Читать книгу Wie viele Sekunden hat das Glück - Marita Schöneweiß - Страница 10
ОглавлениеKapitel 5
Auf dem Neubauer Hof gab es nun viel Arbeit. Der Hafer musste ausgesät werden. Nach dem Frühstück zog der alte Neubauer mit seinem Sohn los, um den Hafer in die Erde zu bringen.
Der Bauer saß auf dem Leiterwagen und fuhr das Saatgut schon einmal auf den Acker. Heinrich schritt gemächlich neben dem Pferd Jonas her, das die Egge hinter sich zog.
Auf dem Acker angekommen, nahm sich jeder eine längliche Wanne voller Saatgut vor seinen Bauch, ging Schritt für Schritt über den Acker und streute die Körner auf das Land.
Bis jetzt konnten sich die Pferde ausruhen, aber nun wurden ihre Stärken verlangt. Die Körner mussten eingeeggt werden und dazu mussten die Pferde die Egge ziehen. Schließlich gehörten die Körner unter die Erde, damit sie nicht den Vögeln als Frühstück dienten.
Heinrich wollte heute mit dem Acker fertig werden, denn der morgige Tag war für den Acker der Schwiegermutter gedacht. Seit der Hochzeit bestellte er das Tagewerk der Langes mit. Für die beiden Frauen war diese Arbeit doch zu schwer. Er hatte es versprochen und daran hielt er sich auch. Gerade wollte er wieder auf dem Hof einbiegen, als er den Doktor bei Meyers Haus stehen sah. Das passt ja gut, dachte er.
"Brr!", rief er dem Pferd zu.
"Was machst ' denn?", wollte der Vater wissen. "Warum hälst ' denn hier schon?"
Der Doktor steht bei Meyers!", antwortete er auf seine Frage. "Die Mutter klagt doch schon so lange über das schreckliche Reißen in ihrer Schulter. Er kann doch mal nachsehen! Vielleicht gibt 's eine Salbe, die besser hilft als ihre Hausmittelchen!"
"Na, dann sag ihm mal Bescheid! Er kann ja mal nach der Mutter sehen! Ich hoffe, dass sie damit einverstanden ist. Kennst sie ja!"
"Eben! Sie würde sowieso nicht zum Doktor gehen! Aber, wenn er im Haus ist, kann sie ihn ja schlecht wieder wegschicken!"
"Dann lauf zu! Ich spann' die Pferde aus! Geh du aber lieber mit ins Haus hinein! Vielleicht hört sie ja auf dich!"
"Doktor!", rief Heinrich über die Straße hinweg, als er sah, dass er schon in der Kutsche saß. "Haben Sie noch einen Augenblick Zeit?"
"Guten Tag, Heinrich!", begrüßte er ihn. "Ist etwas passiert?"
"Nein, nein!", wehrte der junge Mann gleich ab. "Wenn's Ihnen nichts ausmacht, hätte ich gerne, dass Sie einmal nach der Mutter sehen! Seit Wochen hat sie starke Schmerzen in der Schulter. Sie reibt sich zwar immer ein, aber es hilft einfach nicht! Und damit zu Ihnen kommen - Sie kennen sie ja - das wird sie bestimmt nicht!"
"Ich werde sie mir mal ansehen!", beruhigte Doktor Heller den Neubauer Sohn.
Gemeinsam traten sie etwas später in die Küche ein.
"Mutter!", sagte Heinrich gleich, "ich hab' den Doktor draußen getroffen. Er soll einmal nach deiner Schulter sehen, denn deine Mittelchen helfen nicht wirklich!"
"Guten Tag, Neubauerin!", begrüßte der Doktor die sprachlose Bäuerin, "wenn es Euch recht ist, schaue ich mir einmal die Schulter an. Vielleicht kann ich ja helfen!"
"Guten Tag, Herr Doktor!", sagte Florentine, die immer noch sehr überrascht über den unverhofften Besuch war.
"Junge, weiß gar nicht, was du damit bezwecken willst? Wird schon wieder von alleine fortgehen! Schließlich ist es ja auch von ganz alleine gekommen!"
"Aber ich glaube, dass es besser ist, wenn der Doktor nachsieht!", beharrte Heinrich energisch.
"Na gut!", willigte sie ein, "du sollst deinen Willen haben!"
"Ich muss wieder hinaus!", sagte Heinrich zu dem Doktor und verließ die Küche.
Am Abend, als sie beim Essen am Tisch saßen, fragte Johannes seine Frau: "Was hat der Doktor so angegeben?"
"Fünf Mark hab' ich bezahlen müssen!", erwiderte seine Frau ganz außer sich. "Fünf Mark, nur damit er sich meine Schulter ansieht!"
"Er wird doch etwas gesagt haben, Mutter?", wollte Heinrich wissen.
"Ja, sicher hat er was gesagt. Rheuma soll 's sein! Ich habe eine Spritze bekommen. Er muss in den nächsten Tagen noch einmal nach Meyers, dann will er eine Salbe vorbeibringen, die würde dann auch etwas helfen. Aber weggehen wird es nimmer mehr ganz, das hat er auch gleich gesagt!"
"Na siehst du, Mutter!", sagte ihr Mann, "dann sind die fünf Mark gut angelegt worden!"
"Ja, die Salbe wird extra kosten! Oder glaubst du etwa, die wäre im Preis drin?"
"Nehmt es vom Eiergeld, Schwiegermutter!", lenkte Katharina ein.
"Oh nein Katharina, das kommt nicht in Frage! Das Eiergeld gehört dir und davon nehme ich bestimmt nichts!", wehrte die Bäuerin energisch ab. "Das ist dein und soll es auch bleiben!"
"Komm Mutter, hör' auf zu schimpfen!", sagte Heinrich. "Du wirst sehen, dass die Spritze und die Salbe bestimmt Linderung bringen. So ging es doch auch nicht weiter!"
"Ja, ja, kannst schon Recht haben!", seufzte sie. "An manchen Tagen war es ja auch ganz schön arg." Zu Katharina meinte sie dann weiter: "So langsam können wir die Kartoffeln zum Pflanzen aus dem Keller holen. Der Boden ist schon gut abgetrocknet - sie können in die Erde. Bis wir sie alle geschnitten haben, ist es soweit!"
Katharina nickte.
"Na, ja!", überlegte Heinrich, "in der kommenden Woche mache ich das Land zurecht! Wenn ihr nicht alles für die Kartoffeln braucht, kann das Gemüse auch noch dahin. Der Boden an der Westseite ist recht gut. Wenn das Wetter mitspielt, wird die Ernte gut!"
"Kannst du machen!", erwiderte sein Vater. "Der Acker an der Westseite ist auf jeden Fall besser für die Kartoffeln als der drüben im Tal. Da wühlen doch nur die Wildschweine wieder alles heraus!"
"Ja, das stimmt!", seufzte die Bäuerin. "Machen wir es lieber so! Ach, es ist aber auch schon wieder reichlich spät geworden. Ich will gleich hinaufgehen! Habe ja heute Nacht auch nicht so viel Schlaf bekommen. Der Christoph hat ganz schön geschrien. Katharina, du musst doch auch sehr müde sein?"
"Ja, jetzt, wo ich am Tisch sitze, merke ich es besonders. Über den Tag ging es. Ich bin nur gespannt, ob er heute Nacht etwas Ruhe gibt!", erwiderte sie. "Der Heinrich und der Franz schlafen - sie hören nichts!"
"Ja, ja, die Männer!", die Bäuerin lachte. "Die haben einen gesunden Schlaf! Gute Nacht alle miteinander und mach nicht mehr so lange, Katharina. Geh auch bald schlafen!"
Katharina nickte.
"Gute Nacht!", antworteten alle.
In dieser Nacht schlief der kleine Christoph durch und am Morgen sah Katharina das erste Zähnchen bei ihm blinken.
Nun fanden die Neubauers wieder ihren verdienten und so nötigen Schlaf in der Nacht - wenigstens eine Zeit lang.
Die Arbeit ging weiter auf dem Hof.
Es war schon Mai und die Rüben mussten gelegt werden. Der Bauer und sein Sohn packten die Dibbelmaschine und den Behälter mit dem Rübensamen auf den Wagen und fuhren zur Talseite.
Klack, klack, klack machte die Maschine, als Heinrich mit ihr über das Land schritt. Die Kirchturmuhr schlug gerade 16.00 Uhr, als er mit der letzten Reihe fertig war.
"Das wäre geschafft!", sagte er zu den Gäulen. "Nun geht 's wieder heimwärts!"
Ungeduldig wurde er schon von seinem Sohn Franz erwartet. Der kleine Kerl war so aufgeregt und wollte seinem Vater etwas zeigen, aber der war nicht da. Immer wieder schaute er zur Küchentür, ob sein Vater vielleicht hereinkommen würde. Doch nichts tat sich. Seine Geduld wurde wirklich auf eine harte Probe gestellt. Hin und wieder musste Katharina ihn trösten. Dann war es so weit. Die Küchentür öffnete sich und sein Vater stand im Raum.
"Papa, Papa!", rief er laut. "Komm!"
"Was ist denn los, mein Sohn?", fragte Heinrich und sah fragend seine Frau an.
Doch Katharina schwieg.
Franz zog ihn zum Käfig der Glucke, der in der Ecke der Küche stand.
"Da!", sagte Franz ganz aufgeregt und zeigte mit seinen kleinen Fingerchen auf die dort sitzende Glucke.
"Ja, was ist denn das? Habt ihr die Glucke schon hereingeholt? Sind die Küken schon alle ausgeschlüpft?"
Vorsichtig schob er seine Hand unter die sitzende Henne und holte etwas hervor. "Da, schau her!", sagte er leise.
Franz lachte und jauchzte.
"Ganz vorsichtig darfst du es streicheln!"
Die Augen des kleinen Jungen strahlten. Vorsichtig streichelte er mit seinen kleinen Fingern über das gelbe flauschige Knäuel.
"So, nun muss es aber wieder zu seiner Mutter!", sagte der Vater liebevoll zu ihm. "Es braucht noch Wärme! Es ist doch noch ganz klein! Später sehen wir wieder nach ihnen! Komm, lassen wir sie erst einmal in Ruhe! Wir gehen gleich hinaus in den Stall! Du willst doch bestimmt das kleine Kälbchen sehen, was heute Morgen geboren wurde?"
Franz nickte.
Heinrich setzte das Küken wieder in den Käfig zurück. Sofort schlüpfte es unter das Federkleid der Mutter.
"Weg!", stellte Franz enttäuscht fest.
Noch eine ganze Weile saß er davor und beobachtete, was nun geschehen würde.
Es war Juli. Die Blumen blühten in den Gärten und leuchteten in den schönsten Farben. Die Bienen summten und surrten von einer Blüte zur anderen. Das saftige Dunkelgrün der Wiesen bot einen reichlich gedeckten Tisch für viele Tiere. Die Vögel saßen geduldig auf ihren Nestern und brüteten ihre Eier aus. Über den Hof liefen nun schon die jungen Hühner, die noch vor einiger Zeit in der Küche ihre Kinderstube hatten. Auf den Feldern stand goldgelb das reife Korn und wartete darauf, dass es von den Männern mit der Sense geschnitten wurde.
Überall war Leben - endlich war der Sommer da!
Die Neubauers saßen gerade am Frühstückstisch, als Gustav Lehmann an die Küchentür klopfte.
"Herein!", rief die Bäuerin und nahm sich noch eine Schnitte Brot aus dem Brotkorb heraus.
"Guten Morgen zusammen!", grüßte er beim Eintreten.
"Morgen, Gustav!", grüßten die am Tisch Sitzenden zurück.
"Komm, setz dich her Gustav und iss ein Stücke mit!", forderte die Bäuerin ihn auf.
"Nein danke, hab' schon! Lasst euch nicht stören!"
"Du bist aber schon zeitig unterwegs! Hast du was auf dem Herzen, Gustav?"
"Nein!", sagte er lachend. "Ich will nichts von euch! Ich bin nur gekommen, um euch etwas zu sagen! Der Erwin hat vorhin angerufen. Ich soll euch sagen, dass er Vater geworden ist und ihr Großeltern! Ich soll es euch gleich mitteilen, hat er gesagt. Aus dem Krankenhaus hat er angerufen. Gratuliere auch recht herzlich! Na, da staunt ihr, was?"
"Bin ganz sprachlos!", antwortete die Bäuerin. "Johannes, hast du das gehört? Ein Kind haben wir gekriegt! Hat er auch gesagt, was es ist?", fragte sie nun weiter.
"Ja, das hat er! Ich muss erst einmal überlegen! Meine Güte, was war es denn?"
"Aber Gustav!", sagte nun Katharina. "Du musst doch wissen, was der Erwin gesagt hat?"
"Ja, das weiß ich auch! Er sagte, es ist ein kleines Mädchen und das schönste auf der ganzen Welt. Beiden geht es gut! Ja, genau, das sagte er!"
"Also, eine Tochter haben sie bekommen!", antwortete die Bäuerin außer sich vor Freude.
"Ja genau, ein Mädchen!", bestätigte es der Gustav nun sehr ernsthaft. "So, nun muss ich aber wieder gehen! Ihr wisst Bescheid! Schönen Tag noch!" Und schon war er draußen.
"Dank dir für' s Kommen!", rief der Bauer ihm noch nach.
"Gern geschehen!", kam es von der Haustür her.
"Ja, was machen wir denn nun?", fragte die Bäuerin ganz verzweifelt. "Johannes, sag doch auch mal was!"
"Was soll ich denn sagen? Was willst du denn hören? Es freut mich, dass die Beiden nun auch ein Kind haben!", erwiderte er.
"Das mein' ich doch gar nicht!"
"Ja, was meinst denn?", fragte er, schüttelte mit dem Kopf und holte seine Pfeife.
"Musst du denn jetzt rauchen? Sag mir lieber, was ich tun soll?"
"Was hat denn das Rauchen mit dem Kind zu tun? Florentine, du bist ganz schön durcheinander! Was regst dich denn so auf?"
"Johannes, ich will doch nur wissen, wie das nun mit der Arbeit gehen soll?"
"Florentine, drück dich bitte etwas deutlicher aus! Ich weiß wirklich nicht, was das mit dem Kind zu tun hat?"
"Ach Mann, ich habe Gerlinde versprochen, sofort zu ihnen in die Stadt zu kommen, sobald das Kind geboren ist! Nun ist es doch da! Aber wir sind mitten in der Ernte. Wie soll das gehen?"
"Aber Mutter!", schaltete sich nun Katharina in das Gespräch ein. "Selbstverständlich könnt Ihr fahren! Klein Christoph bleibt im Bett und Franz kommt mit auf's Feld. Gerlinde wird dich brauchen. Mariechen und meine Mutter werden bestimmt auch helfen. Seid ohne Sorgen und fahrt. Es wird gehen, weil es gehen muss!"
"Ja, wenn du meinst Katharina, dass du es alleine schaffen wirst, fahre ich selbstverständlich!"
"Ja natürlich! Heinrich bringt Euch morgen zur Bahn. Erwin muss doch auch versorgt werden!"
"Na dann ist ja alles geklärt!", meinte das Familienoberhaupt. "Heinrich, dann können wir uns ja auf den Weg machen!"
Im August wurde die kleine Julia Neubauer nicht in der Stadt getauft, sondern in der kleinen Dorfkirche, in der auch Erwin schon über das Taufbecken gehalten wurde. Man merkte jetzt schon, dass sie nicht so ein ruhiges Gemüt besaß wie ihre Cousins. Sie schrie aus Leibeskräften, als das Taufwasser über ihr kleines Köpfchen lief. Es dauerte sehr lange, bis sie sich endlich beruhigte. Doch dann schlief sie ein. Am Spätnachmittag fuhr Erwin mit seiner kleinen Familie wieder heim.
Auf dem Neubauer Hof herrschte Leben!
Die Kinder entwickelten sich prächtig. Die jungen und alten Leute verstanden sich ausgezeichnet und Katharina dachte oft, dass sie dem lieben Gott gar nicht genug dafür danken konnte, dass sie so einen guten Ehemann bekommen hatte. Wenn sie das Gekreische von der alten Hopperin hörte, dann liebte sie ihr neues Zuhause noch mehr.
Beim Abendbrot sagte sie zu ihrem Mann: "Heinrich, sprich doch mal mit dem Johann. Die arme Elenore! Man kann es oft nicht mehr mit anhören. Jetzt schreit die Hopperin schon täglich über den Hof hinweg und schimpft die Elenore so aus, dass es im ganzen Dorf zu hören ist."
"Ich habe schon einige Male mit dem Johann darüber gesprochen!", erwiderte er.
"Und, was sagt er dazu?"
"Weiberkran! Sie sollen selber damit klarkommen. Er werde sich nicht einmischen!"
"Das darf doch nicht wahr sein!", schimpfte die Bäuerin. "Diese Mannsbilder! Das wird nicht mehr lange gut geh'n!"
"Das müssen sie selber wissen, was sie tun, Florentine! Steckt euch bloß nicht dazwischen. Entweder ist der Johann Manns genug oder nicht!", antwortete der Bauer ernsthaft. "Lasst lieber die Finger davon! Mit der Alten ist wirklich nicht gut Kirschen essen! Merkt euch das bloß!"
So ging das Gespräch zu Ende, aber ändern tat sich nichts.