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4. Kapitel

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»Wo ist der Opa?«

»Vor einer halben Stunde haben sie ihn geholt.«

»Endlich im Krankenhaus?« Boris hielt den Daumen nach unten. Robby rutschte in die Hocke und betete.

»Man konnte nichts mehr für ihn tun.«

Boris und Storca tuschelten. Robby verstand nicht, um was es ging.

Klappe zu. Draußen vor der Zelle klimperten sie mit Schlüsseln.

»Robby zum Verhör!«

Der Bub zitterte. Der Schlüssel knarrte in der Gittertür. Dann die Vorhängeschlösser, der Riegel.

»Boris, jetzt hauen sie wieder zu. Ich hab doch nix ...«

»Pelo amor de Deus«, hörte er Boris flüstern. »Erzähl denen, was sie hören wollen! Und drück deinen Daumen aufs Papier.«

Robbys Knie gaben nach.

»Wird’s bald!«, rief der Posten in die Zelle.

»Fala guri, fala! Pelo amor de Deus, Fala!«, raunte Storca, als der Junge an ihm vorbeischlich und auf den Laufgang hinausgezerrt wurde. Also reden sollte er. Reden, reden, reden.

Zwei Polizisten zerrten den Jungen die Treppe hinauf.

»Nun, Freundchen. Also lass mal hören, wie schön du singen kannst. Senhor Martinez hat nämlich heute nicht viel Zeit. Es muss ganz schnell gehen. Deshalb haben wir für dich einen feinen Dirigenten bestellt.«

Der Polizist kicherte, während er den Buben am Arm hatte und in den ›eisernen Beichtstuhl‹ schleifte.

»Befehl vom Boss!«, hörte Robby. »Benitez und Cavalcanti sollen auch gleich rauf.«

Wenigstens steckten sie keinen von den beiden ins Kellerloch. Das kleine ›Untersuchungszimmer‹ das am Ende des Ganges hinter dem ›Hauptbüro‹ lag, genügte vollends. Robby hatte es seit seiner Einlieferung noch nie gesehen. Offensichtlich war das einzige Fensterchen, das es einmal gegeben hatte, zugemauert worden und nur eine verstaubte Glühbirne hing an einem kurzen Kabel. Somit die einzige Lichtquelle, unter der ein pockennarbiger Polizist mit einem enormen Wanst und einer weit aufklaffenden Zahnlücke auf Robby wartete.

Gott sei Dank! Der Teufel mit dem hundsgemeinen Nietenriemen war heute nicht dabei.

»Bitte, bitte ... nicht schlagen. Ich sag alles, was ich weiß. Ganz bestimmt!«

Hämisch grinsend hob der Dicke das Tuch hoch, unter dem die LKW-Batterie zum Vorschein kam. Langsam tappte der Kerl aus der Ecke und stieß den Jungen auf die Bretter, die auf einem kastenartigen Sockel festgeschraubt waren.

»Wir prügeln dich doch nicht, Kleiner«, sagte der zweite, den Robby bis jetzt nicht gesehen hatte, da er im Halbdunkel stand und jetzt damit beschäftigt war, sich dicke Gummihandschuhe anzuziehen. »Wer redet denn von Prügel? Wir kitzeln nur ein bisschen.« Dabei verzog er den Mund zu einem ovalen Loch und machte ›Kirrekirre‹, während sie Robby auf die Bretter schnallten.

»Mach bloß keine Zicken.« Oliveira zog die Lederriemen an. Dann schnürte er die Beine fest. »Damit du nicht so zappelst, wenn’s gleich losgeht.«

»Bitte, bitte. Bitte nicht ...« Robby starrte auf die LKW-Batterie und dann auf das schwarze Kabel in der Hand des Polizisten. Dann war das Licht weg. Robby hörte auf das Tapsen im Dunkeln.

Ein dumpfer Schlag. Dann flutete grelles Scheinwerferlicht durch die berstende Mauer. Dahinter ein Kühlergrill, Seilwinde, die Stoßstange, zwei Maskierte in schwarzen Overalls, schwere MPi’s unter den Armen. Eine kurze Salve. Zwei Folterknechte weniger. Der Junge blinzelte in das grelle Licht, als sie ihn losbanden.

»Raus hier!« kam es durch die Maske. Zwei schwarze Gestalten zerrten den Jungen durch die Trümmer ins Freie.

»Rein in den Rover!«

»N...ei...n!« Der Schrei des Entsetzens drang aus dem ›Hauptbüro‹.

Hochschießende Blutfontänen, Salven, Handgranaten, Explosionen.

»Sie sind da!«

Die Stimme von Boris schallte irgendwo im Raum. »Los, Kleinholz machen!«

»Wer ...?«, fragte Robby, als er in den Wagen steigen musste.

Delegado Martinez brach über dem Schreibtisch zusammen. Irgendeiner von ihnen musste di Flora sein. Doch wer ihm einmal in die Augen blickte, überlebte das nie.

Der Fahrer im Overland legte den Rückwärtsgang ein.

»Wie willst du da wieder raus?«, hörte Robby den Beifahrer fragen.

»So, wie ich reingekommen bin.«

Fünf Kanister Benzin waren genug. Liquidation total. Wer den Service dieses Kommandos in Anspruch nahm, durfte damit rechnen, bestens bedient zu werden. Vor dem Loch, das der schwere Geländewagen in der Polizeistation hinterließ, krachten die letzten Salven. Robby presste sich zwischen den Sitzen auf den Boden des Overlands. Pah! Pulvergestank, Ziegelstaub, beißender Rauch: Dann quietschten die Reifen auf dem Asphalt. Robbys Augen brannten wie Feuer. Hinter ihm hockten zwei Kerle und lachten durch ihre Masken. Das was von A-17 noch übrig war, stand in Flammen.

Robby schleckte sich den Staub von den Lippen und tastete nach seinem klatschnassen T-Shirt. Irgendwann musste er es heruntergerissen haben. Aber wann? Wann war das alles. Sie mussten Stunden gefahren sein. Plötzlich hielt der Wagen an, rollte wieder zurück, vielleicht einen Meter. Oder fünf? Wie sollte er es wissen?

Die Handbremse schnarrte. Robby kroch nach vorne und rappelte sich auf. Draußen kreischten ein paar Frauen, dann kicherten Mädchen, die auf Boris zeigten.

»Boris, Boris« und »Storca, Storca! Storca ist wieder da!«

Ein grauhaariger Mann in kurzen Hosen, von dem Robby später erfuhr, er heiße Herreira, spähte in den Wagen. Boris stand auf dem Trittbrett und zog an Robbys Arm. Mit den Worten: »Junge wir sind da«, hielt er Robby die Hand hin, um ihm aus dem Wagen zu helfen.

»Desce logo, o carro vai embora!« Boris sah besorgt in den Himmel. Der Rover musste weg, bevor sie mit den Hubschraubern alles absuchten. Und sie werden kommen. Soviel war sicher.

»Wo sind wir«, wollte Robby wissen, während er misstrauisch auf die Jungen und Mädchen und auf den Grauschopf blickte, der immer noch am Straßenrand stand.

»Zu Hause«, rief der Dealer. »Mann, zuhause sind wir wieder. »Zuhause bei uns in Tres Rochas!«

Das also war Tres Rochas. Im Knast hatte er den Namen ein einziges Mal gehört, doch war er damals nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte.

Das Durcheinander der verwinkelten Treppen, aneinander gesetzte Hütten und Buden, Backsteinkaten da und dort, von dichtem Buschwerk überwuchert, mannshohe Durchlässe, die sich wie grüne Tunnel im Chaos der ärmlichen Unterkünfte verloren ... wie sollte man sich hier zurecht finden? Verstecke! Phantastische Verstecke mitten in Rio!

Verwundert blinzelte Robby auf die Mückenschwärme in Bananenstauden und auf das Netz aus Bambuszäunen, hinter denen Kinder lärmten und auf die vielen dünnen Brettchen, die über den Gräben lagen, in denen schwarzes, Abwasser voll Schlieren und Abfall gurgelnd weiter floss. Die enge Gasse, in der sie angehalten hatten, endete nicht weit von dort, wo der Rover stand. Hier, zwischen dichtem Gestrüpp würde es so gut wie unmöglich sein, mit einem nur mittelgroßen Wagen weiterzukommen.

Eine halb vermoderte Treppe, ab und zu durch Absätze und rampenartige Pfade unterbrochen, führte zu weiter oben liegenden Buden, die nur nach einem die Muskel strapazierenden Aufstieg zu erreichen wären. Boris schob den Jungen auf ein verwildertes Grundstück, nachdem sie den Wagen aus den Augen verloren hatten. Ein dreifach gezogener, doch inzwischen an mehreren Stellen herabgerissener Stacheldrahtverhau sollte wohl den Zugang verwehren, was Robby nicht einsehen konnte, da nichts als eine eintönige Leere dahinter zu liegen schien. Unbezähmbare Wildnis, schätzte er. Etwas, das man vergessen hatte, höchstens dazu geeignet, noch weitere Buden und Wände aus Kanisterblech und Brettern aneinander zu setzen.

»Dort rüber!«, befahl Boris. »Wir müssen gleich mal tüchtig ran.« Robby kletterte über Schutt und Quadersteine. In Stücke gehauene Zementrohre, in denen noch stinkende Brühe stand, lagen am Weg, als ob man sie nach einem genauen Plan abgesetzt hätte.

»Vorsicht Brunnenloch!«

Ekelhafte Dornen, Gestrüpp, kilometerweit wie es ihm schien. Die enge Zufahrt nach nirgendwohin war erst im letzten Augenblick zu erkennen. Zwischen Stauden und mächtigen Gummibäumen musste der sturmgepeitschte Nachmittagregen Massen von Schlamm vor sich hergetrieben haben. Robby registrierte Reifenspuren. Wie die nur über den Schutt gekommen waren?

Kindergeschrei drang durch das Dickicht. Noch eine mannshohe Hecke, dann fiel Robby die verrostete Schaukel auf. Dort tobte die Bande der Buben. Jenseits des Spielplatzes gab es nur eine einzelne Behausung, nicht viel mehr, als ein windschiefer Schuppen, unter wild wucherndem Gehölz verborgen. Robby blickte heimlich auf das Weib, das vor der Tür auf einem Schemel hockte. Lebhafte Augen starrten aus einem eingefallenen von einer bösen Flechte verdeckten Gesicht zu ihm herüber.

Die einzige Tätigkeit der Frau – es musste sich um eine Indianerin handeln, wie Robby nicht einen Augenblick lang zweifelte – schien darin zu bestehen, eine riesige Menge Maiskörner in einer Schale aus verkrustetem grauen Ton zu einem Brei zu zerreiben, wobei sie dann und wann in gleichmäßigem Takt auf die Körner stampfte, während sie das Gefäß zwischen den Schenkeln der weit von sich gestreckten Beine in waagrechter Stellung zu halten versuchte.

Robby getraute sich nicht, näher zu kommen und starrte aus ängstlich kalkulierter Entfernung auf den Maisbrei und quälte sich.

Maisbrei! Wie lange schon hatte er das nicht mehr bekommen. Ob sie ihm einen Mund voll abgeben würde? Hundert Tage lang könnte er es danach wieder aushalten. Vielleicht, wenn sie ihm winken würde? Stattdessen fixierte sie ihn immer noch und stampfte nebenher gleichmütig auf den Mais.

Robby machte einen weiten Bogen und wartete abseits, was Boris und Storca in diesem abseits gelegenen Winkel zu suchen hatten. Unterdessen waren die beiden auf das Hexenweib zugegangen, so dass Robby weder die Miene noch Gebärden der Alten verfolgen konnte. Sicher erzählten sie ihr vom Knast und wie sie aus A-17 getürmt waren. Obwohl ... wer durfte schon die Wahrheit sagen?

Ab und zu nickte das Weib und als Storca kurz zur Seite trat, um ihren Papagai auf dem Fensterbrett zu betrachten, meinte Robby zu sehen, dass ihn die Alte von nun ab etwas günstiger beurteilen könnte.

Boris lief unter dem Strohdach der Behausung entlang und gab Robby einen Wink, ihm zu folgen. Das dichte Buschwerk begann unmittelbar hinter dem verborgenen Schuppen und versperrte jeden Blick auf das, was im Halbdunkel des Buschwerks zu erwarten war.

Robby kämpfte mit Dornen und peitschenartig zurückfedernden Tarogazweigen, die ihm dauernd ins Gesicht schlugen, wobei er vorsichtig einen Fuß nach dem anderen aufsetzte. Wenn er beim Ausbruch aus A-17 nur besser auf seine Gummischlappen aufgepasst hätte. Jetzt konnte er zusehen, wie er barfüßig durch die Wildnis kam. Irgendwo plätscherte es. Folglich musste es hier Wasser geben, vielleicht sogar einen Brunnen oder einen kleinen Bach, der vielleicht irgendwo über große Steine stürzte und aus dem man trinken könnte.

»Hier rüber über den Bach!« hörte er leise. Zweifellos, das kam von Storca, der ihn sicher schon die ganze Zeitlang beobachtet hatte. Wow, Reifenspuren! Robby war es unerklärlich, wie der Fahrer mit dem Ungetüm bis hier hergekommen war. Auf jeden Fall stand ein knallroter LKW keine zwei Meter weit vor ihm, doch war das Fahrzeug von mannshohen Büschen und zwei weit ausladenden Gummibäumen so verdeckt, dass man es erst sehen konnte, wenn man mit der Nase auf einen der Kotflügel stieß.

»Robby, wo bleibst du? Hier her.« Boris schien schon ungeduldig zu werden. Also weiter. Er hatte die beiden doch ganz plötzlich aus den Augen verloren.

»Boris ...«

»Schrei nicht so laut, ich stehe doch hier, gleich neben dir.«

Robby drehte sich um in die Richtung aus der die Stimme kam. Durch das grüne Gebüsch sah er schließlich die Mütze und dann das Gesicht.

»Dort rüber.« Wieder stand er mitten in den ekelhaften Dornen. Hinter ihm hörte er ein Buschmesser auf Äste und Blätter aufschlagen. Dann stieß er auf mächtige, von Parasiten umflochtenen Stämme und auf einen kaum handbreiten Pfad, der hier zu beginnen schien.

Boris packte ihn mit beiden Händen an den Schultern und sah ihn aufmerksam an. »Von jetzt an bist du ein Jungskorpion.«

Robby nickte gehorsam und fragte nichts, obwohl er nicht verstehen konnte, was das heißen sollte.

Ein Skorpion also. Hört sich nach Stechen und Beißen an. Sicher.

Auch Skorpione mussten Kinder haben. Schließlich kam niemand groß auf die Welt.

»Wir haben dich doch aus dieser Scheiße geholt, in du dich gesetzt hast, klar?«

Robby wollte wieder nicken, dann jedoch überlegte er. Es war zu blöde immer nur zu nicken, wenn sie etwas zu ihm sagten. Also schluckte er kurz und sagte dann: »Ja«, sah an sich hinunter, glitt mit den Fingern über die aufgerissene Haut an den Oberschenkeln und wischte Blutstropfen weg.

»Sieh mal her. Nur weil wir dich rausgeholt haben ... Deshalb hockst du jetzt nicht mehr in dem Scheißloch. Wer weiß, was die noch alles mit dir angestellt hätten.« Boris wog seinen Kopf und stieß einen Stein zur Seite. »Nun hör mal gut zu! Keinen Ton wirst du sagen von dem, was du da unten, auf A-17 gesehen hast. Kapiert?«

»Kapiert«, flüsterte er leise. »Kein Wort, ich schwör’s!«

»Okay! Hier in Três Rochas wird dir nichts passieren. Du stehst unter unserem Schutz, solange du aufpasst und auf das hörst, was wir dir sagen. Im Übrigen hältst du die Klappe. Ist das klar?«

»Alles klar.«

Er müsse sich sein Leben verdienen, hörte er. Und das gelte hier für alle. Und was es hieß, sich das Leben auf den Morros zu verdienen,

das hatte hier oben jeder von klein auf gelernt. Hier, wo einem die Kugeln jede Woche mindestens einmal um die Ohren pfiffen, und wo einer verdammt gut sein musste, wenn er älter als dreißig werden wollte.

»Du wirst einiges lernen müssen, Junge.«

»Ich werde gut aufpassen.« Robby musste sich gewaltig anstrengen, um das herauszubringen. »Ich schwör’s.«

Boris schien zufrieden zu sein. »Und Mumm musst du bei uns haben, saumäßig viel Mumm!«

Das Kartell der Skorpione

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