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Kapitel 4
Оглавление"Spreche ich mit Frederic Tenderbilt?" Da er sich mit seinem vollen Namen gemeldet hatte, hielt er die Frage für ziemlich dumm und überflüssig. Die Erklärung kam sofort: "Hier spricht Polizeichef Quarreling."
"Was kann ich für Sie tun?"
"Liefern Sie mir Ihren Sohn aus, auf der Stelle."
"Meinen Sohn?" Frederic schwante schlimmes.
"Er hat sich eines schlimmen Vergehens... äh, vergangen! Sagen Sie mir, wo er ist. Ihr Haus ist umstellt."
"Er ist nicht hier. Wie haben Sie denn das Haus umstellt?"
"Das ist mein Problem. Wo ist er?"
"Das... weiß ich nicht." Er hatte nur eine bestimmte Ahnung. "Was hat er denn getan?"
"Das ist auch mein Problem."
"Haben Sie Beweise?"
"Das ist mein Problem. Wo ist er?"
"Das ist Ihr Problem!"
Auf einem seiner Streifzüge durch das Dorf und seine Umgebung lernte Sir Henry Tenderbilt die junge Adelheit kennen. Adelheit, geborene Braunwald, befand sich mit ihrem Vater Hannes und ihrem Verlobten, einem jungen Mann namens Andreas Hellberger, auf einer Reise durch England. Ihre Muter war vor wenigen Monaten an der Pest gestorben, vor der sie sich nach England geflüchtet hatten. Die drei speisten gerade in einem Gasthof, als Henry mit einem lauten "Heyheyhey" eintrat und sich einen doppelten Scotch bestellte. Mit seinem Getränk nahm er am Tisch der Reisenden Platz und begann zu erzählen: "Tag. Sind Sie aus der Gegend? Habe Sie noch nie hier gesehen. Ausgezeichneter Whisky. Nettes Mädchen. Gehört Sie zu Ihnen?" Dann, als keine Resonanz auf seine Bemerkungen kam, machte er noch ein paar anzügliche Sprüche. Dummerweise suchte er sich dafür Andreas Hellberger aus, der ein hoch dekorierter Soldat und als solcher gefürchtet war. Sogleich zog er seinen Degen, Henry eine Flappe und so schnell es ging wieder ab.
Wie kam es aber, dass Henry Adelheit ehelichte? Selbstverständlich ist es nach dieser kleinen Episode verwunderlich, da Henry in einem Duell sehr wahrscheinlich den Kürzeren gezogen hätte. Aber er war schnell und Andreas Hellberger erreichte ihn nie. Die kleine Gruppe zog weiter durchs Land. Durch seine soldatische Art erweckte Andreas Hellberger oft Aufmerksamkeit und Spott. Es kam oft zu Duellen. Die wenigsten verlor er. Zufällig traf Henry in einem anderen Gasthof auf die um ein Drittel dezimierte Reisegruppe und sprach die junge Frau an, schüchtern, wie er immer gewesen war: "Guten Abend, junge Frau. Mein Name ist Sir Henry Tenderbilt (er wurde erst viel später geadelt), ich stamme hier aus der Gegend, möchten Sie mich heiraten?"
Aus der Familienchronik:
"Henry Tenderbilt war ein Aufschneider. Wie alle anderen Tenderbilts war er feige. Schon im Alter von 16 Jahren legte er sich einen Adelstitel zu, nannte sich 'Sir Henry'. Später, als man ihn dann tatsächlich zum Ritter erhob, lachte er nur und sagte: 'Ich habe es euch doch immer gesagt!' Von da an nannte er sich 'Lord'."
In einem deutschen Geschichtsbuch, das etwa 1945 aus dem Verkehr gezogen wurde, wurde tatsächlich ein Soldat namens Andreas Hellberger erwähnt. Man sagt über ihn, dass er von hoher Gestalt gewesen sein soll, das Haar stets kurz geschoren trug und leicht zu einem Duell zu bewegen war. Kurz vor seiner Heirat soll er nach England gereist sein, wo er infolge eines hinterhältigen brutalen Mordes ums Leben gekommen sein soll. Ob Adolf Hitler in einer Rede gesagt haben soll: "Jeder Deutsche soll sich ein Beispiel nehmen an dem Hellberger Andreas und niemand soll so heimtückisch ermordet werden wie er!!!" kann von Historikern nicht bestätigt werden, etwas Ähnliches wird aber nicht ausgeschlossen.
Als sich die Zellentür hinter Teddy Tenderbilt schloss, nahm niemand an, dass er einmal eine bedeutende und nicht unwichtige Persönlichkeit werden würde. Wie konnte man auch annehmen, dass dieser Spross der Tenderbilts, der erste Tenderbilt, der im Gefängnis landete, der erste Tenderbilt, der nicht schnell genug gewesen war, um dem Fortschritt zu entkommen, einmal den Namen Tenderbilt groß schreiben würde? Benedict murmelte, dass es gut war, dass es keine Duelle mehr gab, "sonst hätten wir den kleinen schon verloren!" Nichts davon konnte verhindern, dass Teddy stinksauer war.
Im ganzen Land gab es niemanden, der nicht vor dem bösen Ritter Angst hatte, Zu recht, denn kaum einer, der den Ritter je zu Gesicht bekommen hatte, weilte heute noch unter den Lebenden. Nicht einmal Kranke, Alte oder Kinder verschonte er, was ihm allgemein seinen schlechten Ruf eingebracht hatte. Sah man auch nur von weitem eine Gestalt, die dieser böse Ritter sein konnte, verließ man Haus und Hof, ließ die, die nicht laufen konnten zurück und versteckte sich in den Wäldern. Viele kleine Gauner gelangten auf diesem Weg zu Reichtum, während ihn viele große Gauner so verloren. Allein die Tatsache von mehreren ausgerotteten Dörfern verhinderte, den Ritter zu einer Schauerlegende werden zu lassen, Schauer gab es zwar, doch war die Legende blanke Realität. Kinder fürchteten sich vor dem Geräusch, das seine kettenbewehrten Füße auf dem gepflasterten Straßen verursachten, Frauen hatten Angst um sich und ihre Kinder und ihre Männer. Wenn der Ritter auftauchte, war niemand vor ihm sicher.
"Träumen wir?" Teagau, eigentlich Peter Teagau, Lehrer, stand fragend vor Frederico Tenderbilt. Erschrocken fuhr Frederico hoch und blickte in das...
...böse Gesicht des Ritters. Niemand hatte bemerkt, dass er das Dorf erreicht hatte, niemand hatte mit seinem Kommen gerechnet. Plötzlich, ohne Warnung, stand er vor ihnen, sein Breitschwert, auf dem sich die Sonne spiegelte, in siegessicherer Arroganz in die Hüfte gestützt und darauf lehnend.
"Wäre es nicht besser, wenn du dem Unterricht folgen würdest?"
Die Frage verhallte, niemand reagierte, die Gesichter waren starr auf den Ritter gerichtet und niemand war in der Lage, etwas zu sagen. Da stand er vor ihnen, der Todesengel, seine Anwesenheit bewies, dass ihre Lebenszeit begrenzt war. Wer noch am Morgen an die Unsterblichkeit geglaubt hatte, sah sich jetzt eines Besseren belehrt. Jeder konnte nur hoffen, dass es seinen Nachbarn traf, gegen den er eigentlich nichts hatte, aber wenn schon jemand sterben musste, dann lieber er. Obgleich man zugeben musste, dass der Ritter, was das anging, sehr gerecht war. Er zog niemanden vor, er tötete wirklich jeden, den er vorfand.
"Damit du dich besser im Stoff zurechtfinden kannst, schreibst du am besten einen Aufsatz über das Thema..."
Mit einer ungeahnten Geschwindigkeit, die aus ständiger Übung erwachsen sein musste, schwang der Ritter das Schwert, auf dem er kurz zuvor noch geruht hatte, hoch und ließ es kreisen. Seine Aktion wurde mit dem üblichen Geschrei und dem üblichen Tod belohnt. Es brauchte nicht lange, das ganze Dorf leer zu fegen. Es hatte länger gebraucht, es aufzubauen. Als er sich später neben seinem Pferd in den Sand setzte, spiegelte sein Schwert nicht mehr das Licht der Sonne. Es war ein Zeichen, dass er hart gearbeitet hatte.
"...und darüber hinaus wirst du auch nachsitzen." Teagau lächelte gemein.
Wie kam ein normaler Mann dazu, solche Verwüstung und Tod anzurichten? Was hatte ihn dazu veranlasst? Der Ritter saß noch immer im Staub und blickte auf den Horizont, die Sonne ging langsam unter. Ein wundervoller Anblick. Er liebte es, der Sonne beim Untergehen zuzusehen. Eigentlich war er sehr romantisch. Er wäre bestimmt ein netter Kerl geworden. Aber etwas war dazwischen gekommen. Diese gottverdammten Lehrer. Wenn diese Lehrer nicht gewesen wären, er hätte vielleicht ein friedliches Leben führen können. Doch es war ganz anders geworden.
Frederico hasste Unterricht, er hasste Schulen und er hasste Lehrer. Wofür waren sie gut? Sie versauten einem nur die Zukunft. Von den Nachmittagen ganz zu schweigen!