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Viertes Kapitel

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Der Tag im Büro verlief in einer Mischung aus sehnlichem Heranwünschen des Abends und des Treffens mit einer einmaligen Frau und dem Dahinschweben durch die Phantasiewelt eines einsamen jungen Mannes. Niemand rief an, um mich aus meiner Lethargie zu reißen, niemand kam vorbei, um mich aus meiner Lethargie zu reißen, niemand brauchte einen Privatdetektiv, und wenn mal jemand einen brauchte, dann kam er in den seltensten Fällen zu mir.

Wenn jemand zu mir kam, wollte er meist wissen, ob sein Lebenspartner inzwischen vielleicht der Lebenspartner eines anderen war oder irgendetwas in dieser Richtung. Marlowe, die Legende aller Privatdetektive, hatte nie Scheidungsfälle angenommen. Er hatte auch nie Anfang des 21. Jahrhunderts in Köln sein Büro gehabt! Und er hatte immer irgendwelche Frauen gekriegt, nichts Festes natürlich, er war ja Profi und seit ihm durfte wohl auch kein Detektiv mehr eine feste Bindung eingehen, wenn er sich nicht lächerlich machen wollte. Naja, Marlowe war schon okay gewesen, er hatte die Welt gesehen, wie sie wirklich war. Das war allerdings etwas, das nicht einmal ich momentan tat, ich sah die Welt, wie ich sie sehen wollte und wie sie natürlich wirklich nie werden würde – jedenfalls nicht für mich.

Die Zeit kroch dahin, als hätte sie an diesem Tag nichts Besseres zu tun. Sie ließ sich sich selbst, schlenderte durch den Raum, setzte sich, ruhte sich aus, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. Fast war es so, als bewegten sich die Zeiger der Uhr rückwärts. Ich starrte die Uhr an, versuchte, sie dazu zu bewegen, schneller zu laufen. Sie tat es nicht. Sie tat es überhaupt nicht. Sie stand. Die Batterie war leer. Es sprach gegen meinen Zustand, dass ich mindestens eine halbe Stunde brauchte, um das zu bemerken.

Und dann war es endlich so weit. Halb fünf! Noch anderthalb Stunden. Eine Ewigkeit, aber ein großer Fortschritt zu vorher. Es wurde langsam Zeit, sich fertig zu machen. Langsam, sehr langsam.

Ich verschloss das Büro, ging nach Hause, duschte, sprühte mich aufdringlich mit irgendwelchen Deos ein, deren Haltbarkeitsdatum ihrem Geruch nach schon lange abgelaufen war, zog mich so an wie sonst auch, nur mit frischen Klamotten und stand um Punkt viertel vor sechs bei Myriam Burns vor der Haustür. Natürlich war ich zu früh. Ich war immer zu früh. Besonders dann, wenn ich die ganze Zeit auf diesen Termin hatte warten müssen. Nervös ging ich auf und ab. Es war eine schlechte Angewohnheit. Ich fasste mir ein Herz und klingelte.

„Ja?“ scholl es mir aus der Lautsprecheranlage entgegen. „Sneyder?“

„Ja, ich bin’s.“

„Schön, komm rauf.“

In weniger als einer halben dreivierteltausenstel Millisekunde hatte ich die Treppen erklommen und stand schwitzend vor ihrer geöffneten Wohnungstür und damit vor ihr.

„Hallo.“ Sie lächelte.

„Hallo.“ Auch ich lächelte.

„Kommst du auch immer zu früh?“ fragte sie und wieder einmal hatten wir eine Gemeinsamkeit gefunden. „Komm doch herein.“

Ich trat ein, wischte mir den Schweiß von der Stirn und steuerte in weiser Voraussicht auf das Sofa zu. Sie nahm mir gegenüber Platz und ich ihr gegenüber. Ich wusste nie, was ich in einer solchen Situation sagen sollte. Sie scheinbar auch nicht. „Meinem Bruder geht es gut, danke noch mal.“

„Keine Ursache.“ Ich blickte mich verlegen im Raume um und sie desgleichen. „Was machst du so?“

„Ich bin Refrendarin“, sagte sie, „Sonderschule!“

„Aha.“

„Wie... wie kommt man dazu, Privatdetektiv zu werden? Das wollte ich dich gestern schon fragen.“

Ich lächelte schief. „Die Idee meines Vaters! Er hatte irgendwann keine Lust mehr, immer das gleiche zu machen, Tag für Tag, und dann hat er die Privatdetektei Sneyder aufgemacht.“ Ich hob die Schultern. „Ich hab n bisschen studiert und nebenbei in der Detektei die Luft des Abenteuers zu schnuppern versucht. War aber mehr die verstaubte Luft von Akten. Dann hatte mein Vater... einen Unfall, naja, und seitdem kümmere ich mich um das Geschäft.“

Sie lächelte. „Keiner von diesen eingebildeten Jurastudenten oder den langweiligen Lehrern.“

„Oder den langweiligen Bürohengsten.“

„Oh, wie ich das hassen würde, Tag für Tag in einem Büro herumzuhängen, immer den gleichen langweiligen Scheiß zu machen“, sie sie schüttelte sich. „Muss das nicht grauenvoll sein?“

„Ekelhaft! Hmm, warte mal, lass mich mal raten: Du liest nicht zufällig sehr gerne?“

„Aber natürlich.“

„Wie sieht es bei dir mit Musik aus?“

„Ich hasse diesen Techno-Scheiß...“

„...und die Rap-Kacke?!“ Wir waren uns einig. Jetzt fehlte nur noch eine Antwort auf eine Frage und ich würde… aber das hatte ich ja ohnehin schon. „Kennst du zufällig die Rhapsody in...“

„...blue von George Gershwin?! Ja, aber ich mag auch die Bohemian…“

„…Rhapsodie von Queen“, beendete ich.

Das war die schlichte Antwort: Sie war es, sie war die Frau, auf die ich mein Leben lang gewartet hatte!

Euphorie, ich sollte einen Gang runterschalten, um meiner selbst willen, aber… ich war trunken vor Freude! Alles war perfekt, ja, zugegeben, zu perfekt, aber was soll’s? Wann begegnet man schon mal seiner Traumfrau? Eben, niemals! Da musste man nicht jeden kleinen Moment hinterfragen, ob das denn wirklich alles sein konnte. Nein! Es konnte, und wollte und ich wollte. Ich wollte sie, sie und keine andere, sie für immer und ewig oder bis einen von uns der Bus überrollte.

Wenn ich ihren Blick richtig interpretierte, schien sie ähnliches zu denken. Hoffentlich irrte ich mich nicht! Ich hatte es satt, immer allein zu sein, darauf zu hoffen, vielleicht doch irgendwann mal einer Frau zu begegnen, die mich fesseln konnte, die ich lieben konnte und wenn sie es nicht war, würde mich das erstmal um ein paar unbedeutende 50 Jahre zurückwerfen.

Sie war es, daran bestand nicht die geringste Spur eines Zweifels mehr. Wir unterhielten uns noch einige Zeit und mir wurde immer klarer, was technisch gar nicht möglich war, dass sie es war, aber ich glaube, das erwähnte ich bereits.

„Oh“, sagte sie plötzlich, „wenn wir noch essen wollen, müssen wir aber los.“ Ich bestand nicht darauf, aber sie tat es.

Wir gingen zu Fuß zu einem Steakhouse, sie wohnte recht zentral und es war ein herrlicher Abend. Das Essen war hervorragend und die Unterhaltung stand dem in nichts nach. Aber das musste nichts zu bedeuten haben, wie der Pessimist in mir mir zu verstehen gab. Ich beschloss, ihn zu ignorieren.

Das Problem war: Ich wusste bei Frauen nie, woran ich war. Andere mochten behaupten, dass das gerade den Reiz ausmachte, ich für meinen Teil fand das einfach nur beschissen! Während ich sie noch anhimmelte, gesellte sich plötzlich die Art Lebewesen zu uns, die ich in einer solchen Situation wahrscheinlich genauso willkommen heißen würde, wie Sigmund Freud seinen Vater, wenn er sich gerade wieder in seine Mutter vergaffte.

„Hallo, Myriam!“ Ein großer blonder sportlicher agiler gut gekleideter rasierter unbebrillter bestimmt Porsche fahrender unter Garantie Medizin studierender junger Mann gesellte sich zu uns, wobei er es vorzog, mich zu ignorieren. „Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.“ Er nahm an unserem Tisch Platz, was es schwierig machte, ihn zu ignorieren.

„Tag, René.“ Ihre Stimme war leicht frostig, aber nicht ohne ein gewisses Zittern, das Frauen dann in der Stimme hatten, wenn sie Stimmbandprobleme hatten, oder einem Mann gegenübersaßen, den sie mindestens geliebt hatten, wenn nicht sogar noch irgendein Gefühl für ihn empfanden.

„Können wir uns nicht mal wieder sehen?“ fragte er, ziemlich schnell zur Sache kommend, wie ich fand. Und dann: „Es tut mir leid. Es hätte damals anders laufen können, aber ich glaube, es war meine Schuld!“ Das ist so ziemlich das Letzte, das Sie hören wollen, wenn Sie mit einem Mädchen zusammensitzen, in das Sie sich gerade ziemlich stark verliebt haben.

„René, es war nichts und es wird nichts werden!“

Gute Worte, sehr gute Worte! Das Problem war, dass sie sich da selbst nicht so ganz sicher zu sein schien.

„Myriam!“ Er nahm ihre Hand. „Es war... meine Schuld!“

Er erhob sich, um sich noch einen guten Abgang zu verschaffen und sie ihren Gedanken zu überlassen. Ich war für ihn weiterhin Luft, aber nicht die, die er atmen wollte, das war sie.

„Wenn es dir recht ist, komme ich morgen mal vorbei!“

Damit ging er. Ich war mir nicht sicher, ob es ihr recht war, aber ich weiß, wie meine Antwort ausgefallen wäre, hätte er mich gefragt. Hatte er aber nicht. Würde er auch nicht.

Was mich betraf, mein Glücksgefühl hatte sich verabschiedet, seinen Mantel genommen und wartete bestimmt schon draußen auf die nächste Straßenbahn (ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich mein Glücksgefühl ein Taxi leisten konnte).

Der Rest des Abends verlief kurz und kühl: Ich brachte sie nach Hause, sie sagte, sie müsse noch über einiges nachdenken, wobei sie mich so ansah, als wäre ich mit darunter, aber nicht an erster Stelle. Ich machte mich auf den Weg nach Hause und fühlte mich, als hätte es mich den ganzen Tag über voll geregnet!

Der Mörder ist immer der...

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