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Kapitel 3

Fino

Mit jedem Sonnenlauf wächst unser Lager zu etwas heran, das nach Bleiben aussieht. Jeder scheint zu wissen, was zu tun ist, ohne, dass Elin oder ich Anweisungen geben müssen. Nach und nach entspanne ich, dankbar um die schlichte Arbeit mit den Händen. Ich helfe, die provisorischen Zelte am See, in die sich die Seherinnen zurückziehen und um Asya kümmern, zu verstärken.

»Noch ein, zwei Schläge, dann müsste der Ast tief genug stecken«, sage ich zu Nasren, die zwei weitere Äste hält, über die wir ein Tuch spannen werden.

Plötzlich sehe ich den Jüngsten von Ferro auf uns zueilen. Er fliegt förmlich auf seinen kurzen Beinchen den Hang hinab.

»Du musst kommen, Fino, schnell!« Er ist ganz außer Atem. »Oben am Felsen streiten sich Gundo und Telman. Papa meint, die beiden schlagen sich gleich die Köpfe ein!«

Überrascht bücke ich mich zu dem Jungen. »Warum? Was ist da los?«

»Ich weiß es nicht, ich soll dich holen.«

Besorgt sehe ich zu Nasren. »Wir machen später weiter, ja?«

»Geh nur, Fino, das hier kann warten.« Die alte Seherin legt ihre Hand über die Brauen und richtet ihren Blick in Richtung Felsen. »Was kann da nur passiert sein?«

»Das werde ich gleich erfahren«, sage ich und gebe dem Jungen das Zeichen zum Aufbruch. Wie gern würde ich mit seinem Tempo mithalten können, doch ich bin noch lange nicht soweit.

Schon von Weitem höre ich laute Stimmen.

»Wir brauchen euren Kriegeranführer nicht! Er ist schuld, dass wir überhaupt hier sind!«

»Fino kann nichts dafür, du suchst nur einen Grund zum Streiten!«

»Da brauche ich nicht lange zu suchen. Wir Fens kommen gut ohne euch klar, Gundo!«

»Du hinterhältiger Hundling, ich werde ...«

Noch bin ich zu weit entfernt, um einzugreifen. Mit Schrecken sehe ich, wie Telman Gundo stößt. Er schreit auf und stolpert rückwärts.

Genau in dem Moment tritt Ferro aus der Gruppe der Umstehenden und stützt Gundo, bevor dieser zu Boden stürzt. Mit ausgestreckten Armen hält er die beiden Streitenden voneinander fern. »Lasst es gut sein, das hat doch keinen Sinn!«

Keuchend erreiche ich die Gruppe. »Was geht hier vor?«

»Ein unschöner Streit unter zwei jungen Hähnen«, erklärt mir Ferro, hinter dessen bärtigem Gesicht ich weniger Sorge als Belustigung sehe.

Telman spuckt neben seine Füße. »Ich fordere den Rat der Seherinnen ein. Er soll entscheiden!«

»Was entscheiden?« Verwundert mustere ich Gundos zerknirschtes Gesicht. »Was hat das zu bedeuten, mein Freund?«, frage ich leise.

»Der da«, verärgert zeigt Gundo auf sein Gegenüber, »hat dich aufs Übelste beschimpft und will keine Anweisungen mehr von dir annehmen.«

»Aha?« Fragend hebe ich meine Stimme. »Und warum nicht? Worüber sollen die Seherinnen entscheiden, Telman?«

»Wir brauchen dich nicht länger, Laxis«, er schnaubt laut auf. »Unser Rat hat zukünftig das Sagen, das ist alles, was ich will.«

»Euer Rat?« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Mein Blick schweift über die umstehenden Leute, Männer und Frauen vom Stamm der Fens, die ich gemeinsam mit Elin an diesen Ort geführt habe. In Sicherheit vor Kaino, dem Kriegsgott und seinen Handlangern. »Hatten wir nicht beschlossen, einen neuen Rat zu bilden, sobald wir einen Ort gefunden haben, an dem wir bleiben werden? Einen Rat aus Fens und Laxis?«

Telman reckt seine Schultern durch. »Was wir beschlossen hatten, ist mir egal. Tatsache ist, dass ihr Laxis nur Ärger bedeutet. Wir hätten euch niemals aufnehmen sollen!«

Jemand neben mir stößt die Luft laut aus. Ich drehe den Kopf und sehe in Asos besorgtes Gesicht.

»Wer gibt dir das Recht, die Entscheidung des Rats und insbesondere von Asya anzuzweifeln, Telman?«, fragt er und baut sich vor ihm auf.

»War ja klar, dass du dich auf seine Seite stellst!« Telmans Fäuste sind kampfbereit geballt.

»Niemand stellt sich auf irgendeine Seite«, erwidert Gundo. Er wirft mir einen kurzen Blick zu, bevor er weiterspricht. »Fino ist und bleibt unser Anführer, da kannst du so viel Ärger machen, wie du willst!«

Erschüttert sehe ich von einem zum anderen. »Willst du wirklich die Stämme entzweien, Telman? Nach allem, was wir gemeinsam durchgemacht haben?«

»Du kannst dir das ganze Gerede sparen, Fino, der Fens wird niemals einsichtig!«, wirft Gundo mit unverhohlener Wut ein. »Wenn nötig stimmen wir nach unserem Brauch ab.«

»Das kannst du vergessen!« Telman tritt mit dem Fuß auf den Boden. »Der Rat der Seherinnen soll zusammenkommen.«

»Wie wäre es, wenn ihr euch erst mal alle beruhigt.«

Das tiefe Brummen von Ferro dringt zu mir, und doch wieder nicht. Zu tief trifft mich die Gewissheit, dass ich von Anfang an richtig lag und Elin irrte. Telman bedeutet Ärger. Einen Ärger, den wir uns in der Fremde kaum leisten können. Ein Bruch würde uns schwächen. Noch wissen wir nicht, wie uns dieses fremde Land aufnehmen wird.

»Nein!«, ruft Telman.

Ich zucke zusammen. Sowohl in seiner Körperhaltung als auch in seiner Stimme liegt etwas Endgültiges.

»Wer meiner Meinung ist, kommt mit mir auf die andere Seite des Sees. Wir bauen unser eigenes Lager auf.«

»Telman, was soll das?«, empört sich Ferro, noch bevor ich ein Wort dazu sagen kann. »Wir haben wirklich andere Sorgen.«

»Die wir nicht hätten, gäbe es ihn nicht!«

Die nackte Bosheit trieft aus seinen Worten, als er mit dem Finger auf mich zeigt. Ich erstarre regelrecht. Schon bei unserer Ankunft im Dorf der Fens habe ich Telman als einen Mann erlebt, der seinen Mund nicht halten kann. Angeblich hatte er früher genau wie Dragon ein Auge auf Elin geworfen. Doch Zwietracht unter uns zu säen, geht weit über das Ergebnis unerwiderter Gefühle hinaus. Entsetzt stelle ich fest, dass sich die Menschen um uns herum in Bewegung setzen. Kaum wahrnehmbar, dennoch entsteht eine Lücke zwischen mir, Aso, Gundo, Ferro, zwei Handvoll Fens und etlichen der jüngeren Männer. Sie nicken Telman anerkennend zu.

»Wenn Asya euch so sehen würde, wäre sie genauso erschüttert wie ich.«

Elins kraftvolle Stimme durchströmt mich wie ein wärmender Sonnenstrahl. Ich wende den Kopf und sehe sie einer Göttin gleich auf einem der nahen Hügel stehen. Sie ist flankiert von Dragon und den Zwillingen. Myra und ein Großteil der Frauen drängen sich hinter hier zusammen und werfen uns neugierige Blicke zu. Für ihre Rückkehr von der Suche nach Kräutern, Beeren oder anderem Nahrhaften hätten sie keinen besseren Augenblick wählen können.

Stille breitet sich aus, nur durchbrochen von leisem Wispern.

Ich räuspere mich. Suche vergebens nach erklärenden Worten.

»Telman und Gundo hatten lediglich eine kleine Meinungsverschiedenheit, nicht wahr?« Ferro sieht eindringlich zu den beiden Streithähnen.

»Pff«, höre ich Aso nah an meinem Ohr und lege meine Hand mahnend auf seine Schulter.

Noch immer rührt sich niemand. Als würde Elins Urteil wie ein drohendes Schwert über allen hängen.

»Mein Auge täuscht mich selten, darum will ich hoffen, dass du recht hast, Ferro«, sagt Elin und nähert sich mit entschlossenen Schritten. »Wenn wir später die Kelle im Kessel herumreichen, so schließlich in dem Wissen, dass wir eine Gemeinschaft sind. Eine Gemeinschaft aus zwei Stämmen, die aufeinander angewiesen sind, in dieser Fremde heimisch zu werden.«

Stolz blicke ich zu Elin. Wenn nicht ihr, wem dann kann es gelingen, uns zu einen?

Für immer. So wie Mann und Frau.

Wie Krieger und Seherin.

»Was steht ihr alle untätig rum?«, fragt Dragon und schwenkt ein prall gefülltes Tuch. »Schürt das Feuer unter dem Kessel, wir haben essbare Beeren in Hülle und Fülle gefunden.«

»Komm, Telman, du kannst mir helfen.« Entschlossen packt Jula ihr Baby von ihrem Rücken und reicht die Kleine dem streitlustigen Hünen. Schon einige Male hat die hager wirkende Frau in ihrer energischen Art Telman zur Vernunft bringen können. Ich bin froh, dass er Jula ohne Murren folgt.

»Puh«, stößt Aso erleichtert aus, »gut, dass du gekommen bist, Schwester.«

»Was wärt ihr ohne uns Frauen!« Ein schalkhaftes Lächeln überzieht Elins Gesicht.

»Auf jeden Fall am Verhungern!«, sage ich grinsend und ziehe sie an mich. Tief atme ich den Geruch ihrer Haut ein, der erdig und zugleich eine Spur fruchtig riecht. Wie habe ich sie vermisst. Jeder noch so kurze Moment, in dem ich von meiner Gefährtin getrennt bin, fühlt sich an, als schlüge mein Herz nicht im richtigen Takt. Prompt reagiert mein Körper und ich bin sicher, Elin hört das laute Klopfen in meiner Brust. »Ich bin froh, dass du zurück bist.«


Nachtfunke 2

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