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4. Kapitel

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Zweiter Tag im Landeskriminalamt

Das laute, eintönige Klopfen der Regentropfen an der Scheibe ihres Fensters weckte Lisa unfreiwillig viel zu früh. Sie reckte und streckte sich, aber wieder einzuschlafen hätte keinen Sinn gemacht. Mit diesen lauten Geräuschen wurde sie unfreiwillig und abrupt aus ihrem Traum gerissen. Gern wäre sie etwas länger in ihrer Traumwelt geblieben:

Sie lief an einem unbekannten, breiten Strand entlang, der schier endlos mit hochragenden Palmen gesäumt war. Das Meer plätscherte türkisfarben und glitzerte in der Sonne in verschiedenen Farben. In der Nähe war ein beschwingtes Trommeln zu hören, aber kein Mensch war zu erblicken. In der Ferne erkannte sie einen winzigen Punkt und je genauer sie hinsah, desto klarer stellte sie fest, dass sich dieser Punkt direkt auf sie zubewegte. Allmählich konnte sie eine Silhouette erkennen. Eine Person, die ihr nicht fremd zu sein schien, kam näher. Bevor sie genau erfahren konnte, wer diese Person war, wurde sie aus ihrem Traum gerissen. Selbst nach intensivem Nachdenken blieb das Gesicht bekannt und zugleich fremd. Mehr fiel ihr dazu nicht ein.

Auf jeden Fall war der Traum angenehm. Sie fühlte sich ausgeruht. Jetzt, da sie etwas Zeit gewonnen hatte, kreisten ihre Gedanken zum letzten Abend zurück, sie hatte längst den Rhythmus des Tangos im Kopf. Lisa erinnerte sich an die Schritte, die sie gestern gelernt hatten. Sie wiederholte diese in der Praxis, was für sie bedeutete, immer rückwärts zu gehen. Bloß gut, dass sie sich bald vom Gedanken an den Tanz lösen konnte. Heute würde Walter Althaus sie nicht am Eingang abholen. Außerdem hatte er am Vortag bereits angekündigt, dass das Programm im Landeskriminalamt zukünftig nicht ohne sein würde.

Während Lisa frühstückte, stellte sie gedanklich das Menü für den Abend zusammen, und schrieb anschließend auf, was zu besorgen war. Alles würde sie in der Nähe frisch einkaufen können. Ihre Idee war es, eine Chinapfanne auf den Tisch zu bringen. Die ließ sich selbst nach dem Dienst schnell zubereiten und gelang ihr meistens besonders gut. Das zumindest bestätigten ihre Gäste jedes Mal. Sie brauchte nur Paprika, Mie-Nudeln und einige Gewürze einkaufen. Das marinierte Fleisch würde sie im Einkaufsmarkt an der Ecke bekommen. Dazu plante sie eine leckere Tomaten-Paprika-Suppe. Die konnte sie fast nebenbei kochen und würde Max’ Geschmacksknospen sicher anregen. Für das Dessert hatte sie zwar keine Idee, aber die würde sich garantiert beim Einkaufen einstellen.

Die geschenkte Zeit war längst verflogen, jetzt musste Lisa sich ranhalten, um nicht zu spät im Dienst zu erscheinen.

Zum zweiten Mal, seit sie in der ihr fremden Stadt war, fuhr sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie erinnerte sich an Bekannte aus Rostock, die es mieden, in der Großstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Ihr gefiel es, mit der U-Bahn zu fahren. Damit konnte sie stressfrei unterwegs sein. Außerdem war die Fahrt kein Problem, wenn man wusste, wohin man wollte, und einen Stadtplan dabeihatte. Ihr Blick wanderte zur Eingangstür der U-Bahn. Dort stand eine Frau, die lasziv an der Wand lehnte. Ein wenig sah sie der Frau vom gestrigen Tangoabend ähnlich. Eine Momentaufnahme des verschlungenen Tanzpaares lief wie ein Film vor ihren Augen ab. Der Mann, der die Umgebung ausblenden konnte, und die Frau, die sich offenbar daran ergötzte, im Mittelpunkt zu stehen. Lisa sah den Mann vor sich, der keine Augen für irgendwas anderes im Raum hatte. Vielleicht würde sie die beiden am Donnerstag im El Gato treffen?

Lisa musste sich von der Erinnerung lösen, um nicht den Ausstieg zu verpassen. Sie schaute auf die Anzeigetafel und konzentrierte sich wieder auf die Weiterfahrt. Sie musste umsteigen, bevor sie am Platz der Luftbrücke ankam. Das klappte fast schon wie selbstverständlich. Selbst das Gebäude, das ihr am Tag zuvor wie ein Labyrinth erschienen war, stellte heute kein Problem dar.

Im siebten Dezernat wurde sie von Clemens Dreyer erwartet. Er begrüßte sie freundlich und meinte: »Heute können wir dir unsere Technik am konkreten Bespiel vorstellen. Wir haben einen Fall reinbekommen, der schnell geklärt werden muss. Du bist dabei!«

»Learning by Doing, gefällt mir.«

»Bevor es richtig für dich losgeht, habe ich für zehn Uhr eine Besprechung einberufen. Natürlich möchte ich dich den anderen vorstellen. Außerdem gibt es einen Vorschlag vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, der dich interessieren könnte.«

»Du machst mich neugierig, da darf ich wohl gespannt sein.«

Punkt zehn Uhr waren bis auf den letzten Platz alle Stühle besetzt. Alle Beamten des siebten Dezernats waren erschienen, außer Walter Althaus, den hatte Lisa bisher nicht gesehen.

Dreyer stellte zuerst Lisa vor: »Das ist unsere Kollegin Lisa Liebich vom Rostocker Kommissariat. Sie bleibt für zwei Wochen bei uns. Wir arbeiten öfter mal mit anderen Dienststellen bundeslandübergreifend zusammen. Ich finde ihren Besuch für uns genauso bereichernd wie umgekehrt. Ihr könnt euch nachher persönlich mitei­nander bekanntmachen. Aber jetzt zum Thema unserer heutigen Besprechung. Die neueste Nachricht kommt vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Die Kollegen dort fordern eine grundlegende Reform der Berliner Kriminalpolizei. Unter anderem soll die komplette Kripo künftig beim Landeskriminalamt angesiedelt werden. Ein entsprechendes Strategiepapier mit dem Titel ›Kriminalpolizei 2025‹ liegt mir vor. In der kommenden Woche wird es Gespräche im Führungsstab der Behörde geben. Ihr werdet also zeitnah über mögliche Veränderungen informiert.«

Ein mürrisches Raunen wurde laut.

»Ich weiß, dass das für euch neu ist, und genau aus diesem Grund stelle ich euch dieses Vorhaben vor. Wenn die Behördenleitung den Vorschlägen Folge leistet, wäre das für die Kripo die größte strukturelle Veränderung der jüngeren Vergangenheit.«

»Welche Begründung gibt es für so ein Vorhaben?«, fragte jemand unwirsch aus der Runde.

»In den letzten Jahren wurde deutlich, dass der Kripo die Flexibilität fehlt. Vor allem bei der Bekämpfung des aufkeimenden islamistischen Extremismus und der Clan-Kriminalität.«

»Das ist nachvollziehbar. Gerade auf dem Gebiet der Clan-Kriminalität muss dringend etwas verändert werden. Da haben wir lange genug die Augen verschlossen.«

»Deshalb fordert der Bund die Neuausrichtung der Kripo unter dem Dach des Landeskriminalamts mit einem neuen Organisationsaufbau und der Einrichtung flexibler Einheiten. Diese sollen für aufkeimende Phänomene oder Hotspots die Verantwortung übernehmen.«

»Könnte das auf andere Bundesländer übertragen werden?«, fragte Lisa.

»Ich denke, dass darüber nachgedacht wird. Aber in Berlin haben wir sicher mehr mit Clan-Kriminalität zu tun als ihr bei euch im Norden.«

Die Beamten diskutierten ausführlich den Vorschlag, und es gab zahlreiche Für und Wider. Lediglich ein Gedanke war einvernehmlich, nämlich die Freude da­rüber, dass sie die Entscheidung nicht zu treffen hatten.

In der Pause kam Lisa mit einigen Kollegen direkt ins Gespräch. Bei einigen hörte sie heraus, dass sie Lisa um ihren Arbeitsplatz in Rostock beneideten. Sie kannten Rostock und Umgebung nur als Urlaubsregion. Von Berlin bis zur Küste waren es gerade mal gute zwei Stunden mit dem Auto. Eine Kollegin löcherte Lisa und wollte wissen, ob sie einen Tipp für einen außergewöhnlichen Strand an der Ostseeküste hätte. Sie musste augenblicklich an ihr Graal-Müritz und ihren Lieblingsstrand am Strandaufgang 10 denken, hielt sich aber bedeckt und meinte nur: »Ach, weißt du, der gesamte kilometerlange Ostseestrand ist beeindruckend. Jeder Ort ist individuell. Ich liebe mein beschauliches und ruhiges Graal-Müritz. Dort gibt es sie noch, die unberührte Natur, das Moor und die Rostocker Heide. Das Tolle ist, dass das Seeheilbad inmitten des Waldes und am Meer liegt. Ja, die Luft ist wirklich sehr besonders. Manche behaupten, sie sei wie Samt und Seide.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Aber natürlich kommt sie nicht gegen eure Berliner Luft an.«

Einige schmunzelten sogar über ihre Aussage. Aber der Bann schien längst nicht gebrochen. Im Gegenteil, Lisa hatte den Eindruck, dass viele der Berliner Kollegen sie als Provinzlerin betrachteten. In der kurzen Zeit würde es schwer sein, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Aber wollte sie das eigentlich? Mit einem klaren Nein beantwortete sie sich selbst ihre Frage. Sie kannte ihre Qualitäten und musste niemandem etwas beweisen.

Nach einer Viertelstunde versammelten sich alle wieder im Tagungsraum. Die obligatorische Pausenzeit wurde pingelig eingehalten, auch ohne große Worte von Clemens Dreyer. Er besprach einiges zur weiteren Planung der Woche und entließ die Leute in die einzelnen Fachbereiche. Lisa fiel ihre eigene Dienststelle ein, auch, dass Peter Heilmeyer am späten Nachmittag anrufen wollte. Sie war zwar nicht lange in dieser Behörde, aber schon jetzt würde sie das überschaubare Kriminalkommissariat in Rostock jeder Zeit dieser großen, fast anonymen Behörde vorziehen. Natürlich wollte sie keine voreiligen Schlüsse ziehen, doch irgendwie vermisste sie bereits ihre Kollegen.

Die nächsten Stunden am Nachmittag verliefen fast unspektakulär. Zwei Kollegen zeigten ihr gerade ein neues Programm, als Dreyer auf sie zukam.

»Du wirst heute Zeugin, wie wir den Anführer einer kriminellen Internetbande schnappen. Dem sind wir schon seit vielen Wochen auf den Fersen, aber jetzt ziehen wir die Schlinge endgültig zu. Das ist ein großer Tag, denn bisher hatten wir es nur mit ein paar Mitläufern zu tun.«

»Fehlen noch Beweise?«

»Nein, die haben wir alle. Die ersten Köder haben wir vor Wochen ausgelegt. Wir konnten einen Mann in die Gruppe einschleusen, der die Fäden zieht und uns genaueste Informationen liefert«, meinte Dreyer stolz.

Lisa sah, wie ein Kollege nervös von einem Tab zum anderen sprang; ein anderer beschäftigte sich intensiv mit einer bestimmten Seite. Lisa hatte kaum eine Chance, bei Dreyer eine weitere Frage loszuwerden. Die würde sie sich für später aufheben müssen. Natürlich hatte sie Verständnis und wusste aus eigener Erfahrung, dass die Kollegen so kurz vor dem Ziel sich vollauf konzentrieren mussten.

»Der Strafbestand, um den es in diesem Fall geht, nennt sich Phishing«, rief ein Kollege Lisa den Sachverhalt in knappen Worten zu. Doch diese Betrugsmasche war Lisa längst bekannt. Ihre eigenen Leute in Mecklenburg warnten ständig vor Tätern im Internet. Aber so eine heiße Spur wie bei den Berliner Kollegen kam tatsächlich selten genug vor.

Der Kollege ergänzte: »Die Täter konzentrierten sich dieses Mal auf der Seite eines täuschend echten Onlineshops. Mit Phishing-E-Mails haben sie eine Menge Berliner Nutzer auf betrügerische Seiten gelockt. Sie nutzen deren ergaunerte Benutzerkennungen und Passwörter, um Konten zu plündern oder Hackerangriffe zu vollziehen. Zum ersten Mal können wir in diesem Bereich die Banditen festnageln. Das ist ein großer Erfolg.«

»Und wie sieht es mit den Hintermännern aus?«, wollte Lisa wissen.

»Die letzten brauchbaren Spuren lassen einen großen Fisch im Hintergrund vermuten. Ein nicht unbekannter Täter ist gerade dabei, den Bissen anzupacken, den wir ihm zugeworfen haben.«

»Und ich bin dabei, wenn eure Falle zuschnappt?«

»Genau. Wir sind hier, schlagen technisch zu. Einige Kollegen sind direkt am Ort und machen sie dingfest.«

Die Aufregung war deutlich zu spüren. Lisa wurde von der Anspannung der Kollegen regelrecht angesteckt.

»Mitläufer haben wir immer mal wieder erwischt, jedes Mal kleine Ganoven, die im laienhaften Stil zu Geld kommen wollten. Das hier ist endlich etwas richtig Großes!«, sagte ein Kollege, der deutlich Spannung abbauen wollte.

Der gesamte Raum war erfüllt von der Ungeduld, die alle anwesenden Kollegen ausstrahlten. Lisa verließ kurz den Raum, weil der Druck fast unerträglich wurde. Draußen begegnete sie Walter Althaus.

»Ich bin in den nächsten Tagen außer Haus, um Vorträge zu halten. Wie geht es dir inzwischen?«

»Alles im grünen Bereich. Hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell mit allem zurechtfinde.«

»Gut so, dann sehen wir uns spätestens am Freitag. Kann ich irgendwas für dich tun?«

»Das ist freundlich. Nein, alles ist soweit gut, danke.«

Als Walter Althaus sich verabschiedete, fiel ihr das Rostocker Kriminalkommissariat ein. Bevor ihr Chef in einem unpassenden Moment anrief, wollte sie das lieber selbst tun. Lisa nahm ihr Handy und wählte die Rostocker Nummer. Sie ließ das Telefon lange klingeln und wollte gerade auflegen, als jemand abnahm.

»Heilmeyer«, sagte die ihr bekannte Stimme.

»Grüß dich Peter, ich ruf etwas früher an, weil die Berliner Kollegen an einer brisanten Sache dran sind und ich dabei sein möchte.«

»Donnerwetter. Gut, dass du dich meldest. Ich hätte wahrscheinlich nachher vergessen, dich anzurufen. Es gibt Neuigkeiten.« Heilmeyers Stimmung ließ Schlimmes vermuten.

»Ist mit Silke Peters alles glattgelaufen? Deine Stimme hört sich jedenfalls so an. Du wirkst etwas unwirsch.«

»Deine Intuition scheint zu funktionieren. Peters war tatsächlich den schwedischen Kollegen entwischt. Einen Toilettengang hatte sie genutzt, um zu flüchten. Natürlich kam sie nicht weit, ohne Pass und Geld. Das war auch ihr schnell klar. In Stockholm meldete sie sich selbst bei der Polizei. Nun ist sie hier in Untersuchungshaft und ich hatte am frühen Nachmittag mein letztes Gespräch mit ihr.«

»Und? Womit hat sie ihre Tat begründet?

»Wie so oft. Kurzgesagt könnte man es Eifersucht nennen. Das erleben wir nicht zum ersten Mal.«

»Unglaublich, zu was Frauen fähig sind, wenn sie einen Mann begehren. Obwohl der Mann verheiratet war und einem anrüchigen Hobby nachging, das er mit vielen Frauen teilte. Woher nahm sie da überhaupt ihre Eifersucht? Hat sie sich aus irgendeinem Grund mehr versprochen?«

»Du musst das Milieu berücksichtigen, indem die beiden sich bewegten. Den Leuten traue ich einiges zu, mit dem wir uns nicht mal gedanklich beschäftigen. Ich traue dem Juniorchef aber weit mehr zu. Wahrscheinlich hatte er Silke mehr versprochen, als er halten konnte oder wollte.«

»Aber töten? Dazu gehört eine ungeheure Portion Abgebrühtheit.«

»Die hat Silke, das hat sie nicht nur einmal bewiesen.«

»Gut, dass sie weggesperrt wird. Das Portal werden wir sicher weiter im Blick behalten, oder?«

»Nein, das ist nicht mehr unsere Sache. Wie gehts dir eigentlich?«

»Ganz gut. Die Kollegen verfolgen eine heiße Spur im Internet. Nur so viel, es geht ums Phishing. Ich will gleich wieder dazustoßen.«

»Dann hören wir uns später. Jedenfalls kannst du beruhigt in Berlin arbeiten. Unser Fall ist schließlich beendet.«

»Mich freut vor allem, dass wir das relativ zügig hinbekommen haben. Grüß die anderen! Und ab jetzt gebe ich Ruhe.«

»Alles okay. Bis dann, genieß die Hauptstadt.«

Lisa ging zurück zu den Kollegen und merkte, dass der Druck raus war. Der große Fisch hing längst an der Angel.

»Da habe ich heute wohl Glück, dem Höhepunkt eurer Arbeit beizuwohnen«, sagte Lisa.

Niemand antwortete, außer Dreyer: »Am Donnerstag wirst du den Fahndungsbereich kennenlernen. Die Organisation kennst du natürlich aus deinem eigenen beruflichen Umfeld, aber du wirst sehen, wie das bei uns läuft. Zurück zu unserem jetzigen Fall. Am Computer könntest du weiter dabei sein, aber das ist wahrscheinlich nicht so spannend. Wir bereiten die Festnahme des langgesuchten Täters vor, das ist sowieso eine interne Sache. Wenn du möchtest, kannst du heute etwas früher Feierabend machen. Berlin hat sicher eine Menge zu bieten, was dir gefallen wird.«

»Danke, dann mache ich mich bald auf den Weg. Habe ohnehin heute etwas vor.« Sie merkte, dass Dreyer gern nachgehakt hätte und gerade dazu ansetzen wollte, im letzten Moment verkniff er es sich jedoch.

Lisa packte ihre wenigen Sachen, verabschiedete sich von den anderen und war froh, mehr Zeit für ihren Einkauf zu haben.

In der U-Bahn ließ sie den bisherigen Tag Revue passieren. Der Unterschied des allgemeinen Berliner Arbeitsklimas zu dem ihrer Rostocker Kollegen bestätigte sich. Hier war nicht nur alles größer, hier herrschte auch eine gewisse Anonymität.

Lisa hielt inne. Vielleicht sollte sie besser abwarten, schließlich war sie erst am Anfang ihres Praktikums. Ihr Eindruck entstand sicher auch dadurch, dass jeder in der Behörde eine Kapazität auf seinem Gebiet war und individuell für sich arbeitete. Außerdem ließ sich in einer kleinen Gruppe leichter ein enges Team zusammenstellen. Heilmeyer hatte ganz am Anfang erklärt, dass er jeden Bewerber bewusst in sein Team geholt hatte. Sozusagen passgerecht ausgewählt. Das war in so einer großen Behörde kaum möglich. Die Leute wurden garantiert entsprechend ihrer Qualifikation und den möglichen Kapazitäten ausgewählt. Bei so vielen Mitarbeitern trafen unterschiedliche Charaktere aufeinander, die sich irgendwie zusammenraufen mussten. Natürlich stand und fiel alles mit dem jeweiligen Chef. Clemens Dreyer war zwar ihr gegenüber freundlich, doch gleichermaßen vorsichtig und zurückhaltend.

Lisa wollte abwarten, wie sich die Atmosphäre entwickeln würde. Außerdem gingen zwei Wochen schnell vorbei.

Kurz bevor Lisa aussteigen musste, dachte sie – heute zum ersten Mal – an Max. Gleich würde sie in der Küche umherwirbeln. Darauf freute sie sich jetzt schon. Gut, dass sie einen Plan für das Essen in der Tasche hatte, so konnte sie zielstrebig einkaufen und verschwendete nicht viel Zeit damit. Nur das Dessert fehlte.

Im Kaufmarkt sah sie die reifen Mangos vor sich und wusste sofort, dass sie eine Mangocreme im Glas präsentieren würde. Die war flott zubereitet und mit frischer Kokosmilch ein echter Genuss.

Lisa hatte alles beisammen und kam mit schwer beladenen Tüten wieder in der Wohnung an. Sofort machte sie sich an die Vorbereitungen. Etwas über eine Stunde blieb ihr, bis Max ankommen würde. Nicht viel, aber sie war gut strukturiert und zuversichtlich, dass alles bis dahin fertig sein würde.

Sie hatte es geschafft. Als sie gerade dabei war, den Tisch zu decken, klingelte es an der Tür. Lisa erschrak. Zwar war das Essen rechtzeitig fertig geworden, aber sie hatte bisher keine Zeit, an sich selbst zu denken. Sie sah kurz in den Spiegel und blickte zu ihren wild he­rab­hängenden Haaren. Bevor sie die Tür öffnete, ging sie mit der Bürste schnell durch ihr Haar und machte sich einen Zopf.

Als sie die Tür öffnete, erblickte sie einen dunkelroten Rosenstrauß. Max ließ ihn langsam sinken und strahlte Lisa verschmitzt an. »Ich habe einen Weißwein mitgebracht, ich hoffe, er passt zum Essen. Auf alle Fälle riecht es hervorragend. Ich habe mich den ganzen Tag auf deine Kochkünste gefreut.«

»Das ist gut, aber sprich bitte erst von Kochkünsten, wenn es dir auch geschmeckt hat. Lass uns mit der Suppe beginnen.«

Lisa stellte die Blumen ins Wasser und fuhr bedächtig durch die strahlenden Blüten. Sie waren wunderschön. Max musste jede einzelne Rose ausgewählt haben.

Lisa füllte die Suppe in eine Schüssel und stellte sie auf den Tisch, während Max den Wein aufgemachte und eingoss.

Er gab Lisa ein Glas. »Auf die perfekte Köchin, wenn es so schmeckt, wie es duftet, kann es nur gut sein. Danke für die Einladung.«

»Danke für die Blumen, komm, lass uns essen.«

Am Ende des Menüs stellte Lisa erfreut fest, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte. Max schmeckte es und er schien mit Lisas Menü zufrieden zu sein. Zumindest lobte er mehrmals ihre Kochkünste.

In der Wohnung gab es keinen Geschirrspüler und Max bot sich an, in der Küche für Ordnung zu sorgen. Lisa nahm seine Hilfe dankend an und zog sich endlich um. Als Max sie im neuen Dress sah, meinte er lächelnd: »Du gefällst mir immer, egal was du anziehst.«

»Du Schmeichler, das Umkleiden habe ich ausnahmsweise mal für mich getan. Bisher kam ich einfach nicht dazu, und so fühle ich mich wohler.«

»Das gefällt mir. Ich mag Frauen, die etwas nur für sich tun und an sich denken. Doch ab jetzt solltest du an uns beide denken. Na ja, wenigstens heute Abend. Genießen wir den Rest des Abends.«

Der Wohnbereich hatte zwar nicht die gemütliche Atmosphäre wie Lisas Wohnung in Rostock, aber das Kerzenlicht ließ den Raum stimmungsvoll erscheinen. Es gab ein Radio und Lisa fand sogar einen Sender, der passende Musik spielte. Nähe hatten sie während des Tanzens am Vortag getestet, und auch jetzt suchte Max diese. Er fühlte sich bei ihr sichtlich wohl, und Lisa ging es genauso.

Endlich war Ruhe um sie herum, nur leise Musikklänge waren zu hören. Lisa schmiegte sich an Max, und er belohnte sie mit zärtlichen Liebkosungen. Sie fühlte sich unendlich in Zeit und Raum. Ihre Körper verschmolzen bald miteinander. Ein lebendiges, gleichzeitig feuriges Gefühl umgab sie. Zusammen verloren sie sich im unendlichen Gefühl füreinander. Pur und rein gaben sie sich einander hin. Ihre Glieder kribbelten, die Herzen bebten. Jede Berührung, jede Bewegung war hochexplosiv. Das war der Moment, in dem sie eine unzertrennliche Einheit bildeten, ein sinnliches Potpourri von lieblichen Emotionen.

Avas letzter Tanz

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