Читать книгу Liebe ist kein Spiel/Wer von Liebe träumt - Marion Chesney - Страница 8
Zweites Kapitel
ОглавлениеGraf Devenham stand im Salon vor dem Kamin. Er hatte sich seines Mantels, des Hutes und der Handschuhe entledigt.
Er zog sein Monokel aus der Westentasche und hielt es umständlich gegen das Licht, um sich davon zu überzeugen, daß kein Fleck darauf war. Dann hob er es ans Auge und musterte die zarte Gestalt von Emily Anstey.
Emily hielt seinem Blick gelassen stand, bis er das Glas wieder fallen ließ. Er hatte kein Wort gesagt, seit er ihr in der Halle wieder auf die Füße geholfen hatte.
»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte er jetzt in eisigem Ton. »Da der Hut Ihr Haar verbarg, habe ich Sie für Mary gehalten. Sie sind Emily, nehme ich an. Ich erinnere mich gut an Sie. Sie waren immer im Wege.« Sein Blick gab ihr zu verstehen, daß sie sich nicht geändert hatte.
»Sie haben mir keine Zeit zu Erklärungen gegeben«, erwiderte Emily ärgerlich. Sie erinnerte sich an den Kuß und bemühte sich, die Röte, die sie aufsteigen fühlte, zu unterdrücken.
»Sie nehmen meine Entschuldigung also nicht an.«
»Ihre Entschuldigung ist angenommen.« Emily machte einen Knicks vor ihm. »Die Diener haben heute abend frei. Mary und Mutter und Vater sind bei einem Nachbarn zu Besuch. Ich bin früher zurückgekommen, weil ich Kopfschmerzen hatte. Jetzt habe ich keine mehr. Möchten Sie etwas trinken?«
In seinen Augen leuchtete es kurz belustigt auf, als er sich ihre abgehackten Sätze anhörte und die abweisende kleine Lady, die da vor ihm stand, betrachtete. »Ich hätte gern ein Glas Wein«, sagte er in etwas milderem Ton.
»Selbstverständlich.« Emily blieb zögernd in der Türöffnung stehen. »Wir haben Sie erst morgen erwartet, Mylord.«
»Ich brannte darauf, meine zukünftige Braut zu sehen«, sagte er kurz angebunden. Dann lächelte er. »Ich fürchte, Sie haben das ganze Feuer meiner Begrüßung abbekommen. Ich hatte vor, es für Mary aufzubewahren.«
Emily öffnete den Mund, um zu antworten, stellte aber dann fest, daß ihr nichts einfiel, was sie hätte sagen können.
Sie wandte sich um und verließ das Zimmer. Als sie die Tür aufstieß, die in die Gesindestube führte, fand sie die gesamte Dienerschaft um den Tisch versammelt vor.
Parsons, der Butler, stand auf, als sie eintrat, und die übrigen Diener folgten seinem Beispiel.
»Es tut mir so leid, Parsons«, sagte Emily. »Lord Devenham ist bereits heute angekommen und wünscht Wein und … und … vielleicht hat er noch nicht gegessen. Ich wollte Sie nicht bitten. Mama sagte, es sei Ihr freier Abend, deshalb …«
»Ich werde mich sofort um alles kümmern, Miss Emily«, sagte Parsons. »Das Zimmer für Seine Lordschaft ist gerichtet.«
»Aber Sie haben doch heute abend frei …«
»In Malden Grand kann man nirgends hingehen«, sagte Parsons. »Bitte gehen Sie wieder nach oben, Miss Emily. Ich komme in ein paar Minuten nach, um Lord Devenhams Wünsche zu erfüllen.«
Man kann hier wirklich nichts unternehmen, dachte Emily, als sie wieder nach oben eilte. Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Ich hatte mir vorgestellt, daß sie andere Diener besuchen, aber andere Diener scheinen nie einen Abend freizubekommen. Emily stellte überrascht fest, daß ihre Mutter trotz ihrer Fehler eine gütige Herrin war, und dieser Gedanke erwärmte ihr das Herz. Der vornehme und einschüchternde Graf mit seiner reichen Kleidung und seiner überlegenen Eleganz hatte sie die Rückkehr ihrer Eltern voll Bangen erwarten lassen. Deshalb war es tröstlich, an etwas zu denken, das für sie sprach. Der Graf hielt sie bestimmt für grausam, weil sie damals seinen Antrag abgelehnt hatten. Auf der anderen Seite gab es sogar in einem kleinen Ort wie Malden Grand genug Klatsch über Miss X oder Mr. Y, deren Liebesleben auf die gleiche Weise zerstört worden war. Meg, die Bäckerstochter, war in den Knecht Jim Smithers verliebt, aber der Bäcker hielt Jim für weit unter seinem Stand; deshalb durfte sich die Romanze nicht entwickeln. Weil Mr. Anstey hart und lange gearbeitet hatte, um sich sein Vermögen zu erarbeiten, war es gewissermaßen verständlich, daß er das Beste für seine Tochter wollte, wenn es ums Heiraten ging. Mr. Anstey sagte gerne, daß Liebe und Armut nicht miteinander auskommen könnten.
Emily blieb zögernd in der Halle stehen. Sie erinnerte sich undeutlich an den Grafen, als er noch der junge Captain Tracey gewesen war. Nun – den jungen, hitzköpfigen Captain gab es nicht mehr, aus ihm war diese beeindruckende Mischung aus Eleganz und Schneiderkunst geworden. Was um alles in der Welt würde die schüchterne Mary davon halten?
Emily holte tief Luft und betrat den Salon. Von neuem war sie von den strengen und doch schönen und feinen Gesichtszügen des Mannes ihr gegenüber betroffen. Seine grauen Augen waren kalt wie die Nordsee, und der Ansatz seines pechschwarzen Haares lief in der Mitte der Stirn spitz zu. Seine Adlernase beherrschte das Gesicht, seine dünnen schwarzen Augenbrauen waren hochmütig nach oben gezogen. Sein Gesicht war von der Sonne gebräunt, sein Mund hart und streng. Sein Mund … Man konnte sich nicht vorstellen, wenn man diesen harten und unnachgiebigen Mund anschaute, daß er erst vor ganz kurzer Zeit …
Emily errötete. »Die Diener sind da … Ich m-meine, sie sind nicht ausgegangen, und Parsons, das ist unser Butler, wird Ihnen gleich den Wein bringen.«
In diesem Moment trat Parsons mit einem Tablett ein, auf dem sich eine Karaffe Wein und eine Karaffe Brandy befanden. Er stellte es auf einem Tisch am Kamin ab.
Dann hieß er den Grafen äußerst würdevoll in »The Elms« willkommen, und der Graf stieß kalt und geschäftsmäßig seine Anweisungen hervor, die die Unterbringung seiner Diener, die Sorge um sein Gepäck und die Pflege seiner Pferde betrafen.
Parsons blühte unter diesen barschen Anweisungen förmlich auf. Das war genau das Verhalten, das er von einem Angehörigen der höchsten Gesellschaftskreise erwartete, und da er seine Herrschaften gern hatte, wartete der Butler voller Schadenfreude darauf, daß dieser hohe Herr den Landadel der Grafschaft genauso verächtlich behandelte, wie dieser Mr. und Mrs. Anstey behandelt hatte.
Während Parsons unter Verbeugungen hinausging – rückwärts, als ob er sich vor einem Mitglied des Königshauses zurückzöge –, bat ihn Emily: »Ach, schicken Sie doch jemanden zu Sir James hinüber, Parsons, und lassen Sie meinen Eltern ausrichten, daß Mylord angekommen ist.«
Als Parsons gegangen war, nahm Emily vorsichtig auf einer Stuhlkante Platz und betrachtete ihren zukünftigen Schwager schüchtern.
Die Situation war ihr so peinlich, daß sie mit dem ersten Gedanken, der ihr in den Sinn kam, herausplatzte: »Sie sind nicht so, wie ich Sie in Erinnerung habe.«
Er goß sich im Stehen ein Glas Wein ein und sagte über die Schulter zurück: »Trinken Sie ein Glas Wein mit mir?« Dann füllte er ein zweites Glas, ohne ihre Antwort abzuwarten.
»Sie sind auch nicht so, wie ich Sie in Erinnerung habe, Miss Emily«, sagte er, drehte sich um und reichte ihr ein randvolles Glas. »Sie sehen Ihrer Schwester bemerkenswert ähnlich. Deshalb habe ich mich getäuscht. Ich wußte nicht, daß Sie es waren, bis ich die Farbe Ihres Haars sah. Es war schon immer blond.«
»Mary sieht noch genauso aus wie früher«, sagte Emily. Sie nahm einen großen Schluck Wein, verschluckte sich ein bißchen und rieb sich die Nase, in der Hoffnung, nicht niesen zu müssen. »Die Leute halten uns oft für Zwillinge.«
»Ich freue mich, daß die Zeit für Miss Anstey stehengeblieben ist«, sagte der Graf kalt. Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Für mich kann ich nicht dasselbe behaupten.«
»Nein«, sagte Emily unschuldig, »jetzt sehen Sie wie ein Graf aus.«
»Wirklich? Die wenigen Grafen, die ich kenne, sind behäbig und ältlich. Ich wußte gar nicht, daß Grafen ein bestimmtes Aussehen haben.«
»Nun, wissen Sie, My-Mylord …«
»Du kannst mich Peregrine nennen.«
»Vielen Dank. Ich meine, du siehst so abweisend und hochmütig aus«, sagte Emily ernsthaft. »Genau wie eine Figur in dem Buch, das ich gerade gelesen habe.«
»Wie heißt es?«
»›Lord Sapphires Reisen.‹«
»Und ich sehe aus wie dieser Lord Sapphire?«
»Nein, My … Peregrine. Sondern wie der faszinierende Schurke, der Graf von Perrengo, und dieser ist ungeheuer schroff und grausam. Die Heldin, Lady Bianca, weist seine Annäherungsversuche zurück, aber er ist sehr wollüstig, weißt du«, fuhr Emily fort, die so gefesselt von ihrer Geschichte war, daß sie beinahe vergaß, daß Graf Devenham mit ihr im Zimmer war. »Lord Sapphire ist still und edel. Natürlich ist er am Anfang des Buchs noch kein Lord, denn seine böse Amme hat das Kind ihrer Tochter in seine Wiege gelegt und ihn selbst einfachen Holzfällern zur Erziehung übergeben. Er rettet Bianca genau in dem Moment, als der Graf sie zu seiner Burg in den Bergen bringen will.«
»Wirft er sie über den Pferderücken?«
»Ja!« rief Emily entzückt und überrascht aus. »Woher weißt du das?«
»Oh, ich mache das auch immer so.«
»Es war eine ungeheuer spannende Geschichte«, sagte Emily und faltete die Hände im Schoß. »Lord Sapphire war so gut und so edel, und Mary hat gesagt, daß er ein wunderbarer Mann ist, aber ich halte den Schurken für aufregender. Siehst du …«
»In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen derart haarsträubenden Unsinn gehört«, sagte der Graf.
»Wie traurig. Ich nehme an, du gehörst zu den Leuten, die Romane für sündhaft halten und nur erbauliche Bücher lesen.«
»Genau.«
Emily nahm wieder einen Schluck Wein. Wenn Mary nur endlich nach Hause käme.
Nach langem Schweigen machte Emily einen erneuten Vorstoß: »Weißt du was, da du meine Art von Unterhaltung zu anspruchslos findest, wäre es höflich, wenn du ein Thema vorschlagen würdest.«
»Vielleicht«, sagte er verstimmt. Er wandte sich ab und stieß mit seinem Reitstiefel ein Holzscheit ins Feuer. Unglücklicherweise haftete an dem Holz eine Menge heißes Harz; das Harz blieb an seinem Stiefel hängen, und dieser fing Feuer.
»Zieh deinen Stiefel aus! Zieh deinen Stiefel aus!« schrie Emily.
»Ich bin ja schon dabei«, stieß er gereizt hervor. »Nein, nicht …«
Aber es war schon zu spät.
Emily hatte die Branntweinkaraffe ergriffen und über seinen rauchenden Stiefel geschüttet, aus dem sofort blaue und gelbe Flammen schlugen.
»Dummkopf!« brüllte der Graf.
Er rannte aus dem Zimmer, in die Halle hinaus und aus der Haustür – Emily dicht auf seinen Fersen.
»Bitte geh ins Haus zurück, Emily«, sagte der Graf wütend, als er mit dem dampfenden Stiefel in einer Pfütze auf dem Rasen stand. »Es hat wieder angefangen zu regnen.«
»Ich wußte nicht, daß Brandy brennt!« jammerte Emily und rang die Hände. »Ich werde nie wieder trinken. Nie wieder! Denk nur, welchen Schaden er in unserem Inneren anrichtet.«
»Ich glaube wirklich nicht, daß der Schaden in irgendeiner Weise vergleichbar ist«, sagte der Graf und humpelte ins Haus zurück, »es sei denn, du trinkst ein Glas Brandy und schluckst gleich danach ein brennendes Streichholz.«
Er setzte sich in der Halle auf einen Stuhl und untersuchte mißmutig die verkohlten Überreste seines Stiefels. »Ein neues Paar Stiefel, John«, sagte er, ohne die Stimme zu heben.
»Sehr wohl, Mylord«, kam die Antwort vom Treppenabsatz, und Emily fuhr zusammen.
»Mein Bursche«, erklärte der Graf. »Er ist unschätzbar. Immer zur Hand.«
»Es tut mir wirklich leid um deinen Stiefel«, sagte Emily ernsthaft.
Er musterte ihr ausdrucksvolles junges Gesicht voller Interesse. Offensichtlich war ihr gerade ein tiefer, dunkler Gedanke gekommen.
»Vielleicht hat Gott dich gestraft, weil du meine Freude an Romanen so hochmütig abgetan hast«, meinte Emily langsam. »Wer zugrunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut … Wie geht es weiter?«
»Mein liebes Kind, wenn du vorhast, die Hand des Allmächtigen in jedem alltäglichen häuslichen Mißgeschick zu sehen, wirst du im Irrenhaus enden. Du bist doch keine Methodistin, hoffe ich?«
»O nein, My … Peregrine. Wir waren Freikirchler, hat Papa erzählt, aber Mama fand, daß es keine vornehme Religion sei. Ich hätte dir das nicht sagen sollen«, fügte Emily unglücklich hinzu. »Ich fühle im Moment eines schwere Bürde auf mir, mußt du wissen, wo du mich doch geküßt hast, weil du dachtest, ich sei Mary, und kein Mensch ist hier.«
»Du wirst nicht mehr lange allein sein«, erwiderte der Graf. »Ich höre eine Kutsche kommen.«
Sein Diener zog ihm ein neues Paar glänzender Reitstiefel an.
»Es ist wirklich wundervoll, daß dein Fuß nicht Feuer gefangen hat«, sagte Emily und hoffte, ihn in gute Stimmung zu versetzen, damit Mary einen nicht zu großen Schock erlitt.
Aber der Graf hatte sich schon erhoben und ließ die Haustür nicht aus den Augen. Es ging eine ungeheure Anspannung von ihm aus – Stille, Warten. Emily spürte plötzlich ein schmerzliches Gefühl der Eifersucht in sich aufsteigen und fragte sich, ob wohl je ein Mann so auf sie warten würde.
Die Tür öffnete sich; Parsons trat in Erscheinung, um Mäntel und Hüte entgegenzunehmen. Mr. und Mrs. Anstey kamen hereingeeilt und überschlugen sich in unterwürfigen Willkommenskundgebungen und Entschuldigungen.
Der Graf schien sie kaum wahrzunehmen. Er blickte über ihre Köpfe hinweg zu Mary, die noch immer in der Tür stand. Marys Augen hatten bei seinem Anblick voller Herzlichkeit aufgeleuchtet, aber der Glanz wich schnell aus ihnen und machte einem erschreckten Ausdruck Platz. Sie schaute, als müßte sie auf der Hut sein. Da drehte sich der Graf langsam um und schaute Emily an. Zwischen seinen Brauen stand eine kleine Falte.
Wenn er sie nur so küssen würde, wie er mich geküßt hat, dachte Emily. Wenn er nur »Mary« sagen würde mit diesem besonderen heiseren Ton in der Stimme.
Aber der Graf trat auf Mary zu und führte ihre Hand an die Lippen.
»Ich freue mich, dich zu sehen, Mary«, sagte er. »Es ist eine lange Zeit gewesen.«
»Eine sehr lange«, flüsterte Mary.
Mary hob die Augen, und Emily, die sie so gut kannte, las die unausgesprochenen Worte in ihren weit aufgerissenen, erschrockenen Augen: Eine zu lange.