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(Lew Altons Erzählung)

Vater blieb während der ersten Tage der Ratssitzungen bettlägerig, und ich war zu belastet und beschäftigt, um mich viel um die Kadetten kümmern zu können. Ich musste an den Ratssitzungen teilnehmen, die sich zu diesem Zeitpunkt mit besonders langweiligen Handelsvereinbarungen mit den Trockenstädten befassten. Doch zu einem fand ich die Zeit, nämlich dafür zu sorgen, dass die Treppe repariert wurde, ehe sich noch jemand dort den Hals oder ein Bein brach. Auch das war mühselig: Ich musste mich tagelang mit Architekten und Bauunternehmern und Steinmetzen auseinander setzen, die Kadetten husteten von morgens bis abends wegen des Staubs, und die Älteren murrten, weil sie einen Umweg gehen und eine andere Treppe benutzen mussten.

Lange Zeit, bevor ich ihn für genesen hielt, bestand Vater darauf, seinen Sitz im Rat wieder einzunehmen, den ich gern räumte. Viel zu bald darauf kehrte er zu der Wache zurück. Sein Arm war noch in der Schlinge, und er sah schrecklich mitgenommen und bleich aus. Ich vermutete, er teilte meine Unsicherheit, wie es den Kadetten wohl in diesem Jahr ergehen würde, jedoch sagte er nichts darüber. Unaufhörlich nagte der Gedanke an mir. Ich war wegen Vater beunruhigt, machte mir aber auch meine ureigenen Sorgen. Wenn mein Vater frei entschieden hätte, Dyan Ardais zu vertrauen, wäre ich nicht so verwirrt gewesen. Doch ich hatte das Gefühl, dass auch er gezwungen wurde und dass Dyan es genoss, die Macht dazu zu haben.

Ein paar Tage später kam Gabriel Lanart-Hastur von Edelweiß mit der Nachricht zurück, dass Javanne Zwillinge, beides Mädchen, geboren habe, denen sie die Namen Ariel und Liriel gegeben hatten. Zusammen mit Gabriel schickte mich mein Vater auf einen Auftrag in die Berge, um ein neues System von Feuerwachtürmen einzuführen und die Feuerwachstationen zu inspizieren, die in den Tagen meines Großvaters errichtet worden waren, und um die Bergbewohner in neuen Feuerbekämpfungsmaßnahmen zu unterweisen. Diese Aufträge verlangen ein hohes Maß an Taktgefühl und einige Comyn-Autorität, denn es müssen Menschen zu einer friedlichen Zusammenarbeit überzeugt werden, die oftmals seit Generationen durch Familienfehden und Rivalitäten zerstritten sind. Die Feuerbekämpfung ist eine der ältesten Traditionen auf Darkover, doch in Gegenden, wo seit Jahren keine Waldbrände mehr aufgetreten sind, ist es schwer, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Feuerbewachungsmaßnahmen ausgedehnt und die Feuerstationen und Wachtürme aufrechterhalten werden müssen.

Ich genoss die volle Autorität meines Vaters, und das half mir auch. Das Gesetz der Comyn geht über persönliche Fehden und Rivalitäten hinaus – oder sollte es zumindest. Ich hatte ein Dutzend Wachen für die körperlichen Arbeiten dabei, doch ich musste die Redearbeit leisten, musste überreden und besänftigen, wenn alte Fehden außer Kontrolle gerieten. Es bedurfte eines erheblichen Maßes an Takt und Mitdenken. Man musste auch eine Menge über die verschiedenen Familien wissen, ihre erbliche Loyalität, ihre Heiraten und Interaktionen während der letzten sieben oder acht Generationen. Es war bereits Mittsommer, als ich zurück nach Thendara ritt, doch ich fühlte, ein gutes Stück weitergekommen zu sein. Jeder Schritt gegen die Bedrohung durch Waldbrände auf Darkover beeindruckt mich weitaus mehr als alle politischen Vervollkommnungen der letzten hundert Jahre. Das ist wirklich etwas, was wir der terranischen Präsenz auf Darkover verdanken: ein Zuwachs an Wissen bei der Feuerkontrolle und ein Informationsaustausch mit anderen dicht bewaldeten Planeten des Reiches über neue Methoden des Überlebens und des Schutzes.

Draußen in den Bergen bedeutete der Name der Comyn etwas. Näher bei den Handelsstützpunkten hat der Einfluss der Erde die Gewohnheit abgeschliffen, die Comyn als natürliche Führer zu betrachten. Doch dort draußen war die Macht des bloßen Namens Comyn ungeheuer. Die Leute wussten entweder nicht, dass ich ein halbterranischer Bastard war, oder sie kümmerten sich nicht darum. Ich war der Sohn Kennard Altons, und nur das war wichtig. Zum ersten Mal besaß ich die volle Autorität eines Comyn-Erben.

Ich legte sogar eine Blutfehde bei, die seit drei Generationen gewütet hatte, indem ich vorschlug, dass der älteste Sohn des einen Hauses die Tochter des anderen heiratete und das Land, um das es ging, auf beider Kinder übertragen würde. Nur ein Comyn-Lord hätte dies vorschlagen können, ohne sich selber in diese Fehde zu verwickeln, doch sie akzeptierten es. Als ich an die Leben dachte, die ich so rettete, war ich darüber sehr glücklich.

Ich ritt an einem Morgen im Hochsommer nach Thendara zurück. Ich habe von Leuten, die von anderen Planeten kamen, gehört, wir hätten keinen Sommer, doch es hatte seit drei Tagen keinen Schnee gegeben, selbst nicht in den frühen Morgenstunden, und das war für mich Sommer genug. Die Sonne war verschwommen und halb hinter Wolken versteckt, doch als wir vom Pass herab durch die Nebelbänke ritten, brach sie durch und warf dunkelrote Schatten auf die Stadt vor uns. Alte Leute und Kinder versammelten sich innerhalb der Stadttore, um uns zuzusehen, und ich merkte, dass ich vor mich hin lächelte. Zum Teil lag das natürlich an dem Gedanken, in den folgenden beiden Nächten im gleichen Bett schlafen zu können. Doch teilweise war es auch deshalb, weil ich wusste, gute Arbeit geleistet zu haben. Zum ersten Mal in meinem Leben schien mir, als sei diese Stadt meine Stadt, dass ich heimkam. Ich hatte mir diese Aufgabe nicht ausgesucht – ich wurde hineingeboren –, doch nun verachtete ich dieses Leben nicht mehr so sehr.

Als ich in den Stallhof der Wache ritt, sah ich einen Trupp Kadetten auf Wache an den Toren und weitere auf dem Weg zur Messe. Sie wirkten recht soldatisch, nicht mehr wie jene unbeholfenen Kinder, die sie noch am ersten Tag gewesen waren. Offensichtlich hatte Dyan gute Arbeit geleistet. Nun, seine Kompetenz hatte ich auch niemals in Frage gestellt, doch immerhin fühlte ich mich nun besser. Ich übergab das Pferd dem Stallburschen und ging, um meinem Vater Bericht zu erstatten.

Er trug nun keine Verbände mehr, und der Arm hing nicht mehr in der Schlinge, doch er sah immer noch blass aus, und seine Lahmheit fiel stärker auf als vorher. Er trug die Ratskleidung, keine Uniform. Den angebotenen Bericht blockte er mit einer Handbewegung ab.

»Keine Zeit dafür. Ich bin sicher, du hast es ebenso gut erledigt, wie ich es selbst getan hätte. Aber hier gibt es Probleme. Bist du sehr müde?«

»Nein, es geht. Was gibt es, Vater? Aufstände?«

»Nein, dieses Mal nicht. Ein Treffen des Rates mit dem terranischen Legaten heute Morgen. In der Stadt. Im Hauptquartier der Terraner.«

»Warum sucht er Euch nicht im Ratssaal auf?« Comyn-Lords kamen und gingen nicht auf Bitten der Terraner!

Er ahnte den Gedanken und schüttelte den Kopf. »Es war Hastur selbst, der dieses Treffen wünschte. Es ist wichtiger, als du es dir möglicherweise vorstellst. Daher wollte ich, dass du das für mich in die Hand nimmst. Wir brauchen eine Ehrenwache, und ich möchte, dass du die Teilnehmer sehr sorgfältig aussuchst. Es würde fürchterlich, wenn wir Gegenstand des Klatsches in der Wache würden – oder anderswo.«

»Aber, Vater, jeder Wachmann ist doch durch seine Ehre gebunden.«

»In der Theorie schon«, antwortete er trocken, »aber in der Praxis? Einige sind eben vertrauenswürdiger als andere. Du kennst die jungen Männer besser als ich.« Es war das erste Mal gewesen, dass er mit einem Zugeständnis so weit ging. Er hatte mich vermisst, mich gebraucht. Ich fühlte mich sehr warm und willkommen, obwohl er lediglich sagte: »Suche dir Wachmänner oder Kadetten, die mit den Comyn verwandt sind – wenn möglich – oder sonst die vertrauenswürdigsten. Du weißt am besten, wessen Zungen lose sitzen.«

Gabriel Lanart, dachte ich, als ich zur Wachhalle hinabging, ein Verwandter der Altons, mit einer Hastur verheiratet. Lerrys Ridenow, der jüngere Bruder des Lords seiner Domäne. Der alte di Asturien, dessen Loyalität so fest wie die Grundmauern von Schloss Comyn selbst war. Ich überließ es ihm, die Veteranen auszuwählen, die uns durch die Straßen geleiten sollten – sie würden nicht in die Räume des Treffens selbst kommen, so dass die Wahl nicht allzu kritisch war –, und ging zu den Baracken der Kadetten.

Es war die Freizeitstunde zwischen Frühstück und Morgendrill. Die Kadetten des ersten Jahrgangs machten gerade ihre Betten, zwei fegten den Boden und säuberten die Feuerstellen. Regis saß auf dem Eckbett und flickte einen zerrissenen Schnürsenkel. War es Schüchternheit oder Gutwilligkeit, die ihn das zugige Bett unter dem Fenster hatte wählen lassen? Er sprang auf und stand still, als ich am Fußende der Pritsche stehen blieb.

Ich bedeutete ihm, sich zu rühren. »Der Kommandeur hat mich hergeschickt, um einige Ehrenwachen auszuwählen«, sagte ich. »Es handelt sich um eine Angelegenheit der Comyn. Es ist wohl selbstverständlich, dass kein Wort von dem, was du hören wirst, aus dem Ratszimmer hinausgelangen darf. Verstehst du mich, Regis?«

»Jawohl, Kapitän.« Er war formell, doch ich nahm in seiner Miene die Neugier und Aufregung wahr. Er sah älter aus, nicht mehr so kindlich und scheu. Nun, ich wusste aus meinen eigenen Kadettenjahren, dass in den ersten Tagen einige Dinge geschahen. Man wird schnell erwachsen … oder kriecht geschlagen zurück nach Hause zu seiner Familie. Ich habe oft gedacht, dies sei der Grund, warum die Kadetten einige Zeit in der Kaserne dienen mussten. Niemand konnte vorab sagen, wer überleben würde und wer nicht.

Ich fragte: »Wie klappt es denn?«

Er lächelte und antwortete: »Ganz gut.« Er wollte irgendetwas anderes sagen, doch in diesem Moment kroch Danilo Syrtis staubbedeckt unter dem Nachbarbett hervor. »Ich hab’s«, sagte er. »Wahrscheinlich ist es heute Morgen heruntergefallen, als ich …« Er erblickte mich, stand auf und stand still.

»Kapitän.«

»Rühren, Kadett«, sagte ich, »aber du wischst dir besser den Staub von den Knien, bevor du hinausgehst zum Appell.« Er war Vaters Schützling, und seine Familie gehörte seit Generationen zu den Hastur-Leuten. »Auch du gehörst zur Ehrenwache, Kadett. Hast du gehört, was ich zu Regis gesagt habe, Dani?«

Er nickte, errötete, und seine Augen leuchteten auf. Er sagte mit einer solchen Förmlichkeit, dass es steif klang: »Ich bin zutiefst geehrt, Kapitän.« Doch durch die formellen Worte hindurch spürte ich die Aufregung, Freude, Neugier und das unmissverständliche Vergnügen über diese Ehre.

Unmissverständlich. Das war nicht das generelle Gespür von Emotionen, die ich in jeder Gruppe wahrnehme, sondern eine definitive Berührung.

Laran. Der Junge hatte Laran, war mit Sicherheit ein Telepath, hatte wahrscheinlich noch eine andere Gabe. Nun, eine große Überraschung war es nicht. Vater hatte mir erzählt, sie verfügten seit einigen Generationen über Comyn-Blut. Regis kniete vor seiner Kiste und suchte das Lederband für seine Galauniform. Als Danilo seinem Beispiel folgen wollte, trat ich zu ihm und sagte: »Noch ein Wort, Vetter. Nicht jetzt – es ist nicht so eilig –, doch irgendwann, wenn du keine anderen Pflichten hast, geh zu meinem Vater oder zu Lord Dyan und bitte darum, von einer Leronis überprüft zu werden. Sie werden wissen, was das bedeutet. Sag, dass ich es war, der dir dies geraten hat.« Ich wandte mich ab. »Ihr beide, geht zu den anderen am Tor, sobald ihr bereit seid.«

Die Comyn-Lords warteten im Hof, als sich die Garde formierte. Mein Vater gab dem alten di Asturien mit leiser Stimme Anweisungen. Prinz Derik war nicht anwesend. Hastur würde in jedem Fall als Regent für ihn sprechen müssen, doch Derik mit seinen sechzehn Jahren war gewiss alt und interessiert genug, um an einer solchen Zusammenkunft teilzunehmen.

Auch Edric Ridenow war dort, der untersetzte rotbärtige Lord von Serrais. Auch war eine Frau dort, blass und schlank, in einen grauen Kapuzenumhang geschlungen, der sie vor neugierigen Blicken schützte. Ich kannte sie nicht, doch sie war offensichtlich eine Comynara, wahrscheinlich eine Aillard oder eine Elhalyn, da nur diese beiden Domänen Frauen unabhängiges Recht für den Rat gewähren. Dyan Ardais, in den grau-roten Farben seiner Domäne, schritt an seinen Platz. Er warf einen kurzen Blick auf die Ehrengarde, blieb kurz neben Danilo stehen und redete ihn mit leiser Stimme an. Der Junge errötete und blickte starr geradeaus. Mir war schon einmal aufgefallen, dass er immer noch errötete wie ein Kind, wenn man ihn anredete. Ich fragte mich, welchen Makel der Kadettenmeister an seinem Äußeren entdeckt haben mochte. Ich fand keinen, doch es ist die Aufgabe eines Kadettenmeisters, auch Kleinigkeiten festzustellen.

Als wir durch die Straßen Thendaras zogen, trafen uns überraschte Blicke. Verdammte Terraner! Es schmälerte die Würde der Comyn, dass sie uns herbaten und wir sogleich gelaufen kamen!

Dem Regenten schien kein Würdeverlust bewusst zu sein. Er bewegte sich zwischen der Garde mit der Energie eines Mannes, der gerade halb so alt war wie er. Sein Gesicht blickte ernst und beherrscht. Doch ich war trotzdem froh, als wir die Tore zum Raumhafen erreichten. Wir, die Comyn-Lords und die Ehrengarde, ließen die Eskorte draußen und wurden in ein Gebäude und dort in einen großen Raum im Erdgeschoss weitergeleitet.

Wie es der Brauch befahl, trat ich zuerst mit dem gezogenen Schwert in der Hand hinein. Es war ein kleiner Raum für eine Ratssitzung, der jedoch einen großen runden Tisch und viele Stühle enthielt. Einige Terraner saßen am anderen Ende des Tisches, die meisten in einer Art von Uniform gekleidet. Einige trugen eine große Anzahl von Medaillen, die ich für terranische Ehrenabzeichen hielt.

Einige von ihnen verrieten offensichtliches Unbehagen, als ich mit gezücktem Schwert eintrat, doch der grauhaarige Mann in ihrer Mitte – der mit den meisten Medaillen – sagte rasch: »Es ist ihr Brauch, die Ehrengarde. Ihr kommt für den Regenten der Comyn, Offizier?«

Er hatte Cahuenga geredet, den Bergdialekt, der in ganz Darkover, von den Hellerbergen bis zu den Trockenstädten gebräuchlich geworden war. Ich zückte das Schwert grüßend und antwortete: »Kapitän Montray-Alton. Zu ihren Diensten, Sir.« Da ich nirgendwo im Raum Waffen entdecken konnte, unterließ ich auch jegliche Suche und steckte das Schwert in die Scheide. Dann schob ich den Rest der Ehrengarde in den Raum, stellte sie in den Ecken auf, wies Regis an, seine Position direkt hinter dem Regenten einzunehmen, und postierte Gabriel am Eingang. Dann geleitete ich die Mitglieder des Rates hinein, wobei ich einen jeden mit Namen vorstellte.

»Danvan-Valentin, Lord Hastur, Vormund der Elhalyn, Regent der Krone der Sieben Domänen.«

Der grauhaarige Mann – ich hielt ihn für den Legaten der Terraner – stand auf und verbeugte sich. Nicht tief genug, so wie ich es von einem Terraner erwartet hatte. »Wir sind geehrt, Regent.«

»Kennard-Gwynn Alton, Lord Alton, Kommandeur der Stadtgarde.« Schwerfällig humpelte er an seinen Platz.

»Lord Dyan-Gabriel, Regent von Ardais.« Wie auch immer meine persönlichen Gefühle ihm gegenüber waren, ich musste doch zugeben, dass er eindrucksvoll aussah. »Edric, Lord Serrais. Und …« Ich zögerte einen Moment, als die Frau im grauen Umhang eintrat und merkte, dass ich ihren Namen nicht kannte. Sie lächelte kaum wahrnehmbar und murmelte verhalten: »Schade, Vetter. Erkennst du mich nicht? Ich bin Callina Aillard.«

Ich fühlte mich wie ein absoluter Dummkopf. Natürlich kannte ich sie.

»Callina, Lady Aillard …« Wieder zögerte ich einen Moment. Ich konnte mich nicht erinnern, in welchem der Türme sie als Bewahrerin fungierte. Nun, die Terraner würden es nicht merken. Sie übermittelte es mir telepathisch mit einem belustigten Lächeln, das von der Kapuze verborgen wurde, und ich fuhr fort: »Leronis von Neskaya.«

Sie ging beherrscht und ruhig zu dem letzten Platz. Die Kapuze des Umhangs behielt sie über dem Gesicht, wie es sich für eine unverheiratete Frau vor Fremden gehörte. Mit einiger Erleichterung bemerkte ich, dass zumindest der Legat über die Höflichkeitsgebräuche unter den Darkovanern der Ebene informiert war und offenbar auch seine Männer instruiert worden waren, sie nicht direkt anzublicken. Auch ich hielt die Augen höflich abgewandt; sie war meine Verwandte, doch wir waren unter Fremden. Ich hatte lediglich gesehen, dass sie sehr schmächtig war und blasse, ernste Züge hatte.

Als jeder auf dem ihm zugewiesenen Platz saß, zog ich wieder mein Schwert, grüßte Hastur und dann den Legaten und nahm den Platz hinter meinem Vater ein. Einer der Terraner sagte: »So, das ist wohl vorbei. Kommen wir zur Sache.«

»Einen Moment, Meredith«, sagte der Legat und zügelte die offensichtliche Ungeduld. »Edle Herren, meine Dame, Ihr seid gnädig zu uns. Erlaubt mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Donnell Ramsay. Ich bin privilegiert, dem Imperium als Legat der Erde zu dienen. Es ist mir ein Vergnügen, Euch willkommen zu heißen. Dies hier …« – er deutete auf die anderen Männer am Tisch – » … sind meine persönlichen Assistenten: Laurens Meredith, Reade Andrusson. Wenn einige unter Euch, meine Herren, kein Cahuenga sprechen, wird unser Verbindungsmann, Daniel Lawton, sich geehrt fühlen, es für Euch in Casta zu übersetzen. Wenn wir Euch anderweitig behilflich sein können, bitten wir Euch, es zu sagen. Und wenn Ihr wünscht, Lord Hastur«, fügte er mit einer Verbeugung hinzu, »dass diese Versammlung nach dem offiziellen Protokoll in Casta abgehalten werden soll, werden wir dem gern nachkommen.«

Ich war froh, dass er über die Grundkenntnisse der Höflichkeit verfügte. Hastur sagte: »Wenn Ihr erlaubt, Sir, werden wir ohne den Übersetzer auskommen, es sei denn, es entsteht ein Missverständnis, welches er bereinigen könnte. Er ist jedoch gern willkommen zu bleiben.«

Der junge Lawton verbeugte sich. Er hatte flammend rotes Haar und sah irgendwie aus wie ein Comyn. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, dass seine Mutter aus dem Ardais-Clan stammte. Ich fragte mich, ob Dyan seinen Verwandten erkannte und was er davon hielt. Ein komischer Gedanke, dass der junge Lawton ebenso gut hier unter der Ehrenwache hätte stehen können. Meine Gedanken schweiften ab. Ich brachte sie wieder zurück, als Hastur zu reden begann.

»Ich bin zu Euch gekommen, Legat, um Eure Aufmerksamkeit auf einen ernsthaften Bruch des Abkommens mit Darkover zu lenken. Es ist mir zu Ohren gekommen, dass in den Bergen in der Nähe von Aldran eine Anzahl von Schmuggelwaffen offen angeboten und verkauft werden. Nicht nur innerhalb der Handelsstadt, dort, wo es unser Abkommen mit Euch gestattet, dass Eure Bürger Waffen tragen, wie sie wollen, sondern auch in der alten Stadt Caer Donn, wo die Terraner wie sie wollen herumlaufen und Pistolen und Sprengkörper und Neutronenzerstörer mit sich führen. Man hat mir ebenfalls mitgeteilt, dass man diese Waffen in der Stadt kaufen kann und dass sie bei Gelegenheit auch an Darkovaner verkauft wurden. Mein Informant hat ohne Schwierigkeiten eine erworben. Es ist wohl nicht notwendig, Euch zu erinnern, dass dies einen ernsten Bruch des Abkommens bedeutet.«

Es bedurfte aller Selbstkontrolle, mein ausdrucksloses Gesicht beizubehalten, wie es sich für einen Angehörigen der Ehrengarde gehörte, dessen perfektes Modell ein Zinnsoldat ist, der weder hört noch sieht. Würden die Terraner es wagen, das Abkommen zu brechen?

Jetzt wusste ich, warum mein Vater darauf bestand, dass nichts hiervon an die Außenwelt gelangte. Seit dem Zeitalter des Chaos hatte das Abkommen von Darkover alle Waffen geächtet, die außerhalb der Hand eines Menschen Wirkungen zeitigten. Dies war ein grundlegendes Gesetz: Der Mann, der tötet, musste selbst in Todesgefahr stehen. Die Information, das Abkommen sei verletzt worden, würde Darkover an den Wurzeln erschüttern, öffentlichen Aufruhr und Misstrauen schaffen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Führung untergraben.

Das Gesicht des Legaten zeigte keinerlei Regung; ein fast unmerkliches Zucken um die Augen und Mundwinkel verriet jedoch, dass das Gesagte keine Neuigkeit für ihn bedeutete.

»Es ist nicht unsere Angelegenheit, Darkover den Vertrag aufzuzwingen, Lord Hastur. Die Politik des Imperiums lautet, hinsichtlich regionaler Auseinandersetzungen vollständig neutral zu bleiben. Unsere Geschäfte in Caer Donn und der Handelsstadt dort beziehen sich auf Lord Kermiac von Aldaran. Hat man mich falsch informiert? Fällt das Territorium von Aldaran unter die Gesetze der Comyn, Lord Hastur?«

Hastur sagte mit Nachdruck: »Aldaran ist seit Jahren keine Domäne der Comyn mehr, Mr. Ramsay. Dennoch kann man das Abkommen wohl kaum eine regionale Entscheidung nennen. Aldaran befindet sich zwar nicht unter unserer Gesetzeshoheit …«

»Das ist auch meine Meinung«, sagte der Legat, »und daher …«

»Verzeiht, Mr. Ramsay, aber ich war noch nicht fertig.« Hastur war wütend. Ich versuchte, abgeschirmt zu bleiben, wie es wohl jeder Telepath in einer Menschengruppe dieser Größe tun würde, doch alles konnte ich nicht fern halten. Hasturs ruhiges, ernstes Gesicht veränderte sich nicht im Geringsten, doch seine Wut war wie die ferne Glut eines Waldbrandes am Horizont. Noch keine Gefahr, aber eine entfernte Bedrohung. Er sagte: »Bitte korrigiert mich, wenn ich im Unrecht sein sollte, Mr. Ramsay – aber trifft es nicht zu, dass, als das Imperium über den Status von Darkover als Geschlossene Welt Klasse D verhandelte …« – das technische Vokabular klang aus seinem Mund fremdartig, und er schien die Worte mit Verachtung auszusprechen – »eine Bedingung für die Errichtung und Benutzung des Raumhafens und die Einrichtung der Handelsstädte von Port Chicago, Caer Donn und Thendara die vollständige Durchsetzung des Abkommens außerhalb der Handelsstädte und die Kontrolle von Schmuggelwaffen war? Wenn man sich dieses Abkommen vor Augen hält, könnt Ihr dann mit gutem Gewissen behaupten, es sei nicht Eure Sache, das Abkommen auf Darkover durchzusetzen?«

Ramsay sagte: »Wir setzen es in den Comyn-Domänen durch und haben es immer getan – unter Comyn-Gesetzen, mein Lord, was uns beträchtliche Probleme und Kosten aufbürdet. Muss ich Euch daran erinnern, dass einer unserer Männer vor nicht allzu langer Zeit mit Mord bedroht wurde, weil er sich unbewaffnet und ohne Verteidigungsmöglichkeit in einer Gesellschaft befand, die von einem jeden Mann erwartet, dass er kämpft, um sich zu schützen?«

Dyan Ardais sagte barsch: »Die Episode, die Ihr erwähnt, war unnötig. Man muss Euch wohl daran erinnern, dass der Mann, dem man mit Mord drohte, selbst einen unserer Wachsoldaten umgebracht hatte, und zwar in einem so lächerlichen Streit, dass ein darkovanischer Junge von zwölf Jahren sich geschämt hätte, daraus mehr als auch nur einen Scherz zu machen! Denn dieser terranische Mörder verbarg hinter seinem gefeierten waffenlosen Status« – selbst einem Terraner konnte dieser Spott nicht entgehen – »die Verweigerung der gesetzlichen Anklage durch den Bruder des Ermordeten. Wenn Euer Mann ohne Waffen ging, Sir, dann war er allein für seine Handlungen verantwortlich.«

Reade Andrusson sagte: »Sie haben es sich nicht ausgesucht, ohne Waffen zu gehen, Lord Ardais. Wir sind durch das Abkommen gezwungen, ihnen ihre gewohnten Waffen zu nehmen.«

Dyan sagte: »Unsere Gesetze erlauben ihnen, ethische Waffen zu tragen, so viele sie wollen. Sie können sich nicht beklagen, sie seien ohne Verteidigung, wenn sie es sich nicht anders aussuchen.«

Der Legat ließ seinen Blick nachdenklich auf Dyan ruhen und sagte: »Ihre Waffenlosigkeit, Lord Ardais, steht im Einklang mit unseren Gesetzen. Wir haben entschieden etwas dagegen, was sich auch in unseren Gesetzen widerspiegelt, Leute mit Schwertern oder Messern aufzuschlitzen.«

Hastur sagte grob: »Behauptet Ihr etwa, Sir, dass ein Mann weniger tot ist, wenn man ihn aus sicherer Entfernung ohne sichtliches Blutvergießen umbringt? Ist der Tod sauberer, wenn er von einem Mann verursacht wird, der sich selbst nicht in Gefahr bringt?« Selbst durch meine Barrieren hindurch spürte ich seinen heftigen Schmerz so deutlich, dass es wie eine lange Klage wirkte. Ich wusste, dass er an seinen eigenen Sohn dachte, den geschmuggelte Waffen in Fetzen zerrissen hatten. Er war von einem Mann getötet worden, dessen Gesicht er niemals gesehen hatte. Dieser Schmerzschrei war so eindringlich, dass ich sah, wie Danilo, der reglos hinter Lord Edric stand, seine Hände so zusammenballte, dass die Knöchel bläulich anliefen. Mein Vater sah blass und zittrig aus; Regis bewegte die Mundwinkel und schlug heftig mit den Augenlidern, und ich fragte mich, wie die Terraner den großen Schmerz nicht wahrnehmen konnten. Doch Hasturs Stimme klang fest und verriet den Fremden nichts. »Wir haben die Waffen von Feiglingen gebannt, um sicherzugehen, dass jeder Mann, der töten will, das Blut seines Opfers fließen sehen muss und in Gefahr gerät, sein eigenes Leben zu verlieren, wenn nicht durch die Hände des Opfers selbst, dann aber durch die seiner Verwandten und seiner Familie.«

Der Legat sagte: »Jene Episode wurde vor langer Zeit abgeschlossen, Lord Regent, doch ich erinnere Euch, dass wir bereit waren, unseren Mann anzuklagen, weil er Euren Wachmann getötet hatte. Wir konnten ihn allerdings nicht der Verfolgung der Familie des Toten aussetzen, insbesondere deshalb nicht, weil klar war, dass der Wachmann ihn als Erster provoziert hat.«

»Jeder Mann, der sich bei einem so belanglosen Vorfall provoziert fühlt, sollte damit rechnen, herausgefordert zu werden«, sagte Dyan. »Doch Eure Männer verstecken sich hinter Euren Gesetzen und geben ihre eigene persönliche Verantwortlichkeit preis. Mord ist eine Privatangelegenheit und nichts für die Gesetze.«

Der Legat sah ihn mit einem Blick an, der offenes Unbehagen gezeigt hätte, wäre er weniger kontrolliert gewesen. »Unsere Gesetze wurden durch Übereinstimmung und Konsensus geschaffen, und ob Ihr sie für gut befindet oder nicht, Lord Ardais, sie sind nicht dafür gemacht, Mord zu einer Art privater Blutrache in Form individueller Duelle zu machen. Doch dies steht nicht zur Debatte.«

Ich bewunderte seine Kontrolle und die feste Art, in der er Dyan zurechtwies. Meine Gedankenbarrieren, die durch Hasturs Wut geschwächt waren, sanken immer tiefer. Ich konnte Dyans Verachtung fast wie ein spöttisches Schnauben vernehmen.

Ich stärkte meine Barrieren ein wenig, als Hastur Dyan erneut zum Schweigen brachte und ihn erinnerte, dass der betreffende Vorfall vor längerer Zeit geregelt worden war. »Nicht geregelt«, schnarrte Dyan, »sondern unter den Teppich gekehrt.« Doch Hastur schnitt ihm streng das Wort ab und bestand darauf, wichtigere Dinge zu bereden. Als ich der Diskussion wieder folgen konnte, sagte der Legat gerade: »Lord Hastur, dies ist eine ethische Frage und keineswegs eine rechtliche. Wir setzen das Gesetz der Comyn dort durch, wo die Hoheit der Comyn gilt. In Caer Donn und den Hellers, wo die Gesetze von Lord Aldaran gemacht wurden, vertreten wir das, was er verlangt. Wenn er sich nicht bemüßigt fühlt, das Abkommen so hoch zu halten, wie Ihr es schätzt, ist es nicht unsere Sache, ihn dazu zu bringen – und, mein Lord, auch nicht die Eure.«

Callina Aillard sagte mit ruhiger, klarer Stimme: »Mr. Ramsay, das Abkommen ist kein Gesetz in Eurem Sinne. Ich habe den Eindruck, keiner von uns weiß genau, was der andere meint, wenn er Gesetz sagt. Das Abkommen ist die ethische Grundlage für die Darkovaner Kultur und Geschichte seit Hunderten von Jahren; weder Kermiac von Aldaran noch irgendein anderer Mann auf Darkover hat irgendein Recht, es zu missachten oder es nicht zu befolgen.«

Ramsay sagte: »Diesen Punkt müsst Ihr mit Aldaran selbst diskutieren, meine Lady. Er ist nicht Untertan des Reiches, und ich habe keine Autorität über ihn. Wenn Ihr wollt, dass er das Abkommen einhält, müsst Ihr ihn dazu bringen.«

Nun ergriff Edric Ridenow zum ersten Mal das Wort. Er sagte: »Es ist Eure Verantwortlichkeit, Ramsay, die Substanz Eures Abkommens auf unserer Welt aufrechtzuerhalten. Habt Ihr im Sinn, wegen einer Kleinigkeit diese Pflicht abzuschütteln?«

»Ich schüttele keine Verantwortlichkeit ab, die zu meinen Pflichten gehört, Lord Serrais«, gab dieser zurück, »doch es gehört nicht zu meinen Pflichten, Eure Missverständnisse mit Aldaran zu regeln. Mir scheint, dass dies einen Übergriff auf die Verantwortlichkeiten der Comyn bedeuten würde.«

Wieder öffnete Dyan den Mund, doch Hastur bedeutete ihm zu schweigen. »Ihr braucht mich nicht über unsere Verantwortlichkeiten zu unterrichten, Mr. Ramsay. Das Abkommen des Imperiums mit Darkover und der Status des Raumhafens wurden mit den Comyn ausgehandelt und nicht mit Kermiac von Aldaran. Ein Punkt des Abkommens lautet, dass das Imperium hier vertreten wird; und wir meinten Vertretung nicht nur in den Domänen, sondern auf ganz Darkover. Ich setze nur ungern Drohungen ein, Sir, aber wenn Ihr auf Eurem Recht besteht, Euer eigenes Abkommen zu verletzen, läge es innerhalb meiner Befugnis, den Raumhafen zu schließen, bis das Abkommen in jedem Detail eingehalten wird.«

Der Legat antwortete: »Sir, das wäre unvernünftig. Ihr habt selbst gesagt, dass das Abkommen kein Gesetz, sondern eine ethische Empfehlung darstellt. Auch ich drohe nicht gerne, aber wenn Ihr diesen Weg einschlagt, bin ich sicher, dass meine nächsten Befehle von dem Verwaltungszentrum lauten würden, ein neues Abkommen mit Kermiac von Aldaran auszuhandeln und das Hauptquartier des Reiches nach Caer Donn zu verlegen, wo wir nicht von den Skrupeln der Comyn behelligt werden.«

Hastur sagte mit bitterem Ton: »Ihr sagt, es sei Euch verboten, bei regionalen politischen Entscheidungen Stellung zu beziehen. Merkt Ihr, dass dies bedeuten würde, die gesamte Macht des Terranischen Imperiums gegen die Existenz des Abkommens zu legen?«

»Ihr lasst mir keine Wahl, Sir.«

»Ihr wisst bestimmt, dass ein solcher Schritt Krieg bedeuten würde, oder? Ein Krieg, den nicht die Comyn verursacht haben. Denn wenn man das Abkommen einmal außer Kraft gesetzt hat, würde ein Krieg unvermeidlich werden. Wir haben seit vielen Jahren keinen Krieg mehr gehabt. Sicher, es gab kleinere Auseinandersetzungen. Aber die Durchsetzung des Abkommens hat solche Konfrontationen in vernünftigen Grenzen gehalten. Wollt Ihr die Verantwortung für eine andere Art von Krieg übernehmen?«

»Natürlich nicht«, sagte Ramsay. Er war kein Telepath, und seine Gefühle waren verschwommen, doch ich merkte, dass er bekümmert war. Dieser Kummer ließ mich ihn ein wenig mehr mögen. »Wer würde das schon?«

»Und dennoch würdet Ihr Euch hinter Euren Gesetzen und Befehlen und Vorgesetzten verstecken und Eure Welt wieder in einen Krieg werfen? Wir kennen die Zeitalter des Chaos, Ramsay, und das Abkommen hat sie beendet. Bedeutet Euch das gar nichts?«

Der Terraner blickte Hastur geradeheraus an. Ich verspürte eine merkwürdige geistige Vorstellung, einen Blitz, den ich von irgendjemandem im Raum aufgefangen hatte, dass sie wie zwei massive Türme waren, die sich gegenüberstanden, wie Schloss Comyn und das Hauptquartier der Terraner sich im Tal gegenüberstanden, gigantische Gestalten in Rüstung für einen Zweikampf. Das Bild wurde verschwommen und löste sich auf, und zurück blieben zwei alte Männer, beide mächtig, beide von hartnäckiger Integrität erfüllt, jeder sein Bestes für seine Seite wollend.

Ramsay sagte: »Es bedeutet mir sehr viel, Lord Hastur. Ich will offen mit Euch sein. Wenn es hier einen größeren Krieg gäbe, bedeutete dies, die Handelsstädte zu schließen, um sicherzugehen, unsere Gesetze gegen Einmischungen von außen zu bewahren. Ich möchte nicht, dass der Raumhafen nach Caer Donn verlegt wird. Er wurde hier vor nunmehr vielen Jahren errichtet. Als uns die Comyn diesen besseren Ort anboten, hier in der Ebene von Thendara, waren wir nur zu froh, die Arbeiten in Caer Donn aufgeben zu können, außer für den Handel und bestimmte Transportgüter. Thendara war für beide Seiten von Vorteil. Wenn wir gezwungen würden, zurück nach Caer Donn zu gehen, müssten wir sämtlichen Verkehr neu regeln und unser Hauptquartier in den Bergen errichten, wo das Klima für Terraner schwerer auszuhalten ist, und uns vor allem auf unzureichende Straßen und eine unfreundliche Landschaft einlassen. Ich will dies nicht, und wir werden alles tun, was machbar ist, es zu vermeiden.«

Dyan sagte: »Mr. Ramsay, seid Ihr nicht Vorgesetzter aller Terraner auf Darkover?«

»Das trifft nicht zu, Lord Dyan. Ich bin ein Legat, kein Diktator. Meine Autorität erstreckt sich vornehmlich auf das Raumhafenpersonal und darüber hinaus nur auf Angelegenheiten, die aus dem einen oder anderen Grund über die ihrer jeweiligen Abteilungen oder Verwaltungseinheiten hinausgehen. Meine Hauptaufgabe besteht darin, die Ordnung in der Handelsstadt aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus besitze ich die Autorität des Verwaltungszentrums, mich mit Darkover-Bürgern durch ihre rechtmäßig konstituierten und ernannten Führer auseinander zu setzen. Ich habe aber weder Autorität über einen individuellen Darkovaner, abgesehen von einigen Zivilbeschäftigten, die sich uns freiwillig verdingt haben, noch über irgendeinen anderen individuellen Bürger des Imperiums, der auf Grund von Geschäften hierher kommt, natürlich vorausgesetzt, die Geschäfte sind rechtmäßig für eine Welt der Klasse D. Darüber hinaus kann ich eingreifen, wenn dieses Geschäft mit dem Frieden zwischen Darkover und dem Imperium in Konflikt gerät. Doch abgesehen von den Fällen, in denen man sich an mich wendet, habe ich außerhalb der Handelsstützpunkte keinerlei Autorität.«

Es klang unglaublich kompliziert. Wie brachte es das Imperium zu Stande, überhaupt irgendwelche Geschäfte zu betreiben?

Mein Vater hatte bislang noch nichts gesagt. Jetzt hob er den Kopf und sagte frei heraus: »Nun, wir wenden uns an Euch. Diese Bürger des Imperiums, die auf dem Marktplatz von Caer Donn Sprengwaffen verkaufen, betreiben kein gesetzlich erlaubtes Geschäft für eine geschlossene Welt der Klasse D, und Ihr wisst es ebenso gut wie ich. Es liegt an Euch, etwas dagegen zu unternehmen, nur tut es jetzt. Und das liegt auch innerhalb Eurer Autorität.«

Der Legat sagte: »Wenn sich das Vergehen hier in Thendara abgespielt hätte, würde ich dem mit größtem Vergnügen nachkommen. In Caer Donn kann ich nichts unternehmen, es sei denn, Lord Kermiac von Aldaran wendet sich an mich.«

Mein Vater sah wütend aus und hörte sich auch so an. Er war wütend, hatte eine zerfetzende Wut entwickelt, die den Legaten hätte tödlich treffen können, hätte er nicht angestrengt versucht, sie unter Kontrolle zu halten. »Immer die gleiche Geschichte mit Terra. Wie heißt noch Euer Sprichwort? Gib den Schwarzen Peter weiter. Ihr seid wie Kinder, die ein Spiel mit heißen Maronen treiben, sie von einem zum anderen schieben und versuchen, sich nicht die Finger zu verbrennen. Ich habe acht Jahre auf Terra verbracht und nicht einen einzigen Mann gefunden, der mir ins Gesicht geblickt und gesagt hätte: ›Das gehört in meinen Verantwortungsbereich, und ich werde die Konsequenzen tragen.‹«

Ramsay klang besorgt. »Meint Ihr, es sei die Sache des Imperiums, Euer ethisches System durchzusetzen?«

»Ich habe immer gedacht«, sagte Callina mit ihrer klaren, ruhigen Stimme, »dass moralisches Handeln in der Verantwortlichkeit eines jeden ehrenwerten Menschen läge.«

»Eines unserer grundlegenden Gesetze, Sir«, sagte Hastur, »wie immer man Gesetze auch definieren mag, ist, dass die Macht zum Handeln gleichfalls die Verantwortlichkeit dafür überträgt. Ist das bei Euch anders?«

Der Legat stützte das Kinn auf die Hände. »Ich kann diese Philosophie nur bewundern, Lord, doch ich muss mich mit allem Respekt weigern, dies zu diskutieren. In diesem Moment bin ich damit beschäftigt, für Eure wie für meine Gesellschaft größere Schwierigkeiten zu vermeiden. Ich werde dieser Sache nachgehen und sehen, was ich berechtigterweise tun kann, ohne in Eure politischen Entscheidungen einzugreifen. Und wenn ich respektvoll einen Vorschlag unterbreiten darf, Lord Hastur, so schlage ich vor, Euch direkt mit Kermiac von Aldaran in Verbindung zu setzen, und er wird es selbst übernehmen, den Waffenhandel in jenen Gebieten zu unterbinden, in denen ihm die legale Befugnis zusteht.«

Dieser Vorschlag schockierte mich. In Kontakt treten, verhandeln mit dieser Renegatendomäne, die seit Generationen von den Comyn exiliert worden war? Doch niemand schien durch diesen Vorschlag irgendwie erschüttert zu sein. Hastur sagte: »Wir werden in der Tat die Angelegenheit mit Lord Aldaran besprechen. Und es ist möglich, dass ich selbst die Angelegenheit vor das Höchste Tribunal des Imperiums bringe, da Ihr Euch weigert, die persönliche Verantwortung dafür zu übernehmen, das Abkommen mit dem Imperium auf ganz Darkover durchzusetzen. Wenn dort befunden wird, dass das Abkommen mit Darkover es in der Tat erforderlich macht, es auf dem gesamten Planeten durchzusetzen, habe ich dann Eure Unterstützung, Mr. Ramsay, dass Ihr es auch so vertreten werdet?«

Ich fragte mich, ob sich der Legat der absoluten Verachtung in Hasturs Stimme auch nur bewusst war, Verachtung für einen Mann, der den Befehl einer höheren Stelle brauchte, um moralisches Verhalten zu kontrollieren. Ich schämte mich fast für mein terranisches Blut. Doch wenn Ramsay die Verachtung spürte, ließ er es sich nicht anmerken.

»Wenn ich in dieser Hinsicht einen Befehl erhalte, Lord Hastur, könnt Ihr versichert sein, dass ich die Sache absolut vertreten werde. Und erlaubt mir noch den einen Satz, Lord Hastur, dass es mir keineswegs missfallen würde, einen entsprechenden Befehl zu erhalten.«

Noch ein paar weitere Worte wurden ausgetauscht, meistenteils formelle Höflichkeitsfloskeln. Doch die Zusammenkunft war vorbei, und ich musste meine zerstreuten Gedanken beieinander halten und die Ehrenwache zusammenrufen, um die Ratsmitglieder offiziell aus dem Hauptquartier und dem Raumhafen durch die Straßen Thendaras zurückzugeleiten. Ich spürte die Gedanken meines Vaters, wie immer, wenn wir beieinander waren.

Er dachte, dass es ohne Zweifel ihm zufallen würde, nach Aldaran zu gehen. Kermiac würde ihn empfangen müssen, wenn auch nur als einen Verwandten meiner Mutter. Und ich fühlte die völlige Erschöpfung wie Schmerz in diesem Gedanken. Diese Reise in die Hellers war schrecklich, selbst im Hochsommer, und der Sommer war fast schon vorbei. Vater dachte, dass er es nicht von sich weisen könne. Hastur war zu alt. Dyan war kein Diplomat. Er würde die Sache regeln, indem er Aldaran zu einem Duell herausforderte. Doch wen gab es außerdem? Die Ridenow-Jungen waren zu jung …

Es schien mir, als ich Vater durch die Straßen Thendaras folgte, dass wirklich jedermann in Comyn entweder zu jung oder zu alt war. Was würde aus den Domänen werden?

Es wäre leichter gewesen, wäre ich vollständig überzeugt gewesen, dass die Terraner die Wurzel allen Übels seien und ihnen Widerstand entgegengesetzt werden müsse. Doch gegen meinen Willen hatte ich gemerkt, dass vieles von dem, was Ramsay sagte, klug war. Starke Gesetze und niemals zu viel Macht in den Händen Einzelner schien mir ein starkes Gegengewicht gegen die Art von Korruption zu sein, der wir uns gegenübersahen. Und ein grundsätzliches Gesetz, auf das man zurückgreifen konnte, wenn man den Menschen nicht traute. Menschen, wie ich herausgefunden hatte, als man Dyan zum Kadettenmeister machte, waren allzu oft fehlerbehaftet und handelten aus nützlichen Erwägungen anstatt aus jener Ehre, die sie so oft im Munde führten. Ramsay mochte zögern, ohne einen Befehl zu handeln, doch immerhin handelte er auf Grund der Verantwortlichkeit von Menschen und Gesetzen, von denen er mit Sicherheit annehmen konnte, dass sie klüger als er seien. Und auch seine Macht wurde kontrolliert, denn er wusste, wenn er auf eigene Verantwortlichkeit handelte, würde man ihn entfernen, ehe er größeren Schaden anrichten konnte. Doch wer würde Dyans Macht kontrollieren? Oder die meines Vaters? Sie hatten die Macht zum Handeln und daher auch das Recht, es zu tun.

Und wer würde nach ihren Motiven fragen oder ihrem Handeln Einhalt gebieten?

Hasturs Erbe

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