Читать книгу Hände hoch! Unterhalt! - Markus Jacobs - Страница 7
Verborgene Signale auf Frauen-Art
ОглавлениеMein Problem begann irgendwann im Frühjahr 2001. Der Urlaub war standesgemäß. Zwei Wochen im 5-Sterne-Hotel irgendwo bei Side an der türkischen Rivera. Meine Frau, die aufgrund unserer zwei Kinder nicht mehr arbeiten ging, sehnte sich nach ihrem wohlverdienten Urlaub und nach Erholung.
Zwei Kinder, das war unser Traum damals. Und es waren zwei hübsche Kinder wie aus dem Bilderbuch. Max, 4 Jahre und Tim, 6 Jahre alt. Uschi und ich waren ein durchaus ansehnliches Paar. Alles in allem: eine nette Familie - könnte man meinen. Meine bessere Hälfte, eine gelernte Bürokauffrau, hatte nach ihrer Ausbildung eine Stelle in der Firma ihres Vaters angenommen. Sie, das Einzelkind, war für die gesamte Abwicklung der Karl-Heinz König GmbH zuständig. Die Firma befand sich im Hause ihrer Eltern und so waren die drei tagtäglich zusammen. Familienpatriarch Karl-Heinz hatte somit seine beiden Damen voll im Blick. Er hatte sie sogar bestens im Griff. Vor unserer Hochzeit bestand er darauf, dass seine kleine Prinzessin „Uschi“ den Namen König beibehält, damit dieser nicht ausstirbt. Mit der Geburt unseres zweiten Kindes wollte Uschi sich voll und ganz unseren Kindern widmen. Aus diesem Grund gab sie den Job - in Papas Firma - zum Wohle der Kinder - nach mehr als acht Jahren auf.
Im Vorfeld zu unserem Urlaub hatte es schon kleinere Unstimmigkeiten zwischen Uschi und mir gegeben. Die Kinder waren wieder so stressig und irgendwie musste sich die schlechte Stimmung an einer Person entladen. Im Nachhinein betrachtet, war ich der Blitzableiter für das aufziehende Gewitter.
Als Handelsreisender war ich naturgemäß viel unterwegs. Auswärtige Übernachtungen versuchte ich aus familiären Gründen zu vermeiden und fuhr oft noch spät abends nach Hause. So kamen jedes Jahr bis zu 80.000 Kilometer zusammen und meine Arbeitstage hatten deutlich mehr als acht Stunden. 12 – 14 Stunden kamen der Realität schon näher.
Uschis Freundinnen hatten gerade von A bis Z schwere Ehekrisen. Hier ging die Freundin fremd, dort der Mann. Unsere Bekannten, die Krauses, hatten sich vor ein paar Wochen getrennt. Eine junge Familie wie wir, zwei Kinder - zwei Jungs im Alter von Tim und Max. Seit der Trennung hatte die Familie Krause große finanzielle Probleme, besser gesagt: der Mann. Von heute auf morgen war für Herrn Krause Existenzminimum angesagt. Frau Krause hingegen kam prima zurecht: Unterhalt, Kindergeld, ja sogar eigenes Einkommen sorgten für ein gutes Auskommen. Herr Krause aber wusste kaum, wie er seine kleine Wohnung inkl. Strom und Wasser finanzieren, und von dem, was ihm blieb, seinen Weg zur Arbeit bestreiten sollte. Keine tollen Aussichten für jemanden, der kurz zuvor neue Möbel für die gemeinsame Wohnung gekauft hatte. Nun durfte er Unterhalt zahlen, aus der Wohnung ausziehen und die Kosten für den Möbelkredit hatte er noch zusätzlich an den Hacken. Seine Frau, eine der besten Freundinnen meiner Uschi, hatte sofort einen Riegel vor das Besuchsrecht geschoben und ihrem Mann den Umgang mit den gemeinsamen Kindern verwehrt. Ich fand das alles schrecklich und so absurd, dass ich mir so etwas für mich gar nicht vorstellen wollte.
Ich musste schon etwas schmunzeln, als ich hörte, dass der gute Herr Krause, der seine Kinder nicht sehen durfte, sich aus lauter Verzweiflung zu Ostern in ein Hasenkostüm zwängte, um im Garten seiner Ex Ostereier zu verstecken. Es schien ihm der einzige Weg, seinen beiden kleinen Kindern etwas näher zu kommen. Den ganzen Vormittag verbrachte er in einem geliehenen Auto, um auf den Osterspaziergang seiner ehemaligen Familie zu warten - der Familie, der er jetzt nicht mehr angehörte. Als diese im nahegelegenen Wald ihren Osterspaziergang machte, fuhr er mit dem PKW hinterher, um sich im Wald als Osterhase zu verstecken. Dort huschte dieser Riesenosterhase dann durchs Gestrüpp und passte seine Kinder ab. Die zwei waren hellauf begeistert, als sie den Osterhasen im Wald erblickten. Wortlos übergab der überdimensionierte Hase die Geschenke an die beiden Kids. Ebenso wortlos, wie Meister Lampe die Gaben an die Kinder überreicht hatte, verschwand er wieder im Unterholz und fuhr unerkannt mit dem Auto davon. Wie viele Tränen das Osterhasenkostüm füllten, wollte ich gar nicht wissen.
Die Krauses waren kein Einzelfall. Trennungen gab es reichlich in unserem Bekanntenkreis und damit auch ausreichend Gesprächsstoff zwischen Uschi und mir während unseres Urlaubs. Max und Tim hingegen waren in bester Ferienstimmung. Für die beiden war das Leben eine Wundertüte, aus der jeden Moment etwas Neues und Spannendes hervorkommt. Sie dachten nicht an die Probleme, die Erwachsene haben könnten und waren schon gar nicht in der Lage sich vorzustellen, dass Mama und Papa sich eines Tages nicht mehr lieb haben würden.
Bislang hatten die beiden ein tolles und glückliches Leben, für Kinder in diesem zarten Alter, natürlich mit den täglichen kleinen Alltagsproblemen, die da heißen: Aufräumen, Zähne putzen bevor „Karius und Baktus“ kommen, viel zu wenig Fernsehen gucken und immer viel zu früh zu Bett gehen.
Wir hatten ein nettes Urlaubshotel, „Mann“ will seiner lieben Frau ja schließlich etwas gönnen. Und was noch viel wichtiger ist: „Mann“ will ein gutes und ruhiges Gewissen haben, natürlich auch die Anerkennung der Ehefrau für seinen stressigen Job bekommen, etwas Dankbarkeit und Bestätigung, weil „Mann“ das alles möglich macht: “Ja, du bist ein guter Ehemann, der sich um seine Frau und Kinder kümmert und ihnen viel bietet.“ So einen Satz wünscht „Mann“ sich. Schließlich musste ich die ganze Familie alleine ernähren. Uschi hatte ja bereits vier Jahre zuvor die Stelle bei ihrem Papa – zum Wohle der Kinder - gekündigt. Sie war unglaublich ehrgeizig, wollte unbedingt zwei Jungs, die auch nach außen eine gute Figur abzugeben hatten. Doch bei zwei kleinen Chaoten in diesem Alter ist Benehmen oft von der Tagesform abhängig, auch bei unseren Kindern war das nicht anders. Nein, falsch, es waren und sind Uschis Kinder. Denn wenn es um Kindererziehung geht, macht der „Mann“ in den Augen der Frau oftmals sehr viel falsch. „Da hat der Papa wieder das gemacht, da hat der Papa wieder das gesagt, da wurde das Kind nicht alle 30 Minuten eingecremt und überhaupt, wie kann man nur den ganzen Tag mit den Kindern spielen, die sind doch später total aufgedreht und können nicht schlafen. Die Kinder dürfen keine Wasserpistolen haben, denn mit Waffen spielt man nicht. Am besten machen die Kinder das, was Mama für richtig hält.“
Aus Uschis Sicht machte ich immer dann alles richtig, wenn ich haargenau das machte, was sie für sinnvoll hielt. Eigentlich alles ganz einfach! Wenn ich aber die gleichen Fehler wie Uschi beging, fand ich mich schnell in endlosen Diskussionen wieder. Es war wie verhext, ich konnte machen, was ich wollte. Das war genau wie beim Autofahren: „Schatzi, du musst da links abbiegen!“ Uschi zeigte dabei regelmäßig nach rechts. Und wenn Uschi sprach: “Schatzi, rechts abbiegen“, zeigte sie nach links. Das hatte ich mittlerweile voll drauf. Zur Sicherheit fragte ich noch einmal nach: “Du meinst sicher das andere links“ - „Ja, da links!“ Also die Hand nach rechts gerichtet, war bei Uschi links.
Bei manchen Gesprächen und Diskussionen zwischen Uschi und mir dachte ich, was will sie mir denn nun wieder sagen? Ich konnte ihrer Wechsellogik nicht immer so schnell folgen, wie die Logik wechselte, zumindest war ich stets bemüht, ihren Gedankensprüngen zu folgen.
„Tja“, sprudelte es oft genug aus ihr heraus: „Wenn du arbeitest, bekommst du das natürlich nicht mit. Du hast es gut. Du bist den ganzen Tag weg. Und wenn du nach Hause kommst, siehst du die Kinder höchstens eine Stunde, dann ist Bettzeit und von meinem Stress kriegst du nichts mit. Du kommst doch erst immer um 19 oder 20 Uhr von der Arbeit. Und morgens die Kinder in den Kindergarten zu bringen, das ist wohl das Mindeste, was du als Vater ab und zu tun kannst.“ „Was willst du mir damit eigentlich sagen?“ „Ganz einfach: Ich habe einen Mann, der nie zu Hause ist. Du schaffst es ja noch nicht mal, die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen.“ Mir ging des Öfteren durch den Kopf, dass es eine unglaublich geschickte Eigenschaft von Frauen war den eigenen Männern ein schlechtes Gewissen einzureden. Und wir Männer ziehen dann oft den Kopf ein und geben tatsächlich nach. Warum eigentlich? Wollen wir einfach unsere Ruhe haben und bloß kein Theater mit der Dame unseres Herzens riskieren? Wir geben also nach und vertreten noch nicht einmal unseren Standpunkt, um den Familienfrieden nicht zu gefährden. Hatten unsere Mütter uns nicht beigebracht, Frauen mit Respekt zu behandeln? Kam uns nicht von allen Seiten und Medien die unterdrückte Frau entgegen?
Da gab es doch diese Frau Schw.. die alle Männer verteufelte, weil sie die Frauen permanent unterdrücken und nicht schätzen würden.
Was waren wir doch früher für coole Typen, wenn uns da ein Mädel etwas erzählen wollte, da haben wir noch Kontra gegeben. Da hatten wir keine Angst unseren Standpunkt zu vertreten. Da haben wir nicht an irgendwelche Konsequenzen gedacht und waren noch Helden – zumindest in unseren Augen. Wir waren aber auch noch nicht verheiratet, hatten keine Verantwortung für Frau und Kinder und waren frei von solchen Diskussionen. Als Mann denkt man, man sei der Kopf der Familie und eine kluge Frau lässt dem Mann auch gerne das Gefühl, dass es so ist. Sie will nicht unbedingt der Kopf der Familie sein, sie ist viel lieber der Hals, der den Kopf in die richtige Richtung lenkt. Fast unbemerkt, wird einem so Stück für Stück das Selbstbewusstsein abgeknabbert. Irgendwann stellt „Mann“ fest: Was ist eigentlich noch übrig von dem netten Kerl, von dem coolen Typen, der ich mal war? „Früher wilde Worte, heute Blumen und Torte.“ Gut, ich habe jetzt Familie, da geht das nicht mehr, da sind die Kinder und eine Ehefrau, da musst du dich als Mann einordnen.
Nein, es ist kein Einordnen, es ist eher ein Anstellen, und zwar nicht vorne, sondern hinten. Aber ganz hinten. Nicht alle Frauen sehen uns unbedingt als das, was wir gerne hätten. Wir sind nicht der Held oder gar der Prinz aus dem Märchenstreifen. Und die Damen bewundern uns auch nicht unbedingt, sondern sie sehen uns teilweise als ihr Eigentum oder ihre Partnerversicherung an. Als den Typen, der dafür zu sorgen hat, dass der ganze Laden läuft. Wir sind also eher der Motor, der zu laufen hat, am besten ohne Sprit und ohne Öl. Wir sind in den Augen mancher Frauen eher so ein Daueraggregat, welches funktionieren soll. Am liebsten ständig verfüg- und einsetzbar. Schade, dass man das gute Stück nicht auf Knopfdruck in den Schrank verfrachten kann und nur dann rausholt, wenn es genehm ist.
Die Urlaubsdiskussionen mit Uschi gingen unterdessen weiter. Ich fragte sie: „Was machst du eigentlich in der Zeit von 8:00 bis 16:00 Uhr?“ „Denkst du etwa, ich habe keine Bedürfnisse! Ich treffe mich mit den anderen Müttern, deren Kinder auch bis 16:00 Uhr im Kindergarten sind, und wir besprechen den Tagesablauf.“ „Tagesablauf?“ erwiderte ich. „...den der Kinder“, kam wie aus der Pistole geschossen „wenn die aus dem Kindergarten kommen. Außerdem muss ich das Haus versorgen und die Wäsche waschen.“ „Wäsche waschen? Das macht doch unsere Maschine und einen Trockner haben wir auch, einen Wäschekeller ebenfalls und deine Mutter ist auch noch jeden Tag bei uns und hilft dir ungefragt im Haushalt.“ Oh man - die Schwiegermutter hatte ich nach dem Motto „heute zwei zum Preis von einer“ gleich mitgeheiratet. „Ja natürlich, wie soll ich das denn alles schaffen? Ein Haus, zwei Kinder – das ist mir alles zu viel.“
Ich dachte nur, es sollten zwei Kinder sein, ein eigenes Haus und meine Uschi wollte unbedingt Vollzeitmutter sein. Jetzt, wo ich mir jeden Tag den Hintern aufreiße, um den ganzen Spaß zu bezahlen, stellt Uschi fest, dass ihre Rolle sie nicht ausfüllt und sie gleichzeitig überfordert ist?
Naja, wieder eine dieser Phasen des Nörgelns, morgen wird das bestimmt vorbei sein. Morgen geht die Sonne wieder auf - schließlich sind wir im Urlaub und lassen es uns gut gehen. Die Sonne, das Meer, die schöne Hotelanlage werden meine Frau schon in bessere Stimmung versetzen. Dachte ich mir!
Die Kinder hatten jedenfalls ihren Spaß, sie fanden schnell Urlaubsfreunde und waren lebhaft wie immer. Wir hatten ein großes Appartement mit zwei Schlafzimmern. Der Kleine schlief bei seinem Papi, die Mutter mit dem Großen im Zimmer nebenan, weil die Kinder es so wollten. Außerdem wurde Max immer gegen 6:00 Uhr wach, und das war viel zu früh für unsere Chefin, denn mit dem zeitigen Aufstehen stand meine Herzdame auf dem Kriegsfuß. Ich war morgens quasi alleinerziehender Vater. Da ich morgens zu Hause in meinem „Homeoffice“ arbeiten konnte, war es natürlich ein Segen für uns, dass ich oft keinen Anfahrtsweg zu meiner Arbeitsstelle auf mich nehmen musste. So blieb mir zumindest morgens etwas Zeit für die Familie. Die Kinder habe ich fast jeden Morgen in den Kindergarten gebracht. Ich habe sie geweckt, angezogen und versorgt. Eigentlich keine so schlechte Rolle, die Uschi im Gegensatz zu mir hatte. Das sah sie natürlich ganz anders. Schließlich sind Frauen das schwache Geschlecht und die Medien suggerieren es uns ständig: die armen Frauen und die verständnislosen Männer.
Schon sind wir wieder in den klassischen Rollen. Das sind die Momente im Leben, da ist dein Rückgrat so stabil wie das eines Gummibärchens. Aber egal - wir machen das schon, so dachte zumindest ich an manchen Tagen. Vor allem aber, wenn solche Themen wieder einmal auf dem Programm standen.
Der nächste Urlaubstag begann früh. Max war wie üblich kurz nach 6:00 Uhr hellwach und wollte schon mal die Lage checken. Uschi und Tim, der nach diesem Urlaub eingeschult werden sollte, schliefen im anderen Zimmer noch tief und fest. Max weckte mich morgens immer mit einem lauten: „Paaaapaaaa, bist du schon wach? Paaaapaaaa, bist du schon wach? Paaaapaaaa, steh doch mal auf! Papa, jetzt steh aber auf!!!“ Ich nahm Max dann immer schnell unter meine Bettdecke und versuchte noch ein paar Minuten rauszuschinden - aber er war ein lebender Wecker - keine Chance dem Weckruf zu entkommen.
Dieses „Paaaapaaaa“ war schon sehr ausgeprägt und brachte mich immer wieder um meinen Schlaf.
Max war ein Wirbelwind der besten Sorte. Er kannte keine Gefahren und keine Angst. So hatte er sich auch schon die eine oder andere Beule in seinem jungen Leben zugezogen. Natürlich mit großem Geheule, was aber nach ein paar Minuten vergessen war. Schließlich hatte Max „der Entdecker“ noch einiges zu erkunden und die neuen Herausforderungen duldeten keinen Aufschub. Also, raus aus den Federn, Sachen an und so zogen wir bei Sonnenaufgang durch die Hotelanlage. Jetzt kamen uns auch die ersten Ordnungshüter der Pool-Liegen entgegen. Ab 7:00 Uhr waren alle Liegen mit Reservierungshandtüchern belegt - aber kein Mensch war weit und breit zu sehen. Ordnung muss sein, dachte ich mir. Meistens waren die „Reservierer“ ausgerechnet die Urlauber, die erst gegen Abend von einem Ausflug zurückkehrten. Ich habe dann einfach ein paar Handtücher genommen, auf einen Haufen geworfen und mir so zumindest zwei Plätze für Uschi und mich gesichert. So erledigte ich meinen Job im Sinne des Familienoberhauptes. Es wurde zwar als territorialer Angriff der ehemaligen Handtuchbesetzer gesehen und sorgte für kurze Aufregung, die ich mit den Worten unterbrach: „Tut mir wirklich leid, als wir hier um 12:00 Uhr die Liege eingenommen haben, war kein Handtuch zu sehen. Ich wünsche ihnen einen erholsamen Urlaub.“
Die Kinder vergnügten sich im Miniclub oder am Pool, sodass sich zumindest Papa auf seiner eroberten Liege entspannen konnte. Uschi dagegen reagierte bei jeder Kleinigkeit gereizt und schien ein wenig neben der Spur zu laufen. Sie war zwar anwesend, doch gedanklich war sie irgendwie weit weg. Sie wollte unbedingt in die Stadt, hier mal gucken, dort mal shoppen, einfach mal bummeln gehen. So wurde die Familie kurzerhand aufgepimpt und fand sich im Nullkommanichts am belebten Marktplatz mit zahlreichen orientalischen Geschäften wieder. Die heimischen Händler begrüßten uns freundlich, zuvorkommend, aber auch umsatzhungrig. Schließlich konnten sie an unserer Hauttönung erkennen, dass wir „Bleichgesichter“ zum Frischfleisch zählten und wahrscheinlich noch keine Ahnung von der heimischen Verkaufsstrategie und den aktuellen Tagespreisen hatten.
„Heute gut Preis, morgen alles teurer“, riefen uns die Händler zu. Während ich, mit Tim und Max an den Händen, orientierungslos auf dem Marktplatz stand, war Uschi urplötzlich zwischen den zahlreichen Geschäften und Marktständen verschwunden. Sie war ganz einfach weg. Meine arme Frau, dachte ich, ist womöglich einer Entführung zum Opfer gefallen. Ungläubig schaute und lief ich mit meinen beiden Männern über den Bazar, um ein Lebenszeichen von unserer Chefin zu vernehmen. Nach etlichen sorgenvollen Minuten sprang plötzlich ein mit Gold behangener und vor Freude strahlender Weihnachtsbaum aus einem der Geschäfte heraus und schrie voller Freude: „Schaaatzi, schau mal was ich mir ausgesucht habe. Schaaatzi, komm bitte mal. Schaaatzi, das musst du sehen.“ Mit offenem Mund und wie vom Blitz getroffen stand ich mit Max und Tim auf dem Marktplatz und schaute ungläubig, auf das, was uns da entgegenkam. „Nein, das hat sie nicht alles gekauft, das träume ich jetzt nur. Bitte lieber Gott, mach die Bilder in meinem Kopf weg. Ich will das nicht sehen.“ Das ging mir durch den Kopf, als Uschi auf uns zukam. Meine Hoffnung erfüllte sich nicht, denn nun holte meine Herzdame zum Finale aus: „Ach Schatz, ich habe mein Geld vergessen, kannst du das übernehmen?“ Ich stand immer noch da mit den Kids und heruntergeklappter Kinnlade. Ich nahm Tim seine Wasserflasche aus den Händen und stammelte: „Tim, Papa braucht ganz schnell etwas zu trinken, bevor mir die Spucke wegbleibt.“ Ich genehmigte mir einen beherzten Schluck, gab Tim die halbleere Flasche zurück und fragte mein Herzblatt: „Was, von diesem Lametta, willst du dir denn kaufen?“ „Bitte?“ kam mir entgegen, „alles, das alles - ich habe mir das alles selber ausgesucht. Und, Schatzi, guck mal hier und da - und die Lederjacke, die machen mir die Jacke sogar noch auf Maß. Ich hab doch nichts im Schrank und ich muss mir ja auch mal wieder etwas kaufen, es ist doch hier viel günstiger als bei uns. Schaaatzi, bitte, bitte, bitte.“ Da stehst du nun, bei brütender Mittagshitze irgendwo in der Türkei, die Kinder an der Hand, die türkischen Familien der Gold-, Silber- und Lederjackenhändler um dich herum und immer dieses „Schatzi, Schatzi“. Dazu noch klimper, klimper mit den Augen und in Bruchteilen von Sekunden wird aus einer gerade noch zutiefst gefrusteten Ehefrau ein handzahmes, schmusendes Lamm. Eigentlich denkt man: „Sag mal, hast du den Verstand verloren? Was soll der Blödsinn und wo soll das alles hin? Du hast nur zehn Finger, zwei Handgelenke, einen Hals und der Schrank zu Hause ist rappelvoll. Der Schrank ist bestimmt 6 Meter lang – ok. die eine Ecke gehörte mir, das muss ich zugeben. Da sind meine Sachen verstaut, meine Hosen, Hemden und Pullis. Aber die restlichen 5,30 Meter vom Schrank wurden mir Stück für Stück enteignet, nur diese kleine Ecke wurde mir als mein persönliches Existenzminimum zugestanden. Als wir zusammenzogen - und noch nicht verheiratet waren - lag mein Schrankanteil bei etwa 50 Prozent, 12 Jahre später waren es noch knapp 15 Prozent. Man gibt ja gerne nach, wenn es zum Wohle der Familie und des Friedens ist. Der Frau soll es selbstverständlich gut gehen und wir sind doch der wirklich starke Teil dieser Familie. Ohne uns würde es das alles gar nicht geben, da muss man der armen, stressgeplagten Ehefrau auch mal etwas gönnen. Immerhin waren wir jetzt sieben Jahre verheiratet und fast 12 Jahre zusammen. Dazu noch dieses ständig schlechte Gewissen, da diskutieren wir besser nicht, nein - wir kaufen den ganzen Kram, weil wir uns den Urlaub nicht verderben wollen.
Mit vollen Taschen und um einiges ärmer, drängte ich darauf, den gesicherten Rückzug anzutreten. „Danke, nett von dir, Schatzi, aber die Sachen, die habe ich wirklich dringend gebraucht.“
Zum Vergleich: Wenn ich mir eine Carrerabahn für ein paar hundert Euro oder ein Trikot von meiner Fußballmannschaft oder sonst etwas für fünfzig oder hundert Euro gekauft hätte, da wäre aber ein halber Tag Diskussion inklusive Familienrat mit Schwiegermutter König angesagt gewesen. Man hätte mich für verrückt erklärt und mir Verschwendung wichtiger Gelder vorgeworfen - mit dem Hinweis: „Was willste denn damit, ist doch totaler Blödsinn“. Das ist der kleine, aber feine Unterschied zwischen Mann und Frau. Dass genau diese Ansichten und Größenordnungen später ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens werden sollten, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.
Wer hat schon Lust, im Urlaub und mit zwei Kindern an der Hand stundenlang shoppen zu gehen? Die Kinder wollten zu ihren Urlaubsfreunden in den Miniclub und ich viel lieber am Pool entspannen.
Alles in allem war der Urlaub dennoch ein Erfolg. Vor allem deshalb, weil die Kinder glücklich waren. Allerdings: Im Nachhinein betrachtet, war das Verhältnis zwischen Uschi und mir schon etwas merkwürdig. Ich war damals der Meinung, dass Uschi ihre Eltern vermisste. Denn die waren bisher in schöner Regelmäßigkeit mit uns gemeinsam in den Urlaub gefahren. Hinzu kamen noch die ganzen Trennungs- und Scheidungsgeschichten in unserem Bekanntenkreis, wo sich verzweifelt um Kohle und um Kinder gestritten wurde. Uschi verbrachte viel Zeit damit, mich während des Urlaubs auszufragen, wie ich dieses oder jenes Drama in unserem Bekanntenkreis beurteilen würde. Sie löcherte mich unentwegt mit allen möglichen Aktivitäten, die nach unserer Rückkehr anstanden. So lag es ihr sehr am Herzen, nach unserem Urlaub schnellstmöglich die Heizungsanlage im Haus zu erneuern. Die Anlage war zwar alt, aber voll funktionstüchtig und musste nicht unbedingt erneuert werden. Darüber hinaus sollte im Keller eine Hochsicherheitstür eingebaut werden, damit Uschi sich sicher fühlte und besser schlafen konnte. Diese kostspieligen Anschaffungen waren von ihr, wie sich später herausstellten sollte, mit einem vorausschauenden Blick in eine neue Zukunft eingestielt worden.