Читать книгу Pechwinkel - Martin Arz - Страница 7
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Pfeffer bahnte sich den Weg durch die dürren Äste der Büsche den kleinen Abhang hinunter und stieg dann die wacklige Aluminiumleiter hinab, die an der Betonmauer lehnte. Der pickelgesichtige uniformierte Kollege, der die Leiter unten hielt, begrüßte den Kriminalrat mit einem schiefen Lächeln.
»Einfach immer auf das Licht zu«, sagte er und deutete in das Dunkel der Kanalröhre. »Können Sie gar nicht verfehlen.«
»Danke.« Pfeffer ging vorsichtig auf die Öffnung zu, denn der Boden war rutschig von grünlichen Algen. Das dämmrige Dunkel des unterirdischen Bachbetts umfing ihn. Stimmen hallten durch den Tunnel. In nicht allzu weiter Ferne sah Pfeffer eine Gruppe Menschen in weißem Licht. Er hielt darauf zu. Vier Scheinwerfer hatten die Kollegen von der Spurensicherung aufgebaut. Das gleißende Licht tat in den Augen weh.
»Maxl«, begrüßte die Rechtsmedizinerin Dr. Gerda Pettenkofer den Kriminalrat und richtete sich stöhnend von dem Bündel auf, dem sie bislang ihre Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Sie hatte ein gewaltiges Gewichtsproblem, das ihr nicht nur das Aufrichten schwer machte. Sie keuchte rasselnd und hustete, wie eine Kettenraucherin eben hustet. »Riskierst du mal wieder Ärger mit deiner Chefin?« Sie zog ihre Gummihandschuhe aus und ließ einen spielerisch in Richtung Pfeffer schnalzen.
Pfeffer verzog den Mundwinkel seiner alten Freundin Gerda zuliebe um Millimeter, für ein Lächeln reichte seine Laune nicht. Die Rechtsmedizinerin spielt darauf an, dass Max Pfeffers Vorgesetzte, Kriminaldirektorin Jutta Staubwasser, es gar nicht gerne sah, dass Pfeffer in seiner Position noch Recherchearbeit vor Ort machte. Als Kriminalrat sollte er sich auf Schreibtisch und Verwaltungsarbeit beschränken. Den Disput führten sie schon lange. Und ebenso lange schob Pfeffer den eklatanten Personalmangel vor, der ihn einfach auf die Straße zwingen würde. Alle wussten, dass das nur ein vorgeschobener Grund war. Pfeffer war einfach nicht für den Schreibtisch geboren.
Er warf einen Blick auf das Bündel. »Was muss ich wissen, Gerda?«
»Miese Laune?«
»Schlecht geschlafen.«
»Details?«
»Später. Sag mir jetzt bitte, was ich wissen muss.«
»Wie lange sie tot ist, kann ich dir noch nicht sagen.«
»Sie? Eine Frau?« Pfeffer sah genauer hin. Der Duschvorhang, in den die Leiche eingewickelt war, war nur ein wenig geöffnet. Mehr als den Kopf sah Pfeffer nicht. Dunkle Haarsträhnen klebten daran. Das Gesicht der Toten war aufgedunsen und beinahe weiß, schillerte ein wenig grüngelb.
»Ja, eindeutig eine Frau.« Die Rechtsmedizinerin bückte sich und zog eine Ecke des Duschvorhangs komplett beiseite. Die Tote war nackt. »So um die sechzig oder siebzig.«
Max Pfeffer zog den Reißverschluss seiner Lederjacke hoch. Die feuchte Kälte kroch in die Glieder.
»Dem ersten Anschein nach wurde sie erwürgt. Allerdings ist da noch eine Kopfverletzung«, sagte die Rechtsmedizinerin. »Sie weist zusätzlich am Körper noch weitere Hämatome auf. Dazu mehr, wenn ich sie auf meinem Arbeitstisch hatte. Der Täter hat die Frau also womöglich geschlagen und dann erwürgt. Danach die Leiche in den Duschvorhang gewickelt und irgendwie in den Bach befördert.«
»Das Wasser hat sie dann bis hierher mitgerissen«, sagte Annabella Scholz. Die Hauptkommissarin war leise zu ihrem Chef und der Pathologin hinzugetreten. »Der Täter hat zwar ein paar Backsteine zum Beschweren der Leiche mit in das Bündel gewickelt, aber bei der starken Strömung … Er wird die Leiche irgendwo da draußen in den Bach geworfen haben.« Sie deutete unbestimmt in Richtung Ausgang.
»Nein«, sagte Pfeffer leise.
»Wie nein?«
»Nein, er hat sie nicht da draußen in den Bach geworfen. Das geht nicht.«
»Klär mich auf, Chef. Weißt du was, was ich nicht weiß«, sagte Annabella Scholz mit pikiertem Unterton.
»Ich darf mal.« Max Pfeffer nahm einem Kollegen die Taschenlampe weg und trat aus dem gleißenden Licht der Spots. Er ließ den Lichtkegel der Lampe über die Wände an der rechten Seite wandern. Man konnte deutlich erkennen, wie hoch der durchschnittliche Wasserstand war. Bis über Hüfthöhe reichten die Algen. Darüber war der Beton trocken und blank. Pfeffer ließ das Licht ein wenig höher wandern. Annabella Scholz pfiff leise und Dr. Gerda Pettenkofer gab ein undefinierbares Glucksen von sich.
»Verstehe«, sagte die Hauptkommissarin. Sie trat näher an die Wand und klopfte gegen die Eisentür über ihr an der Wand. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Türgriff zu erreichen und rüttelte daran. Nichts tat sich.
»Und woher wusstest du das, Maxl?«, fragte die Rechtsmedizinerin.
»Bin hier aufgewachsen«, antwortete Pfeffer knapp. »Wenn jemand etwas so Großes in den offenen Bachlauf wirft, dann wird das von der automatischen Rechenanlage draußen gestoppt. Die soll nämlich genau so was verhindern. Dass Menschen in den unterirdischen Bachlauf geraten. Die kann keiner mehr retten. Einmal hatte sich eine Leiche darin verfangen. Ein Obdachloser, der vermutlich betrunken ins Wasser gefallen war. Lange her. Also muss jemand die Leiche hinter der Rechenanlage reingeworfen haben. Das könnte er theoretisch noch auf dem schmalen Streifen zwischen Rechenanlage und Haus machen. Aber da ist das Gelände unwegsam, steil und besonders dicht bewachsen. Aus besagten Gründen. Also bleibt ein logischer Schluss: Jemand hat die Tote über den Kellerzugang in den Bach geworfen. Du hast vermutlich recht, Bella, dass das Bündel trotz des Gewichts von der Strömung ein wenig mitgerissen wurde, bis es auf den Boden sank. Also bleiben uns die Zugänge von hier bis vorne zum Tunnelbeginn.«
Hauptkommissarin Scholz machte ein paar Schritte in Richtung Ausgang und kniff die Augen zusammen. »Vier oder fünf, würde ich sagen.«
»Vermutlich.« Pfeffer gab die Taschenlampe dem Kollegen zurück. »Wissen wir denn schon, wer die Tote ist?«
Annabella Scholz schüttelte den Kopf. »Sie ist nackt. Keine Papiere, keine auffälligen Merkmale.«
»Dann sollten wir uns mal mit den Lebenden oben beschäftigen. Vielleicht wird ja eine alte Dame vermisst. Wer hat eigentlich die Tote gefunden?«
Doktor Gerda Pettenkofer deutete mit dem Kopf in Richtung der zwei Männer in orangefarbener Arbeitskleidung.
»Bachauskehr«, sagte Pfeffer leise, »wie jeden April. Du hast ihre Aussagen, Bella?«
Die Hauptkommissarin nickte. »Mehr als die Tatsache, dass sie sie gefunden haben, konnten sie allerdings auch nicht beitragen.«
Max Pfeffer ging zu den beiden Männern, die aufmerksam die Arbeit der Spurensicherung beobachteten.
»Seit wann ist Bachauskehr?«, fragte er den Älteren. Doch bevor Rudi seinen Mund öffnen konnte, sagte Mo: »Mann, Mann, Mann, das ist eine Scheiße, Alter.«
»So kann mans auch nennen. Trotzdem meine Frage: Wann wurde das Wasser abgestellt?«
»Vorigen Mittwoch«, sagte Rudi.
»Gerda?«
»Bin hinter dir, Max.«
Pfeffer drehte sich um und runzelte die Stirn, als wäre ihm eben etwas eingefallen. »War die Leiche eigentlich nass? Lag sie eindeutig im Wasser?«
»Eindeutiger geht es nicht. Ich würde sogar sagen, dass sie längere Zeit im Wasser lag. Das Wasser ist so verdammt kalt, dass sich jedweder Verwesungsprozess stark verlangsamen muss. Selbst wenn das Wasser jetzt schon eine Woche nicht mehr kühlt, hier drunten ist es immer noch saukalt.«
»Gut, dann fällt meine Theorie, dass der Täter die Bachauskehr genutzt hat und trockenen Fußes reingekommen ist, um die Tote hier hinzulegen, flach.«
»Darf ich eine rauchen?«, fragte Mo und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
»Gute Idee«, sagte Dr. Gerda Pettenkofer. Sie zückte ihre Zigaretten und einen kleinen Taschenaschenbecher. »Auch eine, Max?«
»Ja, aber lass uns rausgehen, wenn wir hier fertig sind. Brauchen wir die Zeugen noch, Bella? Nein. Okay. Dann können Sie gehen. Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir noch Fragen haben. Danke.«
»Süß, der Migrationshintergründler«, sagte die Rechtsmedizinerin, als sie aus dem Kanal ins Freie traten und gab Pfeffer Feuer.
»Süßer Migrationshintergründler? Wusste gar nicht, dass du auf öläugige Bubis stehst.«
Annabella Scholz lachte.
»Ich guck ja nur. Er ist ganz putzig, wenn man den hardcore-südländischen Typ mag.« Die Rechtsmedizinerin nahm einen tiefen Zug. »Tu nicht so, Maxl. Ich weiß, dass bei dir auch der exotische Typ Paarungsbereitschaft evoziert.«
»Was bei mir Paarungsbereitschaft auslöst, steht nicht zur Debatte und deine Hormonbooster interessieren mich, ganz im Vertrauen, werte Gerda, nicht die Bohne.«
Der Regen hatte aufgehört, stattdessen zog leichter Nebel auf. Die Abenddämmerung setzte ein.
Gerda Pettenkofer erklomm schwer schnaufend die Aluminiumleiter und stapfte durch das Gebüsch hinauf zur Pestalozzistraße. Zwei Altbauten in der Straße waren eingerüstet. Riesige Transparente kündeten von den »Wohnträumen in begehrter Lage«, die hier entstünden. Begehrte Lage. Pfeffer musste lachen. Die Gegend war früher mal ein echtes Glasscherbenviertel gewesen. Pfeffer kannte sich aus. Hier war er aufgewachsen. Zugegeben, nicht direkt hier im Glockenbachviertel, sondern ein paar Straßen weiter südlich im Schlachthofviertel. Aber das gesamte Areal der Isarvorstadt gehörte damals zu seinem Kiez, er kannte alle Gassen und Winkel. Damals beherrschten gewaltbereite Jugendbanden die Gegend, und Pfeffer hatte gelernt, sich zu prügeln. Er war nie davongelaufen. Er hatte seine blauen Augen und Blessuren mit Stolz getragen. Er erinnerte sich an den Baiersbrunner Schorschi, der besonders skrupellos die Jüngeren schikanierte und mit sadistischer Perfektion quälte. So wie damals, als Schorschi zwei seiner devoten Lakaien den jungen Pfeffer festhalten ließ, damit er ihm »die blöde Schlachthoffresse zur Schlachtplatte hauen« konnte, wie es der Schorschi ausdrückte. Damals hatte Pfeffer das erste Mal festgestellt, wie empfindlich Jungs im Genitalbereich sein können. Und da Max Pfeffer schnell und wendig war, bekamen nicht nur die beiden Lakaien seine Stiefel zu spüren, sondern auch der Schorschi. Dem Schorschi brach er dann noch die Nase. Danach ließen sie ihn in Ruhe. Der Schorschi hatte sogar versucht, sein Freund zu werden. Doch Max Pfeffer konnte sich beherrschen.
Damals gab es auch noch die billigsten Striplokale der Stadt im Viertel und den Straßenstrich an der Müllerstraße. Die Mieten waren ein Witz verglichen mit den begehrten Wohnlagen in Schwabing oder Haidhausen. Also kamen bald die Künstler, die Kreativen und mit ihnen die Schwulen. Das Schmuddelkind Isarvorstadt wurde langsam cool und hip. Lange Jahre stimmte der Mix aus Alt und Neu, aus schwul und hetero, aus Szene und Gerontologie. Den Begriff Glockenbachviertel kannten nur die Einheimischen und es war ein Bäh-Wort, dort wollte niemand zu Hause sein. Also sagte man entweder, man wohne im Gärtnerplatzviertel (schon erheblich besser) oder gleich in Thalkirchen (noch viel besser). Dann änderte sich alles. Die Kreativen zogen die Chichis nach sich, die schwule Partyszene zog das hetero Ballermannpack nach sich, die Immobilienpreise explodierten, die Mieten stiegen ins Obszöne, die erwachsen gewordenen Schlägertypen konnten sich ihren Kiez nicht mehr leisten und mussten an den Stadtrand ziehen. Statt verrosteter Toyotas oder Corsas eroberten SUVs und Mini Cooper die schmalen Straßen. Plötzlich gab es nur noch das Glockenbachviertel, vom Viktualienmarkt bis mitten hinein nach Sendling. Und die Schlachthofviertler reckten ihre Nasen noch etwas höher und beschlossen, dass sie von nun an im Dreimühlenviertel wohnten, weils schicker klingt. Gentrifizierung nannte sich das alles in Neudeutsch. Pfeffer hatte auf einem alten Volvo einen Aufkleber gesehen, den er sich unbedingt besorgen wollte: »Willkommen im Viertel, ihr Arschlöcher!« Dann musste er sich aber eingestehen, dass er mittlerweile selbst dank seiner Einkommensklasse den Lebensstil der Arschlöcher pflegte. ›Aber immerhin‹, so sagte er sich, ›habe ich eine andere Einstellung.‹ Er fuhr keinen SUV, mied Bioläden – hauptsächlich, weil Tim fürs Einkaufen zuständig war – und hatte keinen kreativen Job. Obwohl er sich seinen Job durchaus kreativ gestaltete.
»Wir sehen uns morgen im Büro, Bella«, sagte Max Pfeffer zu seiner Kollegin. »Dann machen wir uns auf die Suche nach vermissten alten Frauen und ihren Mördern.«
»Geht klar, Chef.« Die Hauptkommissarin verabschiedete sich und ging mit schnellen Schritten die Straße hinunter.
»Ihre erste Woche als Hauptkommissarin«, sagte Pfeffer und sah seiner Kollegin hinterher.
»Was?« Doktor Pettenkofer gab dem Kriminaler einen Schubs. »Sie ist befördert worden? Warum sagt mir keiner was? Ich hätte ihr gratuliert!«
»Ich muss da lang«, sagte Max Pfeffer.
»Und ich da.« Die Rechtsmedizinerin deutete in die entgegengesetzte Richtung. »Begleitest du mich zum Auto?«
»Hast du Angst, alleine zu gehen?« Pfeffer schmunzelte. »Allein in München. Grusel. Noch dazu im Glockenbachviertel. Shiver!«
»Blödmann.« Die Rechtsmedizinerin zündete sich eine neue Zigarette an. »Dachte immer, du wärst ein Kavalier. Dann begleite ich dich eben zu deinem Auto, Maxl, schließlich sind wir im Glockenbachviertel, und schon mein Vater selig hat immer gesagt, dass man da als Mann mit dem Arsch zur Wand durch die Straßen laufen muss, damit man nicht ganz die Unschuld verliert.«
»Weiser Mann, dein Vater.« Pfeffer lachte.
»Ein Depp war er!«
»Oder so.«
»Wenigstens hast du jetzt bessere Laune. Sag, wo steht dein Wagen, Maxl? Ich begleite dich wirklich.«
»Mein Wagen steht nirgends. Ich bin gelaufen.«
»Echt?« Doktor Gerda Pettenkofer blieb abrupt stehen. »Von Obermenzing bis hierher?« Sie pfiff durch die Zähne.
»Nicht von Obermenzing. Ich wohne zurzeit hier ums Eck. Zurück in der alten Hood. Und ich bin ein Kavalier, die Dame. Ich begleite dich doch selbstverständlich.« Sie bummelten weiter die Pestalozzistraße hinunter, kamen an der Heilsarmee vorbei und steuerten auf den alten Suzuki-Geländewagen der Rechtsmedizinerin zu, der unter einer Laterne vor einem Tagescafé parkte.
»Oh, rausgeschmissen worden? Erzähl! Ich brauche mehr Details.« Die Rechtsmedizinerin sah den Kriminalrat sensationslüstern an.
»Es ist denkbar banal, Gerda-Hase. Wir haben beschlossen, die Bäder neu machen zu lassen. Na, eigentlich nur das obere Bad. Da die aber empfohlen haben, gleich das ganze Rohrsystem zu erneuern, haben wir uns dazu entschlossen, alle Bäder und Toiletten im Haus neu machen zu lassen. Ach ja, und die Küche. Da wurde seit der Erbauung nichts mehr gemacht. Alles original Zwanzigerjahre. Lauter Schrott. Kostet eine Stange und das ganze Haus ist eine Baustelle. Und wir sind alle ausgezogen. Na, eigentlich nur ich.«
»Ich sagte doch: mehr Details!« Sie waren längst neben dem alten japanischen Geländewagen der Rechtsmedizinerin angekommen, und Gerda Pettenkofer lehnte sich gegen die »Friseusenschleuder«, wie sie ihr Auto selbstironisch nannte.
»Cosmo hat Osterferien und ist auf Ibiza, angeblich fürs Abi lernen. Flo ist in England, und Tim hat ein dreiwöchiges Seminar bei einem Pharmariesen in Hamburg. Nur ich bin hiergeblieben. Einer muss ja die Bauarbeiten beaufsichtigen. Ich habe per Zufall hier um die Ecke eine Wohnung als Zwischenmieter bekommen. Kostet mich nur die Nebenkosten.«
»Echt? Wer ist so großzügig?«
»Severin Hemberger. Der Ex von meiner Ex. Na, streng genommen ist er nicht der Ex meiner Ex, sondern so was wie der Witwer meiner Ex. Sie waren nicht verheiratet, als sie starb. Aber zusammen, du verstehst?«
»Der Ex von deiner Exfrau bietet dir ein Dach über dem Kopf? Hat er jetzt das Ufer gewechselt?«
»Nö.« Pfeffer schlug den Jackenkragen hoch. Es war kalt, viel zu kalt für einen normalen Aprilabend. Aber was war in den letzten Jahren schon normales Wetter. Seit das Thema Klimaerwärmung in aller Munde war, hatte sich Pfeffer auf lange, heiße Sommer und milde Winter gefreut. Er war wetterabhängig, was seine Stimmung anging. Er brauchte Sonne und Wärme. Doch statt Sonne und Wärme waren die letzten Sommer desaströs verlaufen. Und auch ein richtiger Frühling ließ sich nicht mehr blicken. Meist klebte ein dichter grauer Deckel über der Stadt oder es regnete, und die Winterdepression wollte nicht aus Pfeffers Seele weichen. Kalter Nebel stand mittlerweile zwischen den Häusern.
»Der Ex von meiner Ex ist eigentlich ein ganz netter«, sagte Max Pfeffer. »Er hat meine Ex wirklich geliebt. So richtig mit allem drum und dran. Wie man es sich wohl nur wünschen kann, geliebt zu werden. Als sie dann gestorben ist, hat ihn das völlig aus der Bahn geworfen. Ebenfalls so richtig mit allem Drum und Dran. Klapsmühle, Psychopharmaka und so. Er musste seinen Weinladen aufgeben, Offenbarungseid, totale Pleite, und alles, was du dir an Drama vorstellen kannst. Er hartzt nun und fristet ein Hungerleiderdasein als freischaffender Künstler.«
»Und er vermietet also unter, um Geld zu verdienen?«
»Nein. Er hat eine Zweizimmerwohnung vorne in der Arndtstraße, die hat ihm sein Vater verschafft, der im selben Haus wohnt. Nun ist sein Vater wegen Schlaganfall für mehrere Wochen in der Reha, und dessen Wohnung steht leer. Neulich habe ich per Zufall mit Severin telefoniert, er erkundigt sich alle Jubeljahre mal nach den Kindern, weil er die Jungs echt mag, und da sind wir auf das Thema Badumbau gekommen etcetera, und er hat mir die Wohnung seines Vaters angeboten. Nun wohne ich vorübergehend in einer Wohnung, die nach altem Mann müffelt und die mit den schockierendsten Möbeln der Nachkriegszeit eingerichtet ist, die du dir vorstellen kannst.«
»Das möchte ich sehen.« Die Rechtsmedizinerin klatschte begeistert in die Hände. »Wann lädst du mich auf einen Kaffee ein?«
»Definitiv nicht jetzt. Machs gut, fahr vorsichtig und dann süße Träume.«
»Dir auch ’ne gute Nacht, Maxl.«