Читать книгу Diversity-Management als Dimension kirchlicher Personalentwicklung - Marius Stelzer - Страница 10
ОглавлениеLebensstile und Wertvorstellungen im relevanten Feld kirchlicher Personalgewinnung
Abstract: Die junge Generation der 20-29-jährigen Frauen und Männer weist eine große Vielfalt an Lebensstilen bzw. Milieuorientierungen auf. Mit Hilfe der Lebensführungstypologie lässt sich zugleich analysieren: In Bezug auf das Lebensalter können typische Verdichtungen im jungen Segment der „Biografischen Offenheit“ identifiziert werden. Gleichwohl zeigt sich auch, dass die in Frage kommende Gruppe gleichaltriger junger Katholiken, die sich als sehr gläubig-religiös bezeichnen, von der Grundgesamtheit deutlich abweicht. Der Befund ist relevant für kirchliche Personalgewinnung und –planung, wenn es darum geht, von Beginn der personalen Wertschöpfungskette an auf Diversity im Personaltableau zu achten.
Einführung
Seit vielen Jahrzehnten nimmt in der kirchlichen Sozialforschung die Erforschung von Dienst und Leben pastoraler Mitarbeiter einen zentralen Stellenwert ein. In vielen Studiensystemen wird dabei auch der Blick auf die nachwachsende Generation von Seelsorgerinnen und Seelsorgern gelegt. Dabei wird sinnvollerweise auch die soziale Herkunft analysiert. So unter anderem in Jakob Crottoginis psychologisch-pädagogischer Untersuchung über den Priesternachwuchs in verschiedenen Ländern Europas 1955.
1 Angesichts des Mangels an Priesternachwuchs im deutschsprachigen Raum untersucht der Autor die fördernden und hemmenden Faktoren von Beruf und Berufung aus psychologisch-pädagogischer Perspektive. In den Synodenumfragen der 1970er Jahre wird ebenfalls die Gruppe der Priesteramtskandidaten gezielt befragt.2 In dieser sowie in der Crottogini-Studie spielt die Berufsstellung des Vaters und die Größe des Herkunftsortes eine wichtige Rolle, um Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Kandidaten zu ziehen. Auch Paul M. Zulehner nimmt in der Studie Priester 2000 die Gruppe der Priesterkandidaten in den Blick.3 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang zudem die Studie „Theologiestudierende im Berufswahlprozess“ in Münster 1998-2000.4
Forschungsanliegen
Was jedoch bislang fehlt, ist eine Analyse hinsichtlich des Potenzials der Generation, die gegenwärtig das Rekrutierungsfeld für die berufliche Arbeitswelt insgesamt bildet, nämlich die Kohorte der 20-29-jährigen Frauen und Männer. In diesem Studienbericht werden mit Hilfe der Daten der Markt/Media-Studie „Best 4 Planning“ lebensstilistische Akzente dieser relevanten Altersgruppe untersucht. Dabei wird der Schwerpunkt auf eine Untergliederung der Zielgruppe in gläubig-religiöse und nicht-gläubig-religiöse junge Erwachsene gelegt, um relevante Merkmale für die Zielgruppe der seelsorglichen Berufe im Vergleich zur Gruppe der Gleichaltrigen zu untersuchen.
Ergebnisse
Die Stichprobe der 20-29-Jährigen im Lebensstilmodell
Grundgesamtheit der Sekundäranalysen sind zunächst 45348 Befragte der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren. Mit Hilfe ausgewählter Variablen zu Werteeinstellungen und Lebensstilen ergibt sich folgende Aufteilung und Anordnung der Lebensstilgruppen im Sozialen Raum:
Lebensführungstypen Deutschland 2015
n=45348
Abbildung 6: Lebensführungstypen in der BRD 2015, n=45348, eigene Darstellung, Datenbasis: best4planning II 2014.
Die Altersgruppe der 20-29-jährigen Frauen und Männer umfasst eine Teilstichprobe von 6301 Befragten in der gesamten Studie. Hier ergibt sich ein zu den theoretischen Grundannahmen des Lebensstilmodells (siehe Anhang) adäquates Verteilungsmuster dieser Alterskohorte im Milieumodell. In der Phase der biografischen Offenheit befinden sich knapp die Hälfte aller Befragten (45,3%). Alle anderen befinden sich in den älteren Milieugruppen (biografische Konsolidierung/Etablierung/Schließung). Dabei ist ein altersbedingtes Gefälle der Gruppengrößen festzustellen. Modernität hängt eng mit dem Lebensalter zusammen. Mit zunehmender biografischer Konsolidierung und Schließung wird der Anteil 20-29-jähriger Frauen und Männer im Lebensstilmodell geringer. Dieser Befund ist als normal zu betrachten. Wir können von der Struktur einer Normstichprobe mit Blick auf diese Altersgruppe sprechen.
Lebensführungstypen Deutschland 2015
20-29-jährige Frauen und Männer
n=6301, gewichtet
Abbildung 7: Lebensführungstypen BRD 2015, 20-29-jährige Frauen und Männer, n=6301, eigene Darstellung, Daten: best4planning II 2014.
Mittels eines weiteren Filters werden in der Altersgruppe der 20-29jährigen Frauen und Männer alle Katholiken auf ihre typischen Lebensstile hin untersucht (n=1936). Die Verteilung im Spektrum aller Lebensstile weist praktisch nur geringfügige prozentuale Abweichungen zur Gesamtgruppe dieser Alterskohorte auf.
Lebensführungstypen Deutschland 2015
20-29-jährige Frauen und Männer, katholisch
n=1936, gewichtet
Abbildung 8: Lebensführungstypen BRD 2015, 20-29-jährige Katholiken, n=1936, eigene Darstellung, Daten: best4planning II 2014.
Wir setzen einen weiteren Filter und untersuchen die Lebensstilorientierung derjenigen, die sich voll und ganz als religiös-gläubige Menschen bezeichnen („Ich bin ein religiös-gläubiger Mensch: trifft voll und ganz zu). Hier reduziert sich zwar die Stichprobe auf 137 Personen, gleichwohl lassen sich überraschende Ergebnisse darstellen: Im Vergleich zu den ersten Diagnosen zeigt sich ein deutlich abweichendes Bild hinsichtlich der Besetzung der einzelnen Lebensstilgruppen: Die Kohorte „Biografische Offenheit“ (Avantgardisten, Pragmatische, Unterhaltungsorientierte) ist deutlich schwächer besetzt. Nur 16,4% finden sich hier wieder. Der Vergleichswert in der Kontrollgruppe beträgt 45,3%.
Die Kohorten „Konsolidierung“ und „Etablierung“ sind deutlich stärker besetzt. Teilweise sind Lebensstilgruppen doppelt so stark besetzt wie in der Kontrollgruppe aller 20-29-jährigen. Hierbei stechen besonders die Gruppen der Soliden Konventionellen, Bürgerlich-Leistungsorientierten, Statusbewusst Arrivierten und Defensiv-Benachteiligten hervor.
Die Gruppe der moderaten Religiös-Gläubigen (Skalenwert 2= trifft eher zu) ist ebenfalls im bürgerlichen Milieu stark. Mit Blick auf das Aktivierungspotenzial sind in dieser Gruppe die gehobenen modern-akademischen Milieus Intellektuelle, Avantgardisten, Leistungsorientierte und Pragmatische interessant (jeweils ca. 14%!).(siehe Tabelle im Anhang).
Die nachfolgende Grafik gibt die Verteilung sowie die Über- und Unterfrequentierungen der Religiös-Gläubigen im Lebensstilmodell wieder:
Lebensführungstypen Deutschland 2015
20-29-jährige Frauen und Männer, katholisch,
gläubig-religiös=trifft voll und ganz zu
n=137, gewichtet
Abbildung 9: Lebensführungstypen BRD 2015, 20-29jährige Katholiken, gläubig-religiös (trifft voll und ganz zu), n=137, eigene Darstellung, Daten: best4planning II 2015).
Empirischer Vergleich der Testgruppe mit der Kontrollgruppe
Der Mittelwert des Lebensalters weist nur einen geringen Unterschied auf, der nicht signifikant ist (MW Religiöse: 24,39 Jahre, MW Nicht-Religiöse: 24,64 Jahre, Median 24 bzw. 25 Jahre); die Verteilung ist in beiden Gruppen gleichmäßig gestreut (siehe Tabelle im Anhang).
Die Geschlechter teilen sich hingegen sehr unterschiedlich auf: In der Kontrollgruppe (alle 20-29-jährige) ist das Verhältnis ausgewogen bei leichtem Überhang der Männer (51,7% männlich, 48,3% weiblich). Religiös-Gläubige (Testgruppe) teilen sich auf in 30,1% männlich und 69,9% weiblich. Das ist eine erhebliche Abweichung gegenüber der Kontrollgruppe.
Bezüglich des Familienstandes sind bei den Religiös-Gläubigen deutlich mehr Personen verheiratet (23,9%) bzw. weniger Personen ledig (76,1%) als in der Kontrollgruppe (16,0% verheiratet, 83,2% ledig).5
Das gesamte Bildungsniveau (Zusammenschau der Bildungsabschlüsse) ist durchaus vergleichbar, gleichwohl in der Gruppe der Religiös-Gläubigen mehr Hauptschulabschlüsse vorhanden sind. Aber insgesamt sind die Bildungsspektren beider Gruppen vergleichbar, d.h. die leichten Unterschiede sind nicht signifikant.
Hinsichtlich des Einkommens sind Religiös-Gläubige etwas besser ausgestattet. Dieser Unterschied ist jedoch ebenfalls nicht signifikant.
Fasst man jedoch Bildung, Einkommen und berufliche Stellung zusammen (Indexbildung zur Variable „Sozioökonomischer Status“ in Best for Planning), dann ergeben sich sehr signifikante Unterschiede. Das heißt: alles in allem ist der sozioökonomische Status Religiös-Gläubiger gegenüber der Kontrollgruppe leicht höher, dies aber signifikant.
Werteeinstellungen: Was ist wichtig im Leben?
Wir untersuchen zudem die Werteeinstellungen und –präferenzen der drei Zielgruppen. Die Studie befragt fünfzehn unterschiedliche „Aspekte des Lebens“ hinsichtlich ihrer Wichtigkeit. Die Fragebatterie weist inhaltlich eine Nähe zum Speyerer Werteinventar von Helmut Klages auf.
Abbildung 10: Mittelwertvergleich „Aspekte des Lebens I“, Daten: best4planning II 2014.
Abbildung 11: Mittelwertvergleich "Aspekte des Lebens II", Daten: best4planning II 2014.
Die Analyse der Mittelwerte zeigt: in einigen Bereichen sind sich alle drei Gruppen sehr ähnlich: Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen, Selbstverwirklichung, Erfolg im Beruf, großer Freundeskreis, Spaß und Freude. Zugleich werden signifikante Unterschiede sichtbar, besonders im Hinblick auf die Gruppe der gläubig-religiösen Katholiken in der Alterskohorte. Gläubig-Religiöse sind eher auf Sicherheit im täglichen Leben bedacht. Leistung spielt eine etwas stärkere Rolle, ebenso die Frage nach Arbeitsplatzsicherheit. Typische Postmaterielle Werte spielen bei Gläubig-Religiosen eine wichtigere Rolle als bei den Altersgenossen: Kulturelles Leben, soziales Engagement, und eine gute, vielseitige Bildung. Gleiches gilt für familiäre Werte: Kinder haben, Familie und Partnerschaft. Signifikant ist der schwächere Mittelwert in Bezug auf „viel Erleben.“ Dass Glaube und Religion eine entsprechend wichtige Rolle spielen und daher hoch bewertet werden, ist erwartbar.
Persönlichkeitsfaktoren: Wie ticken junge Katholiken?
Mit Hilfe der Medienstudie können wir die darin erzeugte „Persönlichkeitsfaktoren“ untersuchen. Diese Dimensionen wurden auf Basis unterschiedlicher Variablen als Indizes gebildet. In Teilen sind die oben aufgeführten Werte-Items in diesen Faktoren enthalten, zugleich auch weitere Variablen aus dem Datensatz, so dass uns hier verdichtete Daten zur Verfügung stehen. Die Faktoren sind: Rationalismus/Pflichtbewusstsein, Gesellschaftliches Engagement, Familienorientierung, Aufstiegsorientierung, sowie die Werte Lebensfreude/ Spaß/Neugierde. Die Befunde stellen sich wie folgt dar:
Tabelle 1: Persönlichkeitsfaktoren und Glaube/Religion (Quelle: best4planning II 2014).
Rationalismus und Pflichtbewusstsein ist bei Gläubig-Religiösen höchstsignifikant höher ausgeprägt als bei der Kontrollgruppe. Was die Prozentangaben verdeutlichen, konnte mit Hilfe einer Konfigurationsfrequenzanalyse6 (KFA) auf Signifikanz hin kontrolliert werden (p≤0,001). (siehe Tabelle im Anhang).
Ähnlich verhält es sich mit der Dimension „Gesellschaftliches Engagement“. Auch hier unterscheiden sich die Prozentwerte deutlich, d.h. signifikant (p<0,05).
Auch die Familienorientierung (und vermutlich die Wichtigkeit von Cocooning- und Harmoniewerten, Well-Being) ist innerhalb der Gläubig-Religiösen deutlich höher als bei allen andere Befragten der gleichen Altersgruppe (p≤0,001).
Gläubig-Religiöse sind zudem deutlich aufstiegsorientierter als die Altersgenossen. Deren Aufstiegsorientierung ist vergleichsweise hoch (gemessen in den vier Kategorien), aber sichtbar unter dem Niveau der Gläubig-Religiösen. Die KFA weist aber nur für die erste Konfiguration eine höchst signifikante Überbelegung aus (gemessen an der Gesamtzahl). Der Persönlichkeitsfaktor „Lebensfreude, Spaß, Neugierde“ ist hingegen innerhalb der Vergleichsgruppe höchstsignifikant höher ausgeprägt als bei den Gläubig-Religiösen. Mit Hilfe der KFA lautet der Befund: Die deutliche Unterbesetzung im höchsten Rang der Dimension „Lebensfreude“ ist hochsignifikant, die hohe Besetzung im zweiten Rang (hoch) ist gegenüber der Kontrollgruppe ebenfalls hochsignifikant. Hedonistische Werte sind in der Tat zweitrangig.
Diskussion
Biografische Offenheit vs. Biografische Konsolidierung
Nicht nur auf den ersten Blick scheint es so, dass Glaube und Religion in der untersuchten Altersgruppe Effekte auf Lebensstil und Werteeinstellungen ausüben. Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen der Eigenschaft, sich selbst als sehr gläubig-religiösen Menschen zu bezeichnen und der Ausprägung eines insgesamt konsolidierenden Lebensstils. Religiös-Gläubige junge Erwachsene sind signifikant weniger häufig im Segment der biografischen Offenheit anzutreffen als Gleichaltrige. Insgesamt gesehen wäre es normal, im Alter von 20-29 Jahren eine Lebensführungsstrategie aufzuweisen, die unabhängig von der sozialen Lage, biografisch offen ist. Man kann entwicklungspsychologisch davon ausgehen, dass in dieser noch langen Phase der Postadoleszenz genau diese Entwicklungsaufgaben anstehen, die sich unter dem Begriff „Das Leben ausprobieren“ zusammenfassen lassen. Dazu gehören Erfahrungen im Gelingen und Scheitern erster Lebensentwürfe (Rollenexploration), sei es, ein Studienfach oder Ausbildungsplatz zu wechseln, einen Studienschwerpunkt zu ändern, sich verschiedenen Freundeskreisen anzuschließen, kulturelle Ausdrucksformen und Stile zu entdecken, mit Gleichgesinnten ähnliche Kulturmuster zu antizipieren, um auf diese Weise einen eigenen Stil oder Geschmack zu entwickeln (Autonomieentwicklung). Diese Entwicklungsaufgaben beziehen sich auch auf Liebe und Partnerschaft, nämlich auf die Frage, den Sinn, die Schönheit und die Formen der eigenen Sexualität (genetische und körperliche Sexualität, sexuelle Identität, sexuelle Präferenz) zu entdecken, auszuprobieren und in die eigene Persönlichkeit zu integrieren (personelle, ganzheitliche Sexualität).7
In der Ungebundenheit des jungen Erwachsenenalters, empirisch gesehen vor der Etappe der biografischen Konsolidierung (die normalerweise mit dem Eintritt in den Arbeitsmarkt beginnt bzw. mit der Weichenstellung einer bestimmten, individuell adäquaten Lebens- und Partnerschaftsform verbunden ist), geht es demnach um eine selbst verantwortete, fundamentale Programmierung des eigenen individuellen Lebensentwurfes.
Ein großer Teil der Religiös-Gläubigen in dieser Altersgruppe steht biografisch gesehen vor genau diesen Aufgaben, lebensstilistisch gesehen sind sie jedoch „adult“ und befinden sich unlängst in den Phasen von Konsolidierung bzw. Etablierung. Sie scheinen auf unterschiedlicher Weise bereits im Leben angekommen zu sein. Dies ist jedoch nicht typisch. Die Frage nach den Ursachen und Wirkungen muss hier offen bleiben.
Religiosität und Geschlecht
Was hervorsticht, ist der starke Unterschied bezüglich der Selbsteinschätzung „religiös-gläubig“ und dem Geschlecht. Dieses Muster zeigt sich in vielen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen – auch in Bezug auf die Gesamtbevölkerung der BRD.8 Dieses Muster lautet: Frauen schätzen sich häufiger als religiös ein als Männer dies tun. Diese signifikanten Unterschiede können auch mit Hilfe der Daten im ALLBUS belegt werden, gleichwohl sind die Unterschiede der ALL- BUS-Daten deutlich moderater – insbesondere mit Blick auf die hier relevante Altersgruppe.9
Sampling von Pragmatismus und bürgerlichen Werten
Insgesamt gesehen zeigen sich jedoch deutliche Tendenzen hin zu Formen der Verbürgerlichung der Religiös-Gläubigen. Diese Hinweise verdichten sich in den Angaben zu den Persönlichkeitsfaktoren. Dabei lassen sich starke Anzeichen für den generationentypischen Pragmatismus der „Generation Y“ ablesen: Ehrgeiz, Leistungsstreben, Rationalismus. Zugleich dominieren in der Testgruppe Harmoniewerte zuungunsten hedonistischer Erlebniswerte. Hier scheinen die hohe Anpassungsfähigkeit, die gegenwärtig als lebensnotwendig für diese Generation konstatiert werden darf, und das Streben nach Glück, Harmonie, Familie, Well-Being miteinander gesampelt zu werden.
Man kann sagen, dass die Vergleichsgruppe der 20-29-Jährigen hingegen Pragmatismus eher mit Erlebniswerten zusammenspielt. Der Zusammenhang liegt hier nicht darin, dass möglicherweise Religiös-Gläubige älter sind (und daher altersmäßig eher „angekommen“ zu sein scheinen) als die Kontrollgruppe. Die soziodemografischen Daten widerlegen dies.10
Lebensstilistische Passung im sozialen Raum
Im Pilotbericht unserer Studien konnten wir feststellen, wo sich im Lebensstilmodell gegenwärtig das soziale Feld der Pfarrei mit ihren Gemeinden, Gremien und Verbänden genauer verorten lässt. Die nachfolgende Grafik kombiniert diese Erkenntnis: a) die Lage des sozialen Feldes von Pfarrei und Gemeinde im Lebensstilmodell und b) die Lebensstilgruppen, in denen Religiös-Gläubige katholische 20-29-Jährige im Vergleich zur Alterskohorte der 20-29-Jährigen signifikant häufiger vorkommen. Hier zeichnet sich bereits in der Synopse beider Befunde die Dynamik kirchlicher Attraktivität bzw. lebensstilistischer Passungen ab.
Lebensführungstypen Deutschland 2015
20-29-jährige Frauen und Männer, katholisch,
gläubig-religiös=trifft voll und ganz zu
n=137, gewichtet
Abbildung 12: Synpose „Soziales Feld der Pfarrei - Zielgruppe“, eigene Darstellung.
Das soziale Feld der klassischen Pfarrei zeigt sich phänotypisch in der gegenwärtigen pastoralen Realität u.a. als eine nach außen sichtbare Verschmelzung des patriarchalischen Pfarrer- und Pastoralbildes der pianischen Epoche mit ihrer weit reichenden volkskirchlichen Grundstruktur, einer vielgliedrigen Pfarreistruktur der Nachkriegszeit (Gemeinden, Schulen und Verbände als Bollwerke gegen die Säkularisierung bzw. die Errichtung von Kirchen „in Ruf- und Reichweite“), in der die Frömmigkeitsformen des 19. Jahrhunderts fortdauern (durchaus in moderner Variation), eines nicht vollständig eingelösten diakonischen Kirchenverständnisses des Zweiten Vatikanischen Konzils (LG1) und einer Gemeindeidee, in der die „Hoffnungsgemeinschaft“ der Würzburger Synode vielfach in einem pfarrfamiliären Teilhabe- und Mitmachdiskurs aufgegangen ist. Das heißt: In dieser Regelform von Pfarrei, Gemeinden und Verbänden spielen Familien- und Harmoniewerte, flankiert von einem postmateriellen Wachstumsverständnis der ausgehenden 1980er Jahre, die zentrale Rolle und weisen trotz der rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen der Spätmoderne/Nachmoderne eine erstaunliche Stabilität auf – bei sinkenden Partizipationszahlen.
Es wundert kaum, dass die Kernzielgruppe kirchlicher Personalgewinnung, die hier empirische eingekreist wird in Bezug auf Religiosität und die damit korrespondierenden konventionellen Formen kirchlicher Gemeinden dem sozialen Feld dieser kirchlichen Gemeinden sehr nah ist. Das lebensstilistische Religiositätsparadigma der Kernzielgruppe junger Erwachsener scheint mit dem sozialen Feld von „Gemeinde“ und den darin praktizierten Vollzügen in den Bereichen Liturgie, Diakonie, Verkündigung und Vergemeinschaftung sehr kongruent zu sein. Das heißt aber auch, dass die prophetische Kraft und das ekklesiogenetische Potenzial derjenigen, die sich in der Phase der biografischen Offenheit befinden, von Seiten der kirchlichen Personalgewinnung (Berufungspastoral) praktisch kaum abgerufen werden kann. Denn die Zielgruppe junger, moderner, akademisch-intellektueller Frauen und Männer, die sich als moderat religiös bezeichnen (Intellektuelle, Avantgardisten, Leistungsorientierte und Pragmatische, jeweils ca. 14%) kommt für kirchliche Personalgewinnung grundsätzlich in Frage. Wenn das gegenwärtige kirchliche System mit Blick auf den Zulassungs- und Erlaubnisdiskurs kirchlicher Zugehörigkeit innerhalb der Pfarreien und Gemeinden jedoch verlangt, dass hohe Religiosität und das korrekte Glaubensbekenntnis die zentralen Schlüssel sind, um in diesen (Ausbildungs-)Diskurs einsteigen zu können, sind hier die Chancen der Personalgewinnung als schwach einzuordnen. Die qualitativen Befunde unserer Studie weisen diesbezüglich deutliche Exit-Tendenzen auf.11
Zu diskutieren wäre auch der Zulassungs- und Erlaubnisdiskurs innerhalb der kirchlichen Dienste hinsichtlich der Lebensformen, insbesondere mit Blick auf die zölibatäre Lebensform und mit Umgang der Vitalitätsthemen junger Erwachsener.
Schlussfolgerungen
Es ist genau zu schauen, mit welchen psychosozialen Ressourcen junge Frauen und Männer kommen, die sich für einen kirchlichen Beruf interessieren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass vielfach junge Leute in die Studiengänge, Seminare und Institute kommen, die nach außen einen sehr reifen, erwachsenen Eindruck machen, nach innen jedoch ein hohes Entwicklungspotenzial bzw. einen hohen Entwicklungsbedarf haben. Personalauswahl muss bereits vor Studienbeginn die individuelle Reife in den Blick nehmen. Justierungen wären möglich durch: a) Festlegung eines Mindestalters, b) Überprüfung der Standards im Auswahlverfahren (psychologische Tests, u.a.), c) Studiendauer, besonders mit Blick auf die KatHO Paderborn (lediglich sechssemestriges Studium), d) offensives Werben über die Aufnahme eines (geförderten) Zweitstudiums.
Wenn die Befunde grundsätzlich stimmen, dann scheinen vor allem Frauen für das Religiositätsthema affin zu sein, weniger Männer. Das hat Auswirkung auf die Priesterberufungen (mit Blick auf die wenigen Männer!) und Laienberufungen. Besonders mit Blick auf Priesterberufungen unter jungen Männern ist hier höchste Sorgfalt auf die Personalauswahl zu legen, denn aus dem Pool der wenigen Kandidaten müssen auf absehbare Zeit Führungskräfte hervorgehen können. Führungskräfteentwicklung fängt mit Berufungspastoral an.12
Damit verbunden ist auch eine (kritische) Beleuchtung des Images und der Imageentwicklung pastoraler Berufe, vor allem mit Blick auf die Tendenzen der Feminisierung der Spiritualität im Zuge der pianischen Epoche und der Prägung priesterlicher Rollenmuster an der Schnittstelle von Männlichkeit/Weiblichkeit (Androgynität), Sexualität/Zölibat, und der Alltagsinszenierung (auch im liturgischen Feld).
Es ist zu konstatieren, dass die derzeitigen Modelle kirchlicher Gemeinden mit hoher Wahrscheinlichkeit eine hohe Anziehungskraft auf religiös-gläubige junge Frauen und Männer ausüben. Diese Gruppe des kirchlichen Mainstreams befindet sich gesamtgesellschaftlich jedoch in der Minderheit. Es besteht die Gefahr, dass die Reproduktion konventioneller kirchlicher Vollzugs- und Vergemeinschaftungsformen (Stichwort: Pfarrfamilie) ungefiltert weiterlaufen wird. Vor dem Hintergrund des Forschungstitels „Diversity Management als Dimension kirchlicher Personalentwicklung“ muss hier in besonderer Weise interveniert bzw. investiert werden.
Daher muss genau betrachtet werden, wie die Muster der beruflichen Motivation in der Zielgruppe aussehen, auf welche Leitidee junge Frauen und Männer Seelsorgende werden möchten.
Ein Kennzeichen gegenwärtiger Hauskulturen in den Ausbildungsstätten ist ein Rollen- und Beziehungssystem, das autoritative und hierarchische Merkmale aufweist. Subkutan haben wir es in vielen Fällen mit infantilisierten Bildungsund Erziehungsmustern zu tun, die sich in entsprechenden Interaktionen aller Akteure (Studierende, Hausleitung, usw.) niederschlagen. Mit Blick auf die Entwicklungsaufgaben junger Männer und Frauen müssen die Hauskulturen sich von den überkommenen, nachtridentinischen Mustern seelsorglicher Ausbildung verabschieden und sich zum Ziel setzen, autonome, freie und reife Persönlichkeiten zu erziehen.
Es ist unerlässlich, im Rahmen der gesamten derzeitigen Ausbildung das Thema der Persönlichkeitsentwicklung und der menschlichen Reife sehr genau und kontinuierlich in den Blick zu nehmen. Die Ausbildungshäuser dürfen nicht Komfortzonen mit einem sehr komfortablen, bekömmlichen Ausbildungssetting sein. Dies gilt auch für studienbegleitende kirchliche Institutionen (Studierendengemeinden, Kollegs, Wohnheime). Ausbildungsinstitutionen bieten ein höchst produktives Reizklima als Lern –und Reifungsklima an.
Der gesamte Ausbildungsbereich der Persönlichkeitsentwicklung nimmt daher die Vitalitätsthemen menschlicher Entwicklung in den Blick. Aus unserer Erfahrung speilen hier Leitung, Macht, Spiritualität, Sexualität, Sein und Haben in der gesamten Interaktionsbreite eine fundamentale Rolle. Dazu zählt auch der konstruktive und produktive Umgange mit Homosexualität. Die konstruktive Bearbeitung dieser Themen ist in der Phase der Postadoleszenz nicht nur unvermeidlich, sondern mit Blick auf die gesunde und ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung mit dem Ziel einer umfassenden psychosozialen Beziehungsfähigkeit unerlässlich. Diese Themen dürfen weder spiritualisiert noch marginalisiert werden noch andere Themen zum Oper fallen. Das heißt genau: diese Themen sind nur bedingt im Forum internum zu bearbeiten, sondern haben ihren sinnvollen Ort im Forum externum; auch in entsprechenden Studienfächern. Es geht um die zentrale Frage der individuellen psychosozialen Befähigung zum pastoralen Dienst, der in vielfacher Hinsicht Beziehungsarbeit ist.
Die einzelnen Etappenwechsel im Rahmen pastoraler Ausbildung müssen formal (Studienabschlüsse, Prüfungsleistungen usw.) und informell (Übergänge, Ortswechsel) deutlich stärker als mögliche Exit-Punkte markiert werden. Dazu gehört entsprechende Gesprächsbegleitung bzw. ein Mentorat/Coaching durch Fachkräfte, um von beiden Seiten zu entsprechenden Zeitpunkten eine Exit-Strategie zu entwickeln.
Die gesamte Berufungspastoral darf sich nicht ausschließlich auf den Komfortbereich der ohnehin Berufenen verlassen, um hier zukünftig Mitarbeitende zu gewinnen. Der Berufungsbegriff – auch der Berufungsbegriff in der Nachfolge Jesu – muss auf Postmodernität hin variiert und optimiert werden, um das Potenzial der Zielgruppe in der Phase der biografischen Offenheit zu entdecken. Hier muss Berufungspastoral intelligent kampagnenfähig werden. Die gegenwärtigen Ansätze eines freiwilligen sozialen Jahres in der Seelsorge sind begrüßenswert, jedoch ist auch hier genau zu schauen, auf welche Leitidee von Kirche-Sein dieses FSJ inhaltlich, formal (Einsatzbereich) und hinsichtlich der Begleitung junger Frauen und Männer abzielt. Gleiches gilt für die Ausrichtung studentischer Wohnheime in kirchlicher Trägerschaft.
Das Pastoralbild muss zudem vielfach dekliniert werden, um Seelsorge auch für diejenigen als attraktives Arbeitsfeld anzubieten, die nicht im kirchlichen Mainstream der „Religiös-Gläubigen“ befinden. Hierzu wurden schon im Pilotbericht Hinweise auf den unlängst fälligen Kulturwandel einer diversen, diakonischen Sozialgestalt kirchlicher Orte und Gelegenheiten gegeben. Ein Paradigmenwechsel in der gesamten pastoralen Strategie im deutschsprachigen Katholizismus ist unabdingbar und muss von Kirchenleitung wie –basis gewollt sein und gefördert werden.
Literatur
Crottogini, J., Werden und Krise des Priesterberufes. Eine psychologischpädagogische Untersuchung über den Priesternachwuchs in verschiedenen Ländern Europas, Einsiedeln 1955.
Feeser-Lichterfeld, U., Berufung. Eine praktisch-theologische Studie zu Revitalisierung einer pastoralen Grunddimension, Münster 2004 (Theologie und Praxis 26).
Oerter, R., Montada, L. (Hgg.), Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim 1998 (4. Auflage).
Pollack, D., Müller, P., Religionsmonitor, Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland, Bielefeld 2013.
Schmidtchen, G. Umfrage unter Priesteramtskandidaten. Forschungsbericht des Instituts für Demoskopie Allensbach über eine im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführten Erhebung, Freiburg i.Br. 1975.
Zulehner, P.M., Priester im Modernisierungsstress. Forschungsbericht der Studie Priester 2000©, Ostfildern 2001.
Tabellen
Tabelle 2: Lebensstile und Religiosität (Daten: best4planning II 2014)
Tabelle 3: Konfigurationsfrequenzanalyse: Religion und Wertedimensionen. Quelle: best4planning II 2014
Zur Erklärung:
Konfigurationsfrequenzanalysen (KFA): Mit Hilfe der KFA wird anhand der beobachteten (empirical cell counts) und erwarteten (expected cell counts) Zellenbelegungen (zellinternes chi2) analysiert, ob die Häufigkeit eines Merkmals in einer bestimmten Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen signifikant überoder unterrepräsentiert ist und damit kennzeichnend (Type/Antitype) ist oder zufällig. In der Spalte p-value ist das Signifikanzniveau ablesbar. Die auffälligen Werte sind fett gedruckt.
Berechnet mit SPSS 23 und dem KFA-Dialog für SPSS von Hans Grüner, TU Berlin:
* Dialog for a configural frequency analysis according to von Eye and Krauth.
* Notes: 1. A maximum of five controls is possible.
* 2. The dialog can deal with sampling and structural zeros.
* Author: Hans Grüner (http://gruener.userpage.fu-berlin.de)
* Last change: December 17, 2014.
Tabelle 4: Soziodemografische Daten; Quelle: best4planning II 2014.
Tabelle 5: Religiosität und Geschlecht im ALLBUS: Maße der zentralen Tendenz. Quelle: GESIS- Datenarchiv, ALLBUS 2012 (Studiennummer 4614).
1 Crottogini, J., Werden und Krise des Priesterberufes. Eine psychologisch-pädagogische Untersuchung über den Priesternachwuchs in verschiedenen Ländern Europas, Einsiedeln 1955. In den Studienberichten dieses Bandes wird des Öfteren auf die Pionierarbeit Crottoginis verwiesen.
2 Schmidtchen, G., Umfrage unter Priesteramtskandidaten. Forschungsbericht des Instituts für Demoskopie Allensbach über eine im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführten Erhebung, Freiburg i.Br. 1975.
3 Zulehner, P.M., Priester im Modernisierungsstress. Forschungsbericht der Studie Priester 2000©, Ostfildern 2001.
4 Feeser-Lichterfeld, U., Berufung. Eine praktisch-theologische Studie zu Revitalisierung einer pastoralen Grunddimension, Münster 2004 (Theologie und Praxis 26).
5 Vgl. hierzu und im Folgenden die Tabelle im Anhang.
6 Mithilfe der Konfigurationsfrequenzanalyse (KFA) wird auf chi2-Basis für jede einzelne Item-Konfiguration die rechnerisch erwartbare und die tatsächlich gemessene Verteilung (Frequenz) ermittelt. Signifikante Abweichungen können als typisches Syndrom bzw. Merkmal für die jeweilige Gruppe betrachtet werden.
7 Vgl. hierzu klassisch die Entwicklungsaufgaben nach Havighurst, in: Oerter, R., Montada, L. (Hgg.), Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim 1998 (4. Auflage), S. 120ff.
8 Pollack, D., Müller, P., Religionsmonitor, Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland, Bielefeld 2013, S. 19.
9 GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaften (2013): Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2012. GESIS Datenarchiv, Köln ZA4614, Datenfile Version 1.1.1, doi:10.4232/1.11753. Tabelle im Anhang.
10 Siehe Tabellen im Anhang.
11 Vgl. hierzu den Teilbericht zu Kirchenkulturen und Kulturen der Ausbildungshäuser.
12 Vgl. hierzu auch den Studienbericht 6 zu den Ergebnissen der deutschen Seelsorgestudie, besonders hinsichtlich der sozial-emotionalen Bindung.