Читать книгу Hasturs Erbe - Marion Zimmer Bradley - Страница 5
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ОглавлениеAls die Reiter über den Pass kamen, der hinab nach Thendara führte, konnten sie über die alte Stadt hinweg bis zum Terranischen Raumhafen blicken. Wie ein fremdartiges Gewächs erstreckte sich die riesige Fläche dort hässlich und für ihre Augen ungewohnt aus. Den Raumhafen umringten wie Schorf die eng aneinander gedrängten Gebäude des Handelsstützpunktes, der sich zwischen dem alten Thendara und dem neuen Terranischen Hauptquartier entwickelt hatte.
Regis Hastur ritt langsam inmitten seiner Eskorte. Er fand den Komplex nicht so hässlich, wie man ihn ihm in Nevarsin geschildert hatte. Er besaß eine eigene Schönheit, eine strenge Schönheit mit Stahltürmen und blendend weißen Gebäuden, ein jedes einem fremdartigen, unbekannten Zweck zugedacht. Er war kein Krebsgeschwür auf der Oberfläche Darkovers, sondern wie eine eigenartige, aber nicht unschöne Verzierung.
Dass der Zentralturm des neuen Hauptquartiers direkt gegenüber von Schloss Comyn auf der anderen Seite des Tales stand, rief einen unglückseligen Eindruck hervor. Regis schien es, als hätten sich der Wolkenkratzer und das alte Steinschloss voneinander abgesondert und stünden sich wie zwei kampfbereite Riesen gegenüber.
Doch er wusste, dass dieser Eindruck lächerlich war. Sein ganzes Leben lang hatte zwischen dem Terranischen Imperium und den Domänen Friede geherrscht. Dafür sorgten schon die Hasturs.
Dieser Gedanke besaß jedoch wenig Tröstliches. Regis hielt sich nicht für einen typischen Hastur, doch er war der Letzte seines Geschlechts. Man würde ihn so akzeptieren, wie er war, wenn er auch, wie jeder wusste, einen schlechten Ersatz für seinen Vater bildete. Nicht eine Minute lang ließ man ihn das vergessen.
Regis’ Vater war vor fünfzehn Jahren gestorben, einen Monat vor der Geburt seines Sohnes. Rafael Hastur hatte bereits im Alter von fünfunddreißig Jahren Eigenschaften eines starken Staatsmannes und bedeutenden Führers aufgewiesen. Sein Volk liebte ihn zutiefst, und selbst die Terraner respektierten ihn. Und es hatte ihn in den Kilghardbergen in Stücke zerrissen. Er wurde von geschmuggelten Waffen aus dem Terranischen Imperium getötet. Der Welt in den besten und hoffnungsvollsten Jahren entrissen, hatte er lediglich eine elfjährige Tochter und eine zerbrechliche, schwangere Frau hinterlassen. Alanna Elhalyn-Hastur war bei der Nachricht seines Todes fast gestorben. Doch dann hatte sie sich fast panisch an das Leben geklammert, weil sie wusste, dass sie den letzten Hastur in sich trug, den lang ersehnten Sohn von Rafael. Zerfressen von Kummer, hatte sie gerade lange genug gelebt, um Regis das Licht der Welt erblicken zu lassen, und dann fast erleichtert den Geist aufgegeben.
Nach dem Verlust des Vaters, nach allem, was seine Mutter durchgemacht hatte, dachte Regis, war er nicht der Sohn, den sich seine Eltern gewünscht hatten. Er war kräftig gebaut, sah auch gut aus, war jedoch für einen Sohn der telepathischen Kaste der Domänen, den Comyns, seltsam behindert: ein Nichttelepath. Wenn er diese Kraft ererbt hätte, hätte sie sich im Alter von fünfzehn Jahren zeigen müssen.
Hinter ihm hörte er seine Leibwächter leise miteinander reden.
»Das Hauptquartier ist also inzwischen fertig gestellt. Ein verfluchter Platz, den sie sich da ausgesucht haben. Nur einen Steinwurf von Schloss Comyn entfernt.«
»Erst haben sie angefangen, es in Caer Donn, in den Hellers, zu bauen. Der alte Istvan Hastur hat sie dann zu Zeiten meines Großvaters überredet, den Raumhafen nach Thendara zu verlegen. Er wird schon seine Gründe dafür gehabt haben.«
»Hätten ihn dort lassen sollen. Weit weg von anständigen Leuten!«
»Oh, die Terraner sind nicht so schlecht. Mein Bruder hat einen Laden in der Handelsstadt. Würdest du denn die Terraner da oben in den Bergen haben wollen, wo sich die Bergräuber und die verdammten Aldarans hinter unserem Rücken mit ihnen verbinden?«
»Verdammte Wilde«, sagte der zweite Mann. »Sie halten nicht einmal das Abkommen ein. Man kann sie überall in den Hellers mit den schmutzigen Waffen dieser Feiglinge herumlaufen sehen.«
»Was erwartest du denn von den Aldarans?« Sie senkten die Stimme, und Regis seufzte. Er war es gewohnt. Jeder fühlte sich in seiner Gegenwart unter Druck, einfach dadurch, dass er war, was er war: ein Comyn und Hastur. Wahrscheinlich dachten sie, er könne Gedanken lesen. Die meisten Comyns konnten es.
»Lord Regis«, sagte eine seiner Wachen, »da kommt eine Reitertruppe mit Fahnen von der nördlichen Straße herab. Es muss die Abordnung aus Armida mit Lord Alton sein. Sollen wir auf sie warten und zusammen weiterreiten?«
Regis hatte kein besonderes Verlangen nach einer weiteren Truppe von Comyn-Lords, doch es wäre ein undenkbarer Bruch der Etikette gewesen, wenn er dies laut gesagt hätte. Wenn der Rat tagte, trafen sich alle Domänenherren in Thendara. Generationen alten Brauchtums forderten von Regis, sie wie Verwandte und Brüder zu behandeln. Und die Altons waren seine Stammesbrüder!
Sie ritten langsamer und warteten auf die anderen Reiter.
Noch immer befanden sie sich ziemlich hoch am Berghang und konnten über Thendara hinweg auf den Raumhafen sehen. Ein lautes, fernes Getöse wie von einem Wasserfall ließ den Boden erdröhnen und erzittern, auch dort, wo sie standen. Weit hinten auf dem Raumhafen begann sich ein kleiner, spielzeughafter Gegenstand zu bewegen, erst langsam, dann schneller und schneller. Das Geräusch stieg an zu einem fernen Kreischen. Der Gegenstand verschwamm zu einem Streifen, verkleinerte sich zu einem Punkt und war verschwunden.
Regis atmete auf. Ein Raumschiff des Imperiums auf dem Weg zu fernen Welten, fremden Sonnen … Regis merkte, dass er die Fäuste so fest um die Zügel gekrampft hatte, dass sein Pferd den Kopf herumwarf und protestierte. Er gab nach und klopfte dem Tier abwesend den Hals. Seine Augen fixierten immer noch den Fleck am Himmel, wo das Raumschiff verschwunden war.
Auf dem Weg nach draußen, frei für die unermesslichen Größen des Raumes, flog das Schiff auf Welten zu, deren Wunder er, der hier unten angekettet war, nur erahnen konnte. Er spürte einen Kloß in der Kehle und wünschte sich, er wäre so jung, dass er weinen könnte, doch der Erbe der Hasturs konnte nicht in aller Öffentlichkeit eine so unmännliche Reaktion zeigen. Er fragte sich, warum dieser Anblick ihn so aufregte, und wusste auch die Antwort: Das Schiff war auf dem Weg zu Orten, an die er nie gelangen würde.
Die Reiter vom Pass kamen nun näher. Regis erkannte einige von ihnen. Neben dem Bannerträger ritt Kennard, Lord Alton, ein gebeugter, untersetzter Mann mit rotem Haar, das allmählich ergraute. Neben Danvan Hastur, dem Regenten der Comyn, war Kennard wahrscheinlich der mächtigste Mann in den Domänen. Regis kannte Kennard schon seit seiner Geburt. Als Kind hatte er ihn Onkel genannt. Hinter ihm sah er, nach einer Gruppe von Stammesangehörigen, Dienern, Leibwächtern und armen Verwandten, das Banner der Domäne Ardais, also musste auch Lord Dyan bei ihnen sein.
Einer von Regis’ Leibwächtern sagte leise: »Ich sehe, der alte Bussard hat seine beiden Bastarde dabei. Wie kann er das wagen?«
»Der alte Kennard kann alles, und Hastur wird es dulden«, gab der andere so leise zurück, als unterhalte man sich auf einem Gefängnishof. »Übrigens ist der junge Lew kein Bastard. Kennard hat ihn legitimiert, damit er im Arilinn-Turm arbeiten kann. Der jüngere …« Der Wächter merkte, wie Regis in seine Richtung blickte und nahm sich zusammen. Seine Miene wurde glatt, als habe man mit einem Schwamm darüber gewischt.
Verdammt, dachte Regis irritiert, ich kann eure Gedanken nicht lesen, Mann, ich habe einfach normal gute Ohren. Jedenfalls hatte er eine ungehörige Bemerkung über einen Lord der Comyn gehört, und dem Wächter war dies peinlich. Es gab ein altes Sprichwort: Aus ihrem Loch heraus kann sich die Maus die Katze ruhig ansehen, doch klugerweise quietscht sie nicht dabei.
Regis kannte natürlich die alte Geschichte. Kennard hatte eine schockierende, ja eine schamlose Tat begangen: Er hatte eine halbterranische Frau in offizieller Ehe zu sich genommen, die außerdem noch mit der Renegatendomäne der Aldarans verwandt war. Der Rat der Comyn hatte die Ehe niemals anerkannt und auch nicht die daraus hervorgegangenen Söhne. Nicht einmal um Kennards willen.
Kennard ritt auf Regis zu. »Seid gegrüßt, Lord Regis. Reitet Ihr zum Rat?« Er benutzte die förmliche Anrede, obwohl es ihm als dem älteren Verwandten auch erlaubt war, Regis zu duzen.
Regis geriet beinahe außer sich über die Überflüssigkeit dieser Frage. Wohin sonst sollte er wohl auf dieser Straße zu dieser Jahreszeit reiten? Dann merkte er, dass man ihn mit dieser formellen Frage als einen Erwachsenen anerkannte. Mit entsprechender Höflichkeit antwortete er: »Jawohl, Oheim, mein Großvater wünscht, dass ich in diesem Jahr am Rat teilnehme.«
»Seid Ihr das ganze Jahr über im Kloster von Nevarsin gewesen, Neffe?«
Kennard wusste sehr wohl, wo er gewesen war, dachte Regis; als seinem Großvater nichts anderes eingefallen war, ihn loszuwerden, hatte er ihn nach Sankt-Valentin-im-Schnee verfrachtet. Doch es wäre ein fürchterlicher Bruch der Etikette gewesen, hätte er dies erwähnt, so sagte er lediglich: »Ja, er hat meine Erziehung den Cristofores anvertraut. Ich bin seit drei Jahren dort.«
»Das ist aber eine verdammte Art und Weise, einen Erben der Hasturs zu behandeln«, sagte eine raue, melodiöse Stimme. Regis blickte auf und erkannte Lord Dyan Ardais, einen blassen, großen, hakennasigen Mann, den er auf kurzen Besuchen im Kloster gesehen hatte. Regis verbeugte sich und grüßte ihn: »Lord Dyan!«
Dyans Augen, scharf und fast farblos – es hieß, die Ardais hätten Chieri-Blut –, ruhten auf Regis. »Ich habe Hastur gesagt, er sei ein Riesendummkopf, einen Jungen zur Erziehung an einen solchen Ort zu schicken. Aber ich habe mitbekommen, dass er viel mit Staatsgeschäften belastet ist, zum Beispiel mit all den Problemen, die die Terraner in unsere Welt gebracht haben. Ich habe ihm angeboten, Euch nach Ardais zu bringen. Meine Schwester Elorie hat keine Kinder und hätte gern einen Verwandten aufgenommen und erzogen. Aber Euer Großvater, denke ich, hielt mich für keinen guten Paten für einen Jungen Eures Alters.« Er lächelte leicht sarkastisch. »Nun, Ihr scheint die drei Jahre in den Händen der Cristofores gut überstanden zu haben. Wie war es in Nevarsin, Regis?«
»Kalt.« Regis hoffte, damit das Thema abgetan zu haben.
»Daran erinnere ich mich gut«, sagte Dyan lachend. »Auch ich bin bei den Brüdern groß geworden, wie Ihr wisst. Mein Vater war da noch bei Verstand – oder genügend bei Verstand, um mich bei seinen verschiedensten Exzessen von sich fern zu halten. Ich habe die ganzen fünf Jahre dort gezittert.«
Kennard hob eine graue Braue. »Ich kann mich nicht erinnern, dass es so kalt war.«
»Aber du hattest es im Gästehaus auch warm«, sagte Dyan mit einem Lächeln. »Dort brennen das ganze Jahr über Feuer, und man kann sich jemanden mitnehmen, der einem das Bett wärmt, wenn man will. Der Schülerschlafsaal in Nevarsin – das meine ich ganz ernst – ist der kälteste Ort auf ganz Darkover. Hast du nicht gesehen, wie die armen Jungen zitternd durch die Räume liefen? Haben sie einen Cristoforo aus Euch gemacht, Regis?«
Regis sagte kurz: »Nein, ich diene dem Herrn des Lichts, wie es sich für einen Sohn der Hasturs gehört.«
Kennard wies auf zwei Burschen in den Alton-Farben, und sie ritten ein Stück nach vorn. »Lord Regis«, sagte er förmlich, »gestattet mir, Euch meine Söhne vorzustellen: Lewis-Kennard Montray-Alton, Marius Montray-Lanart.«
Regis fühlte sich kurz verunsichert. Kennards Söhne waren durch den Rat nicht anerkannt, doch wenn Regis sie als Verwandte und Gleichgestellte begrüßte, würde er ihnen die Anerkennung der Hasturs zollen. Wenn nicht, würde er seinen Verwandten beleidigen. Er war wütend auf Kennard, dass er ihm diese Wahl aufzwang, besonders deshalb, weil es keinen Punkt der Comyn-Etikette und Diplomatie gab, den Kennard nicht kannte.
Lew Alton war ein kräftiger junger Mann, fünf oder sechs Jahre älter als Regis. Er sagte mit schiefem Lächeln: »Ist schon gut, Lord Regis. Ich wurde vor ein paar Jahren legitimiert und formell als Erbe bestätigt. Es ist also in Ordnung, wenn Ihr mich begrüßt.«
Regis fühlte, wie er vor Verlegenheit heftig errötete. Er sagte: »Großvater hat es mir geschrieben. Ich hatte es vergessen. Seid gegrüßt, Vetter. Seid Ihr schon lange unterwegs?«
»Ein paar Tage«, antwortete Lew. »Die Straßen waren ruhig, wenn auch mein Bruder, glaube ich, der Meinung ist, dass es ein langer Ritt war. Er ist sehr jung für eine solche Reise. Ihr erinnert Euch doch an Marius, oder?«
Erleichtert bemerkte Regis, dass Marius, Montray-Lanart statt Alton genannt, weil er noch nicht als legitimer Sohn anerkannt war, erst zwölf Jahre alt war – in jedem Fall zu jung für eine offizielle Begrüßung. Diese Frage konnte man umgehen, indem man ihn wie ein Kind behandelte. Er sagte: »Du bist gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Ich glaube, du erinnerst dich nicht mehr an mich. Immerhin bist du alt genug, um zu reiten. Hast du noch das kleine Pony, auf dem du immer in Armida geritten bist?«
Marius antwortete höflich. »Ja, aber es ist auf der Weide. Es ist alt und lahm, zu alt für eine solche Reise.«
Kennard sah verärgert aus. Das war Diplomatie! Sein Großvater wäre stolz auf ihn gewesen, dachte Regis, selbst wenn er selbst nicht stolz auf diese Doppelzüngigkeit war. Glücklicherweise war Marius zu jung, um zu erkennen, dass man ihn gedemütigt hatte.
Regis dachte, wie lächerlich es doch sei, dass sich Jungen gleichen Alters so förmlich anredeten. Lew und er waren gute Freunde gewesen. In den Jahren auf Armida, bevor Regis in das Kloster übersiedelte, hatten sie sich so nahe wie Brüder gestanden. Und nun nannte Lew ihn Lord Regis! Es war albern!
Kennard blickte zum Himmel. »Sollen wir weiterreiten? Die Sonne wird bald untergehen, und es wird sicher regnen. Es wäre ärgerlich, wenn wir anhalten und die Banner verstauen müssten. Und Euer Großvater wartet sicher auf Euch, Regis.«
»Meinem Großvater wurde meine Gegenwart drei Jahre lang erspart«, sagte Regis trocken. »Ich bin sicher, er hält es noch eine weitere Stunde aus. Doch es wäre schon besser, wenn wir nicht in die Dunkelheit kämen.«
Das Protokoll besagte, dass Regis neben Kennard und Lord Dyan reiten müsse, doch er blieb zurück und lenkte sein Pferd neben Lew Alton. Marius ritt neben einem Jungen von Regis’ Alter, der so vertraut aussah, dass Regis die Stirn runzelte und überlegte, woher er ihn kannte.
Während sich die Truppe formierte, schickte Regis seinen Bannerträger an die Spitze der Kolonne zu denen von Ardais und Alton. Er sah, wie der Mann mit dem blausilbernen Baumemblem der Hasturs und dem Motto der Kaste Permanedál nach vorn ritt. Ich werde bleiben, übersetzte er es sich verdrossen, ja, ich werde alle Zeit hier bleiben und ein Hastur sein, ob ich will oder nicht.
Dann ergriff ihn wieder Aufsässigkeit. Kennard war nicht geblieben. Er war auf Terra selber groß geworden, nach dem Willen des Rates. Vielleicht gab es auch für Regis Hoffnung, ob er nun ein Hastur war oder nicht.
Er fühlte sich merkwürdig einsam. Kennards Manöver, dass Regis seine Söhne ordentlich begrüßte, hatte ihn verärgert, doch auch berührt. Er fragte sich, ob er ebenso einsam wäre, wenn sein Vater noch lebte. Hätte auch er Pläne verfolgt und Intrigen veranstaltet, damit sich sein Sohn nicht so unterlegen gefühlt hätte?
Lews Miene war grimmig, abgekehrt und verschlossen. Regis konnte nicht sagen, ob er sich gedemütigt, schlecht behandelt oder einfach einsam fühlte, weil er anders war.
Lew sagte: »Kommt Ihr, Euren Sitz im Rat einzunehmen, Lord Regis?«
Die Förmlichkeit irritierte Regis. War es eine Zurechtweisung als Gegenleistung für die, die er Marius erteilt hatte? Plötzlich wurde er es überdrüssig. »Du hast mich sonst Vetter genannt, Lew. Sind wir nun zu alt, um Freunde zu sein?«
Ein rasches Lächeln überzog Lews Gesicht. Ohne den verschlossenen, mürrischen Ausdruck sah er gut aus. »Natürlich nicht, Vetter. Doch man hat mir bei den Kadetten und überall eingebläut, dass du Regis-Rafael Lord Hastur bist, und ich bin … nun, ich bin ein Nedestro-Erbe der Altons. Sie haben mich nur akzeptiert, weil mein Vater keine richtigen Darkover-Söhne hat. Ich dachte mir, dass es an dir liegt, ob du auf der Verwandtschaft bestehst oder nicht.«
Regis’ Mund verzog sich zu einer Grimasse. Er zuckte die Achseln. »Nun, vielleicht müssen sie auch mich akzeptieren, doch ich könnte genauso gut ein Bastard sein. Ich habe kein Laran geerbt.«
Lew sah schockiert aus. »Aber sicher hast du … ich war sicher …« Er brach ab. »Wie dem auch sei, du wirst im Rat einen Sitz haben, Vetter. Es gibt keinen anderen Hastur-Erben.«
»Das ist mir nur zu sehr bewusst. Seit dem Tag meiner Geburt habe ich nichts anderes gehört«, sagte Regis. »Allerdings hat Javanne Gabriel Lanart geheiratet und bekommt Söhne wie die Kaninchen. Einer von denen könnte mich eines Tages verdrängen.«
»Immerhin bist du in der direkten Abstammungslinie. Die Gabe des Larans überspringt von Zeit zu Zeit eine Generation. Alle deine Söhne können es erben.«
Regis sagte mit plötzlicher Bitterkeit: »Glaubst du, das nützt – zu wissen, dass ich für mich genommen wertlos bin – wertvoll allein wegen der Söhne, die ich zeugen werde?«
Ein dünner Nieselregen setzte ein. Lew zog die Kapuze über die Schultern, und auf seinem Umhang erkannte man die Abzeichen der Stadtgarde. Er leistete also den regulären Dienst eines Comyn-Erben, dachte Regis. Vielleicht ist er ein Bastard, aber vielleicht ist er nützlicher als ich.
Lew sagte, als könne er seine Gedanken lesen: »Ich rechne damit, dass du in diesem Jahr in das Kadettenkorps der Garde eintrittst. Oder sind die Hasturs davon ausgenommen?«
»Man hat alles für uns vorgeplant, stimmt’s, Lew? Mit zehn Jahren Feuerwache. Mit dreizehn oder vierzehn das Kadettenkorps. Dann ist die Reihe an der Offizierslaufbahn. Nimm deinen Sitz im Rat ein, heirate die richtige Frau, wenn sie eine aus einer Familie finden können, die alteingesessen und wichtig genug ist und, darauf kommt es an, die Laran hat. Zeuge jede Menge Söhne und eine Menge Töchter, damit andere Comyn-Söhne sie heiraten können. Bei allen ist das Leben vorgeplant, und alles, was uns zu tun bleibt, ist, hindurchzukommen und den richtigen Weg zu beschreiten, ob wir wollen oder nicht.«
Lew sah unsicher aus und gab keine Antwort. Gehorsam wie ein richtiger Prinz ritt Regis ein Stück voraus, um durch die Stadttore hindurch auf seinem angemessenen Platz neben Kennard und Lord Dyan zu reiten. Sein Kopf wurde nass, doch war es seine Pflicht, dachte er säuerlich, sich sehen zu lassen, sich zur Schau zu stellen. Ein wenig Feuchtigkeit machte einem Hastur doch nichts aus.
Er zwang sich zu einem Lächeln und winkte anmutig den Menschenmengen am Straßenrand zu. Doch von weit her konnte er durch den Boden wieder jene dumpfe Vibration spüren wie von einem Wasserfall. Die Raumschiffe waren noch da, sagte er zu sich, und die Sterne auch noch. Es spielt keine Rolle, wie stark sie meinen Weg vorzeichnen. Ich werde eine Möglichkeit finden, eines Tages auszubrechen. Eines Tages.