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[33] 4 Zur Bedeutung des Mediums Film als Bildungsmedium
ОглавлениеDas Medium Film ist im Rezeptionsmodus als Unterhaltungsmedium seit vielen Jahren breit akzeptiert. Der Aufstieg zum Bildungsmedium verlief dagegen zunächst eher schleppend. Als in den späten 1960er Jahren das Fernsehen anfing, Film als Bildungsmedium einzuführen, konnten sich die starren und behavioristisch angelegten Formate wie beispielsweise Telekolleg zunächst nicht durchsetzen. Der Neustart des Films als Bildungsmedium gelang mit der Digitalisierung, was neben einschlägigen Studien auch Blicke in die Klassenräume der Schulen, die Seminarräume der Hochschulen und die Werkstätten der Bildungszentren von Handel, Handwerk und Industrie belegen. Auch in der Präsenzlehre gehört der Einsatz von Videos mittlerweile zum didaktischen Standardrepertoire. Es lässt sich entsprechend kaum bestreiten, dass der Film mit seinen vielfältigen Formaten (2D, 3D, Virtual-Reality-Applikation etc.) aktuell auch als Informations- und Bildungsmedium einen Hype erlebt (vgl. mpfs 2018; Bitkom 2015, IFAK 2019).
Bewegtbilder sind nicht nur für Zielgruppen interessant, die sich ungern mit Textinformationen auseinandersetzen und bewegte und vertonte Bilder als Informationsquelle bevorzugen, sie sind auch in der Lage, Informationen anschaulich, passgenau und kompakt zu transportieren. Entsprechend gibt es seit vielen Jahren die Idee, das Medium Film als Bildungsmedium zu etablieren. Mit der Technisierung haben sich die Formate, Produktionsverfahren, Qualitäten und Anlässe für die Filmrezeption stetig verändert und erweitert: Während am Anfang nur das Kino Filme zeigt, stellt später das Fernsehen Sendungen her. Die Einführung portabler Datenträger bietet dann die Möglichkeit, Filme auch ortsunabhängig zu integrieren, wodurch dem Medium Film der Durchbruch als Bildungsmedium gelingt. Filme lassen sich nun flexibel in die Präsenzlehre integrieren, da man lediglich einen Videorekorder und ein Fernsehgerät benötigt, um das Medium einsetzen zu können. Heute können Filme nicht nur zeit-, sondern zusätzlich auch orts- und geräteunabhängig verfügbar gemacht werden. Mit dieser Funktionalität und Flexibilität gelingt dem Medium Film endgültig der Durchbruch als Informations- und Bildungsmedium.
Es gibt aber noch weitere Gründe dafür, dass sich das Medium Film in der jüngeren Vergnügtheit so breit etablieren konnte. Neben der Verfügbarkeit ist der [34] aktuelle Hype, den das Mediums Film als Informations- und Bildungsmedium erfährt, darauf zurückzuführen, dass digitale Technologien praktisch alle Nutzer*innen zu potenziellen Filmproduzenten*innen machen. Die rund eine Milliarde Youtube-Nutzer*innen, die pro Minute rund 400 Stunden Videomaterial zu allen möglichen Themen produzieren und distribuieren, bedienen heute praktisch jedes Genre (vgl. Ducard 2017). Neben Grundlagenvideos zu Klassikern wie Mathematik und Physik bieten die Portale vor allem Videos zu aktuellen bzw. dynamischen Wissensinhalten. Auch eine hohe Spezialisierung, etwa auf bestimmte Hersteller, Produkte oder Verfahren, bietet aufgrund der Reichweite, die die Distributionsplattformen erreichen, exzellente Bedingungen dafür, hohe Klickraten zu erzielen. Das gilt im Besonderen, wenn die Videos in englischer Sprache produziert werden, weil die Zahl der Nutzer*innen sich damit weltweit vervielfacht. Die öffentlichen Youtube-Statistiken verraten, dass aktuell täglich über eine Milliarde Stunden Wiedergabezeit registriert werden (vgl. Google 2019). Produktive Nutzer*innen, teilweise auch als Edutuber*innen oder Prosument*innen bezeichnet, haben dabei unterschiedlichste Motive dafür, ihre Kreativität im Medium Film auszuleben und die Ergebnisse ihrer Anstrengungen mit anderen Nutzer*innen zu teilen. Teilweise weisen Videos mit mehr oder weniger gut versteckten Werbebotschaften darauf hin, dass kommerzielle Interessen im Fokus stehen. Influencer*innen, also Personen, die aufgrund ihrer starken medialen Präsenz und ihres Ansehens in sozialen Medien ‚ideale‘ Werbebotschafter*innen sind, erreichen Klickraten, die schnell in die Millionen gehen (Influencer*innen-Marketing). Es gibt aber auch andere Motive. So wollen sich die Produzent*innen etwa virtuell inszenieren oder sie suchen nach Anerkennung in bestimmten Online-Communities. Es gibt zudem altruistische Beweggründe. Ein Teil der Online-Community will einfach nur helfen und freut sich daran, wenn andere Mitglieder von ihren Erfahrungen profitieren können. Die vielfältigen Motivlagen führen in Verbindung mit den immer besseren technischen Möglichkeiten zur Filmproduktion dazu, dass das Engagement der Edutuber*innen beachtliche Dimensionen angenommen hat. Im Ergebnis ist absehbar praktisch jede inhaltliche Nische in vielfältigster zeitlicher Granularität besetzt. Zusätzlich sorgen unterschiedlich akzentuierte Parallelproduktionen zu ähnlichen Themen dafür, dass die Varianz des sprachlichen, fachlichen, didaktischen und medialen Niveaus breit abgebildet wird. „In the future, no two people will have the same TV experience“, sagt der Youtube-Produkt-Manager Neal Nohan und bringt damit die mediale Vielfalt mit dem individuellen Informations- bzw. Erlebnisbedürfnis der Nutzer*innen in Verbindung (vgl. Mohan 2018).
[35] Die kommerzielle Produktion eines Films, im Besonderen die Produktion eines Erklärfilms, ist aufwändig, was sich im Preis, der hierfür aufgerufen wird, spiegelt. Eine Minute Film kostet ab 2000 Euro. Professionell entwickelte Erklärfilme werden entsprechend so produziert, dass sie inhaltlich und mediendidaktisch eine breite Zielgruppe ansprechen, da nur so die Produktionskosten wieder eingespielt werden können. Es gibt in der Regel keine Varianten, die das Filmthema aus einer anderen Perspektive, mit anderen Fachbegriffen, in einer gänzlich anderen Sprache oder mit anderen visuellen Medien beleuchten. Genau hier liegen auch die Gründe dafür, dass sich das Medium als Informations- und Bildungsmedium lange Zeit schwergetan hat. Mit der Digitalisierung und dem Internet ändert sich das. Plötzlich kann sich praktisch jeder Mensch audiovisuell mitteilen, wenn er die nötigen Zugänge und Technologien zur Verfügung hat und diese bedienen kann. Erklärfilme, die als Tutorials (How-to-Filme) oder Performanzvideos von den Nutzer*innen selbst produziert und auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht werden, etablieren sich in einer faszinierenden Vielfalt als Unterhaltungs-, Informations- und Bildungsmedien. Eine Analyse erfolgreicher Erklärfilme aus verschiedenen Youtube-Kanälen, u. a. auch aus dem Referenzkanal zur Konzeptentwicklung kfz4me.de, zeigt, dass der Erfolg des Mediums Film als Bildungsmedium wesentlich darauf basiert, dass die Videos weitgehend barriere- und kostenfrei verfügbar und inhaltlich fokussiert sind. Im Gegensatz zum klassischen Bildungsfernsehen, das ein Angebot auf ein breites Zielpublikum ausrichten muss, um die Produktionskosten und den Distributionsaufwand zu rechtfertigen, arbeiten Erklärfilme auf Internetplattformen häufig mit inhaltlich hoch spezialisierten und kurzen Sequenzen. Dadurch können die produzierten Artefakte passgenau überall da erfolgreich wirken, wo inhaltliche Nischenprodukte gefordert sind, die über Großprojekte nicht wirtschaftlich abgebildet werden können. Abbildung 2 zeigt den Kommentar eines Nutzers, der sich Jstx nennt, zu einem Video aus dem Referenzprojekt zum Lehrbuch kfz4me.de. Das Video hat eine Länge von 41 Sekunden und ist auf einen einzigen inhaltlichen Aspekt fokussiert. Es geht darum, in welcher Reihenfolge die Batteriepole angeklemmt werden müssen, wenn die Batterie gewechselt wird. Suchen Nutzer*innen nach diesem Aspekt, werden sie schnell fündig. Sie können ihr Informationsbedürfnis dann in wenigen Sekunden befrieden. Entsprechend würdigen die Nutzer*innen die Videos; im Beispiel wird die Zustimmung über die Vergabe eines Likes und eines wertschätzenden Kommentars „danke das brauchte ich danach hab ich gesucht like dafür“ ausgedrückt (vgl. Abbildung 2). Jstx hat offensichtlich genau die Information gefunden, nach der er*sie gesucht hat.
Abbildung 2: Zur inhaltlichen Fokussierung von Erklärfilmen. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=l9fx5v2ExJQ [Zugriff: 06-01-2020]. Bildschirmkopie.
[36] Ein weiterer Aspekt, der die Videos erfolgreich macht, ergibt sich ebenfalls aus der inhaltlichen Fokussierung der Filme: Rezipient*innen, die spezielle Fragen haben, müssen keinen monumentalen Film durchforsten, um die passende Information zu bekommen. Sie können vielmehr über die Nutzung von Suchalgorithmen unmittelbar zu befriedigenden Antworten kommen. Die Suchalgorithmen der Plattformen werden dabei mit jedem Aufruf intelligenter und die Ergebnisse entsprechend besser. Youtube ist mittlerweile die zweitgrößte Suchmaschine weltweit und die am dritthäufigsten besuchte Seite nach Google und Facebook (vgl. Google 2019).
Nimmt man klassische Bildungskontexte in den Fokus, so stellen die vielfältigen Produktionsformate der Youtube-Produktionen, die vertretenen Sichtweisen, die divergierenden Performanzformate, die vielfältigen Erklärvarianten, die unterschiedlichen Medienformate, die didaktischen Konzepte und die Stilmittel mit Blick auf Kompetenzentwicklungsprozesse ebenfalls wertvolle Ressourcen dar: Vielfalt ermöglicht es, dass unterschiedliche Anforderungsniveaus, Vorlieben und Geschmäcker getroffen werden können, und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein spezieller Inhalt überhaupt gefunden wird. Sie sorgt aber gleichzeitig auch dafür, dass unterschiedlichste Zugänge zum Inhalt zur Verfügung stehen, was auch den Abbau von Bildungsbarrieren erwarten lässt. Es ist so, als würde ein und dasselbe Thema von unterschiedlichen Lehrkräften in unterschiedlichster Art und Weise erklärt. Jede Lehrkraft betont ein anderes Detail, setzt einen anderen Schwerpunkt und hat eine andere Perspektive. Über soziale Kontrolle, Kommentarfunktionen, Bewertungssysteme lässt sich zumindest annäherungsweise abschätzen, ob der entsprechende Beitrag tatsächlich das eigene Informationsbedürfnis treffen wird.
[37] Der Erfolg von Erklärvideos basiert also im Wesentlichen auf vier Eigenschaften: Sie sind kurz, sie sind inhaltlich fokussiert, sie können in Content-Management-Systemen exakt beschrieben und damit indiziert bzw. katalogisiert werden (Metadaten) und sie sind über das Internet orts-, zeit- und geräteunabhängig robust verfügbar. Designprojekte sollten sich an diesen Erfolgsfaktoren orientieren, wenn dies pädagogisch vertretbar ist.