Читать книгу Tierische Jobs - Mario Ludwig - Страница 15

Оглавление

Ein Rochen als Anästhesist?

Zitterrochen gehören zu den ganz wenigen Tierarten, die in der Lage sind, mithilfe ihres Körpers Stromstöße zu produzieren. Verantwortlich für die tierische Stromerzeugung ist die spezielle Muskulatur der Brustflossen der Fische. Eine Muskulatur, die im Laufe der Evolution zu sogenannten „elektrischen Organen“ umgebildet worden ist. Jedes Elektroorgan besteht dabei aus einer großen Zahl stromerzeugender Elemente, sogenannter „elektrischer Platten“, von denen allerdings jedes einzelne nur eine geringe Spannung erzeugt. Die Anordnung der stromerzeugenden Platten ist in den Elektroorganen ähnlich wie in einer Batterie realisiert, in der die Platten in Serie bzw. Reihe geschaltet werden. Die Gesamtspannung wächst von Muskelzelle zu Muskelzelle kontinuierlich an und beträgt bei der Entladung bis zu 220 Volt. Allerdings bringt diese Umbildung der Brustflossenmuskulatur auch einen gewichtigen Nachteil mit sich: Durch die Ausbildung der elektrischen Organe können sich Zitterrochen nicht, wie „normale“ Rochen, elegant dahingleitend mithilfe ihrer Brustflossen fortbewegen, sondern müssen ihren Körper ziemlich mühsam und stets ein bisschen schwerfällig wirkend, mit seitlichen Ruderschlägen der Schwanzflosse vorantreiben.

Ihre Fähigkeit, Stromstöße zu erzeugen, setzen Zitterrochen in erster Linie zum Beutefang ein. Zitterrochen ernähren sich hauptsächlich von kleinen Fischen und Krebsen, die sie mit den selbst produzierten Stromstößen betäuben oder sogar töten können. Die effektive Wirkung der Stromstöße beschränkt sich allerdings gerade mal auf etwa einen halben Meter. Doch auch Fressfeinden, wie größeren Fischen und Delfinen, aber auch einem allzu neugierigen Taucher kann mithilfe der Stromstöße eine schmerzhafte Lektion erteilt werden.

Für einen Menschen sind die Stromschläge äußerst unangenehm. Menschen, die schon einmal nähere Bekanntschaft mit einem Zitterrochen gemacht haben, berichten, die Wirkung eines Zitterrochenstromschlags sei durchaus mit einem Niederschlag durch eine riesige Faust zu vergleichen.

Lebensbedrohlich ist ein Zitterrochenstromstoß in der Regel jedoch nicht. Sowohl die Stromstärke als auch die Spannung können zwar durchaus hohe Werte erreichen. Allerdings ist die Stromstoßdauer mit etwa 5 Millisekunden wohl zu kurz, um eine lebensgefährdende Atemlähmung oder gar einen Herzstillstand verursachen zu können. Um solch kritische Situationen heraufzubeschwören, wäre, nach Ansicht von Medizinern, ein Stromstoß mit einer Dauer von deutlich mehr als 20 Millisekunden notwendig.

In früheren Zeiten wurden, man höre und staune, lebendige Zitterrochen auch gerne als Heilmittel bei unterschiedlichen medizinischen Indikationen eingesetzt.

Dabei wurde das medizinische Potenzial des Zitterrochens bereits sehr früh erkannt. Schon Aristoteles berichtete von der betäubenden Wirkung des Zitterrochens. Es ist deshalb kein Wunder, dass bald findige griechische Ärzte auf die Idee kamen, vor allem den im Mittelmeer heimischen Marmorierten Zitterrochen als sogenanntes „Anodynos“, will heißen als schmerzstillendes Mittel, einzusetzen. Sie haben schlicht und einfach beispielsweise einem armen Kopfschmerzpatienten einen lebenden Zitterrochen auf den Kopf gelegt. Ganz offensichtlich waren Zitterrochen im alten Griechenland eine regelrechte medizinische Allzweckwaffe. Schließlich hat man die Elektrofische dort früher auch gerne bei Operationen als sogenanntes „lebendes Narkotikum“ eingesetzt.

Und auch die alten Römer setzten Zitterrochen für medizinische Zwecke ein, allerdings bei anderen Indikationen als die Griechen. Der römische Arzt Scribonius Largus berichtet zum Beispiel in seiner berühmten Rezeptsammlung „Compositiones medicae“ explizit darüber, wie man mithilfe eines Zitterrochens üble Kopfschmerzen bekämpfen kann: „Noch so alte und unerträgliche Kopfschmerzen beseitigt sofort und heilt für immer der schwarze Zitterrochen, wenn er lebend so lange auf die schmerzende Stelle gelegt wird, bis der Schmerz aufhört und dieser Teil betäubt wird. Sobald man dies empfindet, möge man das Heilmittel entfernen, damit das Gefühl an dieser Stelle nicht zerstört werde.“ Auch gichtgeplagte Menschen behandelte der römische Mediziner mithilfe von Zitterrochen: „Kommen die Gichtschmerzen, legt man einen lebenden Zitterrochen unter den Fuß des Patienten. Der Patient soll an einem feuchten Strand, umspült von Meerwasser, so lange stehen, bis der Fuß und das Bein bis zum Knie eingeschlafen sind.“

Der Militärarzt Pedanos Dioscurides, der unter den römischen Kaisern Claudius und Nero diente und bei dem es sich wahrscheinlich um den berühmtesten Pharmakologen des Altertums gehandelt hat, soll sogar versucht haben, mit Zitterrochen Epileptiker zu heilen. Im Mittelalter wurden Zitterrochen auch in der arabischen Welt für Heilzwecke eingesetzt. So ist im berühmten „Kanon der Medizin“ des persischen Arztes Avicenna zu lesen, dass Zitterrochen ausgesprochen wirksam bei der Heilung von Kopfschmerzen, Trübsinn und epileptischen Anfällen seien.

Heute ist die „Zitterrochentherapie“ längst vergessen. Allerdings nutzen viele Ärzte und Physiotherapeuten immer noch Strom zur Behandlung von Schmerzen, Missempfindungen sowie zur Kräftigung schwacher Muskulatur. Allerdings kommt bei dieser Art der Anwendung der Strom nicht aus der Muskulatur eines Fisches, sondern völlig unspektakulär aus einer Batterie oder der Steckdose.

Tierische Jobs

Подняться наверх