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Die Aufgabe

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Ich erachte die Schule als eine der größten kulturellen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte bislang. Ihr Erfolg lässt sich allein dadurch belegen, dass sie schnell alternativlos wurde – sowohl als Aufenthaltsort für Kinder, Jugendliche und Adoleszente als auch als Bildungsanstalt, als die sie – ursprünglich – von Staates wegen institutionalisiert worden ist. Hätte sich Schule als Institution nicht über die Jahrhunderte hinweg bewährt, ich bin überzeugt, es gäbe längst andere Optionen.

Tatsächlich nimmt die Wichtigkeit der Schule in jüngster Zeit rasant und auf eine Art und Weise zu, die ich für problematisch halte. In seinem quellenreichen Text Für die Schule lernen wir (2013) zeigt Roland Reichenbach auf, wie sehr sich allein der Zeitaufwand für die Schule im vergangenen Jahrhundert und bis heute gesteigert hat. Für einige Länder Europas lässt sich von einer allgemeinen Hochschulpflicht sprechen (das trifft dann zu, wenn über 75 Prozent einer Generation eine Hochschule absolvieren). Das heißt nichts anderes, als dass in gewissen Ländern immer mehr junge Menschen bereits zwanzig und mehr Jahre an Schulen verbringen – und die Tendenz ist ungebrochen. Die Entwicklung als solche erscheint mir besorgniserregend, doch ist sie nicht Hauptgegenstand dieses Buches. Woran es aber festzuhalten gilt: Auch für die kommenden jungen Generationen dürfte Schule weiterhin unverzichtbar sein und der wichtigste Ort bleiben.

Wenn es im Folgenden darum geht, die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern im heutigen Umfeld zu beschreiben, dann sind jene Pädagoginnen und Pädagogen gemeint, die an einer Schule Kinder, Jugendliche oder Adoleszente unterrichten, und also nicht Gelegenheits-, Nachhilfe- oder Hauslehrer und auch nicht Abendschullehrerinnen. Ich nehme diese Einschränkung vor, weil die Schwierigkeiten, die ich darlegen möchte, zur Hauptsache mit der Aufgabe zusammenhängt, die an öffentlichen Schulen zu meistern ist.

Wie stellt sich das Erfolgsmodell Schule dar? – Die meisten Räume sind Unterrichtszimmer, das bedeutet, in ihnen unterrichtet jemand, das ist die Lehrerin. Man sollte mit Synonymen sparsam sein, in gewissem Sinn ist sie die Vorsteherin des Zimmers – in jedem Fall aber ist sie die Chefin. Denn sie vertritt die Lehre, die in ihrem Zimmer unterrichtet wird, sie steht für diese Lehre ein, entsprechend ist ihr Fach in der Stundentafel vermerkt. Die Lehrperson verfügt über einen Vorsprung an Wissen, aber auch an Methoden, die mit der Vermittlung der Lehre einhergehen. Ohne ihr Wohlwollen geht genau genommen nichts, und das meint nur am Rand die Zensuren, die sie verteilt. Alle Versuche, ältere und neuere, an der Asymmetrie zwischen Lehrern und Lernenden zu rütteln, verkennen den Kern der gegebenen Situation (und das gilt selbstredend auch für Phasen, in denen sich die Lehrperson vermeintlich auf Augenhöhe mit den Schülerinnen und Schülern stellt).

Das Unterrichtszimmer ist nicht die Welt, sondern ein spezifischer Teil davon, nicht die Wirklichkeit draußen, ansonsten wäre es kein eigener Ort und nicht durch eine Tür von anderen Räumen getrennt. Es ist diese Abgeschlossenheit auf Zeit, die Unterricht erst möglich macht. Ohne diese Gegebenheit wird die Idee der Propädeutik zu einem flüchtigen Inhalt ohne Gefäß. In Konrad Paul Liessmanns Streitschrift Geisterstunde (2014) wird diese Einsicht in einen aktuellen Kontext gestellt: «In einer sich – angeblich – rasch verändernden Gesellschaft benötigen Bildungssysteme Entschleunigung, nicht Hektik, Besonnenheit, nicht Tempo, Stabilität, nicht permanenten Wandel, Sicherheit, nicht medialen und politischen Dauerbeschuss.»

Schulzimmer weisen unter sich – zumindest in der westlichen Welt – eine erstaunliche Ähnlichkeit auf: Sie bieten Platz für 25 bis 35 Schülerinnen und Schüler. In solchen Räumen werden also Klassen (Abteilungen, Kurse) unterrichtet. Je höher die Schule, desto homogener die Klassen, denn Schulen unterliegen dem Leistungsprinzip. Schülerinnen und Schüler werden aufgrund erbrachter Leistungen promoviert, es findet eine Selektion statt.

Dieses Setting ist über Jahrhunderte zu dem geworden, was es heute ist. Zwar werden einzelne Aspekte eines Schulsystems immer wieder hinterfragt, offen kritisiert, zuweilen entsprechend justiert oder modifiziert, doch fraglos ist die Institution Schule das stabilste System einer jeden Gesellschaft. Wirtschaftskrisen oder auch Kriege können der Schule in der Regel nicht viel anhaben. Bricht in einem Staat das Schulsystem zusammen, befindet sich dieser Staat unmittelbar vor der Auflösung. Andersherum: Schule ist der Stabilitätsfaktor einer Gesellschaft, in keinem anderen System findet sich heute auch nur eine ähnliche Kontinuität.

Die Gesellschaft ist seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts merklich in Bewegung. Hielt die Generation heutiger Großeltern noch den Wahlspruch «Trautes Heim, Glück allein» hoch, so ist insbesondere die Familie mittlerweile kein fixes Arrangement mehr. Die Zeiten, in denen der Vater ein Leben lang und nahe dem Wohnort derselben Arbeit nachging, währenddem die Mutter zu den Kindern schaute, den Haushalt besorgte, sind wohl endgültig vorbei. Im einen Haus kommt es zur Scheidung, im andern entsteht eine neue Patchwork-Familie. Die Karriere des Kindes beginnt im Kinderhort, oft, bevor es um sich selber weiß, führt über Kitas und Kindergärten in die Schule. Kommt das Kind nach Hause, trifft es nicht selten niemanden an. Infolgedessen ist die Schule für viele junge Menschen der vertrautere, mitunter der sicherere Ort.

Und dennoch: Weder die Verpflichtungen noch die Verantwortung von Menschen, die Kinder in die Welt setzen, sind im 21. Jahrhundert kleiner geworden. Die Schule kann (oder soll) das Zuhause nicht ersetzen, die lehrende Funktion der Eltern lässt sich nicht delegieren: «Der Beginn des wechselseitigen Zeigens ist die Menschwerdung im engeren Sinne. Der Mensch ist das zeigende Tier. Er macht seinen Nachkommen nicht nur vor, was die dann nachmachen. Sondern er hebt Sachverhalte hervor, die er dann mit ihnen teilt. Zeigendes Hervorheben ist Lehren. Das zeigende Tier ist auch das lehrende Tier, und die ersten Lehrer sind Mütter und ihre Trabanten» (Türcke).

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