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Rittmeister Brand
VII

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Er hatte die kleinen Gestalten bald entdeckt, und bald auch hatte er sie eingeholt. Was war es doch, was ihn unwiderstehlich zu ihnen hinzog? Nicht Theilnahme, nicht sein immer reger Helfedrang allein. Es war mehr; ein tieferes, ein ganz eigenes Interesse, das besonders der Anblick des Knaben in ihm erweckt hatte. Er fragte sich, an wen er ihn mahne, mit seinen aschblonden Haaren, seiner durchsichtigen Haut, seiner Sprechweise, seiner Haltung, in der zwei Gegensätze sich so anmuthig vereinten: Stolz und Schüchternheit.

Die Kinder gingen über die beiden Burgplätze und verschwanden auf dem Kohlmarkt im Thorweg eines alten, stattlichen Hauses, einst das Eigenthum eines großen Herrn, jetzt das eines Pferdehändlers, und vermiethet an allerlei Parteien. Ein Schild mit der Aufschrift: »Madame Amélie« war unter dem Mittelfenster des ersten Stockes angebracht, und hinter den großen, blanken Spiegelscheiben blühte ein Garten von Hüten und Hauben, quollen aus halb geöffneten Kartons Bäche von Spitzen, Ströme von Gaze und Seidenstoffen hervor.

So wenig Dietrich Brand sich auch um die Berühmtheiten der Damenmodenwelt kümmerte, der Name Amélie Vernon war bis zu ihm gedrungen. Seine Cousinen sagten in einem Tone: »O Madame Vernon! Ja, Madame Vernon!« der so viel hieß wie: Erhaben über alle Kritik.

Eine solche Großmacht schickt ihre Waaren gewiß nicht durch Kinder aus. Was hatten die armen Beiden hier zu holen oder hierher zu bringen?

Er wollte es wissen und entschloß sich, auf ihre Rückkehr zu warten. Nach einer Viertelstunde erschien klein Annerl wieder und trug ein Weißbrot in der einen und einen Apfel in der anderen Hand. Blaß und müde kam ihr Bruder nach. Brand hielt ihn an und fragte auf gut Glück und in geschäftsmäßigem Tone, ob Madame Vernon zu Hause sei? Ja wohl, die Kinder kamen von ihr, hatten sie eben gesprochen.

»Und das hat sie mir geschenkt,« sagte Annerl, und hob ihr Weißbrot und ihren Apfel triumphirend in die Höhe.

»Und das darfst Du auch annehmen, die Mutter erlaubt es Dir, Annerl?«

»Ja, das erlaubt die Mutter, und auch Georg erlaubt’s.«

»Georg,« wiederholte Brand. »Dein Bruder, nicht wahr?« Er legte die Hand auf den kleinen, blauen Capuchon und sagte ziemlich unüberlegt: »Ich wäre froh, wenn ich Dir auch etwas schenken dürfte, Annerl.«

»Nein, nein, dank’, wir danken,« stieß Georg rasch hervor. Er war bei den Worten Dietrichs roth geworden über das ganze Gesicht bis unter die Haare, und seine Augen leuchteten plötzlich auf.

Jetzt wußte Brand, an wen ihn das Kind vom ersten Moment an erinnert hatte. Vergessene Unvergessene – arme Sophie! Dieses Erröthen, dieses Aufleuchten im Blicke hatten oft sein stilles Entzücken ausgemacht. Die ganze Reinheit, aller Stolz des Mädchens, das er liebte, sprachen aus ihnen. Was ihr das Blut in die Wangen und die Stirne trieb, war nicht Verwirrung, nicht Beschämung, es war ein schmerzliches Staunen, eine leidvolle Entrüstung: »Ich erröthe, ja, aber für Euch!« – Brand sah sie vor sich, wie damals in der peinlichen Stunde, in der der Riß zwischen ihnen entstanden war…

»Du heißest Georg Müller, mein lieber Junge,« sagte er zu dem Knaben.

Der erschrak und sah ihn voll Mißtrauen an. Wie kam der fremde Mann dazu, nach seinem Namen zu fragen? Er suchte seine Angst hinter einer trotzig abwehrenden Miene zu verbergen, ergriff die Hand seiner Schwester und hastete mit ihr davon.

Brand blickte ihnen nach: Ihre Kinder! ja gewiß – auch das Mädchen hatte Ähnlichkeit mit ihr in den Bewegungen, dem Gang, in der Art und Weise, den Kopf zu tragen. Im Forteilen noch wendete Annerl sich mehrmals um und lächelte den ernsten, alten Herrn an, vor dem davon zu laufen ihr Bruder sie zwang, und der ihr gar keine Furcht einflößte, o nein, nicht die mindeste!

Ihre Kinder – das waren sie, so hatte er sie gefunden. Die Wirklichkeit übertraf seine traurigsten Befürchtungen. Das scheue Wesen des Knaben, seine Beschäftigung, die Kleidung, das Aussehen der Kleinen. Alles, Alles an ihnen erzählte von Dürftigkeit, von Entbehrung, von einem harten Kampfe um das tägliche Brot.

Dietrich blieb noch eine Weile unter dem Thore stehen. Mit mächtiger Selbstüberwindung rang er die tiefe Gemütsbewegung nieder, die ihn ergriffen hatte: kein äußeres Zeichen durfte verrathen, was in ihm vorging.

Als ein sehr gelassener, fast übertrieben höflicher Mann betrat er den Modesalon und wurde von Fräulein Julie, einer gut erhaltenen Schönheit, »comme il faut« bis an die Spitzen ihrer langen, lanzenförmig zugeschnittenen Nägel, würdevoll empfangen. Sie schien befremdet, als er sie bat, fragen zu wollen, ob er die Ehre haben könne, mit Madame Vernon selbst und zwar privatim zu sprechen. Das Fräulein übernahm seine Karte, warf einen Blick darauf – und war elektrisirt.

»Dietrich Brand! Herr Rittmeister Brand …«

»Nein, mein Fräulein, Brand kurzweg; ich habe meinen Militär-Charakter abgelegt.«

Aber das wußte Fräulein Julie besser. Ablegen, einen solchen Charakter? Als ob man das könnte! Nie! O, sie hatte die Gnade, den Herrn Rittmeister zu kennen, hatte so viel von ihm gehört. O, und wer nicht? Und einige ihrer Verwandten hatten die Gnade gehabt, unter ihm zu dienen. Und nun wollte sie die Gnade haben, ihn der gnädigen Frau zu melden. Einen solchen Besuch werde sie sicherlich empfangen, wenn auch sonst keinen andern, denn die gnädige Frau sei heute nervos.

Sie enteilte, und Brand ließ ein mißbilligendes: »Hm, hm, nervos« vernehmen, worauf ihn einige der Magazins-Damen verstohlen anguckten. Andere kicherten vor sich hin, und ein lustiges Ding von einer Modistin, das eben einer ältlichen Kundin einen sehr jugendlichen Hut anprobirte, rang mit einem Lachkrampfe.

Nach kurzer Zeit war Fräulein Julie wieder da und ersuchte den Herrn Rittmeister, die Gnade zu haben, ihr zu Madame Vernon zu folgen. Sie geleitete ihn durch eine Reihe von Ateliers und Salons und verabschiedete sich mit einem wundervollen Knix, in den sie ihre ganze Seele legte, an der Thür des Boudoirs der Gebieterin.

Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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