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Wir wollen alles 69

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Welchen Nutzen könnte Nietzsche heute haben? Oder anders gesagt, welcher Nietzsche könnte heute nützlich sein?

Es dürfte kaum überraschen, dass ich den perspektivis­tischen Nietzsche – also den, der nicht nur die Möglichkeit, sondern auch den Wert der Wahrheit infrage stellt – als den Feind begreife. Noch weniger überraschend dürfte meine Ablehnung des dionysischen Nietzsche sein, den Zelebranten des transgressiven Begehrens. Dieser Nietzsche ist größtenteils ein retrospektives, post-Bataille’sches Konstrukt (selbst in der Geburt der Tra­gödie betrauert Nietzsche den Verlust der Spannung zwischen dem Dionysischen und Apollinischen; und in den späteren Schriften neigt er eher dazu, die Notwendigkeit von Grenzen und Einschränkungen zu loben, als dass er für eine zügellose Freisetzung der Libido argumentiert). Der perspektivistische und der dionysische Nietzsche sind beide viel zu zeitgemäß.

Der immer noch unzeitgemäße Nietzsche – und damit meine ich nicht veraltet, ganz im Gegenteil – ist Nietzsche, der Aristokrat. Nicht als politischen Theoretiker sollte man Nietzsche ernstnehmen, zumindest nicht auf der Ebene seiner positiven Aussagen. Es ist der Nietzsche, der die Geschmacklosigkeit und Mittelmäßigkeit denunziert, die aus den einebnenden Impulsen der Demokratie resultieren, der aktueller kaum sein könnte. In dieser Zeit der gruppenbezogenen Freundlichkeit und der »autonomen Herden« besticht Polemik um Polemik in Jenseits von Gut und Böse durch ihre unheimliche Triftigkeit. Nietzsches wahre Interessen lagen in der Kulturpolitik; Regierungen und gesellschaftliche Institutionen beschäftigten ihn nur insofern, als sie kulturelle Effekte hervorriefen. Seine ultimative Frage war: »Was sind die Bedingungen, unter denen großartige, kulturelle Artefakte entstehen?«

Als Chantelle Houghton vor einer Woche oder so Celebrity Big Brother gewann (es scheint schon viel länger her), musste ich an Nietzsches Warnungen denken, was passieren würde, wenn alle »Sonderforderungen und Pri­vilegien« abgeschafft wären, wenn überhaupt die Idee der Überlegenheit verschwunden ist. Ich dachte auch an Nietzsches glühendes Plädoyer für die Kultivierung von »Härte« und »Grausamkeit«, wenn das mensch­liche Tier wirklich durch Hammerschläge und die Kraft des Willens in ein großes Kunstwerk verwandelt werden soll; vor allem als ein paar Beiträge auf Dissensus ernsthaft »Nettigkeit« – im Ernst, Nettigkeit – als erstrebenswerte Eigenschaft anpriesen.

Bei Chantelles Sieg ging es nicht nur um Beliebtheit: Wie Marcello in seinem ausgezeichneten Artikel über Big Brother schreibt, ging es um ein Prinzip, nämlich die Idee, dass Gewöhnlichkeit jede Form der Überlegenheit am Ende schlagen muss:

»›Man gewinnt weder Unterstützung noch Respekt, wenn man sich außerhalb des Gewöhnlichen stellt. Man muss zugänglich, aber auch authentisch sein. Das ist es, was die jungen Leute respektieren.‹ Diese Aussage kommt von einem Alex Folkes, dem Sprecher einer Lobbygruppe namens Votes at Sixteen und er bezieht sich auf George Galloway. Es ist diese anstrengende, alberne Antiphilosophie, wegen der ich überlege, ob ich eine Lobbygruppe mit dem Namen Votes at Thirty gründe. Allerdings passt die Aussage – leider – ziemlich gut in eine Zeit, in der es das Bedürfnis nach Göttlichkeit nicht mehr gibt. Während wir uns früher gemeinsam vor Fernsehern oder Bühnen versammelten, um in Ehrfurcht Menschen dabei zu zusehen, wie sie Dinge tun und erreichen, die wir uns niemals selbst zutrauen – und wie wir aber darin schwelgten und uns selbst emporschwangen, wenn wir davon träumten, es doch zu tun –, brauchen wir heute nicht mehr als einen demütigenden Spiegel. Deswegen kommen gefährliche Leute nicht an die Macht, aber aus demselben Grund wird auch alle Kunst unmöglich. Während wir uns früher gemeinsam vor Fernsehern oder Bühnen versammelten, um in Ehrfurcht Menschen dabei zu zusehen, wie sie Dinge tun und erreichen, die wir uns niemals selbst zutrauen […], brauchen wir heute nicht mehr als einen demütigenden Spiegel.«70

Darin besteht die Celebreality: der Star wird entsublimiert und zugleich auf das Level des »Gewöhnlichen« gehoben. Die Kommentare über Celebrity Big Brother nahmen es als gegeben hin, dass sich die Zuschauer mit den Medienfiguren, die ihnen ein bequemes und simples Spiegelbild in ihrer mittelmäßigsten, dümmsten und harm­losesten Form bieten, »identifizieren« wollen. Julie Burchills endlos wiederholtes Plädoyer für Big Brother – dass die Sendung der Arbeiterklasse erlaube, in Medienbereiche vorzudringen, die sonst nur den Privilegierten offenstehen – ist aus drei Gründen falsch. Erstens sind die echten Gewinner von Big Brother nicht die Teilnehmer, denn ihre »Karrieren« sind notorisch kurzlebig, sondern Endemol und ihre Clique von aalglatten Produzenten. Zweitens baut Big Brother auf einem paternalistischen und reduktionistischen Bild der Arbeiterklasse auf und braucht die Mittelmäßigen, die die Arbeiterklasse dazu bringen, sich in dieses Bild einzufügen und sich »damit zu identifizieren«. Und drittens haben Big Brother und das Reality-Fernsehen die Bereiche der Populärkultur verdrängt, in denen es der Arbeiterklasse um mehr ging als »Reichtum« und »Berühmtheit«. Der Aufstieg dieser Formate bedeutete die Niederlage für jenen umfassenden proletarischen Wunsch danach, mehr zu sein, (Ich bin nichts, aber ich sollte alles sein), ein Wunsch, der soziale Tatsachen negierte und klangliche Fiktionen dagegen setzte, der »Gewöhnlichkeit« verachtete und das Merkwürdige und Fremde vorzog. Bei Celebrity Big Brother war Pete Burns das Cartoon-hafte Symbol dieser verlorenen Ambitionen, mit seinen gelegentlichen Grausamkeiten, seiner wilden Ausdrucksweise und seinen Masoch-Pelzen, wie er schmollend an der Peripherie he­rumschlich, ein Glam-Prinz in einer Zeit der Post-Tony-Blair-Eierköpfe.

Wir alle wissen, dass die »Realität« des Reality TV eine raffinierte Konstruktion ist, ein Effekt nicht nur des Schnitts, sondern auch einer künstlichen Umgebung, die wie ein Experiment von Konrad Lorenz wirkt, in dem eine Ratte in einem Labor von lauter Spiegeln ausgesetzt wird, wodurch die Psychologie zu einer Reihe territorialer Zuckungen wird. Von Bedeutung ist an dieser »Realität«, was in ihr abwesend ist, nicht die positiven Eigenschaften, die sie vermeintlich hat. Und was abwesend ist, ist vor allem Phantasie. Oder besser gesagt, Phantasieobjekte.

Einst wandten wir uns der Populärkultur zu, weil sie Phantasieobjekte produzierte; heute sollen wir uns mit dem phantasierenden Subjekt selbst »identifizieren«. Es war geradezu folgerichtig, dass, eine Woche, nachdem Chantelle Celebrity Big Brother gewann, das Musikmagazin Smash Hits sein Ende bekanntgab.

Smash Hits entstand, als das Glam-Kontinuum gerade zu Ende ging. Das Magazin übernahm vom Punk den am wenigsten Nietzscheanischen Affekt, nämlich seine »Respektlosigkeit«. Bei Smash Hits schlug sich das in einer zwanghaften Trivialisierung nieder, verbunden mit der gutgelaunten Entmystifizierung des Starkultes. Hinter dem albernen Surrealismus von Smash Hits verbarg sich ein solider Common Sense sowie das widersprüchliche Begehren, seine Idole nicht nur besitzen, sondern auch töten zu wollen. Heat war der Nachfolger von Smash Hits und machte es überflüssig. Es brauchte keinen (Pop-) Vorwand mehr, nun konnte man sich einfach direkt mit Celebrities beschäftigen, ohne sich mit den peinlichen Träumen des Pop beschäftigen zu müssen. Chantelle ist die logische Schlussfolgerung dieses Prozesses: Anti-Pop und ein Anti-Idol.

Nietzsche ging davon aus, dass die Art von Nivellierung, für die Chantelle steht, unvermeidlich und notwendig zu jeder Form des Egalitarismus dazugehört. Die Popkultur war jedoch einmal der Bereich, in dem man sehen konnte, dass jeder echte Egalitarismus quer zu solcher Nivellierung steht. Über die Gothic-Kultur habe ich letztes Jahr [2005] geschrieben, dass es sich um eine »paradoxe egalitäre Aristokratie handelt, in der Mitgliedschaft nicht durch Geburt oder Schönheit garantiert wird, sondern durch die Dekoration des Selbst«. Ob wir von der Popkultur noch einmal lernen, dass Egalitarismus dem Willen zur Größe und einer bedingungslosen Forderung nach dem Ausgezeichneten nicht feindlich gegenübersteht, sondern auf ihnen beruht?

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