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Eine Riesenratte als Laborarzt

Auch heute, in Zeiten modernster Medizin, ist Tuberkulose, folgt man dem überaus renommierten Berliner Robert-Koch-Institut, immer noch die weltweit am häufigsten zum Tod führende heilbare Infektionskrankheit.

Tag für Tag sterben rund 4500 Menschen an der Lungenseuche, die meisten davon in Afrika. Und jedes Jahr erkranken fast 10 Millionen Menschen neu. Ohne medizinische Hilfe breiten sich die Erreger über den Blutkreislauf aus, befallen die Organe und führen meist zum Tod. In Tansania ist Tuberkulose nach Malaria und Aids die dritthäufigste Todesursache. Zehntausende Tansanier sterben jährlich an Tuberkulose. Die meisten einfach, weil die Krankheit nicht rechtzeitig erkannt wurde. Rund zwei Drittel aller Tuberkulosepatienten in Tansania wissen in der Regel nicht, dass sie infiziert sind. Daher ist eine schnelle und zuverlässige Diagnose wichtig, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Die Infektionsrate bei Tuberkulose ist erschreckend hoch: Im Schnitt steckt jeder unbehandelte Tuberkuloseerkrankte rund ein Dutzend weitere Menschen an. Um eine Tuberkuloseerkrankung sicher zu diagnostizieren, werden üblicherweise Speichelproben der Patienten mithilfe von molekularen bzw. immunologischen Tests analysiert. Und genau hier liegt das Problem: Diese modernen Tests, die in Industrieländern absoluter Standard sind, sind jedoch für arme Länder wie Tansania meist völlig unerschwinglich. Deshalb werden in vielen tansanischen Krankenhäusern meist simple Lichtmikroskope zur Untersuchung der Speichelproben verwendet. Eine Methode, die zwar deutlich günstiger, aber auch deutlich ungenauer ist: Weniger als 50 Prozent der Proben werden per Mikroskop korrekt eingestuft. An dieser Stelle, man glaubt es kaum, kommen Tiere ins Spiel, die sich bei uns Menschen nicht gerade übermäßiger Beliebtheit erfreuen: Ratten. Aber bei Weitem nicht irgendwelche Ratten, sondern Gambia-Riesenhamsterratten, die größten Ratten der Welt. Dank ihres überragenden Geruchssinns können Gambia-Riesenhamsterratten nicht nur überaus erfolgreich bei der Minensuche eingesetzt werden (siehe Seite 133), sondern nach entsprechendem Training auch äußerst zuverlässig Tuberkuloseerreger in Speichelproben identifizieren. Erstaunlicherweise haben die Ratten bei der Identifikation von potenziellen Tuberkuloseerkrankten eine signifikant höhere Trefferquote als ein Labortechniker mit seinem Mikroskop. Und nicht nur das: Auch in Sachen Geschwindigkeit bei der Probenauswertung sind die tierischen Diagnostiker ihren menschlichen Kollegen weit überlegen. Benötigt ein Labormitarbeiter etwa 2 Tage, um 100 Proben auf Tuberkuloseerreger zu untersuchen, schaffen die Ratten das in gerade mal 20 Minuten.

Zu Tuberkuloseschnüfflern werden die Riesenratten von einer NGO-Organisation namens APOPO ausgebildet, die ihren Sitz in Morogoro in Tansania hat. Die Ratten werden schon als Jungtiere darauf trainiert, Tuberkulosebakterien in Speichelproben von Patienten zu erkennen. Die entsprechende Konditionierung erfolgt nach dem Belohnungssystem: Haben die Tiere eine Probe korrekt identifiziert, werden sie mit einer Portion des von ihnen so heißgeliebten Bananenbreis belohnt. Was genau die Ratten riechen, hat die Wissenschaft noch nicht herausgefunden. Sehr wahrscheinlich orientieren sich die tierischen Tuberkuloseschnüffler an den Substanzen Methyl-Phenyl-Acetat, Methyl-Nicotinat und Methyl-Panisat. Substanzen, die bereits in der Atemluft von Tuberkulosepatienten nachgewiesen worden sind.

Die Ausbildung der Ratten dauert rund ein halbes Jahr und ist mit 6000 bis 7000 Euro pro Tier nicht ganz billig. Aber langfristig gesehen ist das durchaus eine Investition, die sich lohnt: Eine ausgebildete Ratte kann bis zu 8 Jahre als Testerin eingesetzt werden.

Im täglichen Einsatz arbeiten die schnüffelnden Ratten als eine Art „Sicherheits-Backup“, denn die APOPO überprüft mithilfe der Ratten die Speichelproben aus den entsprechenden Krankenhäusern erneut. Das Prozedere der Ratten-Diagnostik ist dabei vergleichsweise simpel: Beim Testvorgang selbst sitzen die Riesenratten in einer Plastikbox und untersuchen schnüffelnder Weise die Speichelproben, die zuvor von Technikern der Reihe nach unter kleinen Öffnungen der Plastikbox angebracht wurden. Befindet sich ein Tuberkuloseerreger in der Speichelprobe, verharrt die Ratte eine Weile mit ihrer Nase in der entsprechenden Öffnung. Dieses Verhalten gilt als positive Identifikation der Probe.

Fällt das Ergebnis der „Rattenschnüffelei“ positiv aus, wird dies umgehend der jeweiligen Klinik mitgeteilt, sodass der Patient ausfindig gemacht und behandelt werden kann. Auf diese Art und Weise haben die Hamsterratten in Tansania bisher insgesamt fast 350.000 Speichelproben untersucht und dabei über 9000 fälschlicherweise als gesund eingestufte Tuberkulosepatienten identifiziert.

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