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Mein spätes Coming-out
(geschrieben im April 2020)
Natürlich stellt sich bei mir sofort die Frage, warum ich erst mit 42 Jahren endgültig die Entscheidung zu meiner „erlösenden“ Hormonbehandlung gefällt habe, obwohl ich doch schon seit meiner Kindheit Junge bzw. Mann sein wollte.
Die klare Antwort liegt in meiner riesigen Angst vor meiner Umwelt bzw. vor meinen Eltern. Ich konnte ihnen nicht erklären, dass mir mit zwölf Jahren meine Pubertät ein immer größer werdender Gräuel wurde und ich meinen Körper als Frau immer mehr hasste! Vor allem meine erste Periode war ein absoluter Schock! Und meine Vorliebe für Mädchen, meine erste Liebe, hielt ich lieber auch geheim!
Mein einziger Ausweg in meiner Hoffnungslosigkeit bestand dann mit zwölf Jahren darin, vor mir selbst und vor allem meinem Körper zu flüchten.
Ich verweigerte jegliches Essen und trieb wie besessen Sport. Ich hungerte mich kontinuierlich auf ein wenigstens für meinen Kopf akzeptables „neutrales“ Niveau und rannte vor mir selber davon …
Eine schwere lang andauernde Anorexie war die Folge mit starken körperlichen Auswirkungen, die mich auch vom Kopf her immer mehr ins Abseits beförderten. Mein Lebensinhalt bestand nur noch darin, Leistung in der Schule, im Studium und Sport zu erbringen, um von außen Anerkennung und Lob zu erringen.
Von mir selbst entfernte ich mich immer mehr …
Das Fatale an meiner Erkrankung war dazu noch, dass ich immer weniger eine Chance hatte, mich zu erkennen und zu outen, weil ich mich völlig abhängig machte von meiner Umwelt, vor allem meinen Eltern!
Unzählige Therapien folgten, eine einzige Berg- und Talfahrt. Aber ich war zäh. Ganz tief in meinem Innern hatte ich ja noch einen Auftrag, „Mann zu werden“, was ich zu dieser Zeit noch gar nicht erkannte und zulassen wollte! Und auch meine Psychotherapeuten/-innen wollten gar nichts davon wissen, wie man sich fühlt im falschen Körper geboren zu sein. Ich wurde nie angehört, der Ursprung meiner Erkrankung wurde nie akzeptiert und anerkannt. Ich selbst wurde nicht ERKANNT, nicht mein wahres Ich hinter der harten, ausgehungerten Fassade!
Jedenfalls zog sich meine Anorexie mit allen „Aufs und Abs“ so dahin, ohne dass sich meine Gefühlswelt zu mir wesentlich änderte. Ich war in einem Käfig gefangen, besser gesagt in einem nicht enden wollenden Laufrad von mir weg.
Doch es kam noch schlimmer für mich …
Im Jahr 2000 wurde ich im Alter von 23 Jahren bei mir in meiner eigenen Wohnung vergewaltigt. Weil ich glaubte, dass Männer immer nur gute Kumpel zum Reden seien.
Es waren schreckliche Stunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Ich war zutiefst traumatisiert und psychisch wie auch körperlich schwer gezeichnet. Ich verschwieg zu diesem Zeitpunkt alles, obwohl es den endgültigen Super-GAU für meine Gefühlswelt bedeutete.
Von da an war mein Körper, vor allem mein mittlerer Teil, für mich unantastbar, und ich fühlte mich in einem absoluten Vakuum. Mein eh schon „verlorenes Ich“ war komplett zerrissen. Im Spiegel sah ich statt meines Bilds den immer wiederkehrenden Film der schrecklichen Erlebnisse, und für meine wahnsinnigen Schmerzen bekam ich zum ersten Mal vom Frauenarzt ein sehr starkes Schmerzmittel „Valoron“ verschrieben, damit ich wenigstens wieder sitzen konnte! Was zu weiterer „Abhängigkeit“ führte …
Es ist die lange Erklärung für mein so spätes „Coming-out“ …
Ohne weitere zähe Details. Eigentlich alles in „Kurzform!“
Doch eigentlich wäre es gar nicht mehr dazu gekommen.
Im Grunde war ich bis zu meinem 40. Lebensjahr so tief gesunken, dass ich bewusst sterben wollte, abschließen mit meinem furchtbaren „Vakuum im Hamsterrad“ und den zahlreichen mittlerweile schwerwiegenden körperlichen Folgen. Ich war nicht nur einmal ein medizinisches Wunder am absoluten Limit, vielleicht gerade deshalb, weil ich Gefühle und Bedürfnisse abschalten konnte!
Aber dann kam für mich das WUNDER …
Es klingt zwar wie ein Märchen, doch es ist mein neues Leben, mein Zugang zu mir:
Schon damals konnte ich meine Traumatisierung nur aushalten und überwinden, weil ich mich unsterblich in eine Frau verliebte, die meine ganze Gefühlswelt und mein Leben in einer Form veränderte, wie ich es selbst immer noch nicht richtig fassen kann.
Ich muss auch an dieser Stelle der Aussage widersprechen, „dass man einen anderen Menschen nur lieben kann, wenn man sich selbst liebt“!
Ich hasste mich zunächst noch selbst, aber ich empfand eine so tiefe, unbeschreibliche Liebe in meinem Herzen für diese Frau. Ich war total eingenommen, im positiven Sinn. Mein Denken war nur noch auf diese Frau und mein Herz gelenkt. Ich lebte für sie und für dieses neue einzigartige Gefühl. Es war eine Traumwelt, aber sie half mir durchzuhalten, mein Leben bekam wieder einen Sinn, für diese Frau und dieses Gefühl in meinem Herzen zu leben!
Der erste kleine Schritt aus meinem Gefühlsvakuum war getan.
Und dann kam das eigentliche Wunder:
In Form einer wunderbaren Therapeutin, die meine Lebensretterin ist.
Nur ihr habe ich mein neues Leben zu verdanken, weil sie mich aus meinem Vakuum holte, alle traumatischen Erlebnisse und Verletzungen auf wunderbare Art und Weise entdeckte und löste. Zunächst nur mit dem Kopf durch „Überwindung“ und dann durch meine „Erlösung“, durch mein „Coming-out“!
Kein Mensch auf dieser Welt kannte mich besser, konnte mich so annehmen, fühlte meine Probleme und konnte gerade deshalb mein Sterben nicht zulassen, weil sie meinen „Auftrag als Mann“ erkannte und wusste, dass mein Problem, „im falschen Körper geboren zu sein“ nur durch ein konsequentes umfassendes „Coming-out“ durchbrochen werden und durch ein völlig neues Leben gelöst werden kann!
Dabei war und ist ihre Art unbeschreiblich! Sie besitzt die Feinfühligkeit eines Engels und kann ohne Worte aussprechen, Welten in mir und meinem Herzen bewegen, wie es eigentlich nur himmlische Kräfte vermögen.
Sie ist meine Lebensretterin und mein Engel tief in meinem Herzen, weil sie es schaffte, dass ich mich „outete“ gegenüber mir und meiner Umwelt, vor allem meinen Eltern!
Ja, und diese tiefste Liebe, Dankbarkeit und Hochachtung zugleich führt jetzt auf meinen Weg zu mir, zu meinem Dasein als bzw. meiner Entwicklung zum Mann. Ihre Leistung und Hilfe sind für mich unbezahlbar. Mit keinen Worten zu beschreiben.
Sie ist mein Engel mit himmlischen Gaben. Sie kann Welten in mir bewegen, weil ich jetzt endlich diese Liebe auch zu mir und meinem Körper finden kann.
Dabei ist ihre Ausstrahlung faszinierend, sind ihre Worte mein oberstes Gebot, weil sie mich vorantreiben in ungeahnte Höhen und LEBEN!
Es ist ein spätes Wunder mit 42 Jahren, und diese wundervolle Frau ist der Grund für meine „Auferstehung“ im richtigen Körper als Mann!
Sie ist das eigentliche Wunder, sie lenkte, und ich kann und darf ausführen. Um meinen Körper und mein Gefühl zu entwickeln, zu mir selbst und gegenüber meiner Umwelt ohne Scham und Grenzen … Denn das ist „MEIN ICH“, mein neues „LEBEN“!
Meine größte Dankbarkeit und Hochachtung gelten ihr, und Worte dafür gibt es nicht!
Ich denke, diese tiefe Gefühlswelt wird mir auch als Mann nicht verloren gehen. Im Gegenteil, sie wird mir „männliche Sensibilität“ ermöglichen!
Dieses „Wunder“ meines Lebens möchte ich vom ersten bis zum letzten Kapitel dieses Buches beschreiben. Angefangen in meiner Kindheit, über alle „Extreme“ meines Leidensweges hinweg bis zum heutigen „Lebensglück“.
Meine wahre Geschichte … verfasst in Erfahrungsberichten, Tagebuchaufzeichnungen, eigenen Gedichten und Kommentaren aus meiner heutigen Sicht. Vor allem aber auch eine besondere „Liebesgeschichte“ in Briefen.
Meine ersten Schuhe