Читать книгу Liebe ist kein Spiel/Wer von Liebe träumt - Marion Chesney - Страница 11

Fünftes Kapitel

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Im Innern der Kutsche herrschte Schweigen, draußen undurchdringliche schwarze Nacht.

»Wohin fahren wir?« fragte Emily schließlich schüchtern.

»Wir sind auf dem Weg nach Maxton Court.«

»Um Freunde zu besuchen?«

»Maxton Court, meine Liebe, ist das Haus meiner Vorfahren, mein neues Heim.«

»Oh.«

»Ja, oh. Hat Mary dir nicht einmal erzählt, wo sie ihre Flitterwochen verbringen wollte?«

»Nein.«

»Nun, jetzt weißt du es.«

»Ist es weit?«

»Zwei Grafschaften entfernt. Wir werden bald an einer Poststation haltmachen, um dort die Nacht zu verbringen.«

Emily schwieg wieder. Die bevorstehende Nacht erschien ihr immer bedrohlicher. Worum handelte es sich eigentlich genau bei diesen geheimnisvollen ehelichen Rechten? Erwartete er von ihr, daß sie ihn mit Küssen überschüttete? Das wäre gar nicht so schlecht, dachte sie und spürte, wie sie von Wärme durchströmt wurde, als sie sich an den ersten Kuß erinnerte.

»Mein Diener ist vorausgeritten, um die Unterkunft für uns vorzubereiten«, sagte er.

Auf einmal dachte Emily sehnsüchtig an ihr eigenes Bett zu Hause – schmal, weiß und jungfräulich. Wie wunderbar wäre es, wenn ein anderes Paar geheiratet hätte und sie jetzt mit den Füßen auf dem Funkenschutz vor dem Kamin sitzen und mit Mary über die Ereignisse des Tages reden könnte. Heimweh erfaßte sie, als sie sich zurücklehnte und die Augen schloß.

»Müde?«

»Ein wenig.« Bei dieser Frage wurde sie plötzlich wieder hellwach. Dieser Gefährte, dieser Ehemann, würde von jetzt ab immer an ihrer Seite sein. Sie beugte sich vor und warf einen verstohlenen Blick auf ihn. Er sah wirklich sehr gut aus, wenn er entspannt war wie im Augenblick. Er konnte nicht viele Möglichkeiten zu Affären gehabt haben. Zwar war er mehrere Male auf Fronturlaub in London gewesen, aber er hatte Mary während dieser Heimataufenthalte nie mehr besucht, da er ja, bevor er Graf wurde, nicht hoffen durfte, von den Ansteys empfangen zu werden.

Er mußte während dieser Urlaube immer noch Captain gewesen sein, und Emily nahm arglos an, daß die Angehörigen der Londoner Gesellschaftskreise ebenso wählerisch wie die Ansteys waren, wenn es um einen Freier für ihre Töchter ging.

Er ist wahrscheinlich genauso unschuldig wie ich! Mit diesem ungemein tröstlichen Gedanken lehnte sich Emily wieder zurück.

Ermutigt durch das freundliche Schweigen ihres Reisegefährten, fragte sie nach einer Weile: »Waren die spanischen Damen sehr hübsch?«

»Manche«, war die Antwort.

»Aber die spanische Gesellschaft ist sehr streng, strenger als wir hier, es ist also nicht möglich, daß du viele … äh … persönliche Beziehungen gehabt hast.«

»Im Gegenteil. Der Krieg beseitigt viele Barrieren des Anstands.« Seine Augen leuchteten im Licht der Kutschenlampe spöttisch auf.

»Oh«, machte Emily und strich eine Falte in ihrem Gewand glatt. »Aber wenn du auf Urlaub in London warst, muß es doch sehr schwierig für dich gewesen sein. Ich meine, die feinen Leute sind so erbarmungslos.«

»Und deshalb mußte ich enthaltsam wie ein Mönch leben? Nicht ganz. Ich war auf den Bällen und Abendgesellschaften der Liebling der Frauen.«

»Du machst dich über mich lustig«, klagte Emily.

»Keineswegs. Du kannst nicht alles haben, mein Schätzchen. Du hast meinen Titel, mein Vermögen, mich. Du kannst nicht auch noch Unberührtheit erwarten.«

»Devenham!« schrie Emily auf. »So darfst du nicht sprechen. Es schickt sich nicht.«

»Ich habe nur nach dem Haken geschnappt, meine Liebe. Du hast geangelt.«

»Ich war nichts weiter als höflich … ich habe Konversation gemacht.«

Emily warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Sein Gesicht war verschlossen, rätselhaft. Ich habe einen Fremden geheiratet, dachte sie. Was in aller Welt wird heute nacht passieren?

Das Gasthaus war komfortabel und gut ausgestattet. Ihr privater Salon war entzückend, und in ihrem Schlafzimmer stand ein großes Himmelbett, das den Raum beherrschte.

Ihre Diener waren in einer anderen Kutsche gereist. Der Graf ging noch einmal weg, um sich zu versichern, daß die Pferde gut untergebracht waren, und Emily nützte seine Abwesenheit, um sich zum Dinner umzuziehen. Félice lief geschäftig hin und her, wärmte eine neue Garnitur Unterwäsche über dem Feuer, heizte die Lockenzange auf dem tragbaren Öfchen auf und machte den Eindruck, als hätte sie keine einzige Sorge auf der Welt.

Félice war glücklich, weil ihr der zweite Lakai versprochen hatte, daß ersieh um einen Posten im Devenhamschen Haushalt bewerben werde, und Félice war entzückt, daß sie zur Zofe der neuen Gräfin ernannt worden war.

Emily hätte dem Mädchen so gerne ihre Befürchtungen geklagt, aber Félice war so gewandt, so tüchtig und so ganz und gar fremd, daß Emily nicht den Mut aufbrachte, etwas zu sagen.

Der Graf betrat das Schlafzimmer, bald nachdem Emily angezogen war, und sagte, er werde gleich nachkommen, sie möge in ihrem privaten Salon kurz auf ihn warten.

Während sie vor dem Kamin im Salon wartete, trank Emily zwei Gläser Wein, um sich innerlich zu stärken. Als er schließlich hereinkam, hatte er seinen Hochzeitsanzug gegen einen strengen schwarzen Überrock mit weißer Halsbinde, schwarzen Kniehosen und gestreiften Strümpfen vertauscht. Der Mode entsprechend schmiegte sich die Hose hauteng um seine muskulösen Beine und enthüllte die Bewegungen jedes einzelnen starken Muskels unter dem Stoff. Der Graf war während des Abendessens charmant, witzig und geistreich. Er war verführerisch. Und je bezaubernder, witziger und verführerischer er wurde, desto ängstlicher wurde Emily. Seine Gegenwart schien alle ihre Sinne in einem einzigen Sturmangriff zu überfallen. Sie fühlte sich von der zunehmend sinnlichen Atmosphäre, die von seinem Körper ausging, überwältigt.

Ermutigt durch den Wein, den sie getrunken hatte, tat Emily ihr Bestes, über seine Geschichten zu lachen und seinen Anspielungen auszuweichen. Aber soviel Wein konnte sie gar nicht trinken, um das allgegenwärtige Bild dieses großen Doppelbettes darin zu ertränken.

Schließlich kam er um den Tisch herum und zog sie hoch. »Geh und mach dich zum Schlafen fertig«, sagte er sanft. »Ich komme gleich nach.«

»Ja, Devenham«, flüsterte sie.

Er legte seine Arme um sie und lächelte, als er spürte, wie ihr Körper zitterte. Da er ihre Furcht irrtümlich für leidenschaftliche Erregung hielt, sagte er heiser: »Geh zu Bett.«

Emily schlich sich aus dem Zimmer. Im Schlafzimmer setzte sie sich auf einen Stuhl und starrte auf das Bett. Félice trat leise ein, und Emily winkte ab: »Ich will mich selbst ausziehen, Félice«, sagte sie. »Komm erst morgen früh wieder zu mir.«

Félice machte einen Knicks und ging.

Ich kann einfach nicht, dachte Emily. Es ist entsetzlich. Eine völlig unbekannte und bedrohliche Welt heißer männlicher Lust bedrohte sie aus dem Hinterhalt.

Wie eine Schlafwandlerin erhob sich Emily, warf sich ihren dicken Umhang um die Schultern, verließ das Zimmer, verließ das Gasthaus und ging einfach davon, hinaus in die Nacht.

Ein dichter, nieselnder Novembernebel hatte sich über das Land gelegt. Sie hatte sich erst ein paar Schritte vom Gasthaus entfernt, als sie sich in feuchte Dunkelheit eingehüllt fand. Von den Bäumen tropfte das Wasser wie Tränen und glitzerte auf ihrem Haar. Die Straße war schlammig, und ihre dünnen Seidenslipper waren bald ruiniert. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie ging. Sie hatte einen Gedanken, nur diesen einen Gedanken – nämlich einen so großen Abstand zwischen sich und das Gasthaus zu legen, wie es nur möglich war.

Sie glaubte, Fußtritte hinter sich zu hören. Der Nebel löste sich ein wenig auf, er wurde dünner, und bei dem schwachen gelben Kerzenlicht, das aus einem Häuschen drang, welches am Straßenrand allmählich Gestalt annahm, sah sie eine schmale Straße abzweigen. In diese bog sie ein und beschleunigte ihre Schritte.

Der Nebel verdichtete sich wieder. Zeitweise konnte sie nicht einmal die Begrenzung der Straße, die zunehmend unwegsamer wurde, erkennen, und einmal wäre sie beinahe in den Straßengraben gerutscht.

Von den Bäumen tropfte und platschte traurig das Wasser und gluckste im Graben.

Aus den Büschen kam plötzlich ein Hund herausgesprungen und rannte zähnefletschend auf sie zu, nach ihren Knöcheln schnappend. Er bekam den Saum ihres Umhangs zu fassen und zerrte knurrend an dem Stoff.

Sie riß ihren Umhang los und rannte Hals über Kopf die Straße hinunter, bis sie Atem holen mußte und schmerzende Seitenstiche hatte.

Als sie es endlich wagte, langsamer zu gehen, merkte sie, daß die Straße nach und nach in einen Wiesenpfad übergegangen war. Sie kam zu einem Tor mit fünf Riegeln, auf dessen beiden Seiten eine dichte Dornenhecke verlief. Erschöpft und unfähig, auch nur noch einen Schritt zu gehen, sank sie auf einem nassen Grasbüschel nieder und kuschelte sich in ihren Umhang hinein. Trotzdem spürte sie schon nach wenigen Augenblicken die eisige Kälte und begann jämmerlich zu frieren.

Emily raffte sich wieder auf und fragte sich, was sie jetzt tun sollte. Sie wollte nicht wieder zurückgehen, aus Angst, dem Hund oder, noch schlimmer, ihrem Mann zu begegnen. Steif vor Kälte und unter Schmerzen setzte sie ihren wunden Fuß auf die erste Querleiste des Tors und machte sich daran, darüber zu klettern.

Als Graf Devenham das Schlafzimmer betrat und es leer vorfand, war sein erster Gedanke, daß seine Braut das Häuschen hinter dem Gasthaus aufgesucht habe, weil sie zu schamvoll war, den Nachttopf zu benutzen.

Nachdem er eine Viertelstunde gewartet hatte, machte er sich auf die Suche nach ihr, und weil er sie nirgends im Gasthaus fand, kam er zu der logischen Schlußfolgerung, daß sie weggerannt war.

Ihm schwindelte unter diesem neuen Schlag. Sie hatte ihn beim Souper, als das Kerzenlicht ihr Haar vergoldete, durch ihre Schönheit so verzaubert, daß er sich eingeredet hatte, sie habe ihrer Schwester nicht ungern den Gefallen getan, ihn zu heiraten. Ihr Verhalten während der Hochzeitsfeier war durchaus dazu angetan, diese Vorstellung zu stützen. Und da er nicht an übermäßigem Selbsthaß litt, konnte man ihn kaum für die Überlegung tadeln, daß er eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen ausübte. Er war schwerlich die Art von Mann, die ein junges Mädchen dazu treiben würde, sich zu opfern, weil der Gedanke, daß ihre Schwester ihn heiraten müßte, so widerwärtig war.

Zwar besaß er seinen Titel und sein Vermögen erst seit kurzer Zeit, aber er hatte schon gemerkt, welch magische Verwandlungskraft von Geld und Titel ausgeht.

Doch auch vorher hatte er, abgesehen von der schroffen Zurückweisung der Ansteys vor zehn Jahren, keine wirklich großen Demütigungen erleiden müssen. Er wurde von seinen Soldaten verehrt. Er galt als Liebling der Frauen, und der Herzog von Wellington hatte ihn als besten Tänzer in der Armee bezeichnet – ein wahrhaft großes Lob, denn der Eiserne Herzog schätzte es sehr, wenn seine Offiziere gut tanzen konnten. Er hatte sich zwischenzeitlich der Gunst einer Mätresse erfreut. Mrs. Cordelia Haddington war entzückt gewesen, ihn, wenn er auf Urlaub in London war, in ihrem Schlafzimmer und in ihren erfahrenen Armen willkommen zu heißen.

Diese Überlegungen änderten jedoch nichts daran, daß das Bett leer war. Emily war weg, ihr Nachthemd und ihre Nachthaube lagen unberührt auf dem Bett.

Als er diese demütigende Tatsache erfaßt hatte, war sein erster Wunsch, geradewegs zu Bett zu gehen und die ganze Sache zu vergessen. Sein zweiter Wunsch war, das Gasthaus und die ganze Gegend aufzurütteln und Männer und Hunde zu mobilisieren, die ihm bei der Suche helfen sollten.

Sein dritter Wunsch war zu versuchen, sie selbst zu finden. Er ging nach unten, weckte den Wirt und bat ihn, ihm eine Laterne zu leihen – es sei ihm etwas Wertvolles aus der Kutsche gefallen und er wolle jetzt zu Fuß danach suchen.

Er lehnte das Angebot des Wirts ab, der ihm seine Diener zur Verfügung stellen wollte. Der Wirt, das wußte er, schob die Weigerung Seiner Lordschaft auf die exzentrische Art der feinen Leute. Und der Graf hatte das Gefühl, daß er das ertragen konnte. Was er nicht ertragen konnte – es sei denn, es war unvermeidlich –, waren der Skandal und das Gelächter, wenn bekannt wurde, daß seine junge Braut in der Hochzeitsnacht lieber auf und davon gerannt war, als seine Liebesbezeigungen zu erdulden.

Das harte, wenn auch schöne Gesicht des Grafen war bis zu dieser Nacht nicht sein wahres Gesicht gewesen. Auch wenn er selbstherrlich auftrat und nach außen die gesellschaftlichen Formen wahrte, war er im Grunde noch jener heißblütige Captain, der vor zehn Jahren um die Hand der schönen Mary angehalten hatte. Aber Emilys Flucht hatte ihn so sehr verletzt, daß er glaubte, nie mehr auch nur einen Funken von Liebe und Zuneigung in sich zu spüren. Das einzige Feuer, das in ihm brannte, als er sich in den Nebel aufmachte, war das Feuer des Zorns.

Sobald er in sicherer Entfernung vom Gasthaus war, suchte er die schlammige Straße ab, bis er fand, wonach er suchte, nämlich die Spuren zweier kleiner Füße in Slippern.

Er folgte ihnen vorsichtig und geduldig, wobei er sich zwang, langsam zu gehen, damit er die Spur nicht verlor. Er verfluchte den feuchtkalten, dichten Nebel.

An der Straßenkreuzung hätte er beinahe die Spuren verloren, aber schließlich nahm er die Verfolgung wieder auf. Ein wenig weiter die Straße hinunter unternahm der Hund, der Emily erschreckt hatte, einen Angriff auf seine Stiefel.

Der Graf stand bewegungslos da. »Scher dich weg, du elender Köter«, sagte er ruhig, »sonst tret’ ich dich tot.«

Der Hund entblößte unterwürfig seine gelben Zähne und trollte sich in die Büsche davon.

Beim Schein der Laterne sah der Graf, daß die Tritte im Schlamm an der Fußspitze tief eingedrückt waren. Der Hund mußte Emily Angst eingejagt haben, und sie hatte begonnen zu laufen.

Gut, dachte er schadenfroh. Geschieht ihr recht!

Er ging weiter bedächtig die Straße entlang und folgte den umherirrenden Fußspuren, die manchmal von einer Straßenseite auf die andere liefen.

Dann kam er ebenfalls zu dem Tor mit den fünf Riegeln. Wieder hielt er die Laterne hoch und merkte, als er mit einem Ausruf des Unwillens das Licht über das Tor fallen ließ, daß die Fußtritte über den Acker auf der anderen Seite weiterliefen.

Er schwang sich leichtfüßig über das Tor. Als er den Acker halb überquert hatte, traf er auf einen von Emilys Slippern. Er hob ihn auf. Es handelte sich um ein jämmerliches, zerfetztes, schmutziges Bündel, und auf der Seide war eine schwache Blutspur zu erkennen.

»Sie muß wahnsinnig geworden sein«, murmelte er und war vollkommen unfähig zu verstehen, warum er jemandem einen solch verrückten Schrecken eingejagt hatte.

Am anderen Ende des Feldes führten trockene Graspfade in einen Nadelwald. Er suchte einen Weg nach dem anderen nach einem Hinweis ab, welche Richtung sie eingeschlagen hatte. Rufen wollte er nicht, aus Angst, sie könnte sich verstecken. Da seine Stiefel auf dem mit Tannennadeln bedeckten Boden kein Geräusch verursachten, suchte er weiter und merkte dabei, daß der Nebel gewichen war und schwaches silbriges Mondlicht den Wald zu durchdringen begann.

Er fand sie in einer kleinen Lichtung.

Ganz still blieb er am Rand stehen und dachte, daß sie wie eine Märchenprinzessin aussah.

Sie lag im Gras und hatte einen Arm von sich gestreckt. Das Mondlicht beschien die aufsteigenden Nebelschleier, und ihre Haare, die ihr ins Gesicht fielen, hatten sich in Silbersträhnen verwandelt. Dann fiel ihm auf, daß das struppige Gras wie Pyrit im Mondlicht schimmerte.

Frost.

Erstarrt und ohne eine Regung zu spüren, fragte er sich, ob sie tot sei.

Der Graf ging mit großen Schritten über die Lichtung und kniete neben Emily nieder. Sie schlief vor Erschöpfung ganz fest. Ein Gefühl des Mitleids rührte ihn, aber gleich darauf kam ihm der Gedanke, wenn sie sich ein schweres Fieber zugezogen hatte, könnte sie sterben, und ich wäre frei.

Doch verwarf er diesen unwürdigen Gedanken rasch wieder.

Er bückte sich und hob sie hoch. Sie öffnete die Augen und stöhnte vor Schrecken leise auf.

»Ich bin es«, sagte er grimmig. »Devenham.«

Emily wehrte sich kraftlos in seinen Armen, aber er achtete nicht darauf. Er schritt den Weg zurück, den er gekommen war. Die Laterne baumelte ihm am Handgelenk, während er Emily wie ein Kind auf beiden Armen trug. Er brauchte keine Laterne mehr, um den Weg zu beleuchten. Der Nebel hatte sich gelichtet, und außerdem hatte er das Gefühl, daß er jeden Zoll des morastigen Weges auswendig kannte.

Emily war wieder eingeschlafen. Erneut empfand er Mitleid mit ihr, kämpfte es aber nieder. Sein einziges Ziel bestand darin, sie in das Gasthaus zu bringen, ohne dabei beobachtet zu werden. Emily wurde grob wachgerüttelt. Sie standen vor dem Torbogen, der in den Hof des Gasthauses führte.

»Bleib da stehen«, sagte der Graf, »bis ich dich hole. Wenn du noch einmal wegläufst, finde ich dich und verprügele dich. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Emily nickte; ihre Augen waren vor Furcht ganz groß.

»Gut!«

Mit raschen Schritten ging er in den Hof. Emily lehnte den Kopf an die rauhe Steinmauer. Ihr Körper fühlte sich seltsam leicht an, und die Geräusche vom Gasthaus schienen aus weiter Entfernung an ihr Ohf zu dringen.

Der Graf kam zurück. In der Hand hielt er einen Sack aus grobem Leinen.

»Klettere hinein«, befahl er.

»Warum?« fragte Emily in plötzlichem Erschrecken. »Ich weiß es! Du willst mich in den Fluß werfen.«

»So gerne ich es täte«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, »so wenig ist es mir möglich. Um einen Skandal zu vermeiden, habe ich dem Wirt erzählt, daß ich etwas suche, das wir unterwegs verloren haben. Das Etwas bist du. Steig auf der Stelle in den Sack und sag kein Wort mehr, bis wir oben sind.«

Sein Blick war streng und drohend, und Emily fühlte sich ohnehin zu schwach, um noch weiter Widerstand zu leisten.

Sie stieg in den Sack. Er verschnürte ihn und warf ihn sich über die Schulter. Emily bekam kaum Luft. In dem Sack war Getreide gewesen, und die trockene Spreu stieg ihr mit jedem Atemzug in die Nase.

Sie schlug an seinen Rücken, als er über den Hof schritt.

»Guten Abend, Mylord«, hörte sie den Wirt sagen. »Sie haben also gefunden, was Sie gesucht haben?«

»Ja, vielen Dank«, antwortete die Stimme des Grafen. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«

»Nein, Mylord. Die Postkutsche muß jeden Moment kommen. Die Nacht hat es für mich keinen Schlaf gegeben. Erlauben Sie mir, den Sack zu tragen.«

»Nein, nein. Ich komme sehr gut damit zurecht.«

»Ein Glück, daß es noch da war, Mylord. Ich darf Sie daran erinnern …«

Der Graf knallte den Sack auf den Boden. Emily merkte plötzlich, daß sie niesen mußte. Der Wirt redete irgendwo über ihrem Kopf ohne Unterlaß weiter. Emily versuchte, ihre Gedanken vom Niesen abzulenken; sie versuchte sich die Nase zuzuhalten. Es hatte keinen Sinn. Sie mußte niesen. Ah … Ah … Ah … uuuf! Der Graf trat gegen den Sack, und sein Fuß traf sie am Kopf, wodurch das Niesen im Keim erstickt wurde. Der Tritt war eigentlich nur ein leichter Stoß gewesen, aber Emily begann zu fürchten, daß der Graf wirklich vorhaben könnte, sie zu töten. Wenn man seine Frau in einen Sack sperrte und sie dann auf den Kopf schlug, so bedeutete das, daß die Gefühle, die man dieser Frau gegenüber hegte, nicht die zärtlichsten waren.

Endlich merkte sie, daß sie wieder aufgehoben wurde.

»Schaut komisch aus, was Sie da haben, wie ein totes Schwein, Mylord«, meinte der Wirt.

»Sie sind sehr scharfsinnig«, hörte sie den Grafen antworten. »Genau das ist es. Ich gehe nie in die Flitterwochen ohne ein totes Schwein.«

»Äh? Ah, Mylord. Ich hätte Sie beinahe ernst genommen. Das ist ein guter Witz. Ich muß ihn meiner Frau erzählen. Ich gehe nie in die Flitterwochen ohne ein totes Schwein!«

Sein Lachen folgte ihnen die Stufen hinauf. Der Graf öffnete die Schlafzimmertür und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er öffnete den Sack und befreite Emily, indem er den Sack am Boden entlang schleifte, bis er ihn von ihr abgestreift hatte.

»Wir werden uns morgen früh über die Angelegenheit unterhalten, mein angetrautes Eheweib«, sagte er. »Jetzt gehen wir ins Bett. Du brauchst nicht so bekümmert dreinzuschauen. Ich habe nicht die Absicht, dich anzurühren.«

Emily sank der Mut vor der offensichtlichen Verachtung in seinen Augen. Sie nahm ihr Nachthemd und ihre Haube und ging auf die Tür zum Salon zu, um sich dort umzuziehen.

Er packte sie an den Haaren und riß sie herum. »O nein, das nicht«, knurrte er. »Bleib stehen und rühr dich nicht!«

Er nahm ihr den Umhang von den Schultern und warf ihn auf einen Stuhl. Dann drehte er sie um und knüpfte flink die Bänder auf dem Rücken ihres Kleides und an der Taille auf. Er zog ihr das Gummikorsett aus und klatschte es verächtlich zu Boden. Sie hielt krampfhaft ihr Unterkleid fest, aber er sagte kalt: »Es wird dir entweder über den Kopf gezogen oder vom Körper gerissen. Du hast die Wahl.«

Sie war auf einmal zu müde und zu starr vor Kälte, um sich zu schämen. So streckte sie die Arme ergeben nach oben. Er knüllte das Unterkleid zusammen und zog ihr dann das Nachthemd über den Kopf.

»Setz dich vors Feuer.«

Emily setzte sich, während er Kohle auf das Feuer schaufelte. Dann brachte er ein Waschbecken und eine Wasserkanne herbei, zog ihr die zerrissenen Strümpfe aus und wusch ihr die Füße. Dabei ging er geschickt und teilnahmslos zu Werke.

Dann hob er sie hoch, trug sie ins Bett und deckte sie warm zu. Als er begann, sich selbst auszukleiden, drehte sie sich weg und vergrub ihr plötzlich heiß gewordenes Gesicht in ihrem Kopfkissen. Die Angst vor dem, was er ihr antun würde, würde sie – dessen war sie sich sicher – wach halten. Aber die Augen fielen ihr zu, und eine angenehme Dunkelheit verschlang sie.

Der Graf kletterte ins Bett und zog die Bettvorhänge zu. Er lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, da und starrte zum Betthimmel hinauf, der von den lodernden Flammen des Kaminfeuers rot leuchtete.

Morgen würde er entscheiden, was er mit ihr tat. Sie bewegte sich im Schlaf, murmelte etwas und rollte dann herüber, bis sie mit dem ganzen Körper eng an ihn geschmiegt dalag. Sie duftete leicht nach Seife und Rosenwasser und Tannennadeln.

Als er sie grob wegstieß, wachte sie nicht auf.

Was tut man am ersten Tag der Ehe, wenn diese Ehe nicht vollzogen worden ist? Emily erwachte in der vertrauten Umgebung des Schlafzimmers. Einen seligen Augenblick lang dachte sie, sie sei zu Hause. Dann brachte sie ein leiser Seufzer neben ihr mit einem dumpfen Schlag in die Realität zurück. Ohne ihren Mann auch nur anzuschauen, krabbelte sie hastig aus dem Bett und zog die Vorhänge dicht um das Bett, falls er aufwachen und ihr beim Ankleiden zuschauen sollte. Sie wusch sich oberflächlich und hastete in ihre Kleider. Ihr erster Gedanke war, einen Spaziergang zu machen, damit sie der peinlichen Gegenüberstellung entging, wenn er aufwachte. Aber ihr zweiter, vernünftigerer Gedanke war, daß seine Wut keine Grenzen kennen würde, wenn er feststellte, daß sie schon wieder weg war. Sie beendete ihre Toilette und wünschte, da er immer noch fest schlief, sie hätte sich mehr Zeit dafür genommen. Ihr Magen protestierte leise knurrend. Unten grillte jemand Nierchen und briet Frühstücksspeck aus. Es war eine Marter, hier zu sitzen und darauf zu warten, daß er aufwachte. Sollte sie in den Salon gehen und Frühstück bestellen? Oder sollte sie nach der Bedienung klingeln?

Auf den Festen im Dorf sprechen sie unentwegt über die beneidenswerten Freiheiten der verheirateten Frauen, dachte Emily. Hier zu sitzen und nicht zu wagen, sich zu rühren, bis der Herr und Meister geruhte aufzuwachen, konnte man kaum Freiheit nennen. Sie schaute sehnsüchtig auf den Klingelzug an der Wand. Ein Zug daran, und an der Küchenwand unten würde es klingeln; ein freundlicher Diener würde kommen, und auf diese Weise würde er aufwachen, und sie wäre nicht allein mit ihm.

Allmählich wurde Emily auf sich selbst wütend, weil sie so ängstlich war. Eine verheiratete Lady würde wahrscheinlich ihre Zofe rufen und den Morgen wie sonst auch beginnen. Aber nicht am ersten Morgen ihrer Flitterwochen, sagte eine verräterische Stimme in Emilys Kopf. Die offensichtliche Lösung des anstehenden Problems war also, ihn zu wecken. Vielleicht war er ja schon wach, lag hinter diesen Bettvorhängen, starrte zum Betthimmel hinauf und arbeitete Rachepläne aus.

Emily hüstelte schüchtern.

Schweigen.

Sie hustete noch einmal. Diesmal lauter.

Schweigen.

Die Bettvorhänge bewegten sich nicht.

»Devenham!« rief sie gedämpft.

Dann lauter. »Devenham!«

Emily sank auf einen Stuhl beim Fenster.

Vielleicht war er tot. Das wäre natürlich sehr traurig, aber sie wäre frei. Und dennoch wäre sie die Gräfin von Devenham, ohne irgendwelche Verpflichtungen zu haben. Sie würde den Arzt rufen. Man würde von ihr erwarten, daß sie weinte. Nun, das würde nicht so furchtbar schwierig sein, wenn sie sich nur jenen Kuß ins Gedächtnis rief. Und sie würde dafür sorgen, daß er ein glanzvolles Begräbnis bekam. Vielleicht würde er in der Westminsterabtei begraben werden. Schwarze Pferde mit schwarzen Federn würden die Kutsche ziehen, um seinem hohen Rang gerecht zu werden. Sie würde sich um alles kümmern müssen. Aber man würde von ihr erwarten, daß sie allein zu seinem Familiensitz reiste und sich alle Diener vorstellen ließ. Vielleicht würden sie ihr die Schuld an seinem Tod geben. Vielleicht würde sie vor Gericht gestellt und in Tyburn eingesperrt werden! Ach nein, das Schafott in Tyburn gab es ja nicht mehr, jetzt wurden die Leute vor dem Gefängnis in Newgate gehängt. Aber sie war eine Angehörige des Hochadels, deshalb wurde sie vielleicht im Tower hingerichtet. Die Tore des Towers klirrten, als sie vom Fluß die feuchten Stufen hinaufgeführt wurde.

Dort war der Richtklotz des Henkers und der Henker selbst in seiner schwarzen Maske. Mary stand auch da und weinte verzweifelt. »Sie hat sich für mich geopfert«, jammerte Mary. Der Prinzregent war persönlich gekommen, um Zeuge dieser aufregenden Hinrichtung zu sein. »Halt!« rief er. »Ich kann es nicht ertragen, eine so schöne Frau unter der Axt des Henkers sterben zu sehen.«

»Eure Hoheit«, sagte Emily. »Ich habe ihn zwar nicht ermordet, aber ich kann es nicht ertragen, ohne ihn zu leben. Bitte befehlen Sie, daß die Hinrichtung ihren Lauf nimmt.«

Ja, es war wirklich schrecklich rührend. Über Emilys Gesicht liefen die Tränen, als sie da am Fenster saß.

»Du hast es dir doch selbst eingebrockt, du dummes Gänschen«, sagte eine schläfrige Stimme neben ihr.

»Devenham!« schrie Emily auf. Sie war so versunken in ihren Traum gewesen, daß sie zu Tode erschrak, als sie den Mann, den sie gerade erst beerdigt hatte, nur mit einem Nachthemd bekleidet neben sich stehen sah.

»Wen in aller Welt hast du denn erwartet?« fragte ihr Ehemann ärgerlich. »So wie du dich benimmst, meine Liebe, ist es kein Wunder, wenn ich mich frage, ob du im Oberstübchen ganz richtig bist.«

Er trat an den Toilettentisch und machte sich daran, das Nachthemd über den Kopf zu ziehen.

»Devenham!«

»Was ist denn jetzt schon wieder los? Hast du vor, da zu sitzen und den ganzen Morgen ›Devenham‹ zu schreien?«

»Du ziehst dein Nachtgewand aus!«

»Du wirst eine Menge über mich lernen müssen, was dir aufregend und fremdartig erscheinen mag«, sagte er mit beißendem Spott. »Normalerweise trage ich mein Nachthemd tagsüber nicht unter meiner Kleidung. Seltsam, nicht wahr?«

Er zerrte sich das Nachthemd über den Kopf. Emily wagte einen entsetzten Blick auf seinen muskulösen Rücken und verbarg ihr heißes Gesicht dann in den Händen. Sie hörte es platschen und spritzen, dann ging er offenbar quer durchs Zimmer, nachdem er energisch an der Klingelschnur gezogen hatte. Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür, und Emily ließ die Hände sinken, als sie den Grafen sagen hörte: »Sie können mich jetzt rasieren.«

Während sich der Diener an die Arbeit machte, raffte Emily all ihren Mut zusammen und klingelte nach Félice. Sie begann sich zu entspannen, als die französische Zofe ihrer Mißbilligung über die Haare ihrer Herrin Ausdruck gab und sie in Ordnung brachte. Als ihre Haare schließlich sorgfältig in Locken gelegt und frisiert und Gesicht und Arme mit warmem Wasser und Eau de Cologne erfrischt waren, hatte Emily das Gefühl, daß dieser Tag vielleicht doch nicht so schlecht verlaufen würde, wie sie erwartet hatte.

Mylord und Mylady wurden darüber informiert, daß sie das Frühstück in ihrem privaten Salon erwartete. Emily wußte nicht, ob sie froh oder traurig sein sollte, weil es nicht viel Gelegenheit gab, sich zu unterhalten, denn der Graf vergrub seine Nase in der Morgenzeitung.

Schließlich ließ er die Zeitung sinken. »Was wollen wir heute machen, Devenham?« fragte Emily freundlich.

Er leerte seinen Bierkrug und schaute sie nachdenklich an. Sie sah sehr schön aus, wenn auch ein bißchen blaß. Ihr Kleid aus blauem Seidensamt unterstrich ihre blonde Schönheit und die Reinheit ihrer Haut. Der Graf seufzte. Als er seine Flitterwochen plante, hatte er vorgehabt, den ersten Tag hauptsächlich im Bett zu verbringen und am darauffolgenden Tag zu seinem Landsitz zu reisen. Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, Mylady. In Market Warborough, welches die nächste Station unserer Reise ist, ist Markttag. Vielleicht könnte ich hinfahren und schauen, ob es etwas Interessantes an Pferden gibt. Du kannst mitkommen, wenn du willst.«

Das Wetter paßte gut zu Emilys Stimmung – es war kalt und grau, und die kahlen Zweige raschelten im eisigen Wind. Sie fuhren schweigend nach Market Warborough und hielten schließlich an einem Gasthof mitten in der Stadt. Überall herrschte Betriebsamkeit – Bauern und ihre Frauen, Pferdehändler, Schäfer und Marktfrauen drängten sich durch die schmalen, gepflasterten Straßen im Schatten der Tudorgebäude. Was für lange und geheimnisvolle Gespräche die Herren über Pferde führten! Emily stand geduldig daneben, während ihre Zehen vor Kälte zu schmerzen begannen und ihre Nase erst dunkelrot und dann blau anlief. Schließlich wurde es dem Grafen bewußt, wie geduldig sie wartete.

»Geh zurück zum Gasthaus«, forderte er sie auf, »ich komme gleich nach.«

Emily machte sich auf den Weg und blieb dann hilflos im Vorraum des Gasthauses stehen. Alles schien sehr fröhlich, sehr laut und sehr betrunken zu sein, und es war keine andere Lady zu sehen. Ein Geck schaute aus der offenen Tür zur Schenke und rief: »Eine Venus befindet sich in unserer Mitte, Kameraden. Eine echte Venus!«

In kurzer Zeit war Emily von bierseligen, grinsenden Gesichtern umringt. Die Eleganz ihrer Kleidung hinderte ihre Bewunderer daran, ihr allzu nahe zu treten, aber andererseits hatte sie weder ein Mädchen noch einen Ehegatten an ihrer Seite. So drängte sich der Haufen immer dichter an sie heran, und die Scherze wurden immer anzüglicher.

»Sie sind allesamt abscheulich und betrunken«, sagte Emily, die vor Wut nicht mehr an sich halten konnte. »Wenn Sie Gentlemen wären, wären Sie trinkfester … Sie können es ja nicht einmal mit einer Lady aufnehmen. Ich wette, ich könnte jeden von Ihnen unter den Tisch trinken!«

Zu ihrem Entsetzen wurden ihre Worte als Herausforderung aufgefaßt; man schob sie in die Schenke, und sie bekam ein Glas Wein in die Hand gedrückt. Voller Angst blickte sie um sich und betete, Devenham möge zu ihrer Rettung kommen. Wie konnte er sie nur so allein lassen?

Graf Devenham hatte gerade einen wunderbaren Braunen gekauft und erteilte Anweisungen, das Pferd an seinen Familiensitz zu liefern, als ihm eine stämmige Bauersfrau mit ihrem Schirm auf die Schulter klopfte. »Sir«, sagte sie. »Haben Sie vielleicht etwas mit der hübschen jungen Miss mit den gelben Haaren zu tun? Ist sie vielleicht die Tochter von Euer Ehren?«

»Meine Frau«, schnauzte der Graf sie an. »Was ist mit ihr?«

»Ein paar Trunkenbolde haben sie in die Schenke gezerrt, und die arme kleine Lady trinkt fürchterliche Sachen. Mein Bill sagt, er kann es nicht mehr mit ansehen, und er hat mich direkt zu Ihnen geschickt …«

Aber sie hatte schon kein Gegenüber mehr, denn der Graf war bereits unterwegs zum Gasthaus.

Emily war in einem euphorischen Zustand. Was für lustige, wunderbare Gentlemen das doch waren! Und wie kindisch, daß sie sich vor ihnen gefürchtet hatte. Sie goß ein weiteres Glas Burgunder in sich hinein und lächelte benommen, als ihr brüllender Applaus dafür zuteil wurde.

Dann zwinkerte sie mit den Augen. Wohin waren alle diese fröhlichen Gentlemen gegangen? Gerade war sie noch von ihren jubelnden Bewunderern umringt gewesen, und jetzt waren sie verschwunden. Sie schwankte und hielt sich an einer Stuhllehne fest.

»Sie sind nicht in dem Zustand, meine Fragen jetzt gleich zu beantworten, Madam«, zischte der Graf zwischen den Zähnen hervor. »Kommen Sie!«

Emily ließ die Stuhllehne los, machte einen Schritt auf ihn zu und brach zusammen.

Er hob sie auf, und sie lächelte ihm schwindlig zu und lehnte den Kopf an seine Schulter.

»Wir werden morgen früh nach Maxton Court, meinem Landsitz, aufbrechen«, sagte er, »aber heute abend werden Sie lernen, sich wie eine verheiratete Frau zu benehmen, Madam.«

Auf der Fahrt zurück kam Emily immer wieder einmal zum Bewußtsein, bevor sie vor Trunkenheit endgültig einschlief.

Undeutlich merkte sie, wie er sie nach oben trug.

Sie bemühte sich, wach zu werden, als sie fühlte, wie sich seine Finger an ihren Schleifen zu schaffen machten. Die kalte Luft, die ihren Körper hinabstrich, brachte ihr zum Bewußtsein, daß sie nackt war. Vor Angst versuchte sie zu schreien, aber es kam nur ein murmelnder Protest heraus.

Der Graf streifte sich ebenfalls die Kleider vom Leib und legte sich dann neben seine Frau.

Er nahm sie in die Arme.

»Jetzt, Madam«, sagte er.

Schnarch …

Emily schlief schon fest.

Er stieß sie weg, kletterte noch einmal aus dem Bett, zog sie auf ihre Seite und deckte sie zu. Dann legte er sich wieder neben sie und starrte zum Betthimmel hinauf, während Emily sanft neben ihm schnarchte.

»Ich habe nicht nur die falsche Schwester geheiratet«, murmelte er, »sondern obendrein eine Säuferin!«

Liebe ist kein Spiel/Wer von Liebe träumt

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