Читать книгу Der verbotene Turm - Marion Zimmer Bradley - Страница 7

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Die beiden Bewahrerinnen von Arilinn, die junge und die alte, standen sich gegenüber. Callista dachte über Leonies Erscheinung nach. Sie war vielleicht nie schön gewesen, abgesehen von den ausdrucksstarken Augen, hatte jedoch regelmäßige Gesichtszüge voll heiterer Ruhe. Ihr Körper war flach und schmächtig, geschlechtslos wie der einer Emmasca, das Gesicht blass und leidenschaftslos, wie aus Marmor gehauen. Ein leichter Entsetzensschauer überrieselte Callista, als sie erkannte, dass die Gewohnheit von Jahren, die Disziplin, die bis in die Knochen gegangen war, ihren eigenen Ausdruck abschliff und sie kalt und zurückhaltend machte wie Leonie. Das Gesicht der alten Bewahrerin schien ihr ein Spiegel ihres eigenen zu sein, über die vielen toten Jahre hinweg, die vor ihr lagen. In einem halben Jahrhundert werde ich genau wie sie aussehen ... Aber nein! Nein! Ich will nicht, ich will nicht!

Wie alle Bewahrerinnen hatte sie gelernt, ihre eigenen Gedanken abzuschirmen. Mit seltsamer Hellsichtigkeit erfasste sie, dass Leonie von ihr erwartete, sie werde zusammenbrechen und weinen, bitten und betteln wie ein hysterisches Mädchen. Und doch hatte Leonie selbst ihr vor Jahren mit dieser eisigen Kälte, dieser absoluten Selbstbeherrschung die nötige Rüstung gegeben. Sie war Bewahrerin, in Arilinn ausgebildet; sie würde sich nicht als ungeeignet erweisen. Ruhig legte sie die Hände in den Schoß und wartete, und schließlich musste Leonie als Erste sprechen.

»Es hat eine Zeit gegeben«, sagte sie, »als ein Mann, der eine Bewahrerin zu verführen suchte, mit Haken zerrissen wurde, Callista.«

»Das ist Jahrhunderte her«, erwiderte Callista mit ebenso leidenschaftsloser Stimme wie Leonie. »Außerdem hat Andrew nicht versucht, mich zu verführen; er hat mir einen ehrenhaften Heiratsantrag gemacht.«

Leonie zuckte leicht die Schultern. »Das ist alles eins.« Sie schwieg lange Zeit. Das Schweigen wurde zu Minuten, und wieder spürte Callista, dass Leonie wollte, sie solle die Beherrschung verlieren und sie anflehen. Aber Callista wartete bewegungslos, und wieder war es Leonie, die das Schweigen brechen musste.

»Das ist dann also die Art, wie du deinen Eid hältst, Callista von Arilinn?«

Einen Augenblick lang schnürte der Schmerz Callista die Kehle zusammen. Der Titel stand nur einer Bewahrerin zu, dieser Titel, den sie um einen so schrecklichen Preis errungen hatte! Und Leonie sah so alt, so traurig, so müde aus!

Leonie ist alt, sagte sie zu sich selbst. Sie möchte die Bürde abwerfen, möchte sie in meine Hände geben. Ich bin seit meiner Kinderzeit so sorgfältig ausgebildet worden. Leonie hat so geduldig gearbeitet und auf den Tag gewartet, an dem ich den Platz einnehmen könnte, den sie für mich vorbereitet hat. Was wird sie jetzt tun?

Dann wurde der Schmerz von Zorn abgelöst, Zorn auf Leonie, weil sie auf diese Art mit ihren Gefühlen spielte. Callistas Stimme klang ruhig.

»Neun Jahre lang, Leonie, habe ich die Bürde des Bewahrerinneneides getragen. Ich bin nicht die Erste, die darum bittet, von ihm befreit zu werden, und ich werde auch nicht die Letzte sein.«

»Als ich Bewahrerin wurde, Callista, war es selbstverständlich, dass die Entscheidung für das ganze Leben galt. Ich habe meinen Eid mein Leben lang gehalten. Ich hatte gehofft, du seiest bereit, nicht weniger zu tun.«

Callista hätte gern geweint, hätte gern hinausgeschrieen Ich kann nicht, hätte Leonie gern angefleht. Sie dachte mit seltsamer Objektivität, dass es besser wäre, wenn sie es tun könnte. Dann würde Leonie sie für ungeeignet halten und eher bereit sein, sie freizugeben. Aber man hatte sie Stolz gelehrt, und sie hatte darum gekämpft und sich damit gerüstet, und jetzt konnte sie ihn auch nicht mehr ablegen.

»Mir ist nie gesagt worden, Leonie, dass der Eid, den ich ablegte, für mein ganzes Leben gilt. Du warst es, die mir versicherte, die Bürde sei zu schwer, um ohne innere Zustimmung getragen zu werden.«

Mit steinerner Geduld antwortete Leonie: »Das ist wahr. Doch ich hätte dich für stärker gehalten. Nun, dann erzähle mir darüber. Hast du schon bei deinem Liebhaber gelegen?« Das Wort hatte einen verächtlichen Klang; es war das Gleiche, das sie zuvor mit der Bedeutung »versprochener Gatte« benutzt hatte, doch diesmal versah Leonie es mit der herabsetzenden Endsilbe, die ihm den Sinn von »Buhle« verlieh. Callista musste eine Pause machen und alle Kraft sammeln, bevor sie mit fester Stimme sprechen konnte.

»Nein. Ich bin bisher noch nicht von meinem Eid befreit worden, und er ist zu ehrenhaft, um es zu verlangen. Ich habe um Erlaubnis zu einer Heirat gebeten, Leonie, nicht um Absolution für Verrat.«

»Wirklich?« Leonie legte Unglauben in das Wort. »Da du dich entschlossen hattest, deinen Eid zu brechen, wundere ich mich, dass du auf meine Erlaubnis gewartet hast!«

Diesmal brauchte Callista all ihre Selbstbeherrschung, um nicht in eine wütende Verteidigung ihrer selbst und Andrews auszubrechen. Dann wurde ihr klar, dass Leonie sie herausforderte, dass sie prüfen wollte, ob ihre Schülerin wirklich die Kontrolle über ihre sorgfältig disziplinierten Emotionen verloren habe. Dies Spiel kannte sie aus ihren ersten Tagen in Arilinn, und die Erinnerung erleichterte sie so sehr, dass sie am liebsten gelacht hätte. Gelächter war in dieser ernsten Konfrontation ebenso unvorstellbar wie Tränen, aber Belustigung schwang in ihrer Stimme mit, und sie wusste, Leonie merkte es. »Wir haben eine Hebamme auf Armida, Leonie. Lass sie holen, wenn du willst, und meine Jungfräulichkeit bestätigen.«

Jetzt senkte Leonie die Augen. Schließlich sagte sie: »Das wird nicht nötig sein, Kind. Aber ich hatte mich, als ich hierher kam, darauf vorbereitet, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass du vergewaltigt worden bist.«

»In der Gewalt der Nichtmenschen? Nein, ich musste Furcht, Kälte, Einkerkerung, Hunger und Misshandlung ertragen, aber eine Vergewaltigung ist mir erspart geblieben.«

»Es hätte im Grunde nichts zu bedeuten gehabt, weißt du«, sagte Leonie, und ihre Stimme war sehr sanft. »Natürlich braucht sich eine Bewahrerin im Allgemeinen nicht sehr vor einer Vergewaltigung zu fürchten. Du weißt ebenso gut wie ich, dass jeder Mann, der Hand an eine Bewahrerin legt, die so ausgebildet worden ist wie du, sein Leben riskiert. Aber möglich ist eine Vergewaltigung schon. Manche Frauen sind durch rohe Kraft überwältigt worden und hatten dann im letzten Augenblick Angst, jene Kraft, die sie schützen kann, zu aktivieren. Deshalb wollte ich dir unter anderem auch sagen: Selbst wenn du wirklich vergewaltigt worden wärst, hättest du immer noch die Wahl, mein Kind. Es ist nicht der körperliche Akt, der den Unterschied ausmacht, wie du weißt.« Callista hatte es nicht gewusst und war ein bisschen überrascht.

Leonie fuhr sachlich fort: »Wenn dich ein Mann ohne deine Zustimmung genommen hätte, wäre nichts weiter notwendig gewesen als eine kurze Zeit der Absonderung, um deine Ängste und Wunden zu heilen. Aber auch, wenn es keine Vergewaltigung war, wenn du dich aus Dankbarkeit oder Freundlichkeit deinem Retter hingegeben hast, ohne gefühlsmäßig richtig beteiligt zu sein – was ja gut möglich ist – selbst dann braucht es nicht unwiderruflich zu sein. Eine Zeit der Absonderung, der Neukonditionierung, und du könntest sein wie zuvor, unverändert, unbeschädigt, immer noch fähig, Bewahrerin zu sein. Das ist nicht allgemein bekannt; wir halten es aus offensichtlichen Gründen geheim. Aber du hast immer noch die Wahl, Kind. Ich möchte nicht, dass du denkst, du seist wegen einer Sache, die ohne deinen Willen geschehen ist, für alle Zeit aus dem Turm verstoßen.«

Leonie sprach immer noch ruhig, beinahe unbeteiligt, aber Callista wusste, dahinter stand ein Flehen.

Von Mitleid und Schmerz gefoltert, sagte Callista: »Nein, so ist es nicht, Leonie. Was zwischen uns geschehen ist... Das ist etwas ganz anderes. Ich lernte ihn kennen und lieben, bevor ich in dieser Welt jemals sein Gesicht gesehen hatte. Aber er ist zu ehrenhaft, um von mir zu verlangen, ich solle einen gegebenen Eid brechen, ohne die Erlaubnis erhalten zu haben.«

Leonie hob die Augen, und der stahlblaue Blick war plötzlich wie ein gleißender Blitz.

»Liegt es daran, dass er zu ehrenhaft ist«, fragte sie hart, »oder daran, dass du zu viel Angst hast?«

Callista war es wie ein Stich ins Herz, aber ihre Stimme blieb fest. »Ich habe keine Angst.«

»Vielleicht nicht um dich selbst – das glaube ich dir. Aber auch nicht um ihn, Callista? Du kannst immer noch ohne Strafe, ohne Unbill nach Arilinn zurückkehren, doch wenn du nicht zurückkehrst – soll das Blut deines Liebhabers über dich kommen? Du wärst nicht die erste Bewahrerin, die einem Mann den Tod bringt!«

Callista hob die Hand und öffnete die Lippen zum Widerspruch, aber Leonie winkte ihr zu schweigen und fuhr erbarmungslos fort: »Bist du im Stande gewesen, auch nur seine Hand zu berühren?«

Callista fühlte sich von Erleichterung überflutet, einer so großen Erleichterung, dass sie wie körperlicher Schmerz war und ihr die Kraft nahm. Mit dem getreuen Erinnerungsvermögen des Telepathen ließ sie ein Bild in sich aufsteigen, und es war, als sei die Zeit, die zwischen dem Damals und dem Heute lag, ausgelöscht...

Andrew hatte sie aus der Höhle getragen, wo die Große Katze tot lag, ein geschwärzter Leichnam neben der zerschmetterten Matrix, die sie entweiht hatte. Andrew hatte sie in seinen Mantel gewickelt und vor sich auf sein Pferd gesetzt. Von neuem fühlte sie, als sei es Wirklichkeit, wie sie sich an ihn lehnte, wie ihr Kopf an seiner Brust lag, in die Beugung seines Arms geschmiegt, wie sein Herz dicht an ihrer Wange schlug. Sicher, warm, glücklich, völlig im Frieden. Zum ersten Mal, seit sie zur Bewahrerin gemacht worden war, fühlte sie sich frei. Sie berührte und wurde berührt, sie lag in seinen Armen und war es zufrieden. Und während des ganzen langen Rittes nach Armida hatte sie dort gelegen, in seinen Mantel gewickelt, erfüllt von solchem Glück, wie sie es sich nie hatte vorstellen können.

Als Leonie das Bild in Callistas Gedanken auffing, veränderte sich das Gesicht der älteren Frau. Dann sagte sie mit sanfterer Stimme, als Callista je von ihr gehört hatte: »Ist das so, Chiya? Dann, wenn Avarra dir gnädig ist, möge es sein, wie du wünschst. Ich hatte es nicht für möglich gehalten.«

Und Callista empfand eine merkwürdige Unruhe. Ganz ehrlich war sie zu Leonie doch nicht gewesen. Ja, in dieser kurzen Zeitspanne hatte sie gebrannt vor Liebe, hatte sich warm, furchtlos, zufrieden gefühlt – aber dann war der alte nervöse Zwang nach und nach zurückgekommen, und jetzt fand sie es schon schwierig, seine Fingerspitzen zu berühren. Bestimmt war das nur die Gewohnheit, die jahrelange Gewohnheit, versicherte sie sich selbst. Bestimmt kam alles in Ordnung ...

Leonie fragte liebevoll: »Dann, Kind, würde es dich tatsächlich unglücklich machen, wenn du von deinem Liebhaber scheiden müsstest?«

Callista merkte, dass sie ihre ruhige Haltung verloren hatte. Sie sagte – und sie wusste, dass ihre Stimme brach und dass die Tränen aus ihren Augen stürzten –: »Ich würde nicht weiterleben wollen, Leonie.«

»So ...« Leonie sah sie mit schrecklicher, losgelöster Traurigkeit lange an. »Begreift er, wie schwer es sein wird, Kind?«

»Ich glaube – ich bin sicher, dass ich es ihm klarmachen kann«, meinte Callista zögernd. »Er hat versprochen, so lange zu warten, wie wir müssen.«

Leonie seufzte. Nach kurzem Schweigen sagte sie: »Nun, dann, Kind ... Kind, ich will nicht, dass du unglücklich wirst. Wie ich gesagt habe, der Eid einer Bewahrerin ist eine zu schwere Bürde, um ohne innere Zustimmung getragen zu werden.« Sie vollführte eine merkwürdige förmliche Geste: Sie streckte Callista ihre Handflächen entgegen, und die jüngere Frau legte die ihren dagegen. Leonie holte tief Atem. »Sei frei von deinem Eid, Callista Lanart Vor den Göttern und vor allen Menschen erkläre ich dich für schuldlos und von der Fessel los, und dabei werde ich bleiben.«

Langsam trennten sich ihre Hände. Callista flog an allen Gliedern. Leonie nahm ihr Taschentuch und trocknete Callistas Augen. Sie flüsterte: »Ich bete darum, dass ihr beide stark genug sein werdet.« Sie schien noch etwas sagen zu wollen, unterließ es jedoch. »Nun, ich nehme an, dein Vater wird eine ganze Menge dazu zu sagen haben, mein Liebling. Deshalb wollen wir gehen und es uns anhören.« Lächelnd setzte sie hinzu: »Und dann, wenn er es alles gesagt hat, werden wir ihm berichten, was sein wird, ob es ihm gefällt oder nicht. Hab keine Angst, mein Kind; ich fürchte mich nicht vor Esteban Lanart, und du darfst es auch nicht tun.«

Andrew wartete in dem Gewächshaus, das sich hinter dem Hauptgebäude auf Armida erstreckte. Allein, wie er war, blickte er durch das dicke, wellige Glas auf die Umrisse der fernen Berge. Es war heiß hier, und es roch durchdringend nach Blättern und Erde und Pflanzen. Unter dem Licht der Sonnenkollektoren musste er die Augen zusammenkneifen, bis er sich daran gewöhnt hatte. Er schritt durch die Reihen der Pflanzen, die feucht waren vom Bewässern, und fühlte sich isoliert und schrecklich einsam.

Hin und wieder überkam ihn dies Gefühl. Meistens fühlte er sich hier zu Hause, mehr zu Hause als er sich je anderswo im Imperium gefühlt hatte, seit die Pferderanch in Arizona, wo er seine Kindheit verbracht hatte, schuldenhalber verkauft worden und er als Zivilangestellter des Imperiums in den Raum gegangen war. Damals war er achtzehn gewesen. Nach dem Willen der Administratoren und Computer war er von Planet zu Planet geschickt worden. Und hier hatte man ihn nach den ersten paar Tagen der Fremdheit willkommen geheißen. Als man hörte, er verstehe etwas über das Einbrechen und Trainieren von Pferden, was auf Darkover ein seltenes und hoch bezahltes Fachgebiet war, hatte man ihn als einen Mann, der seinen Beruf verstand, mit Achtung behandelt. Von den Pferden auf Armida hieß es, sie seien die Besten in den Domänen, aber die Trainer holte man sich für gewöhnlich aus Dalereuth weit im Süden.

Und so war er im Allgemeinen in den Wochen, seit er als Callistas versprochener Gatte hierher gekommen war, glücklich gewesen. Seine terranische Geburt war nur Damon und Dom Esteban, Callista und Ellemir bekannt. Die anderen hielten ihn einfach für einen Fremden aus dem Tiefland jenseits von Thendara. So unglaublich es war, er hatte hier eine zweite Heimat gefunden. Die Sonne war riesig und blutig rot, die vier Monde, die nachts über den merkwürdig violetten Himmel zogen, hatten ungewohnte Farben und trugen Namen, die er noch nicht kannte, aber trotz allem war das hier sein Zuhause geworden ...

Zuhause.

Und doch gab es Augenblicke wie diesen, Augenblicke, da er sich grausam isoliert fühlte, da er erkannte, nur Callistas Anwesenheit machte Armida zu einem Zuhause für ihn. Unter dem mittäglichen Glitzern des Gewächshauses überkam ihn diese Stimmung von neuem. Wonach sehnte er sich? Es gab nichts in der Welt, das man ihn gelehrt hätte, sein Eigen zu nennen, nichts in der trockenen und öden Welt des Terranischen Hauptquartiers, und er verlangte auch nach nichts. Aber konnte er hier Wurzeln schlagen, oder würde Leonie Callista wieder in die fremdartige Welt der Türme entführen?

Nach langer Zeit wurde ihm bewusst, dass Damon hinter ihm stand. Damon berührte ihn nicht – Andrew hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass das unter Telepathen nicht der Brauch war –, aber er war ihm nahe genug, dass er die Anwesenheit des älteren Mannes als Trost empfand.

»Mach dir darüber keine Sorgen, Andrew. Leonie ist kein Menschenfresser. Sie liebt Callista. Die Bande eines Turmkreises sind die stärksten, die wir kennen. Sie wird wissen, was Callista wirklich wünscht.«

»Gerade das fürchte ich«, würgte Andrew mit trockener Kehle hervor. »Vielleicht weiß Callista nicht, was sie wünscht. Vielleicht wandte sie sich mir nur zu, weil sie allein und verängstigt war. Ich fürchte den Einfluss dieser alten Frau auf sie. Die Macht des Turms – sie ist vielleicht zu stark.«

Damon seufzte. »Und doch kann sie gebrochen werden. Ich habe sie gebrochen. Es war schwer – ich kann dir gar nicht erzählen, wie schwer es war und doch habe ich mir schließlich ein neues Leben aufgebaut. Und solltest du Callista auf diese Weise verlieren, ist es besser jetzt als später, wenn es für sie zu spät für eine Rückkehr ist.«

»Es ist bereits zu spät für mich«, sagte Andrew, und Damon nickte mit beunruhigtem Lächeln.

»Auch ich möchte dich nicht verlieren, mein Freund.« Bei sich dachte Damon: Du bist Teil dieses neuen Lebens, das ich mir mit so unendlicher Mühe aufgebaut habe. Du und Ellemir und Callista. Ich ertrage keine weitere Amputation mehr. Aber Damon sprach es nicht aus, er seufzte nur und blieb neben Andrew stehen. Das Schweigen in dem Gewächshaus dauerte so lange, dass die rote Sonne vom Zenit herniederstieg und ihre Kraft verlor, und Damon ging schließlich, um die Sonnenkollektoren umzustellen. Andrew schleuderte ihm entgegen: »Wie kannst du so ruhig warten? Was sagt diese alte Frau ihr?«

Doch Andrew hatte bereits gelernt, dass das Belauschen der Gedanken eines anderen in der Kaste der Telepathen als schändlichstes Verbrechen galt. Er wagte nicht einmal einen Versuch, Callista auf diese Weise zu erreichen. In seiner Erregung lief er im Gewächshaus auf und ab.

»Ruhig, ruhig«, mahnte Damon. »Callista liebt dich. Das lässt sie sich von Leonie nicht ausreden.«

»Selbst dessen bin ich mir nicht mehr sicher!«, rief Andrew verzweifelt. »Sie lässt es nicht zu, dass ich sie berühre, dass ich sie küsse ...«

Freundlich erwiderte Damon: »Ich dachte, das hätte ich dir erklärt. Sie kann es nicht. Das sind ... Reflexe. Sie sitzen tiefer, als du dir vorstellen kannst. Eine jahrelange Gewohnheit lässt sich nicht in wenigen Tagen ablegen. Aber ich kann dir versichern, dass sie schwer darum kämpft, diese ... diese Konditionierung zu brechen. Du weißt, nicht wahr, dass sie in einem Turm nicht einmal daran denken würde, deine Hand zu ergreifen, wie ich es sie habe tun sehen, oder dir zu erlauben, ihre Fingerspitzen zu küssen. Hast du eine Vorstellung, welchen Kampf das gekostet hat?«

Gegen seinen Willen stieg in Damon die Erinnerung an die Zeit in seinem Leben hoch, als er sich unter Schmerzen selbst gelehrt hatte, sich nicht zu erinnern. Es war ein einsamer Kampf gewesen, und umso schlimmer, als er überhaupt nicht körperlich war. Er musste sein Bewusstsein von Leonies Anwesenheit unterdrücken, er musste sogar seine Gedanken unter Kontrolle halten. Sie durfte um keinen Preis erraten, was er verbarg. Nie hätte er eine Berührung der Fingerspitzen gewagt, wie Callista sie Andrew im Korridor gewährte, bevor sie zu Leonie hinaufging.

Erleichtert sah er, dass Ellemir das Gewächshaus betreten hatte. Sie schritt zwischen den Reihen grüner Pflanzen dahin und kniete vor einer mit schweren Trauben beladenen Weinrebe nieder. Befriedigt stand sie auf. »Wenn wir noch einen weiteren Tag Sonnenschein haben, werden sie zur Hochzeit reif sein.« Dann verblasste ihr Lächeln, als sie Damons verkrampftes Gesicht, Andrews verzweifelte Ruhe bemerkte. Sie ging zu Damon, hob sich auf die Zehenspitzen und legte die Arme um ihn. Sie spürte sein Verlangen nach dem Trost ihrer Nähe, ihrer Berührung. Auch Andrew hätte sie gern getröstet, als er niedergeschlagen sagte: »Und selbst wenn Leonie ihre Zustimmung gibt, was ist mit ihrem Vater? Wird er zustimmen? Ich glaube nicht, dass er mich besonders mag ...«

»Er mag dich bestimmt«, widersprach Ellemir, »aber du musst verstehen, er ist ein stolzer Mann. Er war der Ansicht, ich sei zu gut für Damon, aber ich bin alt genug, nach meinem eigenen Willen zu handeln. Wenn er mich Aran Elhalyn angeboten hätte, der den Thron zu Thendara warm hält, wäre Vater immer noch der Meinung gewesen, er sei nicht gut genug. Für Callista kann kein vom Weibe geborener Mann gut genug sein, und wäre er so reich wie der Lord von Carthon und dazu der Bastardsohn eines Gottes! Und natürlich ist es auch heute noch eine große Ehre, ein Kind in Arilinn zu haben. Callista sollte Bewahrerin von Arilinn werden, und es wird ihn hart ankommen, darauf zu verzichten.« Andrews Herz sank. Ellemir sagte: »Mach dir keine Sorgen! Ich glaube, es wird alles gut werden. Sieh, da kommt Callista.«

Die Tür oben an der Treppe öffnete sich, und Callista stieg in das Gewächshaus hinunter. Blindlings streckte sie ihnen die Hände entgegen.

»Ich werde nicht nach Arilinn zurückkehren«, sagte sie, »und Vater hat seine Zustimmung zu unserer Heirat gegeben ...«

Schluchzend brach sie zusammen. Andrew breitete seine Arme aus, aber sie wandte sich von ihm ab und lehnte sich gegen die schwere Glaswand. Sie versteckte ihr Gesicht, und ihre schmalen Schultern hoben sich unter heftigem Weinen.

Andrew, der alles außer ihrem Elend vergaß, wollte sie an sich ziehen. Damon fasste seinen Arm und schüttelte entschieden den Kopf. Niedergeschlagen blieb Andrew neben der schluchzenden Frau stehen. Er konnte ihren Jammer nicht mit ansehen, und doch war es ihm nicht möglich, irgendetwas dagegen zu unternehmen.

Ellemir trat zu ihrer Schwester und drehte sie sanft zu sich um. »Stütze dich nicht an die alte Wand, Liebes, wenn hier drei sind, die Schultern haben, an denen du dich ausweinen kannst.« Sie trocknete ihrer Schwester die Tränen mit ihrer langen Schürze. »Erzähle es uns. War Leonie sehr grässlich zu dir?« .

Callista schüttelte den Kopf und blinzelte mit den geröteten Augen. »O nein, sie hätte nicht gütiger sein können ...«

Skeptisch meinte Ellemir: »Ja, warum heulst du dann wie ein Unheil verkündender Geist? Hier warten wir voller Qual, weil wir die Nachricht fürchten, du würdest uns entrissen und zurück zum Turm gebracht, und wenn du kommst und uns sagst, alles sei gut, und wir uns mit dir freuen wollen, fängst du an zu plärren wie eine schwangere Dienstmagd!«

»Sprich nicht so!«, rief Callista. »Leonie ... Leonie war freundlich, ich glaube wirklich, sie versteht mich. Aber Vater ...«

»Arme Callie«, sagte Damon leise. »Ich habe seine scharfe Zunge oft genug zu spüren bekommen.«

Andrew vernahm den Kosenamen mit Überraschung und einem plötzlichen, scharfen Stich der Eifersucht. Die hübsche Abkürzung ihres Namens war ihm unbekannt, und dass Damon sie so selbstverständlich benutzte, deutete auf eine Intimität hin, die seine eigene isolierte Stellung unterstrich. Er dachte daran, dass Damon schon seit Callistas frühester Kindheit ein Freund des Hauses gewesen war.

Callista hob die Augen und erklärte ruhig: »Leonie entband mich von meinem Eid, Damon, ohne Wenn und Aber.« Damon spürte den qualvollen Kampf hinter ihrer erzwungenen Ruhe und dachte: Ich glaube, wenn Andrew sie unglücklich macht, werde ich ihn töten. Laut sagte er nur: »Mit deinem Vater war es dann natürlich eine andere Geschichte. Er war also fürchterlich?«

Zum ersten Mal lächelte Callista. »Ja, sehr fürchterlich, aber Leonie ist noch sturer als er. Sie sagte, eine Wolke könne man nicht in Fesseln schlagen. Und Vater ging auf mich los. Oh, Andrew, er sagte schreckliche Sachen. Du habest seine Gastfreundschaft missbraucht, du habest mich missbraucht, du habest mich verfuhrt...«

»Verdammter alter Tyrann!«, rief Damon wütend aus. Andrew verzog nur zornig den Mund. »Wenn er glaubt, dass ...«

»Er glaubt es jetzt nicht mehr.« In Callistas Augen glomm ein Schimmer ihrer alten Fröhlichkeit auf. »Leonie erinnerte ihn daran, dass ich keine dreizehn Jahre mehr bin, dass er, als die Tore von Arilinn sich damals hinter mir schlossen, jedes Recht abgetreten habe, mir die Heirat zu erlauben oder zu verbieten, dass selbst in dem Fall, wenn Leonie mich ungeeignet gefunden und aus dem Turm weggeschickt hätte, bevor ich mündig und zur Frau erklärt war, es ihr und nicht sein Recht gewesen wäre, einen Gatten für mich zu suchen. Sie hatte noch mehr solcher Wahrheiten für ihn, die er gar nicht gern hörte.«

»Evanda sei gepriesen, dass du wieder lachst, Liebling!«, rief Ellemir. »Wie nahm Vater diese unfreundlichen Wahrheiten auf?«

»Nun, sie passten ihm nicht, wie du dir vorstellen kannst«, antwortete Callista. »Doch am Ende konnte er nichts anderes tun, als sie zu akzeptieren. Ich glaube, er war sogar froh, dass er mit Leonie streiten konnte. Wir haben uns, seit er verwundet wurde, alle viel zu sehr nach seinen Launen gerichtet. Allmählich handelte er wieder wie sein altes Selbst, und vielleicht fühlte er sich auch ein bisschen mehr wie sein altes Selbst. Als er dann murrend zugestimmt hatte, legte es Leonie darauf an, ihn zu bezaubern. Sie erzählte ihm, wie glücklich er sei, zwei voll erwachsene Schwiegersöhne zu haben, die das Gut für ihn bewirtschaften, so dass Domenic seinen Platz im Rat einnehmen kann, und zwei Töchter, die hier leben und ihm Gesellschaft leisten. Endlich sagte er, Leonie habe es ja klargemacht, dass ich seinen Segen nicht brauche, um zu heiraten, aber er bittet dich, zu ihm zu kommen und seinen Segen in Empfang zu nehmen.«

Andrew war immer noch zornig. »Wenn der alte Tyrann meint, ich gebe einen Pfifferling um seinen Segen – oder auch um seinen Fluch ...«, begann er. Damon legte die Hand auf sein Handgelenk und unterbrach ihn.

»Andrew, das bedeutet, dass er dich als Sohn in seinem Haus aufnimmt, und um Callistas willen solltest du es mit Würde über dich ergehen lassen. Callie hat bereits eine Familie verloren, als sie sich deinetwegen entschloss, nicht nach Arilinn zurückzukehren. Nur wenn du ihn so hasst, dass du nicht in Frieden mit ihm unter einem Dach leben kannst...«

»Ich hasse ihn überhaupt nicht«, entgegnete Andrew, »aber ich kann für meine Frau in meiner eigenen Welt sorgen. Ich will nicht ohne einen Pfennig zu ihm kommen und seine Mildtätigkeit annehmen.«

Damon sagte leise: »Die Mildtätigkeit, Andrew, liegt auf deiner und meiner Seite. Er kann noch viele Jahre leben, aber er wird nie wieder einen Fuß auf den Boden setzen. Domenic muss seinen Platz im Rat einnehmen. Sein jüngerer Sohn ist ein Kind von elf. Wenn du ihm Callista nimmst, überlässt du ihn der Gnade von bezahlten Fremden oder von entfernten Verwandten, die aus Habgier kommen und Zusehen, welche Knochen sie aufsammeln können. Wenn du aber hier bleibst und ihm hilfst, das Gut zu verwalten, und ihm die Gesellschaft seiner Tochter lässt, gibst du ihm weit mehr, als du empfängst.«

Andrew dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass Damon Recht hatte. »Doch wenn Leonie ihm die Zustimmung gegen seinen Willen abgerungen hat...«

»Nein, dann hätte er nie seinen Segen angeboten«, widersprach Damon. »Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang. Wenn er immer noch grollte, hätte er etwas gesagt wie: Da, nimm sie, und zur Hölle mit euch beiden! Stimmt das nicht, Callista?«

»Damon hat Recht. Vater ist schrecklich im Zorn, aber kein Mann, der seinen Groll nährt.«

»Dazu neigt er weniger als ich«, pflichtete ihr Damon bei. »Esteban hat einen Zornausbruch, und dann ist alles wieder gut, und er wird dich so aufrichtig an sein Herz ziehen, wie er dich einen Augenblick vorher fortgestoßen hat. Wahrscheinlich werdet ihr wieder einmal streiten, denn er ist von aufbrausendem Temperament und reizbar. Aber er wird dir nie einen alten Groll wie abgestandenen Haferbrei auftischen.«

Als Damon und Ellemir gegangen waren, sah Andrew Callista an. »Ist es wirklich das, was du willst, meine Liebste? Ich habe nichts gegen deinen Vater. Ich war nur wütend, weil er dich eingeschüchtert und zum Weinen gebracht hat. Wenn du hier bleiben möchtest...«

Sie sah zu ihm hoch, und die alte Verbundenheit hüllte sie ein, die sie einander nahe gebracht hatte, bevor sie sich begegneten. Der geistige Kontakt hatte für ihn mehr Realität als die zögernde und ängstliche körperliche Berührung, die alles war, was sie ihm erlauben konnte. »Wenn zwischen dir und Vater keine Übereinstimmung möglich wäre, würde ich dir an jeden beliebigen Ort auf Darkover oder in eurem Sternen-Imperium folgen. Aber nur mit einem Kummer, den ich nie würde ausloten können. Dies ist meine Heimat, Andrew. Der innigste Wunsch meines Herzens ist, dass ich sie nie wieder verlassen muss.«

Er zog ihre Fingerspitzen behutsam an seine Lippen und sagte leise: »Dann soll es auch meine Heimat sein, Geliebte. Für immer.«

Als Andrew und Callista dem anderen Paar in das Hauptgebäude folgten, fanden sie Damon und Ellemir auf einer Bank neben Dom Esteban sitzen. Nun stand Damon auf und kniete vor dem alten Mann nieder. Er sagte etwas, das Andrew nicht hören konnte, und der Lord von Alton erwiderte lächelnd: »Du hast dich mir viele Male als Sohn erwiesen, Damon, mehr braucht es nicht für mich. Nimm meinen Segen.« Er legte seine Hand für einen Augenblick auf Damons Kopf. Der jüngere Mann erhob sich, beugte sich vor und küsste Dom Esteban auf die Wange.

Dom Esteban blickte mit ernstem Lächeln über Damons Kopf hinweg. »Bist du zu stolz, für meinen Segen niederzuknien, Ann’dra?«

»Nicht zu stolz, Sir. Wenn ich jetzt oder zu anderen Zeiten gegen den Brauch verstoße, bitte ich Euch, Lord Alton, darin nur meinen Mangel an Kenntnis dessen, was als schicklich gilt, zu sehen, und keine bewusste Verletzung der Sitten.«

Dom Esteban winkte das Paar zu einem Platz neben Damon und Ellemir. »Ann’dra...« – er benutzte immer noch die darkovanische Abwandlung des Namens – »... ich weiß nichts wirklich Schlechtes von deinen Leuten, aber ich weiß auch wenig, das gut ist. Ich nehme an, sie sind wie die meisten Menschen, einige gut und einige schlecht, und die meisten werden weder das eine noch das andere sein. Wärst du ein schlechter Mann, so hätte meine Tochter wohl nicht den Wunsch, dich gegen alle Sitten und den gesunden Menschenverstand zu heiraten. Aber du kannst es mir nicht übel nehmen, wenn ich nicht besonders glücklich dabei bin, mein geliebtestes Kind einem Außenweltler zu geben, sei es auch einer, der sich als ehrenhaft und tapfer erwiesen hat.«

Andrew, der neben Ellemir auf der Bank saß, spürte, dass sie die Hände fest ballte, als er von Callista als seinem geliebtesten Kind sprach. Es war grausam, dachte Andrew, das in ihrer Gegenwart zu tun. Schließlich war es Ellemir gewesen, die als pflichtgetreue und gehorsame Tochter all diese Jahre zu Hause geblieben war. Die Empörung über die Taktlosigkeit des alten Mannes machte seine Stimme kühl.

»Ich kann nur sagen, Sir, dass ich Callista liebe und versuchen will, sie glücklich zu machen.«

»Ich glaube nicht, dass sie unter deinen Leuten glücklich sein wird. Hast du die Absicht, mit ihr fortzugehen?«

»Wenn Ihr unserer Heirat nicht zugestimmt hättet, Sir, wäre mir keine andere Wahl geblieben.« Aber hätte er dies empfindsame Mädchen, das unter Telepathen aufgewachsen war, wirklich in die Terranische Zone bringen können, wo sie zwischen hohen Gebäuden und Maschinen gefangen war? Hätte er sie den Leuten zur Schau stellen sollen, die sie wie eine exotische Missgeburt betrachteten? Ihr Laran hätte man ihr schon als Geisteskrankheit oder Scharlatanerie ausgelegt. »Wie die Dinge stehen, Sir, will ich mit Freuden hier bleiben. Vielleicht kann ich Euch beweisen, dass Terraner nicht so fremdartig sind, wie Ihr denkt.«

»Das weiß ich bereits. Hältst du mich für undankbar? Ich weiß ganz genau: Wärst du nicht gewesen, dann wäre Callista in den Höhlen gestorben, und das Land würde immer noch unter der verfluchten Dunkelheit liegen!«

»Ich glaube, das waren mehr Damons Taten als meine, Sir«, erklärte Andrew fest.

Der alte Mann lachte kurz und trocken auf. »Und nun ist es so wie im Märchen, dass ihr beiden mit der Hand meiner Töchter und der Hälfte meines Königreichs belohnt werden solltet. Nun, ich habe kein Königreich zu verschenken, Ann’dra, aber du hast hier den Platz eines Sohnes, solange du lebst, und wenn du es wünschst, deine Kinder nach dir.«

Callista liefen die Augen über. Sie glitt von der Bank und kniete sich neben ihren Vater. Sie flüsterte »Danke«, und seine Hand ruhte für einen Augenblick auf ihren kupfrig glänzenden Zöpfen. Über ihren gebeugten Kopf sprach er: »Nun komm, Ann’dra, knie nieder und empfange meinen Segen.« Die harte Stimme klang freundlich.

Mit einem Gefühl der Verwirrung, das zur Hälfte Verlegenheit, zur Hälfte unauslöschbare Fremdheit war, kniete Andrew neben Callista. An der Oberfläche seines Geistes schwammen Zufallsgedanken, zum Beispiel, wie verdammt blöde das im Hauptquartier wirken würde, und »wenn du in Rom bist ...«, aber tiefer unter der Oberfläche erwärmte sich etwas in ihm für die Geste. Er fühlte die breite, schwielige Hand des alten Mannes auf seinem Kopf, und sein neues telepathisches Bewusstsein, mit dem er seinen Frieden noch nicht ganz gemacht hatte, empfing eine merkwürdige Mischung von Emotionen: Böse Vorahnungen, überblendet von einer versuchsweisen, spontanen Sympathie. Er war überzeugt, das, was er wahrnahm, empfand der alte Mann für ihn, und zu seiner eigenen Überraschung war es dem, was er selbst für den Comyn-Lord empfand, nicht allzu unähnlich.

Er versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen, obwohl er ganz sicher war, dass der alte Mann wiederum seine Gedanken lesen konnte: »Ich bin dankbar, Sir. Ich werde versuchen, Euch ein guter Sohn zu sein.«

Dom Esteban knurrte: »Du siehst selbst, dass ich zwei gute Söhne brauchen kann. Aber hast du die Absicht, mich für den Rest deines Lebens Sir zu nennen, Sohn?«

»Natürlich nicht, Verwandter.« Er benutzte jetzt die vertrauliche Form des Wortes, wie Damon es tat. Sie konnte »Onkel« oder sonst einen nahen Verwandten aus der Generation des Vaters bedeuten. Er erhob sich, und als er zurücktrat, fing er den seltsam starren Blick des Jungen Dezi auf, der schweigend hinter Esteban stand. Dieser Blick war voll zorniger Intensität – ja, und Andrew spürte Groll und Neid.

Armes Kind, dachte er. Ich komme als Fremder her, und man behandelt mich wie einen Familienangehörigen. Er gehört zur Familie – und der alte Mann behandelt ihn wie einen Diener oder einen Hund! Kein Wunder, dass das Kind eifersüchtig ist!

Der verbotene Turm

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