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Kapitel 8

Mit der Figur des bösen Ritters begann Frederico Tenderbilts Reise in die Kunst der Literatur. Er war die erste Figur, die er erfand, das erste, relativ ausgeklügelte 'nahezu real existierende' Produkt seiner Phantasie. Der böse Ritter nahm in seinem Geist immer mehr Gestalt an, bildete von der mordenden Bestie einen Charakter aus, der leicht der eines Romantikers hätte sein können, eine verkrachte Existenz, die durch ihr Morden zu sich selbst zu finden versucht; durch seine Taten kompensierte er, was er war. In gewisser Weise stellte der Ritter das Problem dar, welches auch Frederico selbst hatte – seine Umwelt hielt ihn für einen Außenseiter, einen Verrückten. Beide suchten einen Weg, dies für sich selbst auszubügeln, sich damit zurechtzufinden: der Ritter auf seinen Blutzügen, Frederico anfangs durch die Gestalt des Ritters, später auch durch andere Figuren, indem er sich in die Welt seiner eigenen Literatur hineinversetzte. Anfangs stellte der Ritter nur ein Ventil dar, mit dem er die Wut auf seine Umwelt kompensieren konnte, indem er den Ritter für ihn unliebsame Personen abschlachten ließ; natürlich steigerte sich die Ablehnung, die die Umwelt gegenüber dem Ritter aufbaute durch die steigende Zahl seiner Ermordungen. In Anbetracht dieser Tatsachen erscheint es merkwürdig, dass Frederico Tenderbilt nie eine Geschichte über den bösen Ritter niederschrieb.

Nach der Phase der Liebesgedichte wandte er sich einer anderen Gattung der Literatur zu: der Kurzgeschichte. Übrigens nahm er mit seinen Geschichten und Gedichten nie an einem Wettbewerb teil, dementsprechend verachtete er die Sorte von Schriftstellern, die lediglich für solche Anlässe schrieben, besonders dann, wenn sie auch noch erfolgreich waren. Seine erste Kurzgeschichte schrieb er, als er, von seiner Freundin verlassen, geknickt nach Hause kam und der böse Ritter gerade Urlaub im schottischen Hochland machte. Dementsprechend bitter klingt auch die Geschichte, es scheint fast so, als habe er Mühe gehabt, keinen seiner Protagonisten von einem kunstvoll geschwungenen Breitschwert ins Jenseits befördern zu lassen.

UND NUR DIE LIEBE BLEIBT

Erst vor wenigen Monaten hatten sie sich kennen gelernt. Sie war ein wundervolles Mädchen, hatte lange, brünette Haare, einen hübschen kleinen Mund und schöne braune Augen. Als er sie kennen lernte, hatte er sich sofort in sie verliebt. Es war auf einer kleinen Party gewesen, die einer seiner Freunde veranstaltet hatte. Ihr Name war Isobel; sie war die Cousine der Freundin des Gastgebers. Isobel, was für ein wundervoller Name, dachte er. Dort stand sie, keine drei Meter von ihm entfernt. Mutig lächelte er sie an. Er sah ihr tief in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick, er lächelte breit, auch das erwiderte sie. Das war es, dachte er, Liebe auf den ersten Blick.

Sein Glas in der Hand trat er auf sie zu und stellte sich vor. Sie sagte, sie heiße Isobel, worauf er erwiderte, dass er das schon wisse. Sie lächelte verstehend. Er gab sich so locker er konnte und tatsächlich schien seine etwas laxe, humorvolle Art bei ihr Gefallen zu finden. Hin und wieder lachte sie so laut auf, dass die Umstehenden die beiden merkwürdig ansahen. Für ihn war dies die phantastischste Party, die er bisher erlebt hatte. Und sie wäre auch fast ein unvergessliches Erlebnis geworden. Er hätte es merken müssen, er hätte es an der Art merken müssen, wie Tim, der Gastgeber, mit ihnen sprach. Aber an diesem Abend merkte er es nicht, er war vor Liebe so entflammt und er sah nur sie. Erst später fiel es ihm auf.

Sie kamen zusammen, er und Isobel. Er sagte ihr, dass er sich in sie verliebt habe und sie sagte ihm, dass es ihr genauso ginge. Oft trafen sie sich, gingen zusammen ins Schwimmbad oder ins Kino, manchmal war auch Tim dabei, in dessen Beziehung es im Moment nicht so ganz klappte. Aber das würde schon vorbei gehn, meinte er, noch immer vom Liebesglück erfüllt. Dann sagte Isobel an einem Nachmittag, sie habe heute keine Zeit. Nichts Böses ahnend ging er ins Schwimmbad, um sich mit Tim zu treffen, der sich jetzt endgültig von seiner Freundin getrennt hatte. Und da sah er die beiden, Tim und Isobel. Wütend ging er zu ihnen, Tim lächelte breit, doch Isobel schien es ein bisschen peinlich zu sein. Sie sagte, es sei aus. Es sei nur ein Fehler gewesen, ein Versehen. Eigentlich hätte es nicht passieren dürfen. Er wusste, was passiert war. Es war Tims Schuld, auch ihre Schuld, aber wenn Tim nicht immer... Jetzt erinnerte er sich, wie Tim immer um sie herumschawenzelt war. Er hasste ihn dafür. Nicht aber Isobel. Merkwürdigerweise liebte er sie immer noch. Er fragte sich, was dauerhafter sein würde, seine Liebe oder sein Hass?

Bei der Veröffentlichung seiner Geschichte 'UND NUR DIE LIEBE BLEIBT' waren sich die Kritiker in ihrem Urteil einig, dass es sich, was bei einem ersten Werk eigentlich ganz verständlich ist, um eine sehr naive und einfache Ausdrucksweise handelte, es eigentlich nur erzählt wurde und die Dramaturgie eigentlich eine Menge zu wünschen übrig ließ. Jedoch, was der Geschichte und auch dem Autor eine große Anzahl an Pluspunkten einbrachte, war der Schluss, in Verbindung mit der Überschrift, sehr philosophisch und tiefgehend. Gerade dieser letzte Satz nach der Frage, was dauerhafter sein würde, Liebe oder Hass, faszinierte die Leser und auch die Kritiker und stellte in Frage, ob der Autor, bzw. der Erzähler, in diesem Fall aber eher der Autor, wirklich so naiv und einfach war, wie es sein Stil vermuten ließ. Ohne diesen Satz hätte man seine Geschichte zweifelsohne als billigste Trivialliteratur abgestempelt, so aber erwartete man möglicherweise ein literarisches Talent. Jegliche Glaubwürdigkeit würde sich Frederico wahrscheinlich genommen haben, wenn er den Tod als einen Ausweg gewählt hätte, vielleicht hätte es ihm aber auch einen Job als fest angestellter Autor für die Zeitung DER KLEINE SPIELGEFÄHRTE eingebracht. Dies war Fredericos erste und zum Glück, wie er später selbst sagte, auch seine letzte Liebesgeschichte.

"Diese Geschichte drückt eine jugendliche Naivität aus", schrieb Prof. Dr. Dr. phil. etc. Allessandro Garivelli, "wie sie bei jungen Autoren üblich ist. Auch in den ersten Geschichten von Bertrant Hohenfälls, Stilgert Fellgert, Hinnrich Bull und Ernst Hemmerweii lassen sich die gleichen Symptome für die anfängliche Ungeschicklichkeit des beginnenden Künstlers erkennen, die F.T. in seiner ersten Kurzgeschichte zeigt. Sie gleicht eher der Eintragung in einem Tagebuch als ernstzunehmender Literatur, doch lässt die essentielle Frage zum Schluss den Leser sich fragen, ob damit alles Lügen gestraft ist, was er sich zuvor über den Erzähler gedacht hat. Für ein Erstlingswerk beeindruckend!"

"Viele Experten glauben, diese Geschichte habe Tiefe", schrieb Frau Dr. Vera Allenstoon, zu dieser Zeit weder Ehe- noch Ex-Frau Prof. Dr. Dr. phil. etc. Allessandro Garivellis, "doch sie irren sich. Es handelt sich um die eindeutigste Form von Trivialliteratur ohne Aussage, die ich je in meinem Leben gelesen habe. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Autor den Geliebten seiner Freundin lieber umgebracht hätte, als sich zu fragen, wie lange er noch den Wunsch danach verspüren würde, ihn umzubringen. Es ist anzunehmen, dass sich der Autor hier des literarischen Diebstahls schuldig gemacht hat, da der letzte und so hoch gelobte Satz nicht von ihm sein kann. Wie jedes Erstlingswerk beschissen!"

Diese beiden Kritiken erschienen lange nachdem 'UND NUR DIE LIEBE BLEIBT' zum ersten Mal in der kleinen Zeitung TIMES BY TIME, die ihr Erscheinungsfeld um Brindige herum hatte, erstveröffentlicht wurde. Ein Mädchen namens Isabella, dem sich Frederico wenig zuvor nahe gefühlt, in deren Beziehung es dann aber eine problematische Wende gegeben hatte, erfuhr auf diese Weise, wie hart es Frederico getroffen hatte, Timothy, inzwischen wieder mit seiner alten Freundin zusammen, war im Nachhinein froh, dass die Tenderbilts Gewalt vermieden. Frederico selbst, der inzwischen fast über die Geschichte hinweg war, malte sich in seiner Phantasie aus, wie der böse Ritter sich in einer solchen Situation verhalten hätte.

Anerkennend hob Benedict eine Braue, als er die Geschichte gelesen hatte. Ihm gefiel sie, irgendwie. Eigentlich, gab er sich selbst gegenüber zu, hatte er schon Besseres gelesen. Überhaupt mochte er keine Liebesgeschichten. Aber immerhin war Frederico ein Tenderbilt, und, was noch hinzukam, er war ein Tenderbilt! Zum einen war er sein Sohn, schon deshalb fand er die Geschichte oder die Vorstellung ganz reizvoll, einen Schriftsteller zum Sohn zu haben, oder umgekehrt. Außerdem würde er der erste Schriftsteller in der langen Ahnenreihe der Tenderbilts sein, was Stefano di Calbrizzi anging, so hielt er ihn entweder nicht für einen Schriftsteller, oder nicht für einen Tenderbilt, je nachdem, was ihn gerade mehr aufregte.

Aber dass sein Sohn ein Schriftsteller sein sollte, eine völlig neue Perspektive. Er, Benedict, hatte zwar immer viel gelesen, aber wenn es ums Schreiben ging, hatte er doch die Frauen vorgezogen, allerdings nicht zum Schreiben. Besonders gefiel ihm der letzte Satz, eigentlich nur! Außerdem hatte er nie viel von Liebesgeschichten gehalten, aber das war eine andere Geschichte.

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