Читать книгу Wie viele Sekunden hat das Glück - Marita Schöneweiß - Страница 8

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Kapitel 3

Die Familie saß an den Abenden in der Küche beisammen. Die Männer brachten die Gerätschaften wieder in Ordnung und die Frauen strickten. An manchen Nachmittagen kam die Holmers Tante zu einem Schwätzchen vorbei oder die Neubauer Bäuerin besuchte die Nachbarschaft.

Auch Katharina freundete sich mit der jungen Frau vom Hopper Hof an. Ihre kleine Tochter war drei Monate älter als ihr Sohn Franz. Sie wohnten gleich nebenan und Katharina merkte bald, dass die junge Frau nichts bei der Schwiegermutter zu lachen hatte.

Die Hopperin schimpfte und schrie oftmals über den ganzen Hof hinweg, scheuchte die junge Frau hin und her und wurde sehr wütend, wenn die junge Mutter zu viel Zeit für ihre kleine Tochter aufbrachte. Kein gutes Haar ließ sie an ihr und der Mann schwieg dazu. Er wollte sich nicht einmischen, wie er immer sagte. Tagsüber ging er zur Arbeit und in dieser Zeit musste die Schwiegertochter sehr herhalten. Unverhofft blieb Katharina auf dem Hof stehen, als sie die Hopper Bäuerin wieder einmal ohrenbetäubend schreien hörte.

"Ist schon schlimm, die Alte!", sagte der Neubauer Vater. "Hatte schon immer Haare auf den Zähnen, dieses Weib! Ihr Alter hat auch nichts zu lachen!"

"Aber die junge Frau tut mir schrecklich leid! Sie ist doch sehr ordentlich und hilfsbereit!", erwiderte Katharina traurig.

"Ja, wenn der Johann nicht bald mal ein Machtwort redet, wird sie wohl nicht mehr lange dort sein!", meinte die Neubauer Bäuerin kopfschüttelnd, als sie gerade aus dem Stall kam. "Ist doch wirklich ein liebes Ding, die Elenore! Komm Katharina, da können wir nichts tun. Dann muss der Johann mal ganz Mann sein und eingreifen!"

Katharina seufzte vor sich hin. Wie gerne hätte sie der jungen Frau geholfen. Aber wie nur?

Auf dem Hof der Bäuerin Lange ging alles seinen gewohnten Weg. Mariechen hielt Haus und Hof sauber, war immer adrett angezogen und nahm der Mutter Lange die meiste Arbeit ab. Heiner war zu einem pfiffigen Kerl herangewachsen, wusste schon sehr viel für sein Alter und wenn die beiden Frauen ihn einmal aus den Augen ließen, ging er auf Entdeckungsreisen. Rex trottelte immer brav mit. Mariechen war Katharina dankbar, dass sie ihren Hund behalten durften. Sie war immer ein wenig beruhigt, wenn Rex an der Seite von Heiner war. Entweder besuchte der Junge die Nachbarschaft oder lief einfach zum Neubauer Hof. Aber da konnte sich die Mutter darauf verlassen, dass der alte Neubauer ihn postwendend heimbrachte. Alles schimpfen nützte nichts - Heiner rückte immer wieder aus.

Seit einigen Nächten fiel das Thermometer auf minus zwanzig Grad, aber so richtig Schnee gab es bisher noch nicht. Eine hauchdünne Eisschicht überdeckte den kleinen Fluss und die kahlen Äste und Zweige der Bäume und Sträucher waren von einer bizarren Raureifschicht überzogen. Oftmals hingen die Zweige bis tief auf den Boden hinunter, da sie eine schwere Last zu tragen hatten.

Heiner ging mit Rex wieder einmal auf Reisen. Eigentlich wollte er Onkel Neubauer besuchen, doch die Eisdecke auf dem kleinen Fluss interessierte ihn sehr. Vielleicht kann man ja schon einmal rutschen, überlegte er. Am Ufer bleiben die beiden Ausreißer stehen und Heiner schaute über den Fluss hinweg.

"Rex, was meinst du?", fragte er den Hund. "Wollen wir es mal versuchen? Ist schon ganz schön dick, die Eisdecke!"

Vorsichtig setzte er einen Fuß darauf. Heiner war überrascht. Sie schien wirklich zu halten. Vorsichtig glitt er weiter. Rex gefiel das überhaupt nicht. Er stand am Ufer und bellte.

"Ich geh ja gar nicht weiter!" beruhigte Heiner den Hund. "Komm auch zu mir!", lachte er vergnügt. "Es macht Spaß!"

Rex schien nicht seiner Meinung zu sein. Er blieb stehen und beobachtete seinen kleinen Freund. Die Eisdecke knackte unter dem Gewicht von Heiner und es bildeten sich lange Risse bis zum Ufer. Der Hund wurde nun sehr unruhig, bellte und bellte.

"Ja doch!", rief Heiner. "Ich komme ja schon!"

Die Eisdecke knackte und Heiner sackte mit einem Fuß in die Tiefe.

"Oh je!", schrie er ängstlich.

Da knackte es schon wieder und er stand bis zu den Armen im Fluss.

"Rex!", schrie er nun. "Hilf mir!"

Aufgeregt lief der Hund hin und her, bellte laut und wusste nicht, wie er dem Jungen helfen sollte. Dann lief er plötzlich über die Eisdecke, nahm den Arm in sein Maul und zerrte und zerrte. Immer wieder brach ein Stück der Eisdecke ab. Nach einer Weile waren beide endlich ans Ufer gelangt. Heiner fror schrecklich. Das Wasser lief an ihm hinunter und die Sachen waren kalt und schwer. Die Zähne klapperten vor Kälte. So schnell die kleinen Füße ihn tragen konnten, eilte er zum Neubauer Hof. Er öffnete die Haustür und ging in die Küche hinein.

Die Bäuerin, die gerade über der Flickwäsche saß, schrie entsetzt auf.

"Heiner, was hast du schon wieder angestellt? Bist ja ganz nass! Katharina, Katharina, komm schnell!", schrie sie durch das Haus.

Katharina eilte herbei. Die Männer, die sich im Stall aufhielten und Besen banden, stürmten ins Haus hinein, denn so hatte wirklich noch keiner die Mutter schreien hören.

"Du liebe Zeit!", rief Katharina entsetzt. "Schnell die Sachen aus! Heiner, Heiner, wie konntest du nur? Wo warst du denn?"

"Komm, Heinrich", sagte sein Vater geistesgegenwärtig, "lass uns die Wanne reinholen! Mutter, schüre den Herd und sorge schnell für heißes Wasser!"

"Hatschi!", machte Heiner und noch einmal "Hatschi!"

"Jetzt ist 's schon passiert!", stöhnte die Bäuerin. "Ich hab 's ja gewusst! Wenn das nur gut geht!"

Die Männer eilten mit der Zinkwanne in die Stube, stellten sie in die Mitte auf den Boden und schütteten das schon vorhandene heiße Wasser hinein. Heiner war schon von der nassen kalten Bekleidung befreit und als das Wasser die richtige Temperatur hatte, setzte Heinrich ihn hinein. Rex lag neben dem Ofen und wärmte sich erst einmal auf. Keiner schien ihn zu bemerken. Alles drehte sich um seinen kleinen Freund. Die Bäuerin holte Handtücher und eine warme Decke herbei, in der Katharina den kleinen Ausreißer nun einwickelte.

Der Bauer hob ihn auf seinen Arm und setzte ihn auf einen Stuhl am Küchentisch. Schnell kochte die Bäuerin einen Tee, den Heiner trinken musste. Alles ließ Heiner mit sich geschehen, denn er merkte, dass er wohl etwas sehr Schlimmes angestellt hatte.

"Heiner!", sagte der Bauer nun streng: "Du bist doch auf dem Fluss gewesen? Was hast du da gewollt?"

"Das Eis!", stotterte der Kleine. "Ich wollte doch nur mal rutschen! Da knackte es auf einmal und schon stand ich im Wasser! Rex hat mir geholfen! Eigentlich wollte ich zu dir, Onkel Neubauer!"

"Zu mir hast 'gewollt?", erwiderte er jetzt milder. "Deine Mutter wird dich schon suchen! Herr Gott Zeiten, du weißt doch, dass du nicht alleine zum Fluss darfst! Bist doch sonst so gescheit! Heinrich, spann' den Wagen an und bring ihn heim! Mariechen und Lisbeth machen sich bestimmt schon Sorgen. Katharina, du fährst am besten mit! Ach Mutter, gib mir mal einen Schnaps! Mir ist das Ganze auf den Magen geschlagen! So einen Blödsinn zu machen!"

"Komm, iss noch ein Stück Kuchen und trink den heißen Tee!", sagte die Bäuerin besorgt zu dem Kleinen. "Der Onkel Heinrich spannt die Pferde ein. Wir packen dich dick in Decken ein und Tante Katharina hält dich in ihren Armen. In ein paar Stunden ist es noch kälter draußen und darum ist es besser, wenn du jetzt sofort heim- gebracht wirst und in ein warmes Bett kommst!"

"Komm her, du Ausreißer!", sagte der Bauer zu Heiner. "Ich will dich zu Katharina setzen! Rex, komm mit und spring auf!", forderte er den Hund auf. "Mutter, fass mit an! Wir wollen noch eine Decke über sie legen und Heinrich, fahr langsam!"

Und schon fuhr das Pferdegespann von dem Hof.

"Wenn das nur gut geht mit dem Heiner!", jammerte die Bäuerin.

"Es ist nun mal passiert, Mutter!", tröstete der Neubauer seine Frau. "Wir haben alles getan! Vielleicht kommt er nur mit einer Erkältung davon. Er ist schon ein zähes Bürschchen, unser Heiner. Müssen halt abwarten. Nun komm Mutter, lass uns hineingehen! Es wird schon alles gut werden!"

"Brr!", machte der junge Neubauer, als er auf dem Hof der Mutter Lange fuhr. Die Pferde hielten sofort an.

"Heinrich, Katharina, das ist aber eine Überraschung!", rief Mariechen, die gerade zum Stall wollte. "Habt ihr…",

sie stockte in ihrer Rede, weil ihr Blick nun auf das kleine in Decken eingepackte Etwas neben Katharina fiel.

Heinrich war schon vom Wagen heruntergesprungen und sagte gleich: "Reg dich nicht auf, Mariechen! Heiner ist in den Fluss gefallen! Wir haben ihn sofort ins warme Wasser gesteckt. Die Mutter hat ihm einen Tee gekocht und ihn warm eingepackt! Ich trage ihn am besten gleich ins Bett! Komm her kleiner Mann, ich nehme dich gleich mit hinein!"

Ohne weiter auf Mariechen zu achten, nahm er den kleinen Heiner auf seinen Arm, trug ihn ins Haus und legte ihn in seine Kammer nieder.

Katharina sah die Tränen in Mariechens Augen, legte ihre Arme um sie und sagte leise: "Er ist stark, Mariechen! Du wirst sehen, es wird gut gehen! Ist die Mutter drin?"

"Ja!", erwiderte sie unter Tränen. "Ach, da kommt sie ja!"

"Katharina!", rief sie gleich. "Kind, wie kommst du denn hierher? Ist etwas passiert?"

"Mutter, der Heiner ist in den Fluss eingesackt. Er war triefend nass! Der Rex wird ihm wohl geholfen haben! Er kam zum Neubauer Hof gelaufen und war eiskalt! Der Heinrich bringt ihn gerade hinauf in seine Kammer."

Ihre Mutter fand keine Worte. Blass war ihr Gesicht geworden, als sie die Treppe zur Kammer hochstieg. Mariechen saß schon neben ihrem kleinen Sohn auf dem Bett und streichelte liebevoll über seine Haare.

"Heiner, was hast du dir nur dabei gedacht?", fragte sie ihn leise.

"Ich wollte doch nur ein wenig auf dem Eis rutschen!", gestand er. "Bist du nun böse auf mich, Mutter? Hatschi, hatschi!"

"Nein, nein, ganz bestimmt nicht! Ich bin doch froh, dass du überhaupt aus dem Fluss herausgekommen bist. Aber du bist ja ganz heiß!", stellte sie mit Entsetzen fest. "Wirst bestimmt schon Fieber haben!"

"Wir müssen wieder heim!", sagte Katharina, die auch in der Kammer stand. "Der Franz wird schon hungrig sein! Heiner, du wirst nun brav im Bett bleiben, bis die Mutter dir erlaubt, aufzustehen! Und brav deine Medizin schlucken, hast du mich verstanden? Du willst doch bestimmt schnell wieder gesund werden! Morgen schauen wir wieder rein! Also, sei schön artig!"

"Ich dank' euch, dass ihr ihn hergebracht habt", sagte Mariechen.

"Ist schon in Ordnung! Wenn etwas ist, sagt gleich Bescheid! Also, bis morgen! Wenn 's arg wird, ruf lieber den Doktor herbei!"

Heinrich und Katharina hörten schon die kräftige Stimme ihres Sohnes, als sie zu Hause auf dem Hof einbogen. Schnell sprang die junge Mutter vom Wagen und lief ins Haus. Die Schwiegermutter hielt den Enkel im Arm, als ihre Schwiegertochter die Schlafstube betrat.

"Jetzt lässt er sich aber nicht mehr beruhigen!", klagte sie. "Der Hunger scheint groß zu sein!"

"Es wird auch wirklich Zeit!", stellte die junge Mutter fest. "Es ist ja schon spät!"

"Langsam, nicht so hastig!", sagte sie zu ihrem kleinen Sohn, der gierig die Muttermilch in sich hineinsaugte.

Die Schwiegermutter sah Katharina fragend an.

"Wie sieht 's mit dem Heiner aus?"

"Ich weiß nicht genau. Schien schon zu fiebern, als wir gingen."

"Ich hoffe für Mariechen, dass er wieder gesund wird! Damals, es ist schon lange her, ist ein Junge auch durchs Eis gebrochen und in den Fluss gefallen. Konnte keiner mehr helfen. Er bekam eine schlimme Lungenentzündung und starb. War ein Junge, hier vom Hopper Hof. Friedrich hieß er, war so alt wie ich und wurde mit mir eingeschult. War schon schlimm damals!"

"Vielleicht geht ja alles nochmal gut. Morgen werden wir bestimmt mehr wissen!"

"Ja, warten wir ab, was der morgige Tag uns bringt!", seufzte die Bäuerin und verließ die Schlafstube.

Ruhig ging es im Hause der Neubauers zu, aber noch viel ruhiger auf dem Elternhof von Katharina. Heiner fieberte und fieberte. Mutter Lange gab Mariechen ihre sonst so bewährten Hausmittel, aber nichts schien zu helfen. Die ganze Nacht verbrachte die Mutter am Krankenbett ihres Sohnes. Sie machte Wadenwickel, damit das Fieber endlich sinken würde, gab Heiner den zubereiteten Tee löffelweise und betete. Aber es schien alles umsonst zu sein. Heiner jammerte und redete durcheinander in seinem Fieber. Mutter Lange schaute mehrmals in der Nacht zu ihnen in die Kammer hinein, denn Ruhe zum Schlafen fand sie nicht.

Am frühen Morgen, noch bevor sie in den Stall gehen musste, um das Vieh zu versorgen, warf sie wieder einen Blick in die Schlafstube. Sie konnte keine Änderung feststellen. Das Kind lag mit glühenden Wangen in den weißen dicken Kissen. Ein schrecklicher Husten quälte ihn.

"Mariechen", sagte Mutter Lange sehr besorgt, "wir müssen schnellstens etwas unternehmen! Ich werde hinüber zu Deimers laufen und den Ferdinand bitten, den Doktor zu benachrichtigen, dass er sofort herkommen soll! Unsere Mittel haben nichts bewirkt! Vielleicht kann der Doktor helfen! Es muss etwas geschehen - der arme Junge!"

"Mutter Lange", antwortete Mariechen mit weinerlicher Stimme, "will der liebe Gott mich nun bestrafen?"

"Strafe? Wofür Mariechen?"

"Na ja, weißt schon weswegen!"

"Aber Kind, glaubst du wirklich, dass der liebe Gott zwei Menschen bestraft, die sich gern haben? Nein, nein, das glaub ich nicht! Es ist nun mal passiert! Kinder probieren so vieles aus, aber Schuld hat keiner! Mit Gottes Hilfe wird der Heiner auch wieder gesund! Und wenn 's dem lieben Gott gefällt, dir das Liebste zu nehmen, was du hast, so musst du das auch hinnehmen! So schwer es auch kommen wird, ändern können wir es nicht! Und trotzdem dürfen wir nichts unversucht lassen, dem Kind zu helfen! Nun komm, sei stark, hör auf zu weinen und ich werd' gerade mal hinüber laufen!"

Die Ungewissheit über Heiners Gesundheitszustand quälte Katharina immer mehr. Sie hatte eine solch große Unruhe in sich, die sie nicht verbergen konnte. Immer wieder waren ihre Gedanken bei dem kranken Kind. Seit dem Morgen hatte ein starker Schneefall begonnen. Der Himmel zeigte sich den ganzen Vormittag schon grau in grau und passte auch zu der gedämpften Stimmung, die im Haus der Neubauers herrschte.

"Nach dem Essen, Katharina", sagte Heinrich am Mittagstisch, "gehst du am besten gleich mal zu deinen Leuten und schaust nach, wie es um den kleinen Kerl steht!"

"Ja", meldete sich auch der Bauer zu Wort, "mich tät' s auch interessieren. Man wird ja noch ganz närrisch, wenn man nichts erfährt!"

"Es wird wirklich das Beste sein, wenn ich gleich gehe und nachschaue!", antwortete Katharina. "Vielleicht brauchen sie Hilfe!"

"Ja", meinte auch die Schwiegermutter. "Lauf gleich los und bleib so lange, wie du für richtig hälst! Um den Franz kümmere ich mich schon! Lass dir Zeit! Bis er wieder etwas bekommt, dauert ja noch! Ich werd' schon fertig mit dem Bub!"

"Dank Euch schön, Mutter! Dann werde ich mich auch gleich auf den Weg machen!"

Leise öffnete Katharina die Eingangstüre ihres Elternhauses. Sie betrat die Küche, doch niemand befand sich hier. Katharina legte Mantel, Schal und Mütze ab und stieg die Treppe hoch zur Kammer. Vorsichtig öffnete sie die Schlafstubentür und sah, dass ihre Mutter und Mariechen am Bette des Jungen saßen. Neben dem Bett, auf dem Boden, lag der Hund. Kein freudiges Hochspringen wie sonst, wenn er Katharina sah - nur einmal ein Schwanzwedeln und sein Kopf blieb bewegungslos zwischen seinen Vorderpfoten liegen. Traurig waren seine braunen Augen, als er Katharina ansah. Heiner lag mit geschlossenen Augen da. Seine Wangen glühten. Katharinas Herz krampfte sich zusammen, als sie den Jungen dort so klein und hilflos liegen sah.

"Mutter, Mariechen!", grüßte sie die beiden Frauen. "Es ist wohl noch keine Besserung eingetreten? Kann ich irgendwie helfen?"

"Ach Kind, schön, dass du hier bist!", erwiderte ihre Mutter leise. "Der Doktor war schon da! Er hat eine Medizin dagelassen. Er sagt, dass Heiner sehr krank ist! Es ist sehr ernst, Katharina. Der Kleine hat sich eine Lungenentzündung geholt! Wir müssen abwarten und Geduld haben, sagt er. Ach Katharina, es ist schlimm, so hilflos zu zusehen!"

"Ja Mutter, es ist wirklich sehr schlimm!" Katharina sah die müden, verweinten Augen der beiden Frauen. "Ich werde euch einen Vorschlag machen. Überall im Haus ist es eiskalt. Ich werd' zuerst in die Küche gehen und das Feuer in dem Herd anzünden. Dann koche ich frischen Kaffee und wenn ihr etwas gegessen habt, legt euch eine Stunde hin. Ich kann bleiben! Dem Heiner ist nicht geholfen, wenn ihr keine Kraft mehr habt. Also, ich geh' nun erst einmal runter!"

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ sie die Kammer, eilte in die Küche und schaute nach dem Feuer. Es brannte wirklich nicht mehr. Gekonnt zündete sie das Feuer an, brachte das Wasser zum Kochen und brühte frischen Kaffee auf. Sie deckte den Tisch und eine mollige Wärme machte sich nun in der Küche breit. Katharina stieg die Treppe wieder hoch, um die Mutter und Mariechen hinab in die Küche zu schicken.

"Ich bin gar nicht hungrig!", wehrte sich Mariechen, als Katharina sie aufforderte, hinunterzugehen.

"Komm Mariechen!", sagte Katharina ernst, "du musst etwas essen und ruh dich ein wenig aus! Ich setze mich so lange zum Heiner! Ich werde dich gleich rufen, wenn etwas Außergewöhnliches eintritt! Na, komm schon!"

Katharina schob die zwei Frauen einfach zur Tür hinaus und setzte sich in den Schaukelstuhl neben dem Bett nieder.

Sie saß schon eine Weile dort, als Heiner seine Augenlieder aufschlug.

"Tante Katharina!", flüsterte er kaum hörbar, als er sie sah. Ein müdes Lächeln ging über das kleine Gesicht.

Liebevoll nahm Katharina die kleine Hand. Heiß waren die Hände. Katharina schien es, als ob der kleine Körper verglühen würde.

"Ich werde dir jetzt wieder Wadenwickel machen! Hast du mich gehört, Heiner? Die Mutter ist hinab in die Küche gegangen, um etwas zu essen. Ich bleibe nun eine Weile bei dir! Heiner, du bist doch ein starker Bub! Du musst ganz fest mithelfen, damit du auch wieder gesund wirst! Draußen ist der erste Schnee gefallen, der bestimmt liegen bleibt. Du willst doch sicher auch mit dem Schlitten fahren? Also Heiner, gib dir ganz viel Mühe, damit du gesund wirst. Heiner, versuch es bitte!"

Doch Heiner hatte seine Augen wieder geschlossen. Katharina verbrachte den ganzen Nachmittag am Krankenbett des kleinen Jungen, gab ihm zu trinken, wenn er etwas wollte, legte Wadenwickel an und hielt seine kleinen Händchen ganz fest.

Es hatte aufgehört zu schneien und die Dunkelheit legte sich schon über das Dorf, als Katharina heimwärts ging. Erwartungsvoll blickten sie alle an, als sie die Küche betrat.

"Der Doktor war am Vormittag da! Er hat eine Medizin dagelassen und meint, es wäre eine Lungenentzündung. Es sieht nicht gut aus! Außer Abwarten und Geduld haben gibt es nichts!", berichtete Katharina.

Dann ging sie in die Waschküche. Sie wollte alleine sein. Ihre Tränen konnte sie nicht mehr zurückhalten, sie liefen und liefen über ihr Gesicht.

Heinrich kannte seine Katharina sehr genau und eilte zu ihr. Er nahm sie in seine Arme und sagte leise: "Keine Bange, Kathi, er wird es schaffen! Komm, zieh dich um! Wir müssen in den Stall! - Und Kopf hoch!"

Schweigend erledigte jeder seine Arbeit. Müde und abgeschlagen kam Katharina sich heute vor und als sie ihren kleinen Sohn am Abend stillte, wurde ihr bewusst, dass sie ihren kleinen Buben schrecklich lieb hatte. Sie konnte verstehen, welche Ängste in ihrer Freundin tobten.

Fünf Tage waren nun vergangen und keine Besserung war eingetreten. Täglich marschierte Katharina zu Heiner, setzte sich an sein Bett und ging am Spätnachmittag wieder heim, ohne eine bessere Nachricht mitzubringen.

Am folgenden Vormittag schaufelte der alte Neubauer den Neuschnee vom Hof. Mitten in seiner Arbeit blieb er stehen, überlegte kurz, stellte Schaufel und Besen beiseite und ging ins Haus.

Die Bäuerin, die am Herd stand, sah ihren Mann überrascht an, als er in die Küche gestampft kam.

"Mutter, ich will mich grad umziehen! Bis zum Mittag bin ich wieder daheim!"

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er die Treppe hoch, betrat die Schlafstube und zog sich um.

Anschließend ging er wieder hinab, zog sich Jacke und Schal an, setzte den Hut auf und schaute in die Küche hinein.

"Flori, ich gehe dann jetzt! Bis nachher!"

"Warte, nimm das Glas Honig mit und bestell dem Bub viele Grüße und gute Besserung von mir!"

"Ja, mach' ich!"

Katharina, die sich auch in der Küche aufhielt, sah ihre Schwiegermutter fragend an.

"Woher wisst Ihr, dass der Vater zum Heiner will?"

"Katharina," meinte sie lächelnd, "nach so vielen Ehejahren weiß man schon, was in einem Menschen vorgeht. Glaub mir, bei dir wird es nicht anders sein!"

"Kann schon sein! Vielleicht? Wer weiß!"

"Ganz sicher! Wirst es selber erleben!"

Inzwischen stampfte der Neubauer durch den Schnee zum Hof der Bäuerin Lange. Es hatte wieder zu schneien begonnen und der Wind wehte ihm die Schneeflocken ins Gesicht. Aber das brachte ihn von seinem Vorhaben nicht ab. Der Neubauer blieb vor der Haustür stehen, klopfte den Schnee von seiner Jacke und von den Schuhen und trat ein.

"Grüß dich Lisbeth!", sagte er beim Eintreten in der Küche. "Du wirst dich sicher über meinen Besuch wundern, aber ich wollt' halt selber nachsehen, wie es ` dem Heiner geht!"

Lisbeth Lange war wirklich sehr überrascht über den unverhofften Besuch.

"Grüß dich, Johannes und komm rein!", erwiderte sie. "Komm, leg deine Jacke hierher! Du bist ja ganz nass! Ist ja auch ein Wetter draußen!"

"Ja, ich hänge meine Jacke ans Feuer! Und wie geht 's dem Buben, Lisbeth? Ich habe ihm ein Glas Honig mitgebracht! Die Florentine lässt auch schön grüßen!"

"Ich danke dir schön. Komm, setz dich her! Weißt, er schläft die meiste Zeit, fiebert vor sich hin und der schreckliche Husten ist einfach schlimm. Oft redet er im Fieber und seit Tagen hat er keine Bissen mehr gegessen. Du kannst dich gleich selber überzeugen, wie schrecklich es dem Bub geht. Ich übertreibe nicht, Johannes! Es ist sehr, sehr schlimm! Komm, gehen wir gleich nach oben!"

Leise, kaum hörbar, betraten der Neubauer und Lisbeth Lange die Kammer des kranken Jungen.

Mariechen schaute erst hoch, als Mutter Lange mit dem unerwarteten Besuch im Zimmer stand. Sie war mit ihren Gedanken so weit weg gewesen, dass sie die beiden nicht früher bemerkt hatte.

Überrascht sah sie den Bauer vom Neubauer Hof an und sagte gerührt: "Onkel, Ihr hier? Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Dass Ihr Euch bei dem Wetter auf den Weg hierher gemacht habt!"

"Warum soll ich nicht einmal nach meinem kleinen Freund schau 'n?", erwiderte er. "Er schläft wohl? Ist denn immer noch keine Besserung eingetreten?"

"Nein! Immer noch nicht! Kommt, setzt Euch!"

"Ist ja furchtbar, den Kleinen dort so liegen zu sehen!"

"Ja Onkel, da habt Ihr Recht! Es ist schon sehr arg, wenn man nichts anderes tun kann als warten, warten und warten! Ab und zu schlägt er die Augen auf, aber die meiste Zeit liegt er da und fiebert und fiebert! Im Moment ist er sehr ruhig! Aber, wenn der furchtbare Husten kommt, denkt man, dass der kleine Körper zerbricht!"

"So etwas aber auch!", erwiderte der Alte voller Mitleid. "Vielleicht merkt er doch, dass ich ihn nicht vergessen und bei ihm hineingeschaut habe."

"Ja, vielleicht bekommt er es mit!", meinte die Bäuerin leise.

Der Neubauer nahm Platz und saß eine ganze Zeit am Krankenbett des kleinen Heiners. Keiner sprach ein Wort. Die Bäuerin verließ schon bald darauf die Kammer. Mariechen saß schweigend in einem Schaukelstuhl. Ihr Gesicht war blass und von Kummer gezeichnet. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und tiefe schwarze Ränder umrahmten sie. Ihr Blick war starr auf ihren kleinen Sohn gerichtet.

In dem großen Bett lag der kleine Körper, der zu zerbrechen drohte. Das Herz des Bauern krampfte sich schmerzlich zusammen. Er nahm die kleine Hand, streichelte sie und sagte leise: "Heiner, ich werde jetzt wieder heimgehen! In ein paar Tagen werde ich wieder nach dir schauen! Junge, du musst schon kämpfen! Glaub' mir, es lohnt sich zu leben! Ganz bestimmt! Mach es gut, Bub!" Dann stand er auf und sagte zu der jungen Mutter: "Mariechen, bleib nur sitzen! Ich finde den Weg schon alleine hinab! Und, Kopf hoch! Es wird schon wieder werden! Wir müssen nur Geduld haben. Wenn du Hilfe brauchst, sage sofort Bescheid!" Er lächelte sie etwas unbeholfen an und verließ die Kammer. Was sonst hätte er der verzweifelten Mutter denn sagen sollen? Er musste ihr doch etwas Mut zusprechen.

Unten ging er in die Küche hinein und sah die Bäuerin am Herd stehen. Er nahm sich seine Jacke, Schal und den Hut.

"Lisbeth, ich will mich wieder auf den Weg machen! Dann mach's mal gut! Ich werde demnächst wieder einmal hineinschauen!"

"Ja Johannes, bis später dann mal. Schön, dass du den Weg hierher gefunden hast. Komm gut heim und grüß die Florentine von mir!"

"Ja, ja, werde ich machen!" Dann setzte er seinen Hut auf und schritt hinaus.

Draußen vor der Tür blieb er stehen und atmete tief die frische Winterluft ein. Das Wetter hatte sich beruhigt. Es hatte aufgehört zu schneien. Der Schnee von Tagen lag noch auf dem Hof. Niemand hatte ihn zur Seite geschoben.

Er sah sich um, fand eine Schaufel an der Hauswand stehend und begann den Schnee wegzuräumen. Er schaufelte und schaufelte. Keiner achtete auf ihn und so machte er sich anschließend wieder auf den Weg nach Hause.

Das Essen stand schon auf dem Tisch, als er in die Küche eintrat.

"Mahlzeit!", sagte er, zog seine Jacke aus und setzte sich an den Tisch.

Schweigsam füllte er sich aus der dampfenden Schüssel das Sauerkraut auf, legte einige Kartoffeln dazu und nahm sich ein Stück Speck. Alle schwiegen.

Hier und da vernahm man das Klirren der Gabeln auf den Tellern, aber keiner wollte fragen. Was sollten sie auch fragen? Wäre eine Besserung eingetreten, hätte der Bauer es gewiss schon freudig erzählt. So schwiegen sie lieber. Aber Hunger hatte der alte Neubauer nicht. Er stocherte nur in seinem Essen herum und konnte einfach nichts herunterbekommen.

"Grützi Türken, noch einmal!", donnerte er plötzlich los. "Dass man auch nicht helfen kann!"

"Vater!", rief die Bäuerin entsetzt. "Fluchen hilft da auch nicht! Ich kenn dich ja gar nicht so!"

"Ach, ist doch auch wahr! Entschuldigt!"

"Ist denn noch gar keine Besserung eingetreten?", fragte Katharina ganz traurig. "Nicht ein kleines bisschen?"

"Nein! Der Junge liegt einfach da! Er fiebert vor sich hin, schläft, hustet oder fantasiert!"

"Schrecklich, schrecklich!", seufzte die Bäuerin. "Das arme Mariechen!"

Heute wollte Katharina eigentlich nicht zu ihnen gehen. Ihre Arbeit erledigte sich nicht von alleine.

"Ich werd' nachher doch für eine Stunde wieder heimgehen!", meinte Katharina nachdenklich.

"Ja", antwortete ihre Schwiegermutter, "Tu das nur. Sie werden dich brauchen, in der schweren Zeit. Ich kümmere mich sehr gerne um den Kleinen!"

Also marschierte Katharina wieder los. Doch eine bessere Nachricht konnte sie nicht mitbringen, so oft sie auch nach dem kleinen Heiner sah.

Der zweite Adventssonntag war schon vorüber und immer noch keine Besserung. Die sonst so schöne Zeit war so getrübt. Was hatte Katharina schon gebetet - jeden Tag und jeden Tag. Gott um die Gesundung des kleinen Heiner gebeten, aber er wollte sie einfach nicht erhören. Im Stillen hatte sie den Buben doch schon aufgegeben.

Eines morgens, als sie mit der Schwiegermutter schweigend beim Melken saß, erschien plötzlich der Klaus, Mariechens jüngster Bruder. Er riss die Stalltür auf und rief ganz aufgeregt: "Katharina, Katharina, ich soll dir von deiner Mutter ausrichten, dass es dem Heiner besser geht! Das Fieber ist plötzlich gesunken!"

Katharina konnte das so eben Gehörte gar nicht so schnell aufnehmen. Sie schaute den Jungen ungläubig an.

"Sag es noch einmal, Klaus! Ist das wahr, was ich eben gehört habe? Das Fieber ist gesunken?"

"Ja, das stimmt! Oma Lange hat es so gesagt! Nun muss ich aber schnell wieder heim! Ich muss doch in die Schule!"

"Ja doch, Klaus! Ich dank dir schön, dass du uns Bescheid gesagt hast. Lauf los! Ich kann es noch gar nicht glauben!" Katharina weinte vor Freude.

"Das ist eine sehr gute Nachricht!", meldete sich nun auch Heinrich, der gerade dabei war, den Kühen Heu zu geben.

"Das kannst du wirklich laut sagen!", antwortete sein Vater. "Es ist ein schöner Tag heute, ein ganz besonderer!"

"Dann wird ja doch noch alles gut!", sagte die Bäuerin und schnäuzte sich ihre Nase.

Die Alten so wie die Jungen seufzten erleichtert vor sich hin.

Die Stallarbeit ging heute viel schneller und leichter voran. Die Gesichter der Neubauers strahlten richtig bei ihrer Arbeit. Es war einfach herrlich - so eine gute Nachricht am frühen Morgen zu erhalten. Katharina lächelte vor sich hin, als sie ihren Mann sogar pfeifen hörte. Die Angst war nun endgültig vorbei. Sie freute sich schon auf ihren nächsten Besuch bei ihren Leuten. Sie hielt für kurze Zeit inne und murmelte leise: "Danke!"

Dann arbeitete sie weiter.

Heinrich schleppte die vollen Milchkannen auf den Hof hinaus, stellte sie auf die Milchkarre und Katharina brachte sie zur Sammelstelle. Hier war schon früh am Morgen reger Betrieb. Die Bauersfrauen brachten meistens die Kannen dorthin. Eine willkommene Abwechslung. Man traf sich hier - ein kurzes Schwätzchen und die Neuigkeiten wurden gleich an den Mann gebracht. Jeder wusste etwas Neues, ob gut oder schlecht, man war immer auf dem neuesten Stand. Dann ging man wieder heim. Endlich frühstücken und die Neuigkeiten, die man ja gerade erfahren hatte, weitergeben.

"Johannes", sagte die Neubauerin am Frühstückstisch, "sei doch so gut und geh' mal zu dem Kleines Hermann und frag ihn, ob er dir zwei Tauben verkauft. Davon kann die Lisbeth für den Heiner eine Suppe kochen. Die wird ihm bestimmt gut tun! Es gibt dem Kleinen wieder Kraft!"

"Ja, da hast du Recht, Mutter!", erwiderte er. "Ich werde nach dem Frühstück gleich losziehen! Katharina, du kannst sie ja dann mitnehmen!"

"Nein Vater, wollt Ihr nicht mit der Mutter zusammen gehen? Morgen ist doch Sonntag! Das würde doch gut passen! Geht zum Kaffee! Die Meinigen würden sich freuen!"

"Das ist eine gute Idee, Katharina", erwiderte die Schwiegermutter. "Das können wir wirklich machen! Also Johannes, dann besorg' du bitte die Tauben und die nehmen wir dann mit!"

Am kommenden Tag marschierten die beiden Alten mit den Tauben in Richtung Langes Hof. Kalt war es, aber sonst ein schöner sonniger Tag. Lisbeth Lange freute sich sehr, als sie die beiden alten Neubauers über den Hof kommen sah. Schnell rückte sie den Wasserkessel in die Mitte der Herdplatte, damit sie frischen Kaffee aufbrühen konnte.

"Mariechen, wir bekommen Besuch!", sagte sie, als diese gerade die Küche betrat.

Da klopfte es auch schon an der Küchentür.

"Herein!", rief die Bäuerin freundlich.

"Guten Tag, Lisbeth! Guten Tag, Mariechen!", grüßten Florentine und Johannes Neubauer.

"Guten Tag, ihr Beiden!", kam es freudig von den zwei Frauen.

"Das ist aber schön, dass Ihr uns besuchen kommt!", meinte die Bäuerin Lange. "Kommt, legt ab!"

"Wir wollen den Heiner einmal besuchen und uns selber davon überzeugen, dass es ihm endlich besser geht. Es war eine schöne Nachricht, die uns der Klaus gestern brachte. Wir konnten es kaum glauben. Ach Mariechen, da wirst du aber auch sehr froh sein, dass die schrecklichen Stunden endlich überstanden sind. Es war ja auch furchtbar!", seufzte die Neubauerin und schüttelte immerwährend mit ihrem Kopf.

"Ja Tante!", erwiderte die junge Frau. "Es war wirklich eine schlimme Zeit! Das Fieber ist Gottes Glück endlich fort! Aber der Heiner ist so geschwächt! Es wird noch eine ganze Zeit dauern, bis er wiederhergestellt ist!"

"Das schafft er auch noch! Du wirst sehen, wenn das Frühjahr kommt, ist er bestimmt wieder ganz gesund!"

"Da könnt Ihr Recht haben! Hoffentlich ist er dann ein bisschen vorsichtiger. Noch einmal möchte ich diese Zeit nicht mitmachen! Wenn man nur dasitzt und nicht helfen kann, den kleinen Körper dort so liegen sieht, ach - ich darf gar nicht daran denken, sonst kommen die Tränen wieder!"

"Ja, ja", seufzte die Neubauerin. "Ich kann dich gut verstehen! War ja auch eine dumme Geschichte. Weiß gar nicht, was der Junge sich dabei gedacht hat. Gut, dass der Rex bei ihm war. Man darf gar nicht darüber nachdenken, was sonst noch alles hätte passieren können!" Sie nahm ihr Taschentuch und wischte sich über ihre feuchten Augen. Dann fuhr sie weiter fort: "Wir haben dem Kleinem zwei Tauben mitgebracht, für eine gute Suppe! Die wird ihm bestimmt gut tun!"

"Das finde ich aber lieb von Euch! Dank Euch schön!", erwiderte Mariechen sehr gerührt.

"Nun ist aber es genug!", meldete sich der Neubauer ungeduldig. "Ich will jetzt den Buben besuchen! Hört auf zu jammern! Sonst wird einem noch ganz anders! Seid froh, dass es dem Jungen besser geht!"

"Ist ja schon gut, Onkel! Kommt, lasst uns hoch gehen! Der Heiner wird vielleicht staunen, wenn er Euch sieht!"

"Meinst, dass er sich freuen wird?", fragte die Neubauerin.

"Aber ja doch!"

Als sie oben vor der Türe der Schlafkammer standen, öffnete Mariechen diese leise.

Heiner lag in seinem Bett und hielt die Augen geschlossen.

"Heiner!", sagte seine Mutter freudig. "Schau einmal, wer dich besuchen kommt!"

Der Kleine öffnete seine Augen und sah erstaunt die beiden Alten an. Seine Augen leuchteten, als er den Bauer erblickte.

"Onkel Neubauer!", flüsterte er leise. "Bist mir nit böse, dass ich alleine zum Fluss gegangen bin?"

"Ich habe dir verziehen!", sagte der Bauer ernst. "Aber nochmals gehst ' nit mehr alleine dort hin, du Lausebengel! Hast du mich verstanden?"

"Ja!", erwiderte er kaum hörbar. "Es ist schön, dass du da bist!"

"Na, freust du dich denn auch ein bisschen, dass ich mitgekommen bin?", wollte seine Frau wissen.

"Ja!" Heiner nickte lächelnd. "Komm, setz dich auf mein Bett, Onkel Neubauer!"

"Das mache ich doch sofort!"

"Tante, kommt, setzt Euch hierher! Ist es nicht schön, dass er wieder lächeln kann?" Dann verließ die junge Mutter schnell die Kammer.

Lisbeth Lange, die auch mit hinaufgegangen war, setzte sich auf den anderen Stuhl nieder. Florentine und sie unterhielten sich nun. Sie waren im Augenblick nicht gefragt. Der alte Neubauer aber erzählte seinem kleinen Freund, was alles so passiert war in der Zeit, in der er so krank dagelegen hatte.

Heiner hörte interessiert zu. Ab und zu sprach auch er oder lachte leise vor sich hin. Seine Wangen glühten von der regen Unterhaltung.

"So", sagte seine Mutter, als sie wieder die Schlafkammer betrat, "ich glaube, es reicht für heute! Zu viel darfst du dich noch nicht anstrengen! Ruh dich nun wieder aus! Später schaue ich dann wieder nach dir!" Und zu den anderen meinte sie: "Kommt runter, der Kaffee ist fertig! Stärkt Euch erst einmal!"

"Ach!", meinte die Neubauerin, als sie eine Tasse heißen Kaffee getrunken und ein Stück selbstgebackenen Kuchen gegessen hatte. "Mariechen, der Kaffee tut richtig gut! Lisbeth und dein Kuchen, ist wie immer sehr lecker und der Kaffee dazu! Was braucht man mehr?" Florentine lachte zufrieden.

"Esst euch richtig satt! Bei dem Wetter kann man was Ordentliches gebrauchen! Ihr müsst ja auch noch den Weg zurücklaufen!"

In aller Ruhe saßen die vier am Kaffeetisch, redeten über dieses und jenes und die angenehme Wärme in der guten Stube, ließ die dort Verweilenden, die Zeit völlig vergessen.

"Ach, es nützt nichts, Vater!", meinte die Neubauerin plötzlich, "wir müssen uns wieder auf den Weg machen!"

"Oh, Mutter!", meinte ihr Mann. "Wir müssen uns wirklich wieder auf den Weg machen! Ich schau' nur noch einmal beim Heiner rein!"

"Es war ein richtig schöner Nachmittag!", stellte die Neubauerin fest. "Aber nun wieder in die Kälte hinein! In der Sonne war es heute Mittag richtig angenehm! Aber es nützt nichts, wir müssen leider. So schön es auch bei euch ist. Und?" sagte sie weiter, als ihr Mann wieder die Stube betrat. "Hast du dich vom Heiner verabschiedet?"

"Nein!", antwortete er, "hab' die Tür gleich wieder geschlossen, als ich sah, dass er schlief. Du kannst ihm ja sagen, Mariechen, dass ich in den nächsten Tagen noch einmal bei ihm reinschauen werde!"

"Ist gut, Onkel! Und nochmals vielen Dank, dass Ihr hier wart. Das hat ihm bestimmt gut getan."

"So Mutter, dann werden wir uns mal wieder auf den Weg machen! Wir danken euch für den Kaffee und den Kuchen! Es war schön bei euch! Bis später dann mal!"

Florentine verabschiedete sich auch von den Beiden. Dann gingen sie los.

Die Sonne hatte aufgehört zu scheinen. Ein leichter eiskalter Wind kam ihnen entgegen. Florentine schlug fröstelnd ihren Mantelkragen hoch und hakte sich bei ihrem Mann ein. Gemeinsam liefen sie langsam heimwärts.

In der nächsten Zeit besuchte der alte Neubauer sehr oft seinen kleinen Freund. Er schien wirklich Fortschritte in der Genesung zu machen. Eine dicke Freundschaft entwickelte sich zwischen dem Alten und dem Jungen.

Die Zeit verging und das Weihnachtsfest stand vor der Tür. Der diesjährige Heiligabend war ein ganz besonderer Abend. Nicht nur, dass das Fest Christi Geburt gefeiert wurde oder das ganze Haus nach herrlichem Braten und Kuchen duftete oder dass es Heiner wieder besser ging, sondern zum ersten Mal würde das jüngste Familienmitglied der Neubauers mit unter dem Weihnachtsbaum sitzen.

In den letzten Wochen schon wurde das ganze Haus auf Hochglanz gebracht, besonders die gute Stube. Heinrich stellte mit seinem Vater am Vormittag den Tannenbaum in der Stube auf. Er war ein Prachtstück! Seine Äste waren stark und gut gewachsen. Vater und Sohn hatten sich sehr viel Mühe gegeben, um einen guten Baum heimzubringen. Sie hatten die Blautanne im eigenen Wald geschlagen. Auch ohne Kerzen sah der Baum schon beeindruckend aus. Katharina und Heinrich schmückten ihn nach dem Mittagessen. Der herrliche Duft nach Tanne füllte die Stube. Der große Kachelofen gab eine mollige und angenehme Wärme ab. Nach dem Schmücken des Baumes, legte die junge Neubauerin eine kunstvoll gestickte Weihnachtsdecke auf den Tisch und stellte einen großen wunderschönen Weihnachtsteller aus Porzellan, der mit einer Winterlandschaft und Goldrand verziert war, darauf. Die selbstgebackenen Plätzchen der vergangenen Wochen ordnete sie sauber auf dem schönen Weihnachtsteller an. Für jedes Familienmitglied gab es ein einfaches kleines Geschenk, das aber von Herzen kam. Katharina legte sie unter den Weihnachtsbaum und schaute sich dann im Zimmer um, ob auch alles seine Ordnung hatte. Sie musste sich eingestehen, dass die gute Stube heute nicht einfach nur die gute Stube war, sondern sie sah so feierlich aus und war etwas ganz Besonderes. Tief atmete sie den wohlriechenden Duft der Tannennadeln ein und verließ dann den Raum.

In der Küche half sie der Schwiegermutter, stillte ihren kleinen Sohn und ging schon frühzeitig mit den Männern in den Stall. Schließlich wollten sie heute Abend rechtzeitig mit der Arbeit fertig werden. Der kleine Franz war heute besonders artig. Er spielte in der Wiege mit sich selbst und schlief, wenn er wieder müde wurde, ein.

Der alte Neubauer sorgte samstags immer für heißes Badewasser, damit jedes Familienmitglied auch sauber in den Sonntag gehen konnte. Heute, am Heiligen Abend, füllte er schon nach dem Mittagessen den großen Kessel in der Waschküche mit Wasser, heizte ihn an und stellte die große Zinkwanne mitten in den Raum, so dass nach getaner Arbeit jeder baden konnte. Schließlich wollten sie ja alle das Weihnachtsfest sauber und rein feiern.

Endlich war es soweit! Die Jungen und die Alten trugen ihr Sonntagsgewand, der kleine Franz saß gähnend auf Katharinas Arm und Heinrich eilte schnell in das Weihnachtszimmer hinein, um die Kerzen anzuzünden.

Ehrfürchtig betraten sie gemeinsam die gute Stube. Die alten Neubauers nahmen auf dem Sofa Platz und Katharina stand mit ihrem Sohn vor dem großen Weihnachtsbaum. Der kleine Stammhalter hatte seine Augen weit aufgerissen und blickte nur auf die hell erleuchteten Kerzen des Weihnachtsbaumes. Der Großvater stimmte nun das Weihnachtslied "Stille Nacht, Heilige Nacht" an. Alle sangen mit. Schöne Stimmen füllten den Raum. Heinrichs Blick fiel auf seine Frau. Ein Maler wäre begeistert gewesen, von diesem schönen Anblick.

Katharina hielt noch immer ihren Sohn auf dem Arm und beide wurden von den hell leuchtenden Kerzen in ihren Bann gezogen. Heinrich lächelte. Er war sehr stolz auf seine Frau und seinen Sohn.

Und wie hübsch sie ausschaut, dachte er bei sich. Sie ist noch schöner geworden nach der Geburt unseres Kindes. Wenn ich da andere Frauen sehe, wie sie herumlaufen - so ist meine Kathi etwas ganz Besonderes, immer gepflegt, sauber und schlank, so wie ich sie zum ersten Mal richtig wahrgenommen habe.

Er stand da, schaute seine kleine Familie an und war in seinen Gedanken so vertieft, dass er hochschreckte, als er die Stimme seiner Mutter vernahm.

"Heinrich", hörte er sie sagen, "teile doch einmal die Geschenke aus!"

"Ja, Mutter", erwiderte er ganz verwirrt, "wird sofort gemacht!"

Jeder bekam ein Päckchen überreicht. Der Neubauer Vater war sehr überrascht, als er sein Päckchen öffnete. Er konnte es kaum glauben, was er dort sah.

"Eine neue Pfeife!", rief er begeistert. "Ich habe doch eine, zwar nicht mehr so schön, aber sie kocht noch!", sagte er weiter und lachte. "Die neue Pfeife nehme ich sonntags und die alte kann ich in der Woche benutzen. So brauch' ich nicht immer bis zum Sonntag zu warten, bis ich mir ein Pfeifchen anzünden kann. Bisher habe ich mir dann gesagt, wenn ich Lust auf ein Pfeifchen hatte: Ach, heute ist Feiertag!"

Die Bäuerin lachte und meinte vergnügt: "Rauch du nur jeden Tag dein Pfeifchen! Es ist dir von Herzen gegönnt, Vater!"

"Ja, wenn du meinst, Florentine, werd ich das auch in Zukunft so machen!"

Die Mutter erhielt einen schönen Kleiderstoff für ein neues Sonntagskleid. Sie freute sich sehr darüber.

Ein ganz kleines Päckchen überreichte Heinrich seiner Frau und sagte kaum hörbar: "Fröhliche Weihnachten, Kathi!"

Katharina übergab der Schwiegermutter ihren kleinen Sohn und öffnete erwartungsvoll das kleine Päckchen. Sie brachte vor Staunen kein Wort hervor.

"Gefällt sie dir nicht?", fragte Heinrich vorsichtig.

"Ob sie mir nicht gefällt?", erwiderte seine Frau. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Bisher habe ich noch nie ein solches Geschenk erhalten. Sie ist wunderschön, die Kette! Viel zu kostbar, um sie zu tragen!"

"Komm, ich lege sie dir um!", sagte Heinrich liebevoll.

"Steht dir gut Katharina!", hörte sie die Schwiegermutter sagen.

"Ich danke dir sehr Heinrich!", sagte Katharina sehr gerührt. Ihr war es gar nicht recht, so ein kostbares Geschenk zu erhalten.

"Aber unser Sohn soll nun auch sein erstes Weihnachtsgeschenk erhalten!", fuhr Heinrich fort. "Schau Franz, das hat dir das Christkind gebracht. Ein Pferdchen und einen Leiterwagen. Nur für dich! Ein bisschen größer musst du jedoch noch werden, damit du damit spielen kannst!"

Den kleinen Franz interessierte das alles noch nicht. Er schaute nur nach dem großen Weihnachtsbaum mit seinen hell leuchteten Kerzen und gähnte dabei. Die Großmutter hielt ihn liebevoll auf ihrem Schoß und wollte ihn gar nicht zu Katharina zurückgeben, als diese sagte: "Ich glaube Mutter, ich bringe den Franz wieder in seine Wiege. Er ist doch sehr müde!"

"Na, dann geh wieder zu deiner Mutter kleiner Mann und schlaf gut!"

Sie liebte ihr Enkelkind sehr. Seine Augen - ja seine Augen waren die von ihrem Sohn Heinrich. Ihre Gedanken wanderten sehr oft in die Zeit zurück, wo sie gerade selber Mutter geworden war.

Dann dachte sie an ihre Kindheit. Es war eine sehr arme Zeit gewesen. Überall war es schmutzig und die Häuser verfallen. Ach, diese Armut war einfach schrecklich gewesen. Nichts hatten sie! Das Geld, wenn sie welches hatten, reichte nicht, um sich etwas anzuschaffen. Die Alten rackerten und rackerten sich auf den Feldern ab, aber es blieb nichts übrig! Nichts änderte sich! Da sie alle im Dorf so arm waren, wurde auf Sauberkeit auch keinen so großen Wert gelegt. Es kostete ja Geld! Sie kannten es nicht anders - und so blieb es auch weiter so. Ein Topf kam morgens, mittags oder abends auf den Tisch, jeder erhielt einen Löffel und so wurde tagein, tagaus gegessen. Schon als Kind fand sie es furchtbar, wenn jeder mit seinem Löffel wieder in den Topf hineinlangte. Nach ihrer Schulzeit durfte sie zu der Tante in die Stadt ziehen. Die Tante war sehr krank und deshalb bat sie Florentines Eltern, dass sie ihre Tochter für eine gewisse Zeit zu sich nehmen durfte. Mit gemischten Gefühlen wechselte Florentine von ihrem kleinen Dorf in die große Stadt. Doch hier lernte sie ein ganz anderes Leben kennen. Zwei verschiedene Welten waren das. Die Tante war zwar alt und krank, doch sehr betucht und vornehm. Florentine lernte ein ganz anderes Leben kennen und lieben. Sie verrichtete ein klein wenig Hausarbeit, pflegte die alte Tante, aber ihre Aufgabe bestand hauptsächlich darin, ihr Gesellschaft zu leisten. Florentine las der Tante aus einem Buch vor, erledigte kleine Wege für sie, doch sie lernte von ihr viel mehr, als sie ihr geben konnte.

Die Tante veranlasste sofort, als Florentine bei ihr ankam, dass sie neu eingekleidet wurde. An den Tagen, an denen es der Tante gesundheitlich ein wenig besser ging, unterrichtete sie Florentine in Dingen, wie zum Beispiel ein gutes Benehmen bei Tisch und in Gesellschaft. Sie gab sich sehr viel Mühe mit dem Mädchen, das nichts kannte, außer einem Bauernhaushalt, der doch sehr bescheiden war. Florentine gewann die alte Dame sehr lieb. Sie lernte so viel von der Tante, durfte Bücher lesen, die sie niemals zu Hause hätte lesen können, lernte hochdeutsch zu sprechen, was am Anfang sehr schwierig war. Ihr ganzes Wesen hatte sich zum Vorteil verändert.

Etwas über zwei Jahre verbrachte Florentine in der Stadt. Sie hatte sich schnell an ihre neue Umgebung gewöhnt. Als die Tante dann plötzlich verstarb und sie wieder nach Hause musste, war dies sehr schlimm für sie.

An das gute Leben bei der Tante hatte sie sich schnell gewöhnt, aber nun in die Armut zurück - Florentine konnte sich damit nicht mehr abfinden. Von den Eltern und ihren Geschwistern wurde sie nur belächelt.

Die alte Dame war sehr zufrieden mit dem jungen Mädchen gewesen und hinterließ ihr ihre Möbel, feine und edle Tisch- und Bettwäsche sowie einen höheren Bargeldbetrag. Etwas Schmuck besaß die Tante auch. Nicht viel, aber dafür sehr kostbaren. Dies war eine gute Mitgift für ihre Ehe. Florentine war damals sehr glücklich gewesen und nahm sich vor, einiges in ihrem Leben zu schaffen. Sie hatte so viel Gutes bei der Tante gelernt, die nicht nur sehr betucht, sondern auch sehr warmherzig war.

Bei einem Tanzvergnügen lernte sie Johannes Neubauer kennen und sie verliebten sich ineinander. Bald darauf war schon die Hochzeit. Dessen Vater war schon früh verstorben und seine Mutter kränkelte schon seit Jahren. Kaum, dass sie ihren Sohn Heinrich unter ihrem Herzen trug, verstarb die Mutter. Nun war Florentine Bäuerin auf dem Neubauer Hof. Ihr Vorbild war die Tante aus der Stadt - und bis heute war sie es geblieben.

Von dem Geld, das sie erhalten hatte, bauten sie einen großen Stall. Die schönen Möbelstücke schmückten das Bauernhaus. Ja, diese Stücke waren wirklich etwas Besonderes.

Florentine hielt das Haus sehr sauber, kochte gut und wirtschaftete sehr gewissenhaft. Johannes war zufrieden mit der Frau, die er in sein Haus geholt hatte. Gemeinsam überlegten sie jeden Schritt, den sie als nächsten machten und so langsam wuchs der Neubauer Hof zu einem stattlichen Hof. Johannes und sie gruben kurz nach ihrer Hochzeit einen eigenen Brunnen auf dem Hof. So brauchten sie nicht mehr täglich zum Dorfbrunnen zu laufen. Es war bestimmt nicht immer leicht gewesen, aber sie hatten es gemeinsam geschafft. Auch Rückschläge mussten sie in Kauf nehmen, wenn die Ernte nicht so ausfiel, wie sie gehofft hatten oder ein Stück Vieh erkrankte. Leicht war es wirklich nicht, mit zwei kleinen Kindern - ohne eine Oma im Hause zu haben, die kochte oder die Kinder hütete. Doch nicht nur Nachteile gab es für sie, sondern auch Vorteile. Sie konnten walten und schalten, wie sie es für richtig hielten.

Doch die Menschen, die unter diesem Dach lebten, waren bis heute bescheiden, fleißig und hilfsbereit geblieben. Deshalb passte auch Katharina sehr gut auf den Neubauer Hof und Florentine wusste, wenn sie einmal die Augen schließen würden, dass der Hof in guten Händen war. Das alles machte sie sehr glücklich. Laut seufzte sie vor sich hin und lächelte anschließend zufrieden.

"Mutter", fragte Heinrich besorgt, "fehlt dir irgendetwas?"

"Aber nein Junge!", erwiderte sie glücklich. "Es ist alles in bester Ordnung!"

Johannes Neubauer blickte sie an, drückte ihre auf dem Schoß liegenden Hände und sagte: "Ja, es ist wirklich alles in bester Ordnung!"

Er kennt meine Gedanken wie sonst keiner, dachte die Bäuerin und lächelte ihren Mann an.

Die kalten und schneereichen Wintertage vergingen, der Frühling hielt Einzug mit seiner ganzen Pracht und alles erwachte zu neuem Leben. Es war die schönste Zeit des Jahres.

Auf dem Hof der Bäuerin Lange normalisierte sich das Leben wieder. Heiner sprang vergnügt herum und hin und wieder ging er mit Hund Rex auf Reisen, nur dem Fluss blieb er fern.

Auf dem Neubauer Hof wohnte das große Glück. Der kleine Franz war der Sonnenschein der Familie. Fröhlich krabbelte er schon durch das ganze Haus. Heinrich und Katharina nahmen ihn gegen Abend immer mit in den Stall. Sein Vater baute für ihn einen Laufstall aus Stroh und stellte seinen Sohn dort hinein. Franz gefiel das sehr gut. So war er bei den Eltern, konnte aber nichts anstellen. In den Sommermonaten, wenn sie alle auf 's Feld hinaus mussten, spielte Heiner mit dem kleinen Franz am Feldrand. Rex ließ die beiden Kinder keinen Augenblick aus den Augen. Auch der alte Neubauer interessierte sich immer mehr für seinen Enkelsohn. Wenn das Wetter am Abend noch schön war, setzte sich der Alte mit dem Jungen vor dem Haus auf die Bank. Die alte Hündin Senta legte sich dann dazu. Neugierig schaute der kleine Bub den Schwalbeneltern zu, wie fleißig sie immer wieder durch das Stallfenster hinein- und hinausflogen.

So ging der Sommer seinem Ende zu. Die Schwalbenkinder verließen ihre Nester und versammelten sich schon, um ihre alljährliche weite Reise in den Süden anzutreten. Die Felder waren abgeerntet und die so arbeitsreichen Tage, waren wieder einmal geschafft.

Die Frauen legten das Gemüse für den Winter in die Mieten, Kartoffeln und die Rüben wurden in die Keller gebracht, einige Weißkrautköpfe gehobelt und in die Holzfässer gestampft. Mit sehr viel Mühe und aufwendiger Arbeit wurde so aus dem Weißkraut - nach Wochen - Sauerkraut.

Die Nächte wurden schon merklich kühler, die Tage immer kürzer und hoch oben am Himmel zogen die Kraniche wieder in Richtung Süden.

Katharina stand gerade auf dem Hof, als sie laut schreiend darüber hinwegzogen. Die junge Frau blickte zu ihnen hinauf und war in ihren eigenen Gedanken zu vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, dass Heinrich plötzlich hinter ihr stand und sie in die Arme nahm.

"Darf ich deine Gedanken erfahren Kathi?", flüsterte er.

"Meine Gedanken?", erwiderte sie. "Ich habe dich gar nicht bemerkt!"

"Du warst ja auch sehr weit weg mit deinen Gedanken!"

"Ja, das stimmt! Weißt du noch. vor zwei Jahren?"

"Ja, vor zwei Jahren hast du laut zu ihnen hinaufgerufen, dass wir heiraten würden. Was willst du ihnen heute mitteilen?"

"Ich weiß nicht!", lachte Katharina. "Was meinst du denn, was ich ihnen erzählen sollte?"

"Du könntest doch zu ihnen hinaufrufen, dass du mich immer noch schrecklich lieb…", weiter kam er nicht.

"Da stehen doch die jungen Dinger am helllichten Tag eng umschlungen herum! Schämt ihr euch nicht! Habt wohl nichts anderes zu tun? Ich würd's euch schon zeigen, wo es lang ginge!", krächzte die alte Hopper Bäuerin lautstark über den Hof. Kopfschüttelnd blieb sie mitten auf dem Hof stehen, ihre dicken Arme in die Hüften gestemmt und wartete ab, was sich da wohl abspielte.

"Was schreist denn so, Hopperin?", wollte der alte Neubauer wissen, der das Gezeter in der Scheune gehört hatte und nun herauskam, um nachzusehen, was dort draußen los war.

"Haben deine jungen Leute keine Arbeit?", krächzte sie, "dass sie schon am Tage auf dem Hof stehen - so eng umschlungen?"

"Was kümmern dich meine Leute?", entgegnete der Bauer verärgert. "Kümmere dich um deinen Kram! Wäre nicht schlecht, wenn dein Hof auch einmal etwas Nettes zu hören oder zu sehen bekäme, statt dein Geschrei den lieben langen Tag!"

Er ließ die Hopperin einfach stehen und verzog sich wieder in die Scheune.

Das hatte sie nicht erwartet. So etwas zu dulden, das konnte sie nicht begreifen. Mit einem beleidigten Gesicht betrat sie das Wohnhaus. Die Haustüre hatte sie noch nicht ganz geschlossen, da hörte sie das lautstarke Lachen des jungen Neubauers. Darüber ärgerte sie sich noch mehr. Eilig erzählte sie drinnen in der Küche der fleißig arbeitenden Florentine, was sich da draußen auf ihrem Hof so alles abspielte.

Doch die Bäuerin lächelte nur, als die Hopperin ihr das Vorgefallene berichtete.

"Ach Liese", versuchte sie freundlich einzulenken. "Sie tun doch nichts Schlimmes! Es ist doch schön, wenn sich die jungen Leute gut verstehen! Ein bisschen Nachsicht gegenüber deiner Schwiegertochter wäre auch nicht schlecht! Glaub mir, sie ist ein liebes Ding!"

"Arbeiten soll'n sie und nichts anderes! Haben wir was anderes gekannt? Wenn man sie nicht scheucht, tun sie gar nichts mehr!", schimpfte sie weiter.

"Lass gut sein!", erwiderte die Bäuerin nun sehr kurz. "Wir sehen das gerne und das soll sich auch nicht ändern!"

Wie viele Sekunden hat das Glück

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