Читать книгу Das Gift an Amors Pfeil - Marnia Robinson - Страница 11
Der Coolidge-Effekt
ОглавлениеStellen Sie sich einmal vor, was passiert, wenn Sie eine männliche Ratte in einen Käfig mit einer empfangsbereiten weiblichen Ratte stecken. Zunächst sehen Sie ekstatisches Kopulieren. (Mein Mann Will und ich haben uns gefragt, ob es nicht sehr einsam im Labor wird bei solchen Experimenten.) Nach einer Weile hört die Raserei dann auf. Herr Ratte zieht sich mit der Fernbedienung in den Fernsehsessel zurück. Als Ergebnis seiner veränderten Körperchemie sieht Frau Ratte jetzt völlig uninteressant für ihn aus.6 Wenn jedoch Fräulein Ratti (ein neues Weibchen) auf der Bildfläche erscheint, verschwindet seine Erschöpfung auf wundersame Art und Weise lang genug, um auch hier galant seinen Befruchtungspflichten nachzukommen.
Die regenerierte Männlichkeit eines Nagers ist kein Zeichen für seine unersättliche Libido. Und sie erhöht auch keinesfalls sein Wohlergehen – auch wenn es so aussehen und sich für ihn auch kurzfristig so anfühlen mag. Sein Verhalten stimmt einfach nur mit einem Anstieg von Neurochemikalien in seinem kleinen Gehirn überein, die ihm die Anweisung geben, kein williges Weibchen unbefruchtet zu lassen.
Stillschweigend geduldete Gene können zu wahren Sklaventreibern werden. Die Männchen der Spezies der pelzigen kleinen Beuteltiere (Antechinus stuartii) sind so intensiv mit der Kopulation beschäftigt, dass sie ihr eigenes Immunsystem zerstören und am Ende der Paarungsperiode an verschiedensten Krankheiten sterben.7 Wenn Wissenschaftler die Tiere hingegen mit einer Art künstlichen Willenskraft ausstatten, indem sie ihre männlichen Sexualhormone regulieren, sorgt das Immunsystem der Tiere wieder für einen gesunden Körper.
Für die Männchen der Gottesanbeterinnen endet die wahre Liebe noch ein bisschen abrupter, zumindest für die, die es in der Gefangenschaft überkommen hat. Das Weibchen bringt das Männchen dazu, sein Sperma abzugeben, indem sie ihm seinen Kopf abbeißt. (Warnung: Gehen Sie niemals mit einer weiblichen Gottesanbeterin essen.)
Tierarten, die weniger radikale Abschlüsse suchen, erkennen ehemalige Sexualpartner schlicht und einfach wieder und lehnen sie ab. Unter Wissenschaftlern kennt man diesen Reflex als den „Coolidge-Effekt“. Er verdankt seinen Namen der Zeit, als der US-Präsident Coolidge und seine Gattin eine Farm besuchten. Während der Präsident gerade woanders war, zeigte der Farmer der First Lady stolz einen Hahn, der „den ganzen Tag mit Hennen kopulieren konnte, Tag für Tag.“
Schüchtern bat Mrs. Coolidge ihn, diese beeindruckende Tatsache auch Mr. Coolidge mitzuteilen. Und das tat der Farmer auch.
Der Präsident dachte einen Augenblick nach und fragte dann: „Mit der gleichen Henne?“
„Nein, Sir“, antwortete der Farmer.
„Sagen Sie das Mrs. Coolidge“, erwiderte der Präsident.
Der Coolidge-Effekt wird in weiten Teilen der Tierwelt beobachtet, sogar bei Weibchen. Einige weibliche Nager flirten wesentlich mehr – indem sie sich einladend winden – mit ihnen nicht vertrauten Männchen als mit den Partnern, mit denen sie bereits kopuliert haben.8
Zeigt sich vielleicht eine Variante des Coolidge-Effekts im menschlichen Verhalten? Ich erinnere mich an eine Unterhaltung, die ich einmal mit einem Mann führte, der in Los Angeles aufgewachsen war. „Bei 350 Liebhaberinnen hab’ ich aufgehört zu zählen“, gestand er mir, „und ich fürchte, dass bei mir irgendwas total falsch läuft, weil ich jedes Mal so schnell das sexuelle Interesse verliere. Und einige der Frauen waren wirklich auch sehr hübsch.“ Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs hatte ihn seine dritte Frau gerade wegen eines Franzosen verlassen, und er war regelrecht entmutigt. Diesmal hatte sie das Interesse an ihm verloren.
Von Frauen hört man zuweilen, dass ihr Männergeschmack und ihre Sichtweise auf Männer sich um den Zeitpunkt des Eisprungs herum verändern. Sie fühlen sich mehr zu Don Juans hingezogen und sehen den Mann weniger als Menschen. Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass sie ihn einfach nur als ein verführerisches Bündel heißer Gene betrachten.
„Unser biologisches Selbst ist kleinlich und ziemlich grausam und findet seltsamerweise nur allzu leicht Fehler, während es sich auf der anderen Seite wiederum mit erstaunlich niedrigen Standards zufriedengibt. Eine meiner kritischen Stimmen in meinem Kopf sagt über meinen Freund solchen Mist wie: ‚Er ist so weiß, ich brauche einen dunklen, exotischen und mysteriösen Mann! Sein Haar ist dünn; ich will nicht, dass meine Kinder dünnes Haar haben.‘ Die Stimme in mir be- und verurteilt meinen jeweiligen Partner aufgrund von selbstsüchtigen, oberflächlichen Vorstellungen, die entweder mit körperlichen Eigenschaften oder mit seinem Status zu tun haben.“
Lisa
Streng genommen müssen wir Menschen den Coolidge-Effekt gar nicht unmittelbar wahrnehmen (es sei denn, wir sind gerade auf einer Orgie). Bei uns nimmt Gewohnheit häufiger die Form abnehmenden sexuellen Interesses an unserem langjährigen Partner an. Wir sind wahrscheinlich mehr wie Affen. Als männliche Affen sich wiederholt mit dem gleichen Weibchen paaren sollten (die dank täglicher Hormongaben immer in Stimmung waren), verringerten sich ihre sexuellen Aktivitäten einfach immer mehr und geschahen im Laufe von 3,5 Jahren außerdem mit abnehmendem Enthusiasmus. Diese Schlamperei gab sich jedoch sogleich wieder, wenn neue Weibchen auftauchten.9
Könnte unser Säugetiergehirn uns in unsere Fähigkeit, intime Partnerschaften aufrechtzuerhalten, hineinfunken? (Das Säugetiergehirn liegt unter dem rationalen Gehirn. Es herrscht über Sex und Liebe und hat bei allen Säugetieren eine erstaunliche Ähnlichkeit.) Die meisten Säugetierarten gehen nicht so feste Paarbindungen ein wie wir. Doch selbst unter unseren monogamen Säugetierverwandten gewährt keine Spezies sexuelle Exklusivität. Sie bauen ihre Nester zusammen und teilen sich die Elternschaft, doch sie werden häufig dazu getrieben, Gene von Fremden aufzulesen. Diese wagemutigen Gene halten den Gen-Pool schön frisch. Selbst unter den wenigen Säugetieren, die feste Paare bilden, dient die Gewöhnung an den Partner ganz offensichtlich dem Ziel der Evolution, neue Partner verführerisch aussehen zu lassen. Denken Sie mal so herum: Wenn sexuelle Treue eine Garantie für mehr und gesünderen Nachwuchs wäre, würde kein Säugetier fremdgehen.
Säugetiere haben im Allgemeinen klare Perioden der Empfänglichkeit, die von den Hormonen vorgeschrieben werden, während Menschen jederzeit Sex haben können, wenn der Drang danach aufkommt. Doch auch wir werden von unseren Hormonen reguliert.
Dummerweise sieht unsere Version der hormonellen Regelung jedoch eher so aus wie das ständige Anfahren und Abbremsen in einem Stau. Zwischen unseren leidenschaftlichen Ausbrüchen finden wir unseren Partner zunehmend anstrengend, eifersüchtig oder schwer zufriedenzustellen. Und unser Partner empfindet uns als selbstbezogen, wenig hilfsbereit oder nicht liebevoll – außer, wenn es um Sex geht.
„Zu Beginn unserer Ehe schliefen wir nackt miteinander. Kurz darauf begann sie, Unterwäsche zu tragen. Sie genoss es immer weniger, wenn ich meinen Arm um sie legte oder mich an sie kuschelte. Manchmal schlief sie aus geringstem Anlass oder völlig grundlos in einem anderen Zimmer, was auf mich gefühllos wirkte und mich einsam und frustriert fühlen ließ. Wir hatten immer weniger Sex, und schließlich zog sie ganz in ein anderes Zimmer. Ich war der Überzeugung, dass sie Sex einfach nur mehr genießen müsste, also zum Beispiel mehr Orgasmen brauchte, dann würden wir öfter Sex haben und meine Bedürfnisse würden besser erfüllt. Also hab ich immer versucht, es ihr richtig gut zu besorgen. Tja …“
Brent
Die Forschung bestätigt, dass mit der Dauer der Partnerschaft das sexuelle Interesse bei den Frauen abnimmt – während der Wunsch nach Zärtlichkeit bei den Männern abnimmt.10 Diese miserable Programmierung kann dafür sorgen, dass wir ständig den Partner wechseln und so unsere Fortpflanzungsmöglichkeiten mehren – oder einfach nur frustriert, verwirrt und schlecht gelaunt sind. Und niemals kommt es uns in den Sinn, dass der Drang, unser sexuelles Begehren ganz auszuschöpfen, in diesem vertrauten Muster eine Rolle spielen könnte. Stattdessen sind wir davon überzeugt, dass sexuelle Übersättigung eine gute Strategie ist, um eine Partnerschaft zu festigen. Doch wie wir noch sehen werden, gibt es Grund zur Annahme, dass dieses Verhalten den Prozess der Gewöhnung beschleunigt und dabei auf subtile Art und Weise die Wahrnehmung der Partner voneinander zum Schlechten hin verschiebt.
Bemerkenswerterweise haben schon Weise verschiedenster Traditionen festgestellt, dass sexuelle Übersättigung Partner auseinanderbringt und Gefühle der Erschöpfung und Disharmonie erzeugt. Sie haben auch einen Ausweg aus diesem Dilemma entdeckt. Sie erkannten, dass es zwei fundamental unterschiedliche Zugänge zum Liebesakt gibt, je nach seinem Sinn.
Vom Befruchtungsdrang angetriebener Sex dient der Fortpflanzung. Beim Höhepunkt wird das Spermium auf das Ei angesetzt. Im Gegensatz dazu geht es bei Sex, der der Verbindung der beiden Partner dient, in erster Linie um Harmonie und Wohlergehen. Bei beiden Methoden spielt der Geschlechtsverkehr eine Rolle, um sexuelle Spannung effektiv abzubauen. Sex mit dem Ziel der Befruchtung erreicht dieses Ziel mit einem neurochemischen Crash, nach dem es überraschend lange dauert, bis wieder eine Homöostase erreicht wird (der Zustand des Gleichgewichts, wie er vor dem Orgasmus herrschte). Sex mit dem Ziel, die Bindung zu stärken, erleichtert sexuelle Spannung durch sanften Geschlechtsverkehr, gemischt mit tiefer Entspannung und jeder Menge beruhigender Zuwendung, was zu einem erfrischenden Gefühl der Befriedigung und anhaltendem Gleichgewicht führt.
„Der sexuelle Akt ähnelt dem Aufblasen eines Ballons. Der Orgasmus ist die Nadel, die den Ballon zum Platzen bringt, doch wenn man den Sex ohne Orgasmus beendet, bleibt man selbst als Ballon zurück, der im Laufe der nächsten Tage langsam an Luft verliert. Man hat so viel länger etwas von dem schönen Gefühl des Aufgeblasenseins.“
Rob