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03

Pfeffer ging den Weg zurück. Der Leichenwagen fuhr eben weg. Pfeffer bog von der Pestalozzistraße in den kleinen Weg, der neben dem Bach durch die Grünanlage führt. Der Kriminalrat vergrub die Hände in den Taschen seiner Lederjacke, als er über den kleinen Steg ging, der über den Bach führt. Totensteg heißt der im Volksmund, weil er vom Glockenbachviertel zum Seiteneingang des alten Südfriedhofs führt. Die feuchte Kälte drang durch die Kleidung. Novembernebel im April. Zum Kotzen.

Zu der späten Stunde begegneten ihm nur wenige Menschen. Sie tauchten schemenhaft auf und verschwanden in der Suppe. Die meisten hatten es ziemlich eilig. Einer wankte bedenklich, eine Alkoholfahne wehte ihm noch lange nach, als er längst wieder im Nebel abgetaucht war. Eine Frau führte ihren Hund spazieren. Besser gesagt, sie wartete am anderen Ende der Leine darauf, dass ihr Köter seine Notdurft mitten auf den Gehsteig verrichtete.

Max Pfeffer verkniff sich einen Kommentar. Sein jüngster Sohn Florian hatte sich einmal einen Hund gewünscht. Der Bub hatte partout nicht verstehen wollen, warum sein Vater das so strikt ablehnte. Max Pfeffer mochte keine Hunde, weil er devote Wesen verabscheute. Und er fand schon immer die Situation ziemlich absurd, dass sich Menschen an ein Vieh leinen, darauf warten, bis es abkotet, und zuletzt, sofern sie auf ihre Mitbürger Rücksicht nehmen, auch noch die Scheiße in kleinen Plastikbeutelchen einsammeln.

Es war aber auch ziemlich absurd, dass alte Frauen zum Bündel verschnürt in einen Bach geworfen wurden.

Als Pfeffer an den Altglascontainern neben dem Jugendhaus der Caritas vorbeikam, hörte er ein Keuchen und ein Würgen. Er blieb unschlüssig stehen, sein Gastbett rief. Endlich schlafen und niemanden mehr sehen. Pfeffer beobachtete den Mann, der sich vornübergebeugt am Grünglascontainer festhielt und sich übergab.

»Kann ich Ihnen helfen?« Verdammtes Pflichtbewusstsein und ein immer noch nicht ganz überwundenes Helfersyndrom.

»Danke, geht schon«, murmelte der Mann am Container und richtete sich langsam auf. »Schon wieder okay.« Er wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab und drehte sich leicht wankend um. Die Blicke trafen sich.

»Max?«

»Severin? Was machst du denn für Sachen?«

»Sorry, Pfeffer.« Severin Hemberger richtete sich vollends auf und lächelte matt. »Manchmal finde ich mich eben selbst zum Kotzen.«

»Du solltest weniger trinken …«

»Ich trinke nicht genug! Spar dir deine Predigten für deine Kinder auf, Maximilian Pfeffer.« Es klang zu aggressiv, und Severin schickte schnell leise hinterher: »Tut mir leid. Du hast keine Ahnung von meinem Leben.«

»Okay. Aber ich glaube, ich bringe dich jetzt besser mal nach Hause.« Pfeffer streckte seine Hand aus, um Severin am Arm zu packen. »Wie praktisch, dass wir beide im selben Haus wohnen.«

Severin Hemberger, der seit dem tragischen Krebstod seiner Lebensgefährtin versuchte, sein Leben als durchaus talentierter, aber ebenso verkannter Künstler auf die Reihe zu bekommen, zog seinen Arm zurück. »Geht schon, Max. Ich bin nicht besoffen.«

»Was dann? Magen verdorben?«

»Du … Irgendwann erzähle ich dir mal ein wenig über mich, dann wirst du verstehen, warum mir von mir selbst schlecht wird«, sagte Severin Hemberger so betont geheimnisvoll, dass Pfeffer jegliches Interesse an der Geschichte verlor. »Komm, lass uns im Rumpler noch einen Absacker trinken. Ich brauch das jetzt. Und ich brauche … naja … Gesellschaft. Bitte.«

»Okay«, seufzte Pfeffer wenig begeistert. Scheiß Helfersyndrom. Er mochte Severin irgendwie, aber es reichte nicht, als dass man es eine Freundschaft nennen könnte. Sie hatten mal dieselbe Frau geliebt, mehr nicht. Max Pfeffer und Severin Hemberger waren beide virile, sehr maskuline Typen, aber sonst verband sie optisch nichts. Severin war ein großer Kerl, muskulös, breit. Pfeffer eher kleiner und drahtig. Severin war ein paar Jahre jünger als Pfeffer, sogar ein paar Jahre jünger als Pfeffers Exfrau. Seinem beginnenden Haarausfall begegnete er, indem er sich den Kopf rasierte. Trotz seines maskulinen Äußeren hatte er diesen scheuen Dackelblick, der überhaupt nicht zu ihm zu passen schien. Sie liefen schweigend die Straße hinunter auf die Wirtschaft am Eck zu, die schon seit gut und gerne einhundert Jahren existierte und damals wie heute Rumpler hieß. Vor der Eingangstür standen zwei Gestalten und rauchten. Als sie die Gaststube betraten, drehten sich die Köpfe der wenigen Gäste erwartungsvoll um. Weil jedoch niemand Aufregendes kam, widmete sich wieder jeder seinem Tisch- oder Tresennachbarn.

»Was treibt dich eigentlich zu so später Stunde in die Kälte einer Frühlingsnacht?«, fragte Severin, als sie am Tresen saßen und jeder ein schäumendes Bier vor sich hatte. »Amouren? Mal wieder ’ne kleine Tour durch Ochsengarten, Bau und Edelheiß? Marktwert checken?«

»Klar, hab nichts Besseres zu tun. Nein, Arbeit«, brummelte Pfeffer.

»Und?«, hakte Severin ungeduldig nach.

»Wie und?«

»Du hast Bereitschaft, du bist draußen, also musst du einen neuen Fall haben, oder?«

»Richtig.« Der Kriminalrat trank einen großen Schluck. »Es geht dich zwar nichts an, aber du wirst es eh morgen oder eher Montag in der Zeitung lesen. Nichts Großartiges … Eine alte Frau. Sie wurde heute bei der Bachauskehr tot im Kanalbett gefunden.«

»Ertrunken?«

»Mehr darf ich dir beim derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht sagen.«

»Derzeitiger Stand der Ermittlungen.« Severin Hemberger zog die Augenbrauen spöttisch hoch und trank sein Bierglas in einem Zug leer. Weil die Bedienung vorbeikam, hob er sein leeres Glas und deutete wortlos darauf.

»Ich halte dich auf dem Laufenden. Jetzt erzähl mir lieber die wahnsinnig spannende Geschichte, warum du dich manchmal selbst zum Kotzen findest.«

»Ein andermal. So genau willst du es gar nicht wissen. Erzähl du mir lieber, was du für Unterhosen hast.«

»Gehts noch?« Pfeffer verschluckte sich fast an seinem Bier.

»Hast du so peinliche Liebestöter, ausgeleierter Feinripp mit Eingriff? Das wäre ideal.«

»Wofür? Stehst du auf Fetischspielchen?«

»Ich mache eine neue Porträtserie. Alle Bilder im gleichen Format. Lauter Männer in Unterhosen. Und ich möchte, dass du mir Modell sitzt. Dazu wäre es schön, wenn du eine weiße Feinripphose mit Eingriff trägst, denn die haben bisher alle Modelle gehabt. Viele Männer, eine Hose. Alle sitzen auf meinem roten Sofa.«

»Wahnsinnskonzept«, sagte Pfeffer sarkastisch. »Ich fühle mich zwar geehrt, wenn du mich malen willst, aber Feinripp mit Eingriff trage ich nicht mehr, seit ich mir selbst meine Unterhosen kaufe.«

»Okay, dann leihe ich dir eine.«

»Ich glaube nicht, dass ich deine Feinrippunterhosen mit Eingriff tragen möchte.«

»Die Alternative wäre ganz nackt und ich lege die Hose neben dich auf das Sofa. Überlegs dir. Ich würde mich freuen. Wirklich. Ernsthaft. Komm doch morgen nach Dienstschluss.«

»Schaugn ma amoi.«

»Dann seng ma scho«, ergänzte Severin.

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