueres erscheint, wird mir leicht werden.«

Die Oberstin zeigte sich verstimmt; sie wollte Wildenstein nicht verlieren. Es verdroß sie nicht nur, es kränkte sie, daß er vermochte, den Gleichgültigen zu spielen, zu thun, als ob sie ihre Macht über ihn eingebüßt hätte.

Gräfin Erny war mehr als schön, sie war bildhübsch, lebenslustig, emotionsbedürftig und hatte Anwandlungen von Sentimentalität. Als fünfte Tochter eines unbegüterten, ungarischen Edelmannes geboren, bei reichen Verwandten aufgewachsen, kehrte sie nach deren Tod in das väterliche Haus zurück. Die kühle Aufnahme, die sie dort fand, that ihr weh, die kleinlichen Verhältnisse beengten sie. Nur fort, wieder fortkommen, heirathen, gleichviel wen, wenn er sie nur erlöst aus der Familie, in der sie das fünfte Rad am Wagen ist, war fortan ihr heißer Wunsch. Als ihr Vater ihr lachend mittheilte, der alte Oberst Graf Prach habe bei ihm um sie geworben, dachte sie einen Augenblick nach und rief dann entschlossen: »Hol’s der Kuckuck, ich nehm’ ihn!«

Er war freilich nicht verlockend, der unförmig dicke Oberst. Um ein Vierteljahrhundert älter als sie, so plump, wie sie zierlich, so langweilig, wie sie sprühend von guten Einfällen war. Allerdings hatte auch Prach eine kurze Blüthezeit gehabt, als er, ein junger Major, mit seinem Regimente die Garnison Wien bezog. Da war er in der Gesellschaft bis in exclusive Kreise vorgedrungen und hatte dort den Spitznamen: »Le bœuf à la mode« erhalten, denn Anlagen zum Dickwerden zeigte er schon damals und war auch nicht gescheiter als jetzt. Aber er konnte doch vor seiner Braut mit einst errungenen Erfolgen prahlen, und sie fühlte sich befriedigt in ihren Ansprüchen auf Glück, wenn sie die Frau eines Mannes wurde, der eine Stellung in der »großen Welt« hatte und Kommandant eines eleganten Kavallerieregiments war.

Kurz nach ihrer Verheirathung erlebte sie eine bittere Enttäuschung. Prach, der bisher immer von väterlicher Freundschaft und von der Unabhängigkeit gesprochen hatte, die Erny als regierende Frau Oberstin genießen sollte, wurde ein verliebter, eifersüchtiger Gatte und ein engherziger Haustyrann. Die schönen, glänzenden Augen der jungen Frau verschleierten sich allmählich, und die leise Trauer, von der die angeborene Munterkeit und Frische ihres Wesens nun oft gedämpft wurde, gab ihr einen neuen Reiz. Er wirkte auf keinen ihrer zahlreichen Verehrer so ergreifend wie auf Rittmeister Wildenstein.

Erny hatte mit ihm gespielt wie mit Allen, die ihr huldigten. Sie ließ sich gern den Hof machen in allen Ehren. Weiter als bis zu einem Handkuß brachten es bei ihr selbst die Unternehmendsten nicht. Seltsam war, daß fast Jeder, der in ihren Banden gelegen hatte, ihr Feind wurde von der Stunde an, in der er seine Eroberungspläne aufgab. Sie mußte eine gar unangenehme Manier haben, die Leute abblitzen zu lassen. Andere wieder, die ihr Glück bei ihr gar nicht versucht hatten, behandelten sie mehr wie einen lustigen Kameraden, denn als Respectsperson.

Herr von Wildenstein war ihr, von allem Anfang an, anders als alle Anderen begegnet. Er verehrte sie wie eine Königin, wie ein höheres Wesen. Ihr mochte das etwas komisch vorgekommen sein, nach und nach aber begann sie den Unterschied zwischen den Huldigungen, an die sie gewöhnt war und denen, die der junge Rittmeister ihr darbrachte, zu fühlen. Der Ton, den sie ihm gegenüber angeschlagen hatte, ihr gewöhnlicher, spielerischer, den Scherz herausfordernder Ton stimmte sich allmählich um. Sie mußte einen Blick in dieses Männerherz gethan haben, der ihr etwas völlig Neues, Schönes enthüllte: eine tiefe, ernste, an die Wurzeln des Lebens greifende Empfindung.

Und die wollte Erny nicht einbüßen, sie wußte sehr wohl, daß sie damit ihren besten Reichthum verlor. Sie beging eine große Unvorsichtigkeit, sie schrieb, sie beschied Wildenstein zu sich. Er kam nicht; sie erfuhr, daß er einen kurzen Urlaub nach Wien genommen hatte. Einige Tage hindurch waren die Briefe von seiner Schwester ausgeblieben, dann gab der Vormund traurige Nachricht von ihr. Sie hatte ihre Zöglinge in einer ansteckenden Krankheit gepflegt und lag nun selbst schwer darnieder.

Als Wildenstein zur bestimmten Frist zurückkehrte, kam er vom Begräbnisse seiner Schwester.

Die Gräfin äußerte ihr Mitgefühl in liebenswürdiger Weise, schonend und herzlich. Wildenstein und sie hatten die Rollen getauscht; sie zeigte sich ihm dankbar, wenn er einer Gelegenheit, ein freundlich tröstendes Wort von ihr zu hören, nicht auswich. Seine Leidenschaft schien erloschen, untergegangen in seinem tiefen Schmerz.

Und doch war der Oberst nie eifersüchtiger auf ihn gewesen als jetzt. Er bewachte, er belauschte seine Frau, er verschlang sie mit den Augen, wenn sie den Namen Wildenstein aussprach, er hätte den zweiten Rittmeister von der Erde forttilgen mögen – und den ersten dazu. Die Eifersucht auf den einen ließ ihn nicht schlafen, der Neid auf das Ansehen, die Beliebtheit, die der andere im Regimente genoß, raubte ihm den Appetit. Seine Anlage zur Grausamkeit, das Erbtheil vieler bornirter Menschen, entwickelte sich unter solchen Umständen zu üppiger Blüthe. Das Offizierscorps und die Mannschaft hatten schlechte Zeiten und waren überzeugt: es giebt keine Hoffnung auf bessere, bevor der Oberst die beiden Rittmeister »weggebissen« haben wird.

Mühe genug ließ er sich’s kosten.

Die Eskadron Brands lag in der Stabstation, und der Morgenritt des Obersten führte an der Reitschule vorbei. Alle Augenblicke war er da, spöttelte, nörgelte – raste, brachte die Leute zur Verzweiflung und Brand beinahe um seine Geduld.

Auch seiner Frau machte der Oberst das Leben schwer. Einmal, in einer Stunde der Empörung über ihn, ließ sie sich hinreißen, Wildenstein ihr Leid zu klagen. Das wurde für beide verhängnißvoll. Die lange zurückgedämpfte Empfindung im Herzen Wildensteins brach mit elementarer Macht hervor; er entrang der Geliebten ein halbes Geständniß ihrer Gegenliebe und drückte in an Wahnsinn grenzendem Entzücken den ersten Kuß auf nur schwach widerstrebende Lippen. Sie hatte ihm durch ihre Klage das Recht gegeben, sie zu beschützen, und dieses Recht war nun sein, und er wollte es wahren, es vertheidigen, und sie war sein. Um dieses höchste Gut sollte ihn keine Macht der Erde bringen. Aber nicht unrechtmäßig, nicht in Unehren wollte er sie besitzen. Er sprach von der Scheidung ihrer Ehe, von dem Eingehen einer neuen mit ihm. Er entrollte vor ihr ein Zukunftsbild, das ihm die Seligkeit auf Erden verkörperte, vor dem ihr aber graute. So hatte sie es nicht gemeint! Empörend und lächerlich erschien der gesellschaftlich hoch stehenden, an Luxus gewöhnten Frau die Zumuthung Wildensteins und er selbst als ein rücksichtsloser Egoist.

Am folgenden Tage erhielt er einen langen Brief von der Gräfin. Sie bat ihn, ihre »gestrige Übereilung« großmüthig zu verzeihen. Sie war seitdem von Reue gefoltert. Sie hatte schwer gegen ihren Gatten gefehlt, dem sie ja im Grunde keinen anderen Vorwurf machen durfte als den, daß er sie zu sehr liebe. Sie hatte sich auch an Wildenstein schwer versündigt, sie hatte ihn – freilich eine Selbstgetäuschte – über die Stärke ihrer Empfindung für ihn getäuscht. Sie würde sich nie entschließen können, ihren Pflichten untreu zu werden, ihren Gatten zu verlassen. »Ich bin in Ihrer Hand«, hieß es am Schlusse. »Sie können mich verderben, Sie sind ein edler Mensch, Sie werden es nicht thun. Ich hoffe, ich baue auf Sie, Sie werden die arme, kleine Erny nicht unglücklich machen wollen. Ich wage nicht, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten, ich bitte nur, seien Sie nicht mein Feind.«

Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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