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Bemerkungen zu Cronenbergs eXistenZ 102

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»Kann das, was dich spielt, es bis zu Level 2 schaffen?«, fragte Nick Land in »Meltdown« (1994), seinem Text über Cybertheorie.103 Lands Vermutung, dass sich Subjektivität und Handlungsmacht im digitalen Zeitalter am besten über Computerspiele verstehen lassen, findet sich auch in David Cronenbergs eXistenZ (1999). Der Film spielt in einer nahen Zukunft, in der Spiele simulierte Umgebungen generieren können, die sich kaum mehr vom echten Leben unterscheiden lassen. Statt Computerblöcken oder Spielkonsolen benutzen die Spieler organische Konsolen, die über »Bioports« direkt mit dem Körper der Spieler verbunden sind.

Die Hauptfiguren sind Ted Pikul (Jude Law) und Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh). Am Anfang soll es so aussehen, als sei Pikul ein Anfänger, der widerwillig von Geller, der vermeintlichen Entwicklerin des Spiels namens eXistenZ, in die digitale Welt eingeführt wird. Die beiden finden sich in einer komplexen Intrige wieder: dem Kampf zweier rivalisierender Spielfirmen und dem Kampf verschiedener Spieler und »Freunden der Realität« untereinander – Realisten sind diejenigen, die glauben, dass das Spiel die Struktur der Wirklichkeit untergräbt. Dieses Untergraben der Wirklichkeit unternimmt der Film selbst und zwar durch etwas, das eine der Figuren als einen »Fall von völlig verrückter Osmose« beschreibt, bei dem die – sowieso kaum zu differenzierenden – Schichten der Realität miteinander verschmelzen und ununterscheidbar werden. Am Ende scheint es, als seien sowohl eXistenZ, das Spiel, und das, was wir für das echte Leben halten, Teil eines anderen Spiels namens tranCendenZ, doch inzwischen können wir uns über gar nichts mehr sicher sein. Der letzte Satz des Films lautet: »Sagt mir die Wahrheit, sind wir immer noch im Spiel?«

Als der Film herauskam, schien er wie ein spätes Beispiel für eine ganze Reihe von Themen und Tropen aus dem Cyberpunk-Genre der 1980er Jahre – Ideen, die Cro­nenberg mit Videodrome selbst mit vorangetrieben hat. In der Rückschau allerdings, kann man eXistenZ in einer kleine Kohorte von Filmen aus den späten 1990er und frühen 2000er Jahren verorten (gemeinsam mit Matrix und Vanilla Sky), an denen sich der Übergang vom »irrationalen Überschwang« (Alan Greenspan) der Wirtschaftsblase der 1990er in die Zeit des Krieg gegen den Terror im neuen Jahrtausend ablesen lässt. Am Ende von eXistenZ gibt es einen abrupten Stimmungswechsel, als ein militärischer Aufstand, mit schwerer Artillerie und Explosionen stattfindet. Mehrheitlich ist die Stimmung des Films jedoch eine alltägliche. Im Vergleich zur geradezu verschwenderischen CGI-Welt von The Matrix, mit dem der Film zumeist verglichen wurde, gibt es in eXis­tenZ kaum Spezialeffekte. Alles sieht gedämpft und auf resolute Art und Weise unspektakulär aus: Die dominierende Farbe ist Braun. Die Farbgebung wirkt wie eine Weigerung gegenüber dem Glanz, der unweigerlich die Artefakte der digitalen Kultur ziert.

Die tristen Forellenzuchten, Skihänge und umfunktionierten Kirchen verleihen der Welt (oder besser gesagt, den Welten) von eXistenZ eine alltägliche, gelebte Qualität. Präziser müsste man von einer Welt der Arbeit sprechen: Große Teile des Films spielen sich an Arbeitsplätzen ab – der Tankstelle, der Fabrik, der Werkstatt – und es ist diese Dimension des Films, die heute als prophetisch erscheint. Obwohl die Arbeit nie explizit diskutiert wird, bildet sie so etwas wie das Ambiente des Films, sie ist allgegenwärtig aber nicht artikuliert. Der Schlüssel zur Selbstreflexivität von eXistenZ ist die Beschäftigung des Films mit seinen eigenen Produktionsbedingungen (und den Produktionsbedingungen von Kultur überhaupt). Der Film liefert uns eine unheimliche Verdichtung, in der die »Vorderseite« der spätkapitalistischen Kultur – die hoch­modernen Unterhaltungssysteme – sich in die normalerweise unsichtbare »Rückseite« zurückfalten (die alltäglichen Fabriken, Labore und Fokusgrippen, in denen solche Systeme hergestellt werden). Der Lärm der kapitalis­tischen Semiotik, die Hektik aus Markensiegeln und -sig­nalen wird ineXistenZ stummgeschaltet. Anstatt das Hintergrundrauschen der Erfahrung zu bilden, was sie sowohl im Alltagsleben als auch in einem typischen Holly­woodfilm sind, tauchen Markennamen nur sehr selten in eXistenZ auf. Wo dies geschieht – meistens handelt es sich um Namen von Spielfirmen – springen sie einem ins Auge. Die generische Benennung des Raumes ist tatsächlich ein Running Gag des Films: eine Tankstelle auf dem Lande heißt einfach »Country Gas Sta­tion«, ein Motel heißt »Motel«. Das ist Teil der eigentümlichen Flachheit, der Tonlosigkeit, die den Film beherrscht.

Die Digitalisierung der Kultur, die heute selbstverständlich ist, steckte 1999 noch in ihren Kinderschuhen; bis zur Breitbandtechnologie sollte es noch ein paar Jahre dauern, ebenso der iPod, und auch über die digitale Kommunikation, die die Zeit nach dem Erscheinen des Films dominieren sollte, hat eXistenZ nicht viel zu sagen. Mobile Geräte spielen keine große Rolle – das leuchtende Telefon Pikuls wird von Geller aus dem Autofenster geworfen – und aufgrund seiner Längen, dem Verweilen in toter Zeit, ist der Film weit entfernt von den nervösen, aufmerksamkeitssuchenden Effekten der »Immer erreich­bar«-Mobiltechnik. Die eindrücklichsten Aspekte sind nicht die spezifische Form des Körperhorrors, der damals noch zur Signatur von Cronenberg gehörte – obwohl die Szenen, in denen die Figuren mit ihren organischen Spielkonsolen verbunden werden wie gewohnt gruselig sind. Ebenso wenig finden sie sich in der Ratlosigkeit der Charaktere, ob sie nun innerhalb der Simulation sind oder nicht – dieses Thema gab es schon in Videodrom oder auch Verhoevens Totale Erinnerung, die beide (der erste indirekt, der zweite explizit) von den Romanen Philip K. Dicks inspiriert waren. Am eindrücklichsten an eXistenZ ist stattdessen die Idee – die in vielerlei Hinsicht merkwürdiger und verstörender ist als die Frage, ob die Realität eine Fälschung ist –, dass Subjektivität eine Simulation sein könnte.

Dieses Thema entsteht zunächst aus der Konfrontation verschiedener anderer automatisierter (oder besser gesagt, teilweise automatisierter) Entitäten: Dinge, die autonom scheinen, aber in Wahrheit nur auf bestimmte Reize oder Handlungen reagieren und das Spiel damit vorwärtstreiben. In einer Szene sagt Pikul plötzlich: »Es geht Sie überhaupt nichts an, wer uns geschickt hat. Wir sind hier, nur das zählt.« Er erschreckt über seinen Ausruf, »Oh Gott, was ist passiert? Das wollte ich nicht sagen«. Geller erklärt: »Das hat ihre Figur gesagt. Das ist ein etwas schizophrenes Gefühl, nicht? Sie gewöhnen sich schon dran. Es gibt gewisse Dinge, die gesagt werden müssen, um die Handlung voranzutreiben und die Figuren festzulegen, und diese Dinge werden gesagt, ob Sie wollen oder nicht. Wehren Sie sich nicht, lassen Sie es geschehen.« Verbittert stellt Pikul später fest, dass es sinnlos ist, sich den »Impulsen« des Spiels zu widersetzen.

Diese Konzentration auf die Einschränkung des freien Willens ist ein Grund dafür, warum Cronenbergs Behauptung, bei dem Film handele es sich um »existenzia­lis­tische Propaganda« merkwürdig ist. Der Existenzialismus war jene Philosophie, die darauf basierte, dass die Menschen (was Sartre das »Für-sich-Sein« nennt) zur »Freiheit verurteilt« sind und dass jeder Versuch, sich dieser Verantwortung zu entziehen, unredlich ist. Es gibt eine absolute Differenz zwischen dem Für-sich« und dem »An-sich« – der leblosen Welt der Dinge, frei von Bewusstsein. Aber eXistenZ, wie überhaupt ein Großteil von Cronenbergs Werk, unterläuft und verwischt den Unterschied zwischen beiden: Maschinen sind auf einmal alles andere als leblos, genauso wie Menschen sich plötzlich wie passive Automaten benehmen. Wie schon in Videodrome lotet auch eXistenZ die gesamte Ambiguität der Idee des Spielers aus. Auf der einen Seite ist der Spieler derjenige, der die Kontrolle hat; auf der anderen Seite ist er derjenige, der gespielt wird, die passive, von äußeren Mächten gesteuerte Substanz. Zu Beginn scheint es, als seien Pikul und Geller im Zustand des Für-sich, insofern als sie Entscheidungen treffen können, wenngleich unter bestimmten Bedingungen (anders als in Matrix unterliegen sie den Regeln der Welt, in die sie geworfen werden). Doch die Figuren des Spiels sind im Status des An-sich. Wenn Pikul »Impulse« verspürt, dann ist er sowohl an-sich (ein passives Instrument, ein Sklave des Triebes) und für-sich (ein Bewusstsein, dass über diesen Automatismus erschrecken kann).

Um ermessen zu können, wie zeitgemäß eXistenZ ist, muss man das manifeste Thema von künstlichem und kontrolliertem Bewusstsein mit dem latenten, der Arbeit, verbinden. Denn was ist die Welt, in der die Figuren in Fugen und unfreiwilligen Verhaltensmustern gefangen sind und in denen quasi-automatisiertes Handeln von ihnen verlangt wird, anderes als die Welt des Call Centers, die Welt der Arbeit im 21. Jahrhundert, wo die unausgesprochene Bedingung der Anstellung darin besteht, die Subjektivität abzuschalten und zu einem bio-linguis­ti­schen Anhängsel zu regredieren, das gestanzte Phrasen wiederholen muss und alles andere als ein echtes Gespräch führt? Der Unterschied zwischen der »Interak­tion« mit einer Speicherplatte und nichts anderes als eine Speicherplatte zu sein, schrumpft auf den Unterschied, in einem Call Center anzurufen und in einem zu arbeiten.

In Das Sein und das Nichts benutzt Sartre bekanntlich das Bild eines Kellners: Jemand übertreibt die Rolle des Kellners dermaßen, dass er (für die Außenstehenden zumindest) seine Subjektivität völlig durchstreicht. Das Beispiel bezieht seine Kraft aus der Spannung zwischen dem Quasi-Automatismus im Verhalten des Kellners und der Gewissheit, dass hinter den mechanischen Ritualen der übertriebenen Darstellung sich ein Bewusstsein verbirgt, das von der Rolle, die gespielt wird, unterschieden ist. In eXistenZ hingegen wird uns die Möglichkeit vor Augen geführt, dass unser Handeln ständig von der »unflexiblen Steifheit einer Art Automat« unterbrochen werden kann. eXistenZ zwingt uns dazu, Sartres Beschreibung des Kellners noch einmal unter veränderten Bedingungen zu lesen, vor allem, weil in einer der schreck­lichs­ten Szenen, in denen jemand von außen gesteuert wird, ein Kellner auftritt. Pikul und Geller sitzen in einem Restaurant, als Pikul einen »Impuls« des Spiels verspürt:

»Pikul: Aber weißt du, ich fühle einen Drang, hier jemanden umzubringen.

Geller: Wen?

Pikul: Ich muss den chinesischen Kellner töten.

Geller: Oh. Das erscheint mir logisch. Kellner, Kellner!

[Sie ruft den Kellner]

Geller: Wenn er herkommt, tu es, ohne zu zögern!

Pikul: Aber … in diesem Spiel wirkt alles so realis­tisch, ich – in Wirklichkeit könnt’ ich das nicht.

Geller: Du wirst es nicht schaffen, dich davon abzuhalten, also koste es aus.

Pikul: Der freie Wille … zählt offensichtlich nicht besonders viel in dieser kleinen Welt hier.

Geller: Genau wie im richtigen Leben, du hast gerade so viel Freiheit, dass es interessant ist.«

»Du wirst dich nicht davon abhalten können, also koste es aus« – dieser Satz enthält den ganzen Fatalismus derer, die die Hoffnung aufgegeben haben, irgendeine Kontrolle über ihr Leben und ihre Arbeit haben zu können. In dieser Hinsicht ist eXistenZ keine »existenzialistische Propaganda«, sondern entschieden anti-existenzialistisch. Der freie Wille ist kein irreduzibles Faktum der menschlichen Existenz: Es ist lediglich die nicht vorherprogrammierte Sequenz, die notwendig ist, um das bereits geschriebene Narrativ zusammenzukleben. Laut eXistenZ haben wir in den wirklich wichtigen Dingen unseres Lebens keine Wahl: Wir können uns entscheiden, das An-sich zu akzeptieren und zu genießen oder es (vielleicht vergeblich) ablehnen. Dies ist eine Absage an all die Behauptungen der »Interaktivität«, die mit dem kommunikativen Kapitalismus in den zehn Jahren nach dem Erscheinen des Films einhergehen sollten.

Theoretiker aus der Tradition der Autonomia haben auf die Wende von der Fabrikarbeit zur sogenannten »kognitiven« Arbeit hingewiesen. Doch Arbeit kann affektiv und linguistisch sein, ohne dass sie kognitiv ist – wie ein Kellner kann auch der Arbeiter im Call Center eine Aufmerksamkeit aufbringen, ohne denken zu müssen. Für diese nicht-kognitiven Arbeiter ist Denken ein Privileg, das sie nicht besitzen.

Die gedämpfte Stimmung von eXistenZ antizipiert die Banalität des digitalen Zeitalters; es ist die Banalität einer digitalen, automatisierten Welt – menschenähnliche Stim­men, die Ankunft und Abfahrt am Bahnhof ansagen, Spracherkennungssoftware, die unsere Stimmen nicht er­kennt, Call-Center-Angestellte, denen ein mechanisch zu wiederholendes Skript eingebläut wird – und sie findet in eXistenZ einen prägnanten Ausdruck.

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