Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 47

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Der Kapitän stürzte vom Achterkastell herab.

»Was geschieht hier?«

Wütend betrachtete er die beiden Seeleute, die Zimenes und Lunetta mit gebundenen Händen an die Reling geführt hatten. Lunetta drängte sich an Gabriel, der tröstend auf sie einsprach. Unter ihnen brauste schwarz das Meer. Hornlaternen beleuchteten die Gesichter. Die Bullenpeitsche des Kapitäns ging auf die Rücken seiner Matrosen nieder. »Auseinander und an die Kanonen. Ihr werdet bald genug Gelegenheit zum Töten haben!«

Aleander trat vor. »Comandante, ich habe den Tod dieser Ketzer befohlen. Der Herr hat seinen Zorn auf uns gelenkt, da wir ...«

»Geschwätz«, brüllte der Kapitän. »Geh in dein Zelt, du Pfaffenarsch, und bete, dass die Kanonen der Korsaren krumm sind!« Die Anhänger des Dominikaners protestierten.

Aleander richtete sich zu voller Größe auf. »Du spielst mit dem Leben und dem Seelenheil all dieser Menschen.« Theatralisch wies er auf die Passagiere und Matrosen, die sich um ihn drängten.

»Sie wollen nicht in die ewige Hölle einfahren, weil sie das Leben eines Erzketzers und einer Hexentochter geschont haben! Ich darf das nicht zulassen, mein Gewissen und meine Liebe zu Gott verbieten es mir.«

Sebald Rieter trat vor. »Wir sind aufrechte Christen! Es kann nicht sein, dass wir unser Leben wegen dieser Teufelsbrut aufs Spiel setzen.«

»Amen«, schrien einige Pilger und sprangen an die Reling, um ihr Seelenheil durch das Hinabstoßen der Sünder zu retten.

»Soldaten hierher«, brüllte der Kapitän. Vom Bugdeck der Kanoniere lösten sich zwei Gestalten. Die Pilger bildeten einen Ring um den Dominikaner und seine Opfer. Matrosen schlossen sich an.

Sidonia schlüpfte neben Aleander. Gabriel sah es mit Verachtung und wandte seinen Blick ab.

»Was du vorhast, ist eine Dummheit«, flüsterte Sidonia dem Dominikaner zu.

Aleander sah ihr spöttisch in die Augen. »Willst du deinen Helden retten? Zu spät, mein Kind, das Volk ist eine reißende Bestie«, erwiderte er leise. »Es wird mir nicht gelingen, sie aufzuhalten«.

Sidonia hielt seinem Blick stand. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass es Menschen verunsicherte, wenn man ihren Augen nicht auswich.

»Mein Interesse an Zimenes beschränkt sich auf dies hier.« Sie zog das Amulett aus ihrer Rocktasche. »Dieses Götzenbild gehörte nicht Gabriel Zimenes, sondern stammt aus einem Schatz, den dein Bruder Adrian aus dem Neuen Indien mitbrachte. Zimenes hat diesen Schatz geborgen.«

Sie bemerkte die Verunsicherung in den Augen des Dominikaners. »Ein Schatz? Und wo ist dieser sagenhafte Schatz?«

Sidonia griff nach Aleanders rechter Hand. Sie drückte das Amulett hinein und schaute ihn unverwandt an.

»Das weiß nur Zimenes!«

Statt eines flehenden Blicks zauberte sie das Glitzern der Gier in ihre grünen Augen. Auch das kannte sie von ihrem Vater, sie kannte es von vielen Kaufleuten. »Wenn du Zimenes töten lässt, werden wir nie erfahren, wo dieses Versteck liegt.«

Die Soldaten hieben die meuternden Passagiere roh auseinander. »Weg da«, brüllte einer von ihnen. Es war Goswin. Er postierte sich neben Zimenes, um ihn vor Übergriffen zu schützen.

»Der Kapitän hat Anweisung gegeben, dich in dein Zelt zu führen«, herrschte er Aleander an. »Du bist ein Aufrührer, der zur Meuterei anstiftet.«

Im Hintergrund wurde Geschützdonner laut. Die Korsaren kündigten ihre Ankunft an. Der Kapitän gab Befehl, das Feuer zu eröffnen. Die Negrona antwortete mit einem Geschoss, das begleitet von einem Feuerschweif durch die Dunkelheit raste.

»Nein«, protestierten die Pilger. »Der Mönch soll bleiben. Er muss uns von den Ketzern befreien und den Kapitän zwingen, wieder Segel zu setzen.«

»Feiges Pack«, schnauzte Goswin. »Wir können die Korsaren mit unseren Kanonen zur Hölle jagen! Es sind die besten Kanonen, die ich je gesehen habe.«

Aleander zögerte kurz, dann wandte er sich mit frommem Blick an die Passagiere.

»Hier habe ich keine Macht. Ich werde in meinem Zelt für euch beten!«

»Das wird nicht nötig sein und aus deinem Munde kaum hilfreich«, ertönte Zimenes’ Stimme von der Reling her.

Aleander wirbelte herum. »Was wagst du!«

»Ich bekenne, ich bin ein Ketzer und habe den Tod verdient. Aber er soll diesen armen Seelen wenigstens von Nutzen sein. Kapitän, ich kenne einen Ausweg aus dieser Hölle!«

In knappen Worten umriss Zimenes seinen Plan und gewann den Schiffsführer dafür. Der Kapitän wusste, dass eine Meuterei auf dem Schiff ein noch sichererer Tod als ein Kampf mit den Korsaren war.

»Nur zwei Bedingungen habe ich«, schloss Zimenes. »Schont das Kind und setzt Segel, sobald ich im Wasser bin! Niemand kann behaupten, Ihr hättet nicht das Möglichste getan, um der Karacke zu helfen, schließlich geht Ihr mit dem Plan ein hohes Risiko ein.«

Der Kapitän zögerte, dann nickte er und löste Gabriels Fesseln. Er ließ die Umstehenden auseinandertreiben und gab Befehl, ein Beiboot nach Zimenes’ Anweisung zu rüsten. Lunetta ließ er von einem Soldaten in seine Kajüte bringen. Das Mädchen wehrte sich. Gabriel umarmte sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Widerstrebend folgte Lunetta dem Soldaten über das schwankende Deck.

Der Kapitän schaute Zimenes fest an: »Ich werde das Kind schützen. Ob Ketzer oder nicht, Ihr seid ein tapferer Mann, Señor!«

Goswin, der neben Gabriel stand, nickte.

Aleander verfolgte alles mit wütendem Gesicht. »Mit Verlaub«, mischte er sich ein, während die Matrosen das verlangte Beiboot mit einem Holzaufbau versahen, in den sie Haken einschlugen.

Der Kapitän wandte den Kopf. »Was willst du noch? Der Ketzer geht freiwillig in den Tod!«

»Ich bezweifle seine Aufrichtigkeit! Nur ein Ketzer, der bereut, kann vor ewiger Verdammnis bewahrt werden. Der heilige Augustinus sagte: Wir möchten die Ketzer verbessert haben, nicht getötet, wir wünschen uns den Triumph der Kirchenzucht, nicht den Tod, den sie verdienen. Als Mönch muss ich das Seelenheil jedes Menschen schützen. Lasst ihn nicht gehen, bevor er gebeichtet hat. In meinem Zelt!«

»Halt das Maul, du sodomitischer Blender«, schrie Goswin und sorgte mit einem Fausthieb dafür, dass Aleander seinem Befehl folgte. Als der Dominikaner zu Boden ging, rannte Sidonia auf Zimenes zu, fasste ihn beim Arm und zog ihn an die Reling. Goswin beobachtete den vermeintlichen Pagen des Mönches voll Argwohn.

»Bitte«, flüsterte Sidonia verzweifelt, »bitte geh nicht!«

Zimenes lachte trocken. »Warum?«

»Weil ich es nicht ertragen könnte. Ich ...« Sie räusperte sich, Tränen verbrannten ihre Stimme.

Gabriel fasste ihre Hand und küsste sie spielerisch. »Wir sollten uns nicht im Streit trennen, schöne Sidonia, also lass deine Heucheleien.«

Sidonia riss den Kopf hoch. »Gabriel, es ist mir ernst. Ich brauche dich.«

»Natürlich, schließlich stirbt mit mir dein Schatzführer.«

»Wie kannst du jetzt von Geld reden!«

Gabriel beugte sich zu ihr hinab: »Ich versuche, dir in deinen Gedanken nah zu sein. Mein Wunsch war es immer, im Moment des Todes einer Frau durch die Augen in die Seele zu blicken. Den Frauen hat der Herr das Geheimnis des Lebens anvertraut, so wie Maria die Geburt seines Sohnes. Schau mich an.«

Sidonia hob trotzig den Blick.

»Tja, da ist keine.«

»Was?«

»Seele, schöne Sidonia, eine Seele!«

»Gabriel, bitte, du kennst meine Gefühle nicht! Ich weiß jetzt, dass ich nie in Adrian von Löwenstein verliebt war, ich kannte das Gefühl gar nicht, das weiß ich jetzt ...«

»In der Tat, Sidonia, du kennst dieses Gefühl nicht, aber ich kenne deine Gefühle genau.«

»Das tust du nicht! Ich selber kenne sie doch erst seit kurzem, diesen Schmerz, diese Angst ...«

»Das Leben ist schmerzvoll, Sidonia. Wer etwas anderes glaubt, hat nie gelebt.«

»Aber es gibt auch Glück, Gabriel. Liebe ...«

»Nicht für mich, mein Kind. Doch falls du in deinem Herzen einen Funken Zärtlichkeit findest, dann habe ich eine letzte Bitte.«

Sidonia rückte mit einem leisen Gefühl der Hoffnung an ihn heran.

»Ich bitte dich um das Leben Lunettas.«

Sidonia fuhr verblüfft zurück. »Lunetta?«

»Sorge dafür, dass sie überlebt. Und was das Geld betrifft, vergiss nie den Psalm 121: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Von dort wird mir Hilfe kommen! Kennst du ihn?«

»Padre Fadrique schrieb ihn in ein Buch für dich.«

»Ja, Padre Fadrique liebt diesen Psalm. Genau wie du das Geld!«

»Ich will das Geld nicht!«

»Tatsächlich? Dann gib es Lunetta, der es gehört. Falls dein Geliebter das zulässt.«

Verblüfft fuhr Sidonia zurück. »Ich habe keinen Geliebten!«

»Außer dem verdammten Mönch, du Hurensohn«, fuhr Goswin dazwischen und stellte sich zwischen Gabriel und den vermeintlichen Jüngling.

»Boot klar zum Ablegen«, schrie der Kapitän.

Goswin packte Zimenes beim Arm. »Zeit zu gehen.«

»Du brauchst mich nicht zu zwingen, ich gehe freiwillig«, entgegnete Gabriel freundlich.

»Genau wie ich«, erwiderte Goswin.

»Das wirst du nicht tun.«

»Ich bin ein Mann des Kampfes, ich begleite dich!«

»Es wäre dein letzter. Bleib hier. Ein Opfer genügt.«

»Wir werden nicht sterben. Der Herr ist mit uns.«

»Hast du vergessen, dass ich ein Ketzer bin? Ich versichere dir, ich glaube nicht an Gott!«

»Aber er glaubt an dich, er läutete die Glocke und ließ den Sturm einschlafen«, knurrte Goswin und stieß Gabriel nach vorne.

»¡Madré de Dios! Was ich vorhabe, bedeutet den sicheren Tod. Du bist ein Narr, Mann.«

»Dann sind wir schon zwei.«

Sidonia löste sich von der Reling und lief beiden hinterher. »Warte, Gabriel. Du täuschst dich über mich und Aleander ...«

Sie fasste Zimenes beim Wams, während er über die Reling kletterte. Zimenes streifte Sidonias Hand ab, betrachtete sie einen kurzen Moment. Dann fasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie auf den Mund.

»Adios, meine Schöne! Ich gebe zu, du wärst eine Sünde wert, der Teufel hat all seine Künste an dich verwendet.«

Sidonia taumelte, als er ihr Gesicht losließ. »Gabriel, ich glaube, ich liebe dich.«

Zimenes lachte. »Satan ist fürwahr ein Zauberkünstler! Ich fürchte, wir werden uns nicht in einer besseren Welt wiedersehen. Der Teufel wird dich für sich beanspruchen! Fast könnte man annehmen, dass der Himmel ein wenig langweilig ist.«

»Dir ist die Hölle doch so egal wie Gott!«, entfuhr es Sidonia voll wütendem Schmerz.

»Du vergisst, dass ich Mönch war. Die meisten Jahre meines Lebens gab es niemanden außer Gott in meinem Herzen. Gott mag nicht der Herr dieser Welt sein, aber im Jenseits gilt seine Herrlichkeit, daran habe ich nie gezweifelt. Padre Fadrique sagte einmal zu mir: Am Ende deiner Suche wirst du wieder da, stehen, wo du anfingst, und du wirst den Ort zum ersten Mal sehen. Ich hoffe, er hatte Recht. Wünsch mir Glück und einen raschen Tod!«

Mit diesen Worten erklomm Zimenes die Reling und verschwand in der Dunkelheit. Der Kapitän ließ alle Lichter an Deck löschen, die Matrosen stiegen in die Wanten und lösten die Taue. Segel flatterten im Wind. Der Kapitän gab Befehl zur Wende. Als der Bug sich drehte, entzogen sich die Lichter des Beiboots Sidonias Blick.

Sie löste sich von der Reling, sprang über Deck, als werde sie von Teufeln gehetzt, und gelangte zur gegenüberliegenden Reling. Stetiger Wind trug das Schiff fort von dem Beiboot, bis nur noch die Lichter an dessen hohem Heckgerüst zu erkennen waren. Die Laternen waren ein genaues Abbild der Positionslichter vom Heck der Negrona.

Sie wurden immer kleiner, während sich die wirkliche Negrona – unsichtbar für ihre Angreifer – entfernte. Eine Weile tanzten die Laternen noch als winzige Punkte auf den Wellen, dann hallte wieder Geschützdonner. Kanonensalven gingen nieder, Kugeln zerpeitschten das Meer. Sidonia schrie auf. Die Lichter auf dem Beiboot verloschen. Die Korsaren hatten sich täuschen lassen. Sie hatten ihr vermeintliches Ziel getroffen.

Sidonia sah, dass der Kapitän ein Kreuz schlug, in den Topmasten wurden die letzten Marssegel ausgebracht. Flink wie ein Pfeil und unentdeckt von den Korsaren schoss die Negrona in die Nacht. Ein riskantes Manöver, das nur dem gelang, der die Gewässer der Biscaya genau kannte. Sidonia starrte mit taubem Gefühl und brennenden Augen in die Finsternis. Zimenes’ letzte Bitte war erfüllt worden, er hatte einen raschen Tod gehabt.

Eine Hand grub sich in ihre linke Schulter.

»Nun, was konntest du noch über den Verbleib des Geldes erfahren«, fragte der Dominikaner.

Mutlos drehte Sidonia sich um. »Nichts«, krächzte sie.

»Es gibt also keinen Schatz! Du hast mich belogen, um Zimenes zu retten.« Seine schlanken Finger legten sich um ihren Hals. »Dafür werde ich dich töten.«

Sidonia schloss die Augen. Ja, warum nicht? Der Tod war ihr letzter Freund. La muerte war ihre Karte. So musste Mariflores empfunden haben. Hinter ihren Augenlidern explodierten Lichtwirbel, immer fantastischer sprühten und drehten sich die bunten Kreise. Während ihr die Luft wegblieb, wurde es hell, strahlend hell. Wie ein Blitz schoss ein Gedanke mit aller Macht in ihr hoch: Ich will leben. Ich will leben. Trotz allem, wegen allem. Gott will, dass ich lebe! Mit der Kraft des Zorns riss sie Aleanders Hände von ihrem Hals. Sie keuchte, schnappte nach Luft.

»Der Padre weiß, wo der Schatz ist!«

»Welcher Padre?«

»Fadrique«, stieß Sidonia hervor. »Lunetta wird wissen, wo er ist.«

»Das weiß ich selber.«

Sie konnte Aleanders Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen, aber sie hörte den tödlichen Hass in seiner Stimme. Wer war dieser Padre, dass zwei so unterschiedliche Männer wie Gabriel und Aleander ihn dermaßen verabscheuten? Ein mächtiger Mann, so viel war klar.

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