Читать книгу Das Gift an Amors Pfeil - Marnia Robinson - Страница 10
Kapitel 1 Die Biologie hat Pläne für Ihr Liebesleben
ОглавлениеSex bis zum Punkt absoluter Übersättigung zu haben (dieses Gefühl „Ich bin wirklich satt!“) ist ein Zeichen in der Säugetierwelt, sich wieder der Partnersuche zu widmen, das Interesse am alten Partner zu verlieren und sich neuen attraktiven Partnern zuzuwenden.
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Obschon Menschen Paare bilden, kann die Gewohnheit, der Leidenschaft bis zum Punkt der Lustbefriedigung nachzugeben, für unerwartete Stimmungsschwankungen sorgen, Ärger auf den Liebsten hervorrufen und die Anziehung unterminieren (Amors Gift).
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Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Arten des Liebesspiels: eine zum Zwecke der Fortpflanzung und eine, um eine engere Bindung der Liebenden zu bewirken (Karezza).
Von Amors Pfeil getroffen! Was für ein erhebender, beneidenswerter Zustand. Wie jeder andere auch, so möchten auch Sie der Überzeugung bleiben, dass der Schlüssel zu dauernder romantischer Glückseligkeit darin liegt, mit einem Partner zusammen zu sein, für den Sie eine so intensive Leidenschaft fühlen, dass Sie meinen, diese ginge nie vorüber. Und doch: Haben Sie sich jemals Hals über Kopf verliebt, wunderbaren Sex miteinander gehabt, sind sich ganz sicher gewesen, dass Sie beide für immer zusammenbleiben wollen – und haben dann regelmäßig wiederkehrende Spannungen zwischen sich und Ihrem Liebsten oder Ihrer Liebsten durchlebt? Wenn Sie verheiratet sein sollten, haben Sie den Eindruck, dass die Flitterwochen vorüber sind? Vielleicht wird einer von Ihnen beiden zuweilen klammernd und fordernd, während der andere sich aufgefressen fühlt und mehr „Raum für sich“ braucht. Womöglich erleben Sie auch von Zeit zu Zeit subtile Verärgerung oder haben ein Gefühl der Stagnation, das Ihre frühere Freude aneinander langsam aber sicher erstickt. Oder Sie brechen ab und an in spektakuläre Streitereien miteinander aus, auf die dann leidenschaftliche Versöhnungen folgen.
Diese unbewusste Entfremdung – die Liebende so häufig erfahren, obwohl sie den Wunsch haben, verliebt zu bleiben – ist die Wirkung des unerwarteten Giftes an Amors Pfeil. Wenn wir uns verlieben, sorgt ein primitiver Teil unseres Gehirns für den Wunsch nach großer Leidenschaft (Amors Pfeil). Ein Orgasmus fühlt sich großartig an, und wenn das schon alles wäre, würden Liebende ihren Wünschen im Schlafzimmer einfach natürlich nachgehen und bis ans Ende ihres Lebens glücklich zusammenleben können. Das Problem ist jedoch, dass Sex kein isoliertes Geschehen ist – schon gar nicht die Art von Sex mit vielen Orgasmen, die zu dem Gefühl von „Jetzt bin ich wirklich satt!“ (sexuelle Übersättigung) führt. Ein Orgasmus ist die Spitze von einem weitaus längeren Zyklus nachfolgender Veränderungen in den Tiefen des Gehirns. Diese Nachwirkungen und die unwillkommenen Gefühle, die sie hervorrufen, können unsere Beziehung vergiften, ohne dass wir dies bemerken. Interessanterweise können so unterschiedliche Symptome wie Selbstsucht, unerfüllte Bedürfnisse, Kommunikationsprobleme, Untreue und eine sexlose Ehe aus diesen versteckten Anweisungen resultieren.
In Einigen von uns wirkt das „Gift“ so schnell, dass wir uns bereits nach dem ersten Stelldichein wieder trennen. Häufiger jedoch gibt es zunächst eine Phase, in der die Beziehung relativ glücklich und ein Zaubertrank der Liebe am Werk zu sein scheint. Diese Flitterwochen-Harmonie (bzw. Begierde) ermutigt uns, eine Zeit lang miteinander verbunden zu bleiben. Im Durchschnitt ist sie gerade lang genug, um ein Kind zu zeugen und eine Bindung zum Kind zu entwickeln, selbst wenn die Beziehung in der Realität gar nicht der Fortpflanzung dient. Doch eine aus Amors Gift wachsende Desillusionierung motiviert uns dann, unsere Gene mit einem aufregenden neuen Partner zu verbinden (auch wenn wir vielleicht die Zähne aufeinanderbeißen und der Versuchung widerstehen mögen). Warum? Unsere Gene sind auf ihre Unsterblichkeit programmiert und sie warten nicht höflich auf eine Gelegenheit dazu. Diese kleinen DNA-Fetzchen treiben uns zu so vielen Schwangerschaften wie möglich und einer ganzen Palette von Partnern. Je vielfältiger unser Nachwuchs ist, umso besser stehen die Chancen, dass ein Teil davon auch unter veränderten Bedingungen oder gar Epidemien überlebt und sich fortpflanzen kann. Unsere Bereitschaft, uns mit artfremden Genen einzulassen, hat früher einmal kleinere Bevölkerungsgruppen vor Inzucht bewahrt.
Darüber hinaus tun unsere Gene ihr Bestes, um uns in einem engen Zeitplan zu halten. Die Anthropologin Helen Fisher schätzt, dass wir dazu geschaffen sind, ungefähr vier Jahre zusammenzubleiben. In einer Untersuchung über achtundfünfzig Kulturkreise fand sie heraus, dass die Scheidungsraten zu dieser Zeit ihren Höhepunkt erreichen.3 In moslemischen Ländern hingegen, wo eine Scheidung leichter zu arrangieren ist, endeten die Ehen tendenziell sogar früher.
Kurz gesagt, sowohl die süße als auch die bittere Phase unserer Romanzen lässt die Chance steigen, dass unsere Gene es bis in die nächste Generation schaffen – selbst wenn wir dabei zynisch werden oder mit gebrochenem Herzen zurückbleiben. Unsere genetische Partnerprogrammierung funktioniert großartig. Sie hat einfach nur nicht unsere besten Interessen im Sinn. Als Säugetiere, die eine feste Paarbindung eingehen, ziehen wir überraschend viele Vorteile aus einer Wegbegleitung durch einen vertrauten Partner, und wenn wir diese Vorteile unserem genetischen Erfolg opfern, dann tut uns das sehr weh.
Wenn Amors Gift unsere romantische Beziehung zerstört, ziehen wir daraus im Allgemeinen den Schluss, dass wir die falsche Partnerwahl getroffen haben oder dass Männer und Frauen schlichtweg hoffnungslos verschieden sind. Und doch sind es nicht unsere Unterschiede, die für den Stress sorgen, sondern das, was wir gemeinsam haben: unfreiwillige, biologische Reaktionen, die genau so unbewusst vonstattengehen wie unser Augenblinzeln. Wir sind auf diese schmerzliche Entwicklung genau so programmiert wie darauf, uns überhaupt Hals über Kopf zu verlieben.
Natürlich können Ärger und sonstige Probleme in intimen Beziehungen auch von anderen Faktoren herrühren, so wie unterschiedliche Ansichten über den Umgang mit Geld, Kindheitstraumata und persönliche Eigenheiten. Doch dieser versteckte biologische Faktor ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Verursacher, wenn es sich um immer wiederkehrende Reibereien handelt. Und im besten Fall sorgt er einfach nur dafür, dass die anderen Herausforderungen schwieriger zu lösen sind.
Die meisten von uns tragen geistige Augenbinden und erkennen meist nichts, solange wir keine Erklärung dafür haben … oder zumindest solange wir keine Erklärung erwarten. Glauben ist gleich Sehen.
Barah und Lipton, The Myth of Monogamy
Ein Hinweis darauf, dass emotionale Distanzierung in unseren intimen Bindungen vorprogrammiert ist, ist, dass sich das Eheglück normalerweise im Laufe der Zeit verflüchtigt.4 Mysteriöserweise sind jedoch Freundschaften oder enge Familienbeziehungen dieser vorprogrammierten Verschlechterung der Beziehung gegenüber immun.5 Könnte es daran liegen, dass romantische Beziehungen uns in die Leidenschaft stürzen, bis wir „genug!“ haben, während dies in anderen Beziehungen nicht der Fall ist? Mag sich weit hergeholt anhören. Doch für die meisten Säugetiere ist ekstatische Paarung bis zum Punkt des Desinteresses (Überdruss) das Zeichen, sich auf die Socken zu machen und einen neuen Tanzpartner zu suchen. Hat unser Säugetiererbe uns vielleicht mit ganz ähnlichen unbewussten Reaktionen auf sexuelle Übersättigung ausgestattet, die auch uns unruhig werden lassen? Ist es vielleicht fest in uns verdrahtet, dass wir uns von einem vertraut gewordenen Partner entfernen – obwohl wir gleichfalls darauf programmiert sind, die Vorteile einer langfristigen Bindung zu suchen?
Und noch viel wichtiger: Was können wir tun, wenn wir unsere Beziehung vor Amors Gift schützen wollen? Wir können unsere sexuellen Begegnungen anders gestalten, so dass wir für den giftigen Pfeil weniger empfänglich sind und die Wahrscheinlichkeit größer wird, dass wir in der Liebe eine beständige Freude finden. Sowohl alte Weisheitslehren als auch moderne Forschungsergebnisse geben uns Hinweise darauf, wie wir dies erreichen können. Doch um aus diesen Informationen Nutzen zu ziehen, müssen wir ganz klar sehen, womit wir es genau zu tun haben.