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Lehren

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Eine Lehrerin muss Vorbild sein – sowohl für das, was sie ist, als auch für das, was sie vertritt, wofür sie einsteht. Ohne diese Selbstverständlichkeit verdient sie keine Aufmerksamkeit. Wer nicht der Überzeugung ist, als Vorbild dienen zu können, taugt nicht als Lehrperson. Sie oder er stünde permanent neben den Schuhen, suchte das Heil in wechselnden Rollen im steten Versuch, den Anschein einer Lehrkraft zu wahren. Das ist nicht nur kräfteraubend, daraus entsteht auch kein fruchtbarer Unterricht. Im besten Fall schauen beachtliche Einzelvorstellungen heraus, nie aber ein organisches Ganzes.

Der Umkehrschluss, Lehrerinnen und Lehrer dürften keine Rollen spielen, ist freilich falsch. Tatsächlich verfügen Lehrkräfte über ein beeindruckendes Repertoire an Rollen; es gehört zum Rüstzeug einer jeden Pädagogik. «Lehren stellt eine spezifisch absichtsvolle Form der Ansprache in sozialer Kommunikation und Interaktion dar», schreibt Andreas Gruschka. Das Planerische hat freilich seine Tücken, denn schon junge Menschen entwickeln schnell ein Gespür dafür, wenn links und rechts Leitplanken aufgestellt werden, wenn der eingeschlagene Weg keine Abzweigungen mehr bietet. «Gelungene pädagogische Arrangements zeichnen sich durch ein Paradox aus: die Absichtslosigkeit», hält Reinhard Kahl fest, und er stellt die rhetorische Frage: «Ist vielleicht ein Übermaß an Absicht die Erbsünde der Pädagogen?»

Vorbild sein zu wollen, lässt sich nicht lernen. Es handelt sich um eine Voraussetzung, die jede Lehrperson mitbringen muss, ein Charakterzug, der freilich ambivalent ist, ohne den entsprechenden Willen jedoch sollte sich niemand freiwillig vor eine Klasse stellen. Es geht um Glaubwürdigkeit, ohne die nie ein Vertrauensverhältnis entstehen kann: Fühle ich mich als Lehrer in einem Unterrichtsraum nicht wohl, kann ich nicht unterrichten. Ich muss mich darstellen und der Situation aussetzen wollen, selbst wenn dies, mein Tun, nur immer dem Stand meiner jüngsten Irrtümer entspricht. Ohne ein hohes Sendungsbewusstsein keine Lehre.

Unterrichten meint auch immer Verschwenden und hat mit Verwalten nur dann etwas zu tun, wenn es darum geht, Störfaktoren zu bekämpfen, die dem Lehren und Lernen abträglich sind. Unterrichten ist also im Grundsatz ein Geben. Das Einstehen für die Sache ist ein Stehen für sich. Ist das zu Vermittelnde nicht Herzenssache, ist es niemandes Sache: Bilden Lehrer und Stoff keine Einheit, zerfällt beides – anders gesagt: Es besteht kein Interesse mehr, übrig bleibt eine Marionette, die irgendwem etwas vorgaukelt. Eine Marionette aber ist als Vorbild untauglich, ein Irgendetwas bleibt immer unverbindlich.

Mangelt es in der Klasse an Aufmerksamkeit, so liegt das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur an den Schülerinnen und Schülern. Unterrichten ist Unterhalten, also das Publikum in Bann ziehen.

Den Schülerinnen und Schülern geht es zunächst allerdings nie um alles (warum sollte es das?), doch sind sie (fast) immer bereit, sich verführen zu lassen. Demut dürfte den Lehrkräften kein schlechter Ratgeber sein: «(…) man kann auch zu der Einsicht kommen, dass der Charme der Pädagogik gerade darin liegt, jenseits der Resignation und Klage über einen ‹unmöglichen Beruf› (Freud) die Aktstruktur der Vermittlung als das Moment der Freiheit wie der Herausforderung zu sehen» (Gruschka).

Die Aufgabe (E-Book)

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