Читать книгу Herrin der Stürme - Marion Zimmer Bradley - Страница 9

5

Оглавление

Als er aufwachte, war das Mädchen fort, und Allart lag einen Moment lang völlig bewegungslos, von Übelkeit und Selbstverachtung überwältigt. Wie soll ich mich davon abhalten, den Mann zu töten, der das über mich gebracht hat ...? Aber als das tote Gesicht seines Vaters in dem vertrauten Zimmer mit grünen und goldenen Vorhängen vor ihm auftauchte, erinnerte er sich streng: Mein war die Wahl; er hat nur für die Gelegenheit gesorgt.

Trotzdem fühlte er eine überwältigende Verachtung gegen sich selbst, während er durch das Zimmer ging und sich für die Reise fertigmachte. In der vergangenen Nacht war ihm etwas über sich selbst klargeworden, das er lieber nicht gewußt hätte.

In seinen sechs Jahren in Nevarsin hatte er keine Schwierigkeiten gehabt, im frauenlosen Bereich des Klosters zu leben, ohne einen Gedanken an sie zu verschwenden; sie hatten ihn nie gelockt, nicht einmal beim Mittsommerfest, wenn auch die Mönche frei waren, sich an den Lustbarkeiten zu beteiligen, Liebe oder ihr trügerisches Abbild in der unteren Stadt zu suchen. So war er nie in die schwierige Situation geraten, um seinen Entschluß kämpfen zu müssen – nicht zu heiraten und keine Kinder zu zeugen, die den monströsen Fluch des Laran trugen. Und doch, trotz der Abscheu und des Ekels für das Ding, das Lella war, waren bei der Berührung der auf obszöne Art weichen Fingerspitzen der Riyachiya sechs Jahre selbstauferlegten Zölibats in Minuten weggeworfen worden.

Was soll jetzt aus mir werden? Wenn ich meinem Entschluß nicht eine einzige Nacht treu bleiben kann ... In den Zukunftsmöglichkeiten, die er vor seinem nächsten Schritt sah, gab es eine neue, und sie mißfiel ihm zutiefst: daß er eine Kreatur wie Dom Marius werden könnte, die Hochzeit tatsächlich hinnahm, um seine Gelüste später mit diesen unnatürlichen gezüchteten Freudenmädchen zu befriedigen.

Er war dankbar, daß ihr Gastgeber nicht zum Frühstück erschien. Es war schon schwer genug, seinem Vater gegenüberzutreten, und die Vision seines toten Gesichts wischte die wirkliche, lebendige Präsenz des alten Mannes, der wohlgelaunt über Brot und Haferbrei saß, beinahe aus. Den unausgesprochenen Verdruß seines Sohnes spürend (Allart fragte sich, ob er von den Dienern oder Lella erfahren hatte, ob sein Sohn zu den Männern gezählt werden konnte), blieb Dom Stephen stumm, bis sie ihre Reitmäntel überzogen. Dann sagte er: »Wir werden die Reittiere hier lassen, Sohn. Dom Marius hat uns einen Luftwagen angeboten, der uns direkt nach Hali bringt, und die Diener können sie in einigen Tagen nachbringen. Du bist nicht mehr mit einem Luftwagen geflogen, seit du ganz klein warst, nicht wahr?«

»Ich kann mich nicht erinnern, überhaupt jemals mit einem geflogen zu sein«, erwiderte Allart, der gegen seinen Willen Interesse verspürte. »Damals waren sie gewiß noch nicht sehr verbreitet?«

»Nein, sie waren sehr selten, und natürlich sind sie Spielzeuge für die Begüterten, da sie einen geschickten Laran-Fahrer erfordern«, sagte Lord Elhalyn. »In den Bergen sind sie nutzlos; Böen und Winde würden jedes Fahrzeug, das schwerer als Luft ist, gegen die Felsen schleudern. Aber hier im Tiefland sind sie ausgesprochen sicher, und ich habe gedacht, so ein Flug würde dich ablenken.«

»Ich gestehe, daß ich neugierig bin«, sagte Allart. Er überlegte, daß Dom Marius von Syrtis wohl kein Opfer scheute, um sich bei seinem Großfürsten einzuschmeicheln. Erst stellte er ihnen seine bevorzugten Freudenmädchen zur Verfügung – und jetzt das! »Aber ich habe in Nevarsin gehört, daß diese Apparate auch im Tiefland nicht sicher sind. Wenn zwischen Elhalyn und Ridenow Kriege toben, könnte man uns allzuleicht angreifen.«

Achselzuckend sagte Dom Stephen: »Wir haben alle Laran und könnten mit jedem Angreifer kurzen Prozeß machen. Nach sechs Jahren Kloster sind deine Kampffertigkeiten ohne Zweifel eingerostet, falls es zu einem Gefecht kommen sollte, aber ich hege keine Zweifel, daß du jeden, der uns aus der Luft angreift, schlagen kannst. Ich habe Feuertalismane.« Verschmitzt schaute er seinen Sohn an und fuhr fort: »Oder willst du mir etwa erzählen, daß die Mönche einen solchen Mann des Friedens aus dir gemacht haben, daß du nicht dein Leben und das deiner Verwandten verteidigen würdest, Allart? Mir scheint, ich erinnere mich, daß du als Junge keine Lust zu kämpfen hattest.«

Nein, denn bei jedem Hieb sah ich für mich oder einen anderen Tod oder Verderben, und es ist grausam von dir, meine kindliche Schwäche zu verspotten, die nicht mein Fehler war, sondern eine Folge des verfluchten Erbes deines Blutes ... Laut jedoch sagte Allart, der sich zwingen mußte, das tote Gesicht, das ständig vor seinen Augen erschien und das lebendige Gesicht seines Vaters verschwimmen ließ, zu ignorieren: »Solange ich lebe, werde ich meinen Vater und Fürsten bis zum letzten Blutstropfen verteidigen, und die Götter mögen mir gnädig sein, wenn ich dabei versage oder zögere.«

Erregt und von irgend etwas in Allarts Stimme entzückt, streckte Lord Elhalyn die Arme aus und umarmte seinen Sohn. Zum ersten Mal, solange Allart zurückdenken konnte, sagte der alte Mann zu ihm: »Vergib mir, mein Sohn. Es war unter meiner Würde. Ich sollte dich nicht grundlos beschuldigen.« Und Allart fühlte Tränen in seine Augen schießen.

Die Götter mögen mir vergeben. Er ist nicht grausam, und wenn er es doch ist, dann nur aus Angst um mich ... Er hat den aufrichtigen Wunsch, freundlich zu sein ...

Der Luftwagen war lang und glatt. Er bestand aus glänzendem, glasähnlichem Material mit Zierstreifen aus Silber an den Seiten, einer langen Kanzel mit vier Sitzen und war zum Himmel hin offen. Cralmac rollten ihn aus dem Schuppen und auf das Schmuckpflaster des Innenhofs. Der Fahrer, ein schlaksiger junger Mann mit rotem Haar, das ihn als einen der geringeren Edlen aus den Kilgardbergen auswies, näherte sich ihnen mit einer knappen Verbeugung. Es war eine mechanische Geste der Ehrerbietung; ein bestens ausgebildeter Experte, ein Laranzu dieser Art brauchte niemandem gegenüber untertänig zu sein, nicht einmal dem Bruder des Königs von Thendara. »Ich bin Karinn, Vai Dom. Ich habe den Auftrag, Euch nach Hali zu bringen. Bitte nehmt Eure Sitze ein.«

Er überließ es den Cralmac, Dom Stephen in den Sitz zu heben und die Gurte festzuzurren, aber als Allart seinen Platz einnahm, zögerte er einen Moment und fragte: »Seid Ihr je in einem dieser Luftwagen geflogen, Dom Allart?«

»Nicht, daß ich wüßte. Wird er von einer Matrix angetrieben, die Ihr allein handhaben könnt?«

»Nicht ganz. Dort drinnen« – Karinn zeigte auf den Luftwagen – »ist eine Batterie, um die Turbinen anzutreiben. Es würde in der Tat mehr Energie erfordern, als ein Mann zu seiner Verfügung hat, einen solchen Apparat in die Höhe zu heben und zu bewegen, aber die Batterien werden von Matrixkreisen aufgeladen, und deswegen wird mein Laran nur benötigt, um das Fahrzeug zu fuhren und zu steuern – und auf Angreifer zu achten und ihnen auszuweichen.«

Sein Gesicht war ernst. »Ich würde mich meinem Großfürsten nie widersetzen, und es ist meine Pflicht zu tun, was mir aufgetragen wird, aber ... habt ihr Laran?«

Während Karinn sprach, löste sich die Unruhe in Allart mit einer plötzlichen, scharfen Vision auf. Er sah den Luftwagen auseinanderbersten, explodieren, wie einen Stein vom Himmel fallen. War das nur eine entfernte Wahrscheinlichkeit, oder lag sie wirklich vor ihnen? Er hatte keine Möglichkeit, das zu erfahren.

»Ich besitze genügend Laran, um Unbehagen darüber zu fühlen, daß ich mich diesem merkwürdigen Apparat anvertraue. Vater, man wird uns angreifen. Weißt du das?«

»Dom Allart«, sagte Karinn, »dieser merkwürdige Apparat, wie Ihr ihn nennt, ist das sicherste Transportmittel, das je von der Matrix-Technologie ersonnen wurde. Zwischen hier und Hali würdet ihr, solltet Ihr drei Tage zu Pferd reisen, angreifbar sein. Mit dem Luftwagen werdet ihr vormittags schon dort sein, und man müßte einen Angriff äußerst exakt vorausplanen. Darüber hinaus ist es leichter, sich gegen Laran zu verteidigen, als gegen solche Waffen, die man Euch mit Männern entgegenschicken könnte. Es wird der Tag kommen, an dem alle Großen Häuser sich solcher Erfindungen bedienen, um sich gegen mißgünstige Rivalen oder aufständische Vasallen zu schützen. Dann wird es keine Kriege mehr geben, denn kein vernünftiger Mensch wird diese Art von Tod und Zerstörung riskieren. Sicher mögen solche merkwürdigen Apparate wie dieser, Vai Dom, jetzt nur teure Spielzeuge für die Reichen sein, aber irgendwann werden sie uns in ein Friedenszeitalter führen, wie Darkover es noch nicht erlebt hat.«

Er sprach mit einer solchen Überzeugung und Begeisterung, daß Allart seine eigene aufkeimende Vision der schrecklichen Kriegsführung mit noch gräßlicheren Waffen anzweifelte. Karinn mußte Recht haben. Solche Waffen mußten vernünftige Menschen einfach davon abhalten, Krieg zu führen. Wer solche Dinge erfand, arbeitete unbewußt für den Frieden.

Seinen Sitz einnehmend sagte Allart: »Aldones, der Herr des Lichts, möge geben, daß Ihr mit wahrer Voraussicht sprecht, Karinn. Und jetzt wollen wir dieses Wunder sehen.«

Ich habe viele Möglichkeiten zukünftiger Ereignisse gesehen, die nie eingetreten sind. Ich habe an diesem Morgen herausgefunden, daß ich meinen Vater liebe, und ich werde mich an die Überzeugung klammern, daß ich nie Hand an ihn legen werde, ebensowenig, wie ich in der letzten Nacht den Hals jener armen, harmlosen Riyachiya drosseln wollte. Ich werde keinen Angriff fürchten, aber ich werde wachsam sein, während ich mich an dieser neuen Art zu reisen erfreue. Allart ließ sich von Karinn zeigen, wie man die Gurte, die ihn im Sitz halten sollten, falls die Luft turbulent würde, befestigte; er ließ sich auch das Gerät erklären, das seinen Sitz hinter eine große Glasscheibe schwenkte, damit er sofort jeden Angreifer und jede Bedrohung ins Blickfeld bekam.

Aufmerksam lauschte er, als der Laranzu seinen Sitz einnahm, sich anschnallte und den Kopf in wacher Aufmerksamkeit vorbeugte. Die batteriegetriebenen Turbinen fingen an zu brüllen. Als Junge hatte Allart oft die winzigen Gleiter benutzt, die von einer kleinen Matrix hochgehoben wurden, und war auf den Luftströmen rund um den See von Hali geflogen. Er wußte um die grundlegenden Prinzipien des Schwerer-als-Luft-Flugs, aber es erschien ihm unglaublich, daß ein Matrix-Kreis – eine Gruppe eng verbundener telepathischer Gehirne – eine Batterie stark genug aufladen konnte, um solch mächtige Turbinen mit Energie zu versorgen. Aber das Laran konnte mächtige Kräfte hervorrufen und eine Matrix die elektrischen Ströme von Gehirn und Körper außerordentlich verstärken. Er fragte sich, wie viele Gehirne es erforderte, und wie lange sie arbeiten mußten, um solche Batterien mit laut summender Energie aufzuladen. Er hätte Karinn gern gefragt – wollte aber die Konzentration des Laranzu nicht stören –, warum solch ein Gefährt nicht für den Bodentransport verwendet werden konnte, aber sofort fiel ihm ein, daß für jedes Bodenfahrzeug Wege und Straßen notwendig waren. Vielleicht würden Straßen eines Tages möglich sein, aber auf dem unebenen Gelände im Norden der Kilgardberge mußte der Bodenverkehr wahrscheinlich immer auf die Füße von Mensch und Tier beschränkt bleiben.

Die summende Energie ließ sie schnell über eine ebene Startbahn gleiten, deren glasähnliches Material auch mit Matrixkraft gegossen sein mußte. Dann wurden sie in die Luft getragen, erhoben sich schnell über Baumwipfel und Wälder und bewegten sich mit einer solch erregenden Geschwindigkeit, daß sie Allart den Atem nahm, in die Wolken hinein. Dies hier war mehr als ein Segelflug mit einem Gleiter. Dieser Apparat war dem Spielzeug seiner Kindertage so überlegen wie ein Gleiter dem Trott des Chervine. Karinn machte eine Handbewegung. Der Luftwagen wandte seine Schwingen nach Süden und flog über die Wälder der Sonne entgegen.

Sie waren eine beträchtliche Zeit geflogen, als Allart anfing, die Gurte als einengend zu empfinden und wünschte, er könne sie ein wenig lockern. Plötzlich spürte er Erregung, Alarmbereitschaft und Angst in sich.

Wir werden beobachtet, verfolgtman wird uns angreifen! Schau nach Westen, Allart ...

Allart blinzelte ins Licht. Kleine Punkte tauchten dort auf, einer, zwei, drei – waren es Gleiter? Falls es zutraf, konnte so ein Luftwagen sie schnell abhängen. Und Karinn wendete das Fahrzeug tatsächlich mit flinken Handbewegungen, um den Verfolgern zu entkommen. Einen Moment lang schien es, daß man ihnen nicht folgte. Einer der gleitenden Punkte – Das sind keine Gleiter! Sind es Falken? – segelte aufwärts, flog über ihnen dahin, höher und höher. Es war tatsächlich ein Falke, aber Allart konnte menschliche Intelligenz und ein Bewußtsein spüren, das sie mit böswilliger Absicht beobachtete. Kein natürlicher Falke hatte jemals Augen gehabt, die glitzerten wir große Juwelen! Nein, das ist kein normaler Vogel! Voller Unruhe beobachtete er den schwebenden Flug des Tieres, das immer höher stieg und sich mit weiten, schnellen Flügelschlägen in den Himmel erhob ...

Plötzlich löste sich ein schlanker, glänzender Gegenstand von dem Vogel, fiel senkrecht nach unten und schoß wie ein Pfeil auf den Luftwagen zu. Allarts Vision vermittelte ihm, bevor er einen Gedanken fassen konnte, das Wissen um das, was geschehen würde, wenn dieses lange, tödliche, wie Glas glänzende Ding den Luftwagen traf: Er würde explodieren, jedes Stück von schrecklichem Haftfeuer bedeckt, das hängen blieb an allem, was es berührte und unlöschbar weiterbrannte, durch Metall und Glas, durch Fleisch und Knochen.

Allart griff nach der Matrix, die er um den Hals trug, zerrte sie mit zitternden Fingern aus der schützenden Seide. Ich habe wenig Zeit ... Sich in die Tiefen des Edelsteins versenkend, veränderte er sein Zeitbewußtsein, sah das glasartige Ding immer langsamer fallen und konzentrierte sich so auf seinen Brennpunkt, als nähme er es zwischen unsichtbare, energetische Finger ... Langsam, langsam, vorsichtig ... Er durfte nicht riskieren, es zu zerstören, solange es in den Luftwagen fallen und Teile des Haftfeuers Fleisch und Wagen zerstören konnten. Das verlangsamte Bewußtsein wirbelte beschleunigte Zukunftsvisionen durch seinen Geist – er sah den Luftwagen in Stücken auseinanderfliegen, seinen Vater vornübersinken, mit Haftfeuer im Haar auflodern, Karinn wie eine Fackel aufflammen und den Luftwagen außer Kontrolle geraten, während er abstürzte, schwerer als ein Stein ... Aber von diesen Möglichkeiten durfte sich keine ereignen!

Mit unendlicher Feinfühligkeit versenkte sich Allarts Geist in die pulsierenden Lichter der Matrix, und mit geschlossenen Augen schob er das glasartige Ding vom Luftwagen weg. Er spürte Widerstand, wußte, daß der, der den Apparat führte, mit ihm um die Kontrolle kämpfte. Er kämpfte stumm, ihm war, als versuchten seine wirklichen Hände ein schlüpfriges, sich windendes, lebendes Ding zu halten, während andere sich mühten, es ihm zu entwinden und auf ihn zu schleudern.

Karinn, schnell, bring uns höher, wenn du kannst, damit es unter uns zerbricht ...

Er fühlte, wie sein Körper gegen die Gurte schleuderte, als der Luftwagen abrupt nach oben kurvte; sah mit einem Teil seines Verstandes seinen Vater zusammenbrechen und dachte mit jähem Selbstbewußtsein: Er ist alt, gebrechlich, sein Herz kann es nicht vertragen ... Aber der Hauptteil seines Verstandes war noch immer in den energetischen Fingern, die mit dem sich windenden Apparat, der sich unter der Kontrolle seines Geistes zu krümmen schien, kämpften. Jetzt waren sie beinahe weit genug ...

Die Explosion kam mit einem wilden Krachen. Sie schien Raum und Zeit zu erschüttern, und Allart spürte einen beißenden, brennenden Schmerz in den Händen. Schnell zog er sein Bewußtsein aus der Nähe des explodierten Apparats zurück, aber das Brennen blieb. Er öffnete die Augen und sah, daß das Ding tatsächlich unter ihnen detoniert war, und Bruchteile des Haftfeuers in einem geschmolzenen Schauer nach unter fielen, um die unter ihnen liegenden Wälder in Flammen zu setzen. Ein Stück der gläsernen Hülle war nach oben geschleudert worden, über den Rand des Luftwagens hinaus.

Dünnes Feuer breitete sich am Rand der Kanzel aus und griff mit flammenden Fingern nach der Stelle, wo sein Vater vornübergebeugt und bewußtlos lag.

Allart kämpfte seinen ersten Impuls nieder – sich vorzulehnen und das Feuer mit den Händen auszuschlagen. Auf diese Weise konnte Haftfeuer nicht gelöscht werden. Jedes Stück, das seine Hände berührte, würde durch seine Kleider und sein Fleisch bis auf die Knochen durchbrennen, solange es Nahrung fand. Erneut versenkte er sich in die Matrix – er hatte keine Zeit, den Feuertalisman, den Karinn ihm gegeben hatte, herauszuholen; er hätte ihn bereithalten sollen! – rief seine eigenen Flammen und setzte sie dem Haftfeuer entgegen. Sie loderten kurz empor, dann erstarb das Haftfeuer mit einem letzten Lichtfleckchen und war verschwunden.

»Vater!« schrie Allart. »Bist du verletzt?«

Sein Vater streckte ihm zitternde Hände entgegen. Die äußere Kante und der kleine Finger waren versengt, geschwärzt, aber soweit Allart erkennen konnte, hatte er keine schwereren Verletzungen. Mit schwacher Stimme sagte Dom Stephen: »Die Götter mögen mir vergeben, daß ich deinen Mut in Frage gestellt habe, Allart. Du hast uns alle gerettet. Ich fürchte, ich bin zu alt für einen solchen Kampf. Aber du hast das Feuer sofort besiegt.«

»Ist der Vai Dom verletzt?« rief Karinn von den Kontrollen her. »Seht! Sie sind geflohen.« Tatsächlich, tief am Horizont konnte Allart die abziehenden Punkte sehen. Hatten sie richtige Vögel mit einem Zauber belegt, damit sie ihre scheußlichen Waffen trugen? Oder handelte es sich um monströse, herangezüchtete Mutationen, die ebensowenig Vögel wie die Cralmac Menschen waren? Oder hatte man einen schrecklichen, mechanischen Apparat mit Matrixenergien ausgestattet und ihn ausgeschickt, um tödliche Waffen gegen sie anzuwenden? Allart wußte es nicht, und sein Vater befand sich in einem solchen Zustand, daß er eine Verfolgung der Angreifer nicht einmal in Gedanken erwog. »Er hat einen Schock und geringfügige Verbrennungen«, rief er Karinn besorgt zu. »Wie lange wird es dauern, bis wir da sind?«

»Nur noch wenige Augenblicke, Dom Allart. Ich kann schon den Glanz des Sees erkennen. Da, dort unten ...«

Der Luftwagen kreiste, und Allart konnte die Uferlinie und den schimmernden See sehen, der wie ein Meer von Edelsteinen an den Küsten von Hali lag ... Die Legende sagt, daß jeder Sand, auf dem Hastur, der Sohn des Lichts, wandelt, zu Edelsteinen wird ... Und da waren die merkwürdigen Heller-als-Wasser-Wellen, die sich unaufhörlich am Ufer brachen. Im Norden standen glänzende Türme, das Herrenhaus von Elhalyn, und am entfernten Ende des Sees der Turm von Hali, in sanftem Blau schimmernd. Als Karinn abwärts steuerte, löste Allart die beengenden Gurte und kletterte neben seinen Vater, nahm die verbrannten Hände in seine und versenkte sich in die Matrix, um mit dem geistigen Auge zu sehen und das Ausmaß der Verletzungen festzustellen. Die Wunde war in der Tat nur geringfügig; sein Vater litt nur unter einem Schock. Und sein Herz raste mehr aus Angst als vor Schmerz.

Unter sich konnte Allart Diener in den Hastur-Farben sehen. Sie rannten auf das Landefeld, als der Luftwagen sich heruntersenkte. Allart hielt die Hände seines Vaters in den seinen und versuchte, alles, was er voraussehen konnte, auszulöschen. Visionen, keine von ihnen ist wahr ... Der Luftwagen ist nicht in einem Flammenmeer explodiert ... Was ich sehe, muß nicht notwendigerweise eintreten – es handelt sich nur um das, was kommen kann, aus meinen Ängsten geboren ...

Der Luftwagen berührte den Boden. Allart schrie: »Holt die Leibdiener meines Vaters! Er ist verwundet. Ihr müßt ihn hineintragen!« Er hob seinen Vater hoch, ließ ihn in die wartenden Arme der Diener gleiten und folgte ihnen, als sie die gebrechliche Gestalt hineintrugen.

Von irgendwo sagte eine vertraute Stimme, die ihm vor Jahren verhaßt gewesen war: »Was ist mit ihm geschehen, Allart? Seid ihr in der Luft angegriffen worden?« Sie gehörte seinem älteren Bruder, Damon-Rafael.

Er beschrieb kurz die Begegnung, und nickend sagte Damon-Rafael: »Das ist die einzige Art, mit diesen Waffen umzugehen. Sie haben also die Falken-Dinger benutzt? Sie haben sie uns schon ein- oder zweimal geschickt, aber bisher nur eine Baumwiese verbrannt. Deswegen waren in diesem Jahr die Nüsse knapp.«

»Im Namen aller Götter, Bruder, wer sind diese Ridenows? Sind sie vom Blut von Hastur und Cassilda, daß sie solche Laran-Waffen gegen uns senden können?«

»Sie sind Aufsteiger«, sagte Damon-Rafael. »Am Anfang waren sie Trockenstadtbanditen, dann sind sie nach Serrais gezogen und haben die alten Familien gezwungen – oder sie eingeschüchtert –, ihnen ihre Töchter zu Frauen zu geben. Die Serrais hatten starkes Laran, einige von ihnen jedenfalls, und jetzt kannst du das Ergebnis sehen. Sie werden stärker. Sie reden von Waffenstillstand, und ich glaube, wir müssen mit ihnen verhandeln, denn die Kämpfe können nicht mehr lange so weitergehen. Aber sie werden keine Kompromisse akzeptieren. Sie wollen den Besitz von Serrais und erheben den Anspruch, daß sie mit ihrem Laran das Recht dazu haben ... Aber das ist nicht die Zeit, um über Krieg und Politik zu sprechen, Bruder. Wie steht es um unseren Vater? Er schien nicht sehr schlimm verletzt, aber wir müssen ihm sofort eine Heilkundige schicken. Komm.«

Man hatte Dom Stephen in der Großen Halle auf eine gepolsterte Bank gelegt. Eine Heilkundige stand neben ihm, strich Salben auf seine verbrannten Finger und verband sie mit weichen Stoffen. Eine andere Frau hielt einen Weinbecher an die Lippen des alten Fürsten. Er streckte eine Hand nach seinen auf ihn zueilenden Söhnen aus, und Damon-Rafael kniete neben ihm nieder. Als er seinen Bruder anblickte, kam es Allart vor, als schaue er in einen Zerrspiegel. Sieben Jahre älter, war Damon-Rafael ein wenig größer und schwerer als er selbst, hellhaarig und grauäugig wie alle Hasturs von Elhalyn, und sein Gesicht zeigte erste Anzeichen zunehmenden Alters.

»Die Götter seien gepriesen, daß Ihr uns erhalten geblieben seid, Vater!«

»Dafür mußt du deinem Bruder danken, Damon. Er war es, der uns gerettet hat.«

»Und wenn es nur dafür wäre, würde ich ihn zu Hause willkommen heißen«, sagte Damon-Rafael, wandte sich um und zog seinen Bruder in eine herzliche Umarmung.

»Willkommen, Allart. Ich hoffe, du bist gesund und ohne die krankhaften Launen, die du als Junge hattest, zu uns zurückgekehrt.«

»Bist du verletzt, mein Sohn?« fragte Dom Stephen mit einem besorgten Blick auf Allart. »Ich habe gesehen, daß du Schmerzen hattest.«

Allart zeigte ihm seine Hände. Er war von dem Feuer in keiner Weise körperlich berührt worden, aber er hatte den Feuerapparat mit der Berührung seines Geistes bewegt, und die Schwingungen waren bis in seine Hände vibriert. Überall auf den Handflächen waren rote Brandmale, die sich bis zu den Handgelenken erstreckten, aber der Schmerz war – wenn auch heftig – traumhaft, und ging von seinem Geist und nicht von dem verletzten Fleisch aus. Er konzentrierte sein Bewußtsein. Der Schmerz ging zurück. Die rötlichen Male begannen langsam zu verschwinden.

Damon-Rafael sagte: »Laß mich dir helfen, Bruder.« Er nahm Allarts Finger in seine Hände und konzentrierte sich intensiv auf sie. Unter seiner Berührung wurden die roten Male weiß. Lord Elhalyn lächelte.

»Ich freue mich sehr«, sagte er. »Mein jüngerer Sohn ist zu mir zurückgekehrt, stark und ein Krieger, und meine Söhne stehen als Brüder zusammen. Die Arbeit dieses Tages ist gut getan, wenn er auch gezeigt hat ...«

»Vater!« Allart sprang zu ihm, als die Stimme mit erschreckender Abruptheit abbrach. Die Heilkundige kam schnell heran, als der alte Mann nach Atem rang. Sein Gesicht wurde unter dem Blutandrang dunkler; dann sank er vornüber, glitt auf den Boden und blieb regungslos liegen.

Damon-Rafaels Gesicht war von Schrecken und Kummer verzerrt. »Vater ...« flüsterte er. Allart, in Entsetzen und Verzweiflung neben ihm stehend, blickte sich zum ersten Mal in der Großen Halle um und sah, was er in der ersten Verwirrung gar nicht wahrgenommen hatte: die grünen und goldenen Vorhänge, der große, geschnitzte Sessel am anderen Ende des Raumes.

Es war also die Große Halle meines Vaters, in der er tot lag, und ich habe es erst gesehen, als es zu spät war ... Meine Vorausschau war richtig, aber ich habe ihre Ursache falsch gedeutet ... Selbst das Wissen um die vielen Möglichkeiten verhindert nicht ...

Damon-Rafael senkte weinend das Haupt. Die Arme ausstreckend sagte er zu Allart: »Er ist tot; unser Vater ist ins Licht gegangen.« Die Brüder umarmten sich. Allart zitterte immer noch vor Entsetzen über das plötzliche Eintreffen der Zukunft, die er vorhergesehen hatte.

Um sie herum knieten die Diener einer nach dem anderen nieder und wandten sich den Brüdern zu. Damon-Rafael riß sich, obwohl sein Gesicht von Kummer verzerrt war und sein Atem stoßweise kam, zusammen, als sie die traditionellen Worte sprachen.

»Unser Fürst ist tot. Lang lebe unser Fürst.« Und kniend streckten sie ihre Hände aus, um Damon-Rafael zu huldigen.

Allart kniete nieder. Er war, wie es Recht und Gesetz entsprach, der erste, der dem neuen Großfürsten von Elhalyn, Damon-Rafael, Gehorsam gelobte.

Herrin der Stürme

Подняться наверх