Читать книгу Lieder von Liebe und Schwein - Martin-Aike Almstedt - Страница 9
Оглавление5. Besuch beim Inder
Eines Sonntags befand Anna Mu, dass es Zeit sei, mal wieder essen zu gehen - und zwar beim Inder. Die Idee fand Zustimmung, und so wurde Fixe-I ein Sonntagshalsband angelegt, was ihn sichtlich entzückte, und man spazierte los. „Manche kommen mit Hund, ihr kommt mit Schwein“, so räusperte sich der Inder, ein Sikh mit Turban und Säbel, fast wortgleich mit Anna Mus früherer Schweinsapologie. Das war nun offensichtlich richtig, und man ließ sich folglich in einem Halbséparée, das glücklicherweise noch frei war, auf gut gepolsterten Stühlen nieder. Fixe-I hingegen verschwand sofort unter dem großen runden Tisch des halbrunden Räumchens und ward nicht mehr gesehen. Oberhalb des Tisches bestellte man nun, eine gute Weile hin und her wählend, schließlich Reis mit Spinat oder Kichererbsen und unterhalb mit deutlich forderndem Gegrunze Küchenabfälle. Das munter sich drehende Bestellkarussel blieb nicht unbemerkt und zog heimliche Blicke in die abgeteilte Ecke, während wir wiederum bemerkten, dass sich die Blickfrequenz der übrigen Gäste zunehmend steigerte und völlig offensichtlich wurde, als Fixe-I’s fürchterliches Schmatzen ertönte. Dass eine Familie sich derart schamlos getraute zu schmatzen, bezweifelte man scheinbar und versuchte, sich nun diesbezüglich zu vergewissern. Da Fixe-I sich jedoch noch unter dem Tisch verbarg, verblieb auch der Grund für das schweinische Geräusch weiterhin in unterirdischen Gefilden. Die Folge waren immer mehr schamlos abwertende Blicke, die schließlich beinahe polternd aus sich schüttelnden Köpfen fielen. Selbst Anna Mu wurde es langsam peinlich, aber man konnte jetzt schlecht aufstehen und die Schuld von sich wälzen. Davon entband uns jedoch plötzlich Fixe-I, wodurch dann allerdings die Peinlichkeit bis in die Wolken stieg. Mit Reis- und Okraresten bedeckt kam er unter dem Tisch hervor und fing an, sich für die Speisen der Gäste zu interessieren. Jetzt wurde wieder einmal klar, dass das Sonntagshalsband nichts taugte. Es rutschte dem Eber über den halslosen Kopf, und nun war er frei, sein Unwesen zu betreiben. Das tat er ohne Zögern und hemmungslos, indem er, akribisch Fressbares erschnuppernd, durch das Gastzimmer stürmte. Besonders, wenn ihm war, als habe er etwas Schnauzendes gefunden, hielt ihn nichts zurück - jeweils auf den Hinterläufen abwechselnd an verschiedenen Tischen hochgereckt -, sich die Speisen der Gäste grunzend, schnaubend und vor allem schweinisch schmatzend einzuverleiben. Das ließ das Geschrei dieser und auch das unsrige, das heftig auf Unterlassung drang, so laut werden, dass Passanten, die auf der Straße am Gasthaus vorbei gingen, die Köpfe drehten, als ob ein Mord geschehen sei. Aus dem Gewirr von Stimmen erhob sich immer wieder heftig die unangebrachte Frage, was denn das um Gottes willen sei, obwohl die Antwort dazu nun wirklich auf der Hand lag. Mittlerweile standen die Gäste an ihren Tischen und erlebten Fixe-I im Schlaraffenland und uns - bemüht ihn, der wieder einmal keine Lust hatte zu gehorchen, einzufangen.
Doch der verkroch sich schließlich wieder unter dem runden Tisch im Séparée. Was wir, ihm nachjagend, kurze Zeit später dort vorfanden, war unmenschlich. Es stank fürchterlich, war sehr groß gehäuft und war, wonach es stank. Die Peinlichkeit ragte jetzt weit über die Wolken und trat an unseren knallroten Köpfen deutlich in Erscheinung - eine bemerkenswerte Epiphanie der Schande. Der Tisch wurde weggeräumt und aus der Küche stürmte der turban- und säbelbewehrte Sikh mit einem aschegefüllten Kehrblech hervor, gefolgt vom ebenfalls aschetragenden Koch, um das üble Malheur, eine im wahrsten Wortsinn uns innerlich tief in den Kot drückende Malaise, zu überschütten. Anna Mu, die Tapfere, hatte sich inzwischen coram publico des zappelnden und laut quiekenden Schweins bemächtigt und war mit diesem unter dem Arm auf die Straße gelaufen. Von Peinlichkeit gekrümmt versuchte ich den Vorfall zu bereinigen. Man glaube mir: Unter dem Strich war das nicht billig, sondern wahrhaft schweineteuer.