Читать книгу 2050 - Die Vulkane im Rheingraben - Martin Danders - Страница 8

5. Kapitel

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Am nächsten Morgen fahre ich ins Büro nach Breisach, schalte meinen Computer an und sende Anna eine E-Mail, dass ich mit ihr sprechen will. Eine Stunde später kommt sie in mein Zimmer. Ihr Gesichtsausdruck zeigt skeptische und ängstliche Züge. Mein Entschluss mit der Trennung steht fest, auch wenn sie mir jetzt ein wenig leidtut. Anna ist eigentlich ein guter Mensch.

„Und wo warst du gestern Abend?“, fragt sie als Erstes.

„In Karlsruhe auf einem Kongress.“

„Aha, und was willst du mir jetzt erzählen?“, argwöhnt Anna und legt nervös den Kopf zur Seite.

„Ich beende unser Verhältnis!“

„Soso! Du beendest unser Verhältnis! Und warum?“, ruft sie zornig .

„Weil unsere Geschichte nicht das Richtige für mich ist!“

„Das glaube ich dir nicht! Du hast eine andere kennengelernt!“, schreit sie.

„Nein, ich mache Schluss, weil wir nicht zusammen passen. Wir können ja Freunde bleiben.“

„Du Arschloch!“, kreischt sie.

„Tschüss!“

Anna läuft rot an vor Wut, dreht sich um und eilt davon. Ihre Schritte auf dem Gang hören sich an wie der Stechschritt eines Soldaten. Das war es! Unangenehme Dinge erledige ich immer sofort. Meine Entscheidung war richtig und ich fühle mich jetzt sehr erleichtert.

In der Mittagspause gehe ich mit den Kollegen in die Kantine. Sie diskutieren heute über die bald eintretenden Folgen, wenn die durchschnittlichen Temperaturen auf der Erde noch weiter steigen. Ich bin heute etwas zurückhaltender als sonst und beteilige mich nicht an der Diskussion.

Am Nachmittag fahre ich erst zu einer Baustelle in Staufen und anschließend nach Lahr zu meiner vermuteten Magmakammer. Ich muss unbedingt den Seismografen und die anderen geophysikalischen Messungen überprüfen. Außerdem müsste eigentlich die Bohrung sofort gestoppt werden, wenn sich unten tatsächlich eine Magmakammer befindet. Sollte das der Fall sein, würde man sie unter Umständen anbohren und dem Magma die Möglichkeit geben, nach oben aufzusteigen. Das wiederum würde bedeuten, dass man einen Vulkanausbruch auslöst. Bisher hat es auf der Welt noch niemand gewagt, die Erdkruste zu durchbohren, weil die Folgen fatal wären. Aus diesem Grund liegen hierfür keine Erfahrungen vor. Einen Vulkanausbruch würden die Anwohner in der Umgebung sicher nicht sehr komisch finden. Anderseits, wenn ich die Bohrung stoppe, wollen meine Chefs natürlich eine Erklärung hören. Was soll ich denen bloß sagen? Da ist eine Magmakammer, es droht ein Vulkanausbruch. Vermutlich werde ich anschließend in eine Nervenheilanstalt eingeliefert.

Auf dem Weg nach Lahr stoppe ich mein Auto. Das Fahrzeug hat eine moderne Kommunikationsanlage mit großem Bildschirm, der beim Gespräch automatisch hochgefahren wird. Beim Telefonieren sieht man den Gesprächspartner in seiner ganzen Erscheinung. Ich habe ihre Nummer bereits gespeichert und dem System „Luise“ gesagt. Die Anlage reagiert jetzt auf meine mündliche Anweisung „Luise“ und wählt ihre Nummer automatisch. Luise erscheint auf dem Bildschirm. Sie ist gerade in ihrem Büro.

„Hallo, alles in Ordnung?“, frage ich.

„Ja, und bei dir?“

„Bei mir ist auch alles in Ordnung“, sage ich.

„Wann treffen wir uns?“

„Ich habe abends immer Zeit“.

„Kannst du morgen Abend nach Karlsruhe kommen?“, meint Luise.

„Ja! Wo treffen wir uns?“, rufe ich glücklich.

„In dem gleichen Restaurant, wo wir gestern waren, um zwanzig Uhr.“

„Okay! Ich freue mich auf dich“, bestätige ich.

„Ich freue mich auch auf dich.“

„Bis morgen Abend“, winke ich dem Bildschirm zu.

„Bis morgen!“

Luise deutet einen Kuss an, lächelt mit ihren Katzenaugen und dann ist die Verbindung eingestellt. Was für eine Frau! Es läuft mir kalt den Rücken herunter und meine ganze Souveränität ist verschwunden. Sie erscheint mir etwas nervös, aber äußerst zielorientiert. Meine Menschenkenntnis signalisiert mir aber auch eine etwas unsichere Luise, mit wenig Selbstwertgefühl.

Am späten Nachmittag um 16 Uhr erreiche ich meine Spezial-Baustelle in Lahr. Die neusten geophysikalischen Messungen zeigen weiterhin, dass ab einer Tiefe von circa 1.200 Metern unsere Druckwellen verschwinden, weil sie an keiner Festgesteinsschicht mehr reflektiert werden. Hier hat sich also nichts geändert. Anschließend gehe ich in den Baucontainer zu unserem Seismografen. Er ist jetzt 25 Stunden permanent gelaufen und hat sämtliche Erdstöße in dieser Zeit aufgezeichnet. Das Ergebnis ist erschreckend. Im Abstand von circa 2 Stunden wurden kleine Erdbeben mit einer Laufzeit von 3 Minuten aufgezeichnet. Die Stärke der Beben ist gemäß Richterskala „2“. Die Ausschläge sind so minimal, dass die Menschen in Lahr nichts bemerken. Kleine Erdbeben sind im Allgemeinen ein Vorzeichen eines Vulkanausbruchs. Es gibt Vulkanausbrüche mit und ohne vorangegangene seismische Aktivitäten. Dieser hier zeigt sie jedoch. Ich zittere am ganzen Körper. Jetzt muss ich handeln. Der Vulkan kann jederzeit ausbrechen und niemand wurde vorher evakuiert. Ich muss jetzt an die Öffentlichkeit gehen, weil ich hier eine gigantische Verantwortung trage. Gleichzeitig weiß ich, dass ich in den nächsten Minuten eine Riesenverunsicherung und vielleicht auch Panik in ganz Süddeutschland, im Elsass und in der Schweiz auslösen werde.

Als ersten Schritt stoppe ich sofort die Bohrung. Der Bohrmeister folgt augenblicklich meinen Anweisungen und die Anlage steht still. Die Dieselmotoren sind jetzt alle abgeschaltet. Ich setze mich mit dem Bohrmeister in mein Auto, mit der Bitte an ihn, sehr genau zuzuhören, und schalte die Telefonanlage ein. Ich wähle die mir bekannte Nummer von Prof. Dr. Stiller, ein sehr guter und einflussreicher Vulkanologe mit Lehrstuhl am geologischen Institut in Freiburg.

„Dr. Stiller“, meldet er sich.

„Hallo, Herr Prof. Dr. Stiller. Mein Name ist Max Anderson. Ich war einmal vor zwanzig Jahren einer Ihrer Geologie-Studenten.“

„Guten Tag, Herr Anderson. Ich kann mich an Sie erinnern. Wo brennt es?“, fragt er.

„Wir haben hier auf der Baustelle in Lahr ein großes Problem.“

„Ich bin gespannt auf Ihre Geschichte“, sagt er.

„Ich bin hier für eine Geothermie-Bohrung verantwortlich. Wir sind jetzt in einer Endteufe von ca. 1.000 Metern angelangt. Die geophysikalischen Messungen zeigen ab 1.200 Metern kein Festgestein mehr an. Daraufhin habe ich einen Seismografen eingesetzt, welcher in den bisherigen 25 Stunden Betriebszeit kleine Erdbeben im Abstand von 2 Stunden aufgezeichnet hat. Die Beben dauern circa drei Minuten und haben die Stärke 2 nach der Richterskala.“

„Sind Sie sich da ganz sicher?“, brummt er mit ernster Stimme.

„Ja!“

Die Telefonübertragung steht und wir schweigen beide.

„Ich komme sofort zu Ihnen nach Lahr. Warten Sie auf mich und rufen Sie erst mal niemanden weiter an“, entscheidet er schließlich.

„Ich habe bisher nur die Bohranlage gestoppt. Bis jetzt weiß lediglich der Bohrmeister Bescheid. Wir befinden uns 500 Meter südlich des kleinen Ortes Kürzell auf einem Acker, westlich der Bundesautobahn A5. Sie sehen dann schon von der Landstraße aus den Bohrturm.“

„Ich bin in einer Stunde bei Ihnen“, verspricht er mir.

„Okay! Bis gleich!“

„Bis gleich“, bestätigt er und beendet etwas bleich das Gespräch.

Jetzt ist die Lawine von mir ins Rollen gebracht worden. Nach einer Stunde kommt Prof. Dr. Stiller. Er schaut sich alle geophysikalischen Messergebnisse und die Aufzeichnungen des Seismografen an. Sein Gesichtsausdruck wird plötzlich sehr ernst.

„Sie haben recht! Ich vermute auch eine Magmakammer bei 1.200 Metern. Wenn hier ein Vulkan entstehen sollte, ist vermutlich der Rheingraben wieder aktiv. Diesen Umstand hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich bin absolut fassungslos“, sagt er sichtlich erschüttert.

„Was machen wir jetzt?“

„Ich werde jetzt den Ministerpräsidenten, den Innen- und den Umweltminister von Baden-Württemberg hintereinander anrufen. Wir können nicht warten. Wir müssen es bekannt geben“, erklärt er augeregt.

„Das sehe ich genauso. Sie wissen aber auch, dass hier eine Evakuierungszone von mindestens 50 Kilometern notwendig wird. Das heißt, dass die Städte Lahr, Offenburg, Strasbourg, Selestat, Emmendingen und eventuell sogar Freiburg geräumt werden müssen!“

„Die Evakuierungsfragen soll die Landesregierung regeln. Zunächst müssen wir einen Krisenstab einrichten mit einem Vor-Ort-Beobachtungsposten in Kürzell und einer Hauptleitstelle in sicherer Entfernung“, ordnet er, jetzt wieder einigermaßen gefasst, an.

Prof. Dr. Stiller setzt sich in sein Auto und telefoniert. Eine Stunde später kommen permanent Autos vorgefahren und Prof. Dr. Stiller und ich erklären jedes Mal den Anwesenden den Sachverhalt von Neuem. Auch der Innenminister mit seinen Referenten ist gekommen. Der Polizeichef aus Stuttgart, der Leiter der Berufsfeuerwehr aus Lahr, Behördenvertreter aus dem Elsass und die Bürgermeister aus den umliegenden Gemeinden und Städten sind ebenfalls eingetroffen. Von den Universitäten Freiburg, Karlsruhe, Strasbourg, Basel und Zürich sind Geologen und Vulkanologen im Laufe des Abends angereist.

Zunächst wird vom Innenminister und seinen Referenten ein Krisenstab gebildet. Auch Prof. Dr. Stiller und ich gehören zum Krisenstab dazu. Insgesamt werden vorerst zwanzig Leute in den Stab berufen. Darunter auch mehrere Geologen und Vulkanologen von den verschiedenen Universitäten. Nach telefonischer Rücksprache mit meinem Arbeitgeber werde ich dem Stab mit einem guten Stundensatz als freier Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Die Stundenabrechnung wird später am Monatsende durch meinen Arbeitgeber an das Innenministerium geschickt.

Wie es Prof. Dr. Stiller schon vermutet hat, wird hier vor Ort in Kürzell ein Beobachtungsposten eingerichtet. Die Hauptleitstelle wird in Freiburg im geologischen Institut errichtet. Das Institut ist ungefähr 50 Kilometer von Kürzell entfernt, sodass eine gewisse Sicherheit für die Leitstelle vorhanden ist. Sollte es zu einem massiven Vulkanausbruch kommen, muss unter Umständen die Hauptleitstelle weiter nach Süden verlegt werden.

Schon am ersten Abend werden weitere geophysikalische und seismische Messungen durchgeführt. Alle Ergebnisse sprechen für eine Magmakammer in 1.200 Metern Tiefe. Die Nachricht von der aufgestiegenen Magmakammer in Kürzell im Rheingraben hat sich sehr schnell verbreitet. Die geologischen Institute in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit Erdbebenbeobachtungsstationen sind bereits informiert. Weitere Vorab-Informationen gehen an alle anderen seismologischen Messstationen in der Welt. Die Geologen und Vulkanologen im Krisenstab sind sichtlich erschüttert, dass ihr inaktiver Rheingraben wieder aktiv geworden ist.

Am Abend beschließt der Krisenstab Folgendes:

 Einrichtung einer Vor-Ort-Überwachungsstation mit permanenter Besetzung,

 Errichtung der Hauptleitstelle im Freiburger geologischen Institut,

 Erstellung von Evakuierungsplänen für alle Städte und Gemeinden im Umkreis von 50 Kilometern,

 Fachliche Leitung durch Herrn Prof. Dr. Stiller (Vulkanologe),

 Einsatzleiter ist ein Referent vom Innenministerium,

 Pressesprecher ist ein weiterer Referent vom Innenministerium,

 Information der Bevölkerung über die Medien durch den Pressesprecher,

 Information der französischen und schweizerischen Regierungen und Fachbehörden durch das Innenministerium des Landes.

Um Mitternacht verlasse ich müde und ausgelaugt Kürzell. Ich fahre nach Colmar in mein Haus und gehe mit Alpha noch eine Runde Gassi. Danach gönne ich mir in aller Gemütlichkeit erst einmal ein schönes Bier, um Abspannen zu können. Was für ein Tag! Aber ich habe richtig gehandelt. Wenn der Vulkan tatsächlich ausbrechen sollte, war es richtig, die Menschen vorher zu warnen, und wenn nicht, war es auch richtig. Ich falle müde ins Bett.

2050 - Die Vulkane im Rheingraben

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