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Viertes Kapitel

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Die Szene in der Sakristei war entsetzlich. Das Kirchenregister war aufgeschlagen und harrte der Unterschriften des glücklichen Paars. Mr. Cummings strahlte über das ganze Gesicht und war fest davon überzeugt, daß alles in Ordnung war. Er war willens, nur das Beste zu glauben.

Dann merkte er endlich, daß von dem Grafen eine eisige, starre Kälte ausging und daß Emily eine braune Perücke trug und so bleich aussah, als drohte sie jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.

Mr. und Mrs. Anstey standen stolz daneben; ihre Gesichter leuchteten vor Glück.

Für sie war es Mary, die da stand.

»Was ist los, Mary?« fragte Mrs. Anstey gutgelaunt. »Man erwartet von dir, daß du unterschreibst.«

»Ich bin nicht …« Emily begann leicht zu schwanken und hielt sich mit einer Hand an dem Buch fest.

Im Bruchteil einer Sekunde wurde dem Pfarrer klar, was sich wirklich abgespielt hatte und warum Emily eine braune Perücke trug. Es war entsetzlich! Der Skandal! Und wo war Mary?

Er handelte blitzschnell. Cousine Bertha und Mr. Chester erklärte er flüsternd, daß es in St. Martin Brauch sei, daß die Trauzeugen zusammen mit den anderen Gästen in der Kirche warteten. Er betete, daß sie nicht protestierten.

Zu seiner Erleichterung verließen sie die Sakristei.

Sein Mut sank, als er zum Grafen aufschaute. Trotzdem sagte er: »Vielleicht würden Sie uns die Sache erklären, Lord Devenham?«

Der Graf zog eine Schnupftabaksdose aus der Tasche und nahm sich in aller Ruhe eine kleine Prise. So langsam, daß man hätte verrückt werden können, steckte er die Dose in die Tasche zurück.

»Was ist hier los?« wollte Mr. Anstey wissen.

Unter Aufbietung aller Kräfte bemühte sich Emily, nicht in Ohnmacht zu fallen. Mit zitternden Händen griff sie nach Krönchen und Schleier, nahm beide ab und legte sie auf einen Stuhl. Dann zog sie sich mit einer schnellen Bewegung die Perücke vom Kopf. Die blonden Locken fielen ihr wirr ums Gesicht.

»Emily!« riefen Mr. und Mrs. Anstey.

»Es tut mir leid«, sagte Emily. »Ganz furchtbar leid. Aber Mary war so unglücklich. Ich dachte, wenn ich ihren Platz einnehme und es hinterher herauskommt, daß ich es war, dann würde die Hochzeit nicht gültig sein.«

»Aber Sie sind verheiratet«, sagte Mr. Cummings. »Ich habe Sie erkannt, deshalb habe ich Sie mit Ihrem richtigen Namen angesprochen.«

Der Graf stand weiterhin kalt und mit unbewegter Miene da, seine grauen Augen auf Emilys Gesicht geheftet.

Mrs. Anstey schlug die molligen Hände vor ihr faltiges, dickes Gesicht. »Eine solche Schande«, sagte sie und begann zu weinen. »Die Demütigung! Wie konntest du uns solch einen schäbigen Streich spielen? Du hast den glorreichsten Augenblick unseres Lebens ruiniert. Wir werden zum Gespött der ganzen Grafschaft werden.«

Darauf fing Mr. Anstey an, seine Tochter zu beschimpfen, während Mr. Cummings nicht aufhörte zu fragen, was Mary zugestoßen sei, und Mrs. Anstey laut heulte.

Inmitten ihres Unglücks und ihrer Schande sah Emily die Augen des Grafen schadenfroh aufblitzen. Endlich hatte er sich an der Familie Anstey rächen können. Und sie selbst war diejenige, die ihm dazu verholfen hatte.

Ihre noble Geste würde als dummer Streich eines ungezogenen kleinen Mädchens erscheinen. Die ganze Grafschaft würde sagen, sie sei eifersüchtig auf Mary gewesen und habe den Grafen für sich gewollt. Deshalb habe sie das Betäubungsmittel in die Schokolade ihrer Schwester getan. Emily begann an ihrem Verstand zu zweifeln.

Graf Devenham fühlte einen ekelhaften Überdruß an der ganzen Angelegenheit in sich aufsteigen. Es wurde ihm jetzt in aller Deutlichkeit bewußt, daß er Mary Anstey nicht liebte. Er war überzeugt davon, daß er diese Jugendsünde, nämlich sich in jemanden zu verlieben, auch wahrscheinlich nicht noch einmal begehen würde.

Einen Augenblick lang hatte er die Demütigung der Ansteys genossen. Aber als er Mrs. Ansteys verwelkte, mitleiderregende Gestalt betrachtete, sah er plötzlich eine liebevolle, wenn auch nicht besonders gescheite Frau vor sich, die das Beste für ihre Tochter gewollt hatte.

Er, Devenham, würde heiraten müssen, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Er wollte Kinder.

Wenn er die Eheschließung akzeptierte, ersparte ihm das die Langeweile einer Saison in London und die Mühe, einer jungen Dame den Hof machen zu müssen. Emily war jung und schön. Sie war eigensinnig und kindisch, aber sie hatte aus einer gewissen Edelmütigkeit heraus gehandelt.

Seine unbeteiligte Stimme unterbrach das Stimmengewirr.

»Ich denke, das Beste ist«, sagte er, »die Hochzeit gelten zu lassen.«

In diesem Moment fiel Emily in Ohnmacht.

Zum Glück fing sie der Graf auf, bevor sie auf den Boden schlug.

Mary Anstey kam mühsam zu sich. Ihr Kopf fühlte sich heiß und schwer an, und ihr Mund war trocken. Irgendwo in ihrem Unterbewußtsein stand drohend eine große schwarze Wolke, die sie mit Angst erfüllte. Sie murmelte schläfrig etwas vor sich hin, vergrub ihr Gesicht in den Kissen und war entschlossen, noch einmal einzuschlafen.

Und dann fiel es ihr ein.

Es war ihr Hochzeitstag!

Sie warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims eifrig vor sich hin tickte.

Nein, das konnte nicht sein. Die Uhr mußte falsch gehen. Ihr Kopf war so heiß. Sie legte eine Hand an die Stirn. Ihre Nachthaube fühlte sich so schwer an. Sie faßte unter das Kinn, um die Bänder aufzumachen, und zog dann die Augenbrauen zusammen. Sie hatte gar keine Nachthaube auf. Was war dann …?

Eine Perücke!

Sie riß sie sich vom Kopf und starrte auf die blonden Locken auf ihrem Bettbezug. In diesem Moment hörte sie geradezu Emilys Stimme diesen lächerlichen Vorschlag flüstern.

Mary zog wütend an der Glockenschnur und wartete dann. Aber niemand kam. Ihr erster Gedanke war – natürlich sind alle Diener auf der Hochzeit.

Ihr zweiter – Emily hat es also getan!

Mary sprang aus dem Bett und zog sich hastig an. Ihre Knie waren weich, und sie hatte schrecklichen Durst.

Dann hörte sie den Klang der Dorfkapelle und rannte zum Fenster, um hinauszuschauen.

Nach ländlichem Brauch bewegte sich der Hochzeitszug von der Kirche zum Haus. Hinter der Kapelle schreitend, führten Graf Devenham und Emily den Zug an. Selbst aus dieser Entfernung konnte Mary erkennen, daß Emily sehr bleich war, auch wenn sie versuchte, über etwas, das der Graf gerade sagte, zu lachen.

Mary sank mit pochenden Kopfschmerzen in einen Sessel. Es hatte den Anschein, als hätte der hochmütige Graf – sie konnte ihn jetzt auch in Gedanken kaum Peregrine nennen – beschlossen, den Streich hinzunehmen. Die Gäste schienen ebenfalls in bester Laune zu sein. Emily konnte doch gar nicht mit dem Grafen verheiratet sein, weil sie ihr Gelübde als Mary Anstey abgelegt hatte.

Der Klang der Kapelle kam näher. Aus dem Imbißzelt auf dem Rasen hörte man das Klirren von Gläsern und Schüsseln.

Mary wunderte sich, wie es hatte passieren können, daß sie verschlief. Sie betrachtete nachdenklich ihre leere Schokoladentasse neben dem Bett. Sie nahm sie und roch daran. Laudanum. Jetzt fiel ihr ein, daß Emily sich über sie gebeugt und sie bedrängt hatte, alles auszutrinken.

Mary hatte das Gefühl, daß Emily ein zu großes Opfer gebracht hatte. Graf Devenham war nicht mehr der schüchterne junge Captain, den sie, Mary, geliebt hatte. Er war ein hart gewordener, mit allen Wassern gewaschener Mann. Emily war kaum mehr als ein Schulmädchen. Das abgesonderte Leben, das die beiden Schwestern geführt hatten, hatte Emily daran gehindert, so reif wie andere Mädchen ihres Alters zu sein.

Es war ihre, Marys, Pflicht, hinunterzugehen und Emily zu helfen, die schwierige Situation zu meistern. Wenn die anderen Gäste nicht wußten, daß die ganze Hochzeit ein Schwindel war, dann würden sie es bald erfahren.

Wenigstens hat Emily nicht das schwerste Opfer gebracht, nämlich den Grafen wirklich geheiratet, dachte Mary. Sie war überzeugt davon, daß Devenham im Moment das Gesicht wahrte, aber sein Stolz und sein Temperament würden nicht zulassen, daß Emily ungeschoren davonkam.

Mary zog ihr schönstes Seidenkleid an und trug ein bißchen Rouge auf ihre bleichen Wangen auf. Sie setzte sich einen hübschen Samthut auf den Kopf und nahm ihr Handtäschchen. Sie straffte ihre Schultern.

Die erste Person, die ihr begegnete, war ihre Mutter, die in großer Eile die Treppe heraufkam.

»Mary!« pustete sie. »So etwas Unglaubliches hat es wohl noch nie gegeben! Ich hätte nicht gedacht, daß du so aufsässig bist. Aber Lord Devenham hat uns versichert, daß er glücklich sei, mit Emily verheiratet zu sein. Der Mann ist kein bißchen nachtragend! So was von Anstand! Er weiß eben, was sich gehört. Ich dachte schon, daß wir gesellschaftlich ruiniert wären.«

»Wir wollen einen Augenblick in den Salon gehen, Mama«, sagte Mary und drängte sie die Treppe hinunter.

»Nun«, sagte Mary, als sie beide saßen, »ich fürchte, die Sache ist ernst. Emily ist nicht verheiratet, denn Mr. Cummings hat angenommen, daß ich die Braut war, und deshalb …«

»Nein, nein und noch mal nein«, protestierte Mrs. Anstey eifrig. »Wir dachten auch erst, daß es so ist. Ich habe der Zeremonie nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt – ich war ja so aufgeregt –, und Mr. Anstey auch nicht. Wir haben es erst erfahren, als in der Sakristei alles herauskam. Aber Mylord, er stellt sich hin und sagt, er ist zufrieden mit Emily. Worauf sie in Ohnmacht gefallen ist …«

»Mama! Es ist ungeheuerlich. Emily darf nicht …«

»Darf nicht was?« wollte Mrs. Anstey ärgerlich wissen. »Jetzt paß einmal gut auf, was ich dir sage, sie möchte den Grafen gern für sich selbst und spielt die opferbereite Märtyrerin. Wie sie dich überreden konnte, kann ich allerdings nicht verstehen.«

»Sie hat mir ein Betäubungsmittel in die Frühstücksschokolade getan.«

»Ah«, seufzte Mrs. Anstey, und es klang einigermaßen erleichtert. »Dann habe ich also doch recht. Ich habe gemerkt, wie ihn Emily beobachtet hat, mußt du wissen. Sie wollte ihn für sich.«

»Laß uns zu ihr gehen«, sagte Mary und preßte ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Sie leidet sicher ganz furchtbar. Sie hat nicht versucht, mich hereinzulegen. Sie hat das Betrugsmanöver vorgeschlagen, aber ich habe mich geweigert, so etwas zu tun, und deshalb hat sie Laudanum in meine Schokolade getan.«

Cousine Bertha machte ihren Platz am oberen Tischende widerstrebend für Mary frei.

Mary schaute Emily an, und Emily lächelte schwach zurück und wandte den Kopf ab. Sie sah wieder so frisch wie sonst aus, und obwohl ihr Verhalten etwas steif und förmlich wirkte, machte sie überhaupt nicht den Eindruck eines Mädchens, das gerade mit einem Mann verheiratet worden ist, den es nicht liebt.

Verwirrt schaute Mary zu Mr. Cummings. Die Glut der Liebe in seinen Augen ließ ihr Herz trotz ihres Kummers höher schlagen. Oh, wenn sich doch nur herausstellen würde, daß Emily wirklich glücklich war.

Erst viel später fand Mary Gelegenheit, mit Emily zu sprechen. Nach dem Hochzeitsfrühstück tanzte man, und jedermann wollte mit der Braut tanzen. Die Feier wurde laut und fröhlich, da sich sogar die hochmütigen Verwandten von Lord Devenham angesichts der verschwenderischen Gastfreundschaft der Ansteys allmählich zwanglos gaben.

Mary fand sich plötzlich einen Moment lang allein mit Mr. Cummings. In gedämpftem Ton erzählte er ihr hastig, was in der Sakristei vorgefallen war. Mary schossen Tränen in die Augen.

»Die Hochzeitsfeier muß abgebrochen werden, Mr. Cummings. Die Eheschließung muß für ungültig erklärt werden.«

»Als der erste Schock vorbei war«, sagte Mr. Cummings bedächtig, »hatte ich den Eindruck, daß Miss Emily recht erfreut war, eine Gräfin zu sein.«

»Emily macht sich überhaupt nichts aus Titeln«, erwiderte Mary. »Kommen Sie mit. Wir wollen versuchen, sie für kurze Zeit von den anderen Gästen loszueisen.«

Das war schwieriger, als es hätte sein müssen. Emily schien ihr auszuweichen.

Sonderbarerweise gab es unter den Gästen kein Gerede darüber, daß es sich plötzlich um eine andere Braut handelte. Die Gäste von der Devenham-Seite hatten die zukünftige Braut von dem Tag an, an dem sie die Einladungen erhalten hatten, sowieso nur als »die Tochter des Ladenschwengels« bezeichnet und gingen davon aus, daß die gewöhnlichen Ansteys den Namen auf den Einladungskarten falsch hatten drucken lassen, »weil dieser Klasse immer solche Irrtümer unterlaufen«.

Die Verwandten und anderen Gäste der Ansteys waren zwar verwirrt, wagten aber nicht, etwas zu sagen, da es sich offensichtlich um eine dieser Gewohnheiten der großen Welt handelte, die so bestürzend und geheimnisvoll war.

Endlich gelang es Mary, Emily etwas zur Seite zu ziehen. Mr. Cummings trat ebenfalls zu ihnen.

»Emily«, sagte sie. »So etwas kannst du nicht machen. Devenham ist bestimmt furchtbar wütend, und es ist nur sein großer Stolz, der ihn veranlaßt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die Hochzeit muß für ungültig erklärt werden.«

Emily machte einen Moment lang den Eindruck, als bewegte sie sich auf ihre geliebte Schwester zu. Einen Sekundenbruchteil lang war sie nahe daran, sich an den Busen ihrer Schwester zu werfen und sie um Hilfe zu bitten.

Aber in diesem Bruchteil einer Sekunde sah sie, wie Mr. Cummings Marys Hand nahm und drückte, und sie sah all die Liebe in ihren Augen, als sie einander flüchtig anschauten. Da verschloß sich ihr Gesicht wieder zu einer vorsichtigen Maske.

»Ach! Was für ein Getue du machst, Mary«, lachte Emily. »Du willst ihn doch nicht, und er ist zufrieden mit mir. Jetzt ist es zu spät, um eifersüchtig zu werden.«

»Miss Emily«, sagte Mr. Cummings, der sich einredete, wenn er Emily nicht mit ihrem rechtmäßigen Titel ansprach, zeige er ihr, daß er die Ehe für nicht gültig hielt, »hören Sie doch bitte einmal zu. Sie sind ein sehr tapferes Mädchen, aber Sie dürfen dieses Opfer nicht bringen.«

»Sie vergessen sich, Mr. Cummings«, sagte Emily mit tonloser Stimme. »Reden Sie mich in Zukunft mit meinem Titel an, wenn Sie mit mir sprechen. Ich werde Gräfin sein – das heißt, ich bin es bereits –, und ich werde eine bessere als Mary abgeben.«

Sie gab ihrer Schwester mit dem langen weißen Fächer einen leichten Klaps auf die Wange. »Wenn du deine Augen je höher als bis zu diesem Dorfgeistlichen erheben willst, dann komm zu mir nach London, meine gute Mary.«

Emily ging wieder zu den anderen und ließ die beiden entrüstet zurück.

»Sie spielt uns etwas vor!« stellte Mary fest, nachdem sie voller Zorn über das unerhörte Benehmen ihrer Schwester nachgedacht hatte.

»Keineswegs«, meinte Mr. Cummings. »Schauen Sie nur.«

Emily hatte sich an den Arm des Grafen gehängt und kokettierte geradezu schamlos mit ihm. Das engsitzende Brautkleid brachte ihre hübsche Figur mit dem üppigen Busen vorteilhaft zur Geltung. Der Graf trug eine höflich belustigte Miene zur Schau. Es war schwer zu erkennen, was er wirklich dachte.

»Vielleicht bedeutet das, daß wir heiraten können«, sagte Mr. Cummings leise.

Mary wandte sich ihm zu und sah in sein offenes, ehrliches Gesicht, sah die Liebe in seinen Augen, und ihr wurde vor Glück ganz schwindlig. Obwohl sie sich immer noch Sorgen um Emily machte, obwohl sie kaum glauben konnte, daß Emily das, was sie gerade gesagt hatte, wirklich meinte, fühlte sich Mary wie in eine rosa Wolke gehüllt, allein mit Mr. Cummings, während die Gäste um sie herum flanierten und redeten und tanzten. Da tauchte auf einmal wie eine schwarze Wolke am Horizont Graf Devenham auf.

»Ich glaube, du schuldest mir wenigstens einen Tanz, Mary«, sagte er.

Mr. Cummings wußte nicht, was er tun sollte. Auf der einen Seite wollte er Mary vor einer peinlichen Situation bewahren, aber er konnte andererseits dem Mann kaum die Möglichkeit streitig machen, um eine Erklärung zu bitten.

Mary erlaubte ihm, sie auf den Tanzboden zu führen. Es handelte sich um einen Countrytanz, der glücklicherweise wenig Chancen zu einer Unterhaltung bot. Aber als der Tanz zu Ende war und sie vor dem nächsten Tanz miteinander auf und ab gingen, begann der Graf in spöttischem Ton: »Nun, du Liebe meines Lebens, hast du es nicht einmal nötig, dich für diese Komödie zu entschuldigen?«

Die arme Mary errötete bis unter die Haarwurzeln. »Ich … habe … ich meine, ich konnte nicht. Oh, es tut mir ja so leid.«

»Du liebst mich nicht.«

»Nicht weniger als du mich«, entgegnete Mary scharf.

»Hast du dir nicht überlegt, daß du es mir sagen könntest?«

»Ich brachte es einfach nicht übers Herz«, sagte Mary. »Ich hatte das Gefühl, es wäre so grausam, und … und … alle die Gäste waren schon eingeladen. Ich hätte das nicht zugelassen …«

»Emily hat mir erzählt, daß sie dich betäubt hat.«

»Du darfst nicht schlecht von ihr denken. Sie hat es getan, um mir zu helfen. Emily ist sehr jung.«

»Ich weiß nicht, ob ihr Kummer nach der Trauung darauf zurückzuführen war, daß sie sich vor der Bestrafung fürchtete, oder ob sie wirklich die Rolle des Opferlamms spielte.«

»Die Ehe muß für ungültig erklärt werden«, flehte Mary. »Es gibt viele andere Frauen, die stolz darauf wären, deine Frau zu sein.«

»Aber du nicht«, sagte er trocken. »Habe ich mich so sehr verändert?«

»Ja, du bist für mich wie ein Fremder.«

»Seltsam«, sinnierte er, »und doch sind die Jahre spurlos an dir vorübergegangen. Du siehst noch genauso aus, du bist noch genauso … außer in einer Hinsicht.« Seine Augen wanderten dahin, wo Mr. Cummings nervös am Rande des Tanzbodens stand.

Mary errötete. »Ich fühle mich so töricht«, sagte sie. »Es ist sonst nicht meine Art, wankelmütig zu sein. Du mußt mir verzeihen und uns allen verzeihen. Emily soll nicht leiden müssen.«

»Viele Frauen«, meinte der Graf mit einer gewissen Schroffheit, »würden die Aussicht, eine reiche Gräfin zu sein, nicht als Leiden betrachten.«

»Aber Emily …«

»Hast du mit deiner Schwester gesprochen?«

»Ja.«

»Und was hat sie gesagt?«

»Daß sie mit dem Arrangement zufrieden sei.«

»Ich glaube es auch«, sagte er. »Es ist eine Vernunftehe, die doch ohnehin viel öfter vorkommt als eine Liebesehe. Vielleicht geht es ja gut.«

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, meinte Mary bekümmert. »Mama und Papa sind so glücklich, daß ihre ehrgeizigen Pläne nicht gescheitert sind. Ich weiß, daß es eine Schande ist, wie oberflächlich sie wirken, aber du mußt mir recht geben, daß sie in dieser Hinsicht ganz normal sind. Der Lauf der Welt ist nun einmal so.«

»Zum Teufel mit der Welt«, platzte Graf Devenham heraus. »Ich halte mich nicht an die Regeln der Welt, die zwischen dem Grosvenor Square und dem St. James’s Square gelten. Wir werden sehen, was bei der Sache herauskommt. Ich bin kein Unmensch. Ich bin schuld daran, daß die Hochzeit trotz allem stattgefunden hat. Deshalb werde ich Emily bis acht Uhr abends, wenn ich in die Flitterwochen aufbreche, Zeit geben, sich zu entscheiden. Wenn sie dann nicht meine Frau sein will, werde ich Schritte einleiten, um die Hochzeit für ungültig erklären zu lassen.«

»Du bist sehr großzügig«, sagte Mary. »Es ist mehr, als wir verdienen.«

»Vielleicht schulde ich dem Gedenken an diesen fürchterlich unbedarften Captain, der so närrisch verliebt war, etwas.« Er führte ihre Hand an seine Lippen.

Emily trat zu ihnen und legte ihre Hand besitzergreifend auf den Arm des Grafen. »Du flirtest, Devenham?« rief sie. »Wo wir doch ganz frisch verheiratet sind! Pfui, schäm dich, Mary.«

»Wir schulden Lord Devenham sehr viel«, sagte Mary mahnend. »Es gibt wenige Männer, die unter solchen Umständen so gütig sind.«

»Pah!« lachte Emily. »Ich bin weder bucklig noch häßlich. Mylord hat kein schlechtes Geschäft gemacht. Komm, Devenham. Wir wollen Walzer tanzen.«

Sie ging am Arm des Grafen weg und warf Mary, die wie angewurzelt stehengeblieben war, über die Schulter einen lachenden Blick zu.

Diese Emily ist mir vollkommen unbekannt, dachte die arme Mary und schüttelte verwirrt den Kopf.

Als es für Emily Zeit wurde, sich zurückzuziehen und ihr Brautkleid gegen ein Reisekostüm auszutauschen, folgte ihr Mary nach oben in ihr Zimmer, in der Hoffnung, daß die alte Emily dort auf sie warte. Aber Emily hatte einen Klüngel weiblicher Gäste um sich versammelt und lachte und schwatzte, als ob sie keinerlei Sorgen auf der Welt hätte.

Sie lehnte lachend Marys Anerbieten ab, ihr ihre Brautausstattung zu schenken. Mama sei so großzügig gewesen, sagte Emily, daß ihre eigenen Kleider jeder Braut zur Ehre gereichten.

In einem Kleid aus weißem, mit zartrosa Ranken gemustertem Sarsenett unter einem bodenlangen Umhang aus feinstem Tuch, nach der neuesten Mode geschnitten, und einem Hut aus schönem braunem Bambusgeflecht mit einem Band aus braunem Satin, verziert mit Chenille- und Samtblumen, die hoch oben auf dem Kopf befestigt waren, kam Emily leichtfüßig die Stufen zu ihrem Ehemann heruntergetrippelt, der schon in seiner Reisekutsche wartete.

Mit einem Fuß auf dem Kutschentritt stehend, drehte sie sich um und warf ihren Brautstrauß in die Menge. Mary fing ihn auf und drückte ihn an den Busen. Dabei waren ihre großen Augen mit der dringenden Bitte auf Emily geheftet, die Sache nicht zu Ende zu führen, wenn sie es nicht wollte.

Einen Augenblick lang erwiderte Emily den ängstlich gespannten Blick ihrer Schwester, und das Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. Sie machte die Andeutung einer Bewegung auf Mary zu. Aber dann zuckte sie die Achseln, winkte mit der Hand und kletterte in die Kutsche.

Der Kutscher ließ die Peitsche knallen. Die Gäste brachen in Hochrufe aus, und der gut gefederte Reisewagen rollte die Auffahrt hinunter. Vor dem Tor wurde er von den Dorfbewohnern mit Hoch- und Hurrarufen begrüßt. Das Kutschenfenster öffnete sich, und der Graf warf eine Handvoll Silber- und Kupfermünzen heraus. Die Leute jubelten von neuem.

Mary stellte fest, daß Mr. Cummings neben ihr stand, und lehnte sich trostsuchend an ihn. Aber sie schaute der Kutsche so lange nach, bis sie nicht mehr zu sehen war.

Liebe ist kein Spiel/Wer von Liebe träumt

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