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5.Kapitel

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Das fahle Licht der Morgensonne fiel durch die geöffnete Tür. Mort saß auf dem Fußboden und schnürte seine Stiefel. Er wollte mit Bela und Arndt zusammen hinunter in den Wald, um ihre entlegenen Holzlager zu kontrollieren. Sägg und Barton zerteilten draußen den Vogel, den Dilga am Vortag erlegt hatte. Dilga saß auf der Bank und schärfte sein Schwert. Immer wieder führte er den Wetzstein mit langsamen gleichmäßigen Bewegungen über die zweischneidige Klinge.

»Ich freue mich richtig aufs Essen«, sagte Mort und vollendete die Schleife. Umständlich stand er vom Boden auf.

»Wir sollten den ganzen Vogel braten oder räuchern«, schlug Dilga vor. Auf die Art ließ sich Fleisch leichter haltbar machen.

»Einverstanden.« Mort nahm seinen Umhang vom Haken neben der Tür, zog ihn aber nicht sofort an. Stattdessen beobachtete er Dilga eine Weile schweigend. Schließlich sagte er leise: »Sie werden sich zusammennehmen.«

Damit waren Arndt und Sägg gemeint. Er wusste mittlerweile, dass es Sägg gewesen war, der den Söldner getötet hatte. »Es ist in Ordnung, Mort!« Auch wenn er keinen Gedanken mehr an den Ermordeten verschwendete, hatte er nichts dagegen, dass die Beiden ihn nicht mehr auf seinen Streifzügen begleiten wollten. Mort zog seinen Umhang an und verließ die Hütte.

Dilga legte das Schwert neben sich und begutachtete die Lederfetzen, die er aus dem Korb genommen hatte, in dem die Holzfäller jedes Stück Fell und Tierhaut sammelten. Damit flickten sie ihre Kleidung und die Werkzeuge. Er wollte sich aus einigen davon eine Scheide für sein Schwert nähen. Es immer über den Rücken zu tragen war unpraktisch und im Notfall kam er nicht schnell genug dran. Sorgfältig strich er die beiden ausgewählten Hautstücke glatt. Sägg hatte das Leder gegerbt. Mit einem Stück Kohle zeichnete Dilga die Umrisse des Schwertes auf die Lederfetzen, dann schnitt er die Form mit dem Messer aus. Das war zeitraubend und anstrengend. Die zerfaserten Ränder rollte er ein, so dass sie später im Inneren der Scheide verborgen waren, dann legte er die beiden Stück übereinander. Mit knöchernen Stecknadeln heftete er sie zusammen und fädelte einen groben Faden in eine dicke Nähnadel ein. Das Nähen durch das feste Leder war ein hartes Stück Arbeit. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Er war noch nicht einmal zur Hälfte fertig, als Barton in die Hütte kam. Der Holzfäller trug Teile des zerlegten Vogels auf einem Tablett herein.

»Sägg baut draußen unseren Räucherofen auf«, erklärte er.

Dilga nickte schweigend und fädelte einen neuen Faden ein. Barton stellte das Tablett ab und schaute ihm eine Weile zu.

»Jagen, nähen, kochen und mit Kräutern kennst du dich auch aus«, meinte er schließlich nachdenklich und setzte sich zu ihm an den Tisch. »Ist das normal für Söldner?«

Dilga biss den Faden ab und verknotete ihn fest. »Kommt darauf an, wie lange und wie gut man überleben will«, antwortete er ausweichend. Die meisten Söldner hatten nicht einmal die Hälfte seiner Fähigkeiten, aber das band er niemandem auf die Nase.

»Gehst du wirklich nach Askalon, wenn der Krieg ausbricht?«

Dilga nickte und begutachtete zufrieden seine Arbeit. Der Riemen, mit dem die Scheide am Bein fixiert wurde, fehlte noch. Er suchte sich ein schmales Lederstück heraus und drehte es zusammen.

»Wieso suchst du dir nicht eine anständige Arbeit?«, bohrte Barton weiter.

Dilga zuckte mit den Achseln und setzte seine Arbeit fort. Eine Weile sah Barton ihm schweigend zu, während Dilga die letzten Handgriffe erledigte. Das Ergebnis war nicht schlecht.

»Sei in Askalon vorsichtig, Dilga«, setzte Barton das Gespräch fort.

Etwas in Bartons Stimme sagte ihm, dass er nicht den Krieg meinte. »Camlach?«, erinnerte er sich an Belas Warnung.

Barton nickte. »Er und sein…, ich weiß nicht, wie man das nennt. Dundras, der Mann, der sein Gefolge anführt.«

Von Dundras hatte er schon gehört. Sein Name war unter Kriegern eine Legende. Eigentlich brannte Dilga darauf, gerade ihn kennen zu lernen. »Was ist mit ihm?«

»Ich weiß nicht!« In einer hilflosen Geste zuckte Barton die Schultern. »Ich sollte das vermutlich nicht sagen. Dundras dient seinem Herrn gut und Camlach…« Er seufzte, als bereute er, das Thema angefangen zu haben. »Niemand wagt es offen gegen unseren Herrn zu rebellieren wegen Camlach.«

Dann ist er ein ausgezeichneter Heerführer, dachte Dilga. Laut sagte er: »Was hat das mit Dundras zu tun?«

»Ich hab ihn gesehen. Einmal! Das war kurz bevor ich aus unserem Dorf fort bin.« Es war unschwer zu sehen, dass Dundras ihn bis ins Mark erschreckt hatte.

Barton kam nicht dazu seine Geschichte zu beenden. Mehrere Männer rannten eilig den Weg zur Hütte hinauf. Sägg, der draußen am Ofen baute, rief sie überrascht an. Mort, Bela und Arndt redeten aufgeregt durcheinander. So früh hätten sie noch nicht zurück sein sollen. Dilga legte die neu gefertigte Schwertscheide zur Seite und stand auf. Mort riss die Tür auf.

»Es gibt Ärger!«, keuchte er. »Fremde kommen den Berg rauf!«

»Wie viele?« Dilga ging zu seinem Bett herüber und nahm das Kettenhemd von der Kiste, die ihm als Ablage diente.

»Acht hab ich gezählt.«

Mort hatte Angst, das reichte Dilga um das Kettenhemd überzustreifen. Mit dem Schwert in der Hand blieb er neben der Tür stehen. Arndt, Bela und Sägg standen im Halbkreis draußen, den Rücken zur Tür, und starrten angespannt den Weg hinunter. Abwehrbereit hielten sie ihre Äxte in den Händen.

»Geh raus und frag sie, was sie wollen. Ich halte mich erst einmal außer Sicht.«

Mort sah auf das Schwert herab und nickte. Auch er zog seine Axt aus dem Gürtel, ehe er wieder nach draußen trat. Barton folgte ihm. Dilga vergewisserte sich, dass das Jagdmesser an seinem Platz im Gürtel steckte und bezog am Fenster Position.

Es dauerte nicht lange, bis die Fremden in Sicht kamen. Acht Männer, die sich mit der nervösen Aggressivität geprügelter Hunde bewegten. Sie waren mager, abgerissen und aus ihren Augen sprach Gier. Mort hatte sie richtig eingeschätzt. Diese Männer hatten mit ihrem alten Leben abgeschlossen. Dilga fasste das Schwert fester und beobachtete, wie Mort ihnen einen Schritt entgegenging. Die anderen Vier bauten sich hinter ihm auf. Dabei achteten sie darauf, ihm nicht die Sicht zu verstellen und den Weg zur Tür frei zu lassen, stellte er anerkennend fest.

Wenige Schritte vor Mort blieben die Fremden stehen. Sie trugen breite Messer mit gebogenen Klingen in ihren Gürteln. Einer löste sich aus der Reihe und stellte sich so dicht vor Mort, dass sein Bauch fast den Kopf der Axt berührte, die der Holzfäller schützend vor sich hielt.

»Wir brauchen etwas zu essen«, forderte er mit heiserer Stimme, die verriet, dass er reichlich dem Alkohol zusprach.

»Wir haben nichts zu verschenken!« Mort wich keinen Zentimeter zurück. Die beiden Männer lieferte sich ein Duell mit den Augen, das Mort gewann.

Der Fremde senkte kurz den Blick, dann trat er ein wenig zurück und schwenkte die Hand in Richtung seiner Kumpane. »Kannst du zählen?«, fragte er gehässig. Seine Männer lachten rau.

Dilga stellten sich die Haare an den Armen auf. Mort hatte gut daran getan zur Hütte zurückzukommen. Diese Männer hatten ihren Platz in der menschlichen Gemeinschaft aufgegeben. Sie waren auf Mord aus und würden selbst dann töten, wenn man ihre Forderungen erfüllte. Auch Mort erfasste das instinktiv und zog sich in den schützenden Halbkreis seiner Leute zurück.

»Was ist?«, giftete der Fremde feindselig. »Ist dir dein großes Maul abhanden gekommen?«

»Vielleicht möchte er ja seinen Herrn zu Hilfe rufen«, kicherte einer seiner Spießgesellen boshaft.

Dilga wartete nicht länger. Mit dem Schwert in der Hand trat er aus dem Haus. Die Spitze zeigte zu Boden. »Vielleicht hat er das schon!«, sagte er durchdringend leise.

Die Augen der Fremden richteten sich auf ihn. Leere Augen! Die einzige Regung, zu der sie noch fähig waren, war Gier. Ruhig schritt er an den Holzfällern vorbei. Dicht vor dem Fremden blieb er stehen. Deren Anführer musterte ihn abschätzend, blickte dann auf das Schwert hinunter und grinste. Dilga stand ihm viel zu nah, um sein Schwert gegen ihn zu schwingen.

Ohne Vorwarnung zog Dilga sein Jagdmesser und rammte es dem Mann in den Bauch. Warmes Blut lief ihm über die Hand. Seine Bewegung war so schnell gewesen, dass noch niemand begriffen hatte, was gerade geschehen war.

Nicht einmal der Fremde selbst. Überrascht starrte der Mann ihn an, dann wanderten seine Augen hinunter zu der Klinge, die bis zum Schaft in seinem Bauch steckte. Ein gurgelnder Laut entwich seiner Kehle. Die Hände fuhren fahrig hoch und versuchten Dilgas Hand mit der Klinge fortzustoßen.

Die Wunde war tödlich, das wusste Dilga. Trotzdem drehte er das Messer, ehe er es mit einem brutalen Ruck herauszog. Eingeweide quollen hinterher. Der Mann schrie. Bestürzt starrten die Fremden auf ihren Anführer hinunter, der sich auf dem Boden rollte.

Es gab kein Zögern. Sein Schwert traf den ungeschützten Hals des nächsten Mannes. Die Klinge fand kaum Widerstand. Kopf und Körper fielen in verschiedene Richtungen zu Boden.

Für Dilga verlangsamte sich die Zeit. Die umgebenden Geräusche verblassten. Es gab nur noch ihn und die verbleibenden sechs Männer. Und den Geruch von Blut! Süß und metallisch, mit dem eigenen Tod drohend, wenn man nicht gut genug war. Aber er war gut! Dank Delias unerbittlichem Training.

Das Schwert beschrieb einen Bogen und der nächste Schlag traf einen Mann quer vor der Brust. Entfernt hörte er das Geräusch brechender Knochen. Er folgte dem Schwung der Klinge, überließ sich der Drehung und stieß dem vierten Fremden das Jagdmesser in den Hals. Eine Fontäne aus Blut sprudelte über seinen Arm. Er spürte warme Spritzer auf seiner Wange. Die Erstarrung der überlebenden Fremden löste sich. Sie schrien und wichen zurück. Die Augen weit aufgerissen, starrten sie ihn an wie einen Dämon.

Auch in Mort und seine Leute kam Bewegung. Mit gezückten Äxten rückten sie gegen ihre Gegner vor. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Sägg dem Mann, dem er die Rippen gebrochen hatte, den Gnadenstoß gab. Schwer atmend blieb Dilga stehen und bemühte sich seine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Einer der Fliehenden stolperte. Belas Axt fuhr ihm in den Schädel. Die anderen Drei entkamen. Aber das spielte keine Rolle. Sie würden nicht zurückkommen. Die Holzfäller sparten sich eine weitere Verfolgung. Sie kamen zu ihm zurück. Scheu blieben sie in sicherer Entfernung stehen.

Er begegnete ihren Blicken und sah den Schock darin. Sie waren dankbar, dass er sie gerettet hatte, aber sie hatten auch wieder Angst. Zum ersten Mal hatten sie ihn kämpfen sehen und begriffen, dass seine Fähigkeit mit dem Schwert weit über die eines normalen Söldners hinausging. »Ich habe es versprochen, Mort!«, sagte er ruhig und so sanft wie möglich. »Ich werde nicht zulassen, dass man euch etwas antut.«

*

Dilga saß am Kamin und starrte ins Feuer. Bela war mit Arndt und Barton draußen und zersägte einen der dicken Baumstämme, weil der Vogt sein Kommen in den nächsten Tagen angekündigt hatte. Im Dorf brauchte man weiteres Feuerholz. Wohin Mort und Sägg gegangen waren, wusste er nicht. Sie waren irgendwann weg gewesen und er hatte niemanden nach ihnen gefragt. Für den Moment war er froh allein zu sein.

Der Vorfall mit den verhinderten Räubern lag fast eine Woche zurück und sie behandelten ihn immer noch wie eine Raubkatze, die man nicht reizen durfte. Sie waren höflich, vermieden alles, von dem sie annahmen, dass es ihn ärgern könnte und sie sorgten dafür, dass er beim Essen die besten Stücke bekam. Es war furchtbar. Immer wieder verstummten ihre Gespräche, wenn er hereinkam oder sie warfen ihm verstohlene Blicke zu, wenn sie meinten er würde es nicht merken. Wenn sie nicht bald zur Normalität zurückkehrten, blieb ihm keine Wahl als sie sofort zu verlassen. Weit vor dem Ende des Winters. Das war keine angenehme Vorstellung. Er nahm eine Handvoll Späne aus dem kleinen Korb und warf sie ins Feuer. Die Flammen züngelten hoch und ein harziger Geruch verbreitete sich.

Jemand rannte um die Hütte herum. Dilga wandte den Kopf zur Tür. Das Holz krachte, dann wurde die Tür aufgestoßen und Sägg stolperte herein.

»Hilfe!«, schrie er. Seine Stimme überschlug sich und wurde dadurch noch höher. »Er bringt ihn um!« Sägg klammerte sich an ihn wie ein Ertrinkender an einen Ast.

»Wer wird umgebracht?«, fragte er und löste sich aus der Umklammerung. Barton und die anderen beiden drängten in die Hütte.

»Mort!«, jammerte Sägg. Sein Gesicht war bleich vor Schreck. »Das Monster bringt ihn um.« Tränen liefen ihm über die Wangen. Erneut krallten seine Finger sich in Dilgas Arme. »Bitte, Dilga! Du musst ihm helfen!«

Das Monster? Meinte Sägg den Satyr? Er schüttelte Sägg ab und holte sein Kettenhemd aus der Ecke. Er streifte es über und gürtete sich mit dem Schwert. »Wo?«

Mit zitternder Hand deutete Sägg hinter die Hütte. »Am Schrein!«

Als Schrein bezeichneten die Männer einen hohlen Baumstamm, der allein auf einer kleinen Lichtung stand. Dort hinein legten sie kleine Gaben, um die Baumgeister zu besänftigen.

»Bleibt hier!«, befahl er und verließ die Hütte. Er rannte um das Haus herum und folgte Säggs Spuren den Berg hinauf. Im tiefen Schnee waren sie deutlich zu sehen. Mort lag bäuchlings auf dem Boden. Der Satyr kniete über ihm. Eine seiner Klauen drückte den zappelnden Mann runter, die andere hatte er zum Schlag erhoben.

»Lass ihn in Ruhe!« Dilga zog sein Schwert und trat auf die Lichtung hinaus.

Die Augen des Satyr funkelten vor Wut. Einen Moment saugten sie sich an der Klinge fest, dann wanderten sie hinauf zu seinem Gesicht. Überraschung löste die Wut ab. »Dilga!« Die Klaue sank herab.

Mort hob den Kopf. »Hilf mir«, flehte er.

Soweit er sehen konnte, war Mort unverletzt. »Lass ihn los.«

»Warum?« Der Satyr richtete sich auf und hob den zitternden Holzfäller vom Boden hoch.

In einer stummen Antwort hob Dilga sein Schwert.

Die Lippen des Satyr verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen. »Sein Kopf rollt den Berg runter, ehe du bei mir bist.«

Der Satyr hatte Recht. Es trennten sie nur wenige Schritte, aber die Distanz war zu groß, um Mort zu retten, wenn der Satyr ihn wirklich töten wollte. Auch Mort war das klar. Er weinte. Dilga fühlte sich überfordert. Das war eine Szene wie aus einem Alptraum.

»Was ist jetzt, Mensch?« Mühelos hob der Satyr den Holzfäller am ausgestreckten Arm in die Luft. Mort hing schlaff da, wie eine Maus im Griff einer Katze. »Bleibst du stehen, töte ich ihn.« Spott flackerte in den dunklen Augen. »Kommst du näher, stirbt er auch.«

Dilga ließ sein Schwert sinken. Der Satyr war nicht mehr wütend, soviel stand fest. Er verspottete ihn ganz offensichtlich.

»Was ist Dilga? Wie sieht dein Befreiungsplan aus? Er ist für ein einfaches Monster anscheinend zu ausgeklügelt.«

»Bitte…«, wimmerte Mort. Tränen rannen über seine Wangen.

»Mund halten!« Der Satyr schüttelte ihn einmal fest. Morts Kopf flog vor und zurück, wie der einer Puppe. Es war ein fürchterlicher Anblick.

Dilga wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte Mort sein Wort gegeben. »Bitte, lass ihn gehen«, sagte er schließlich.

»Er hat versucht mich zu töten«, entgegnete der Satyr verächtlich. »Hinterrücks!«

»Er hat Angst vor dir.«

»Ist das ein Grund jemanden umzubringen?« Der Arm des Satyrs senkte sich soweit, dass Morts Füße den Boden berührten. Sie trugen sein Gewicht nicht. Morts Augen waren geschlossen und die Tränen quollen ungehindert unter seinen Lidern vor. »Ich würde mich auf einen Tausch einlassen, Mensch.«

Einen Tausch? Dilgas Herz schlug schneller. Was hatte er getan, dass der Satyr ihn so beharrlich jagte? Bis auf Morts leises Schluchzen war es einen Augenblick still. Schließlich schob Dilga sein Schwert in die Scheide zurück und nickte.

»Du ergibst dich mir?«

Der Blick der großen Augen durchbohrte ihn. Einen Moment sah er in dem Satyr wieder das Monster. Automatisch zuckte seine Hand zum Schwert. Ärgerlich zog er sie zurück. Das dort war keine Bestie! Und er wollte wissen, warum er ihn verfolgte. Dilga nickte. »Wenn du Mort laufen lässt«, fügte er hinzu.

Langsam löste er seinen Schwertgürtel. Mit der linken Hand hielt er dem Satyr den Waffengürtel samt Jagdmesser hin. Der nahm die Waffen und ließ Mort los. Der Holzfäller stürzte zu Boden und blieb schluchzend liegen. Dilga beugte sich über ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Du bist frei, Mort!«

Ungläubig schlug der Mann die Augen auf. Sein Gesicht war fahl. Der Blick seiner rot verquollenen Augen huschte zwischen dem Satyr und ihm hin und her.

»Geh zur Hütte zurück.« Er zog Mort vom Boden hoch. Der Holzfäller zitterte. Ganz offensichtlich verstand er nicht, was hier vorging.

»Verschwinde!«, fauchte der Satyr wild.

Dilga zuckte erschrocken zurück und Mort floh entsetzt. Er stolperte, fiel in den Schnee und rutschte ein Stück in einer kleinen Lawine den Berg runter. Dann rappelte er sich wieder auf und rannte weiter.

»Wieso riskierst du dein Leben für einen Feigling?«, fragte der Satyr.

Mit wild klopfendem Herzen sah Dilga ihn an. Der Satyr war nicht wütend. War es vielleicht überhaupt nie gewesen. Er hatte Mort etwas vorgespielt. In ihm erwachte Neugier. »Mort ist kein Feigling. Und er hat mein Leben gerettet.«

»Er wollte mich hinterrücks ermorden. Mit einer Axt. Das nenne ich feige.«

»Er hat dich für ein wildes Monster gehalten. Eine blutrünstige Bestie, gegen die er im Kampf keine Chance hat«, verteidigte er Mort.

»Und du?« Der Satyr hängte sich Dilgas Waffengurt über die Schulter. »Hältst du mich auch dafür?«

»Bei unserer ersten Begegnung habe ich das. Und jetzt…« Er zuckte mit den Schultern. »Jetzt will ich wissen, warum du mir folgst.«

Der Satyr lachte. »Dann komm mit mir.«

*

Es wurde dunkel und der Wald um sie herum veränderte sich. Aus dem dichten Mischwald mit seinem Unterholz wurde ein lichter Nadelwald. Dafür lag umso mehr Schnee je höher sie kamen, und die Luft wurde dünn. Er keuchte erschöpft.

»Geht es noch, Mensch?« Der Satyr bemühte sich seine Schritte Dilgas kürzeren Beinen anzupassen.

Er nickte schweigend. Im Moment hatte er genug damit zu tun, sich auf den sehr schmalen Weg zu konzentrieren, der zeitweilig an einem steil abfallenden Abgrund entlang führte. Zusätzlich versperrten immer wieder Hindernisse ihren Weg, die der Satyr elegant überflog. Er selbst musste mühsam drüber klettern. Das war kein Vergnügen. Die Steine waren kalt und die umgestürzten Tannen hatten vereiste Äste.

»Wir sind gleich da«, ermunterte der Satyr ihn.

Dilga hatte zugestimmt, den Satyr bis zu seinem Heim zu begleiten. Dort wollte der ihm verraten, wieso er ihn verfolgte. Dass es so war, hatte er bereits eingeräumt. Vor einer kleinen Steilwand blieb der Satyr stehen und schaute hinauf. Wurzeln ragten aus dem Felsen heraus. Seufzend griff Dilga nach der Ersten und zog sich hoch. Er brauchte nur wenige Meter zu klettern, trotzdem war es unangenehm. Die Wurzeln waren gefroren und er musste aufpassen, dass sie unter seinem Gewicht nicht abbrachen. Außerdem spürte er seine rot gefrorenen Hände kaum noch. An seine Handschuhe hatte er bei seinem eiligen Aufbruch aus der Hütte nicht gedacht.

Der Satyr erwartete ihn oben. Helfend streckte er ihm eine Hand entgegen. »Wir sind da!«

Unbehaglich sah Dilga sich auf dem Plateau um. Hier gab es nicht einmal Bäume. Nur eine weitere Felswand, vor der ein riesiger, eierförmiger Findling lag. Der Satyr trat neben den Stein. Mit beiden Händen packte er den Fels und schob ihn zur Seite. Das kostete ihn Kraft. Deutlich sah Dilga die dicken Muskelstränge unter seinem roten Fell arbeiten. Hinter dem Stein verborgen, lag eine Höhle. Im Moment sah er allerdings nicht mehr als ein dunkles Loch.

Der Satyr streckte seinen Arm in die Dunkelheit und brachte eine Fackel zum Vorschein. Sie flammte sofort auf. Überrascht blickte Dilga auf die ruhig brennende Flamme. Er hatte weder Feuerstein noch Zunder gesehen.

»Tritt ein!« Der Satyr hielt die Fackel so, dass Dilga die ganze Höhle sehen konnte.

Eigentlich war es mehr eine Felskammer. Sie war kaum größer als die Hütte der Holzfäller und hatte keine weiteren Ausgänge. Nicht gerechnet das geschwärzte, faustgroße Loch in der Decke. Zögernd trat er ein. Es gab eine flache Feuerkuhle, die ordentlich mit Steinen eingefasst war. Darüber hing ein großer Kessel, der mit einem Haken in der Decke befestigt war. An der Wand war ein Stapel Feuerholz aufgetürmt und mehrere runde Sitzkissen lagen um die Feuerstelle herum. Dilga betrachtete die Muster auf den Kissen. Die Fäden, mit denen sie gestickt waren, leuchteten in verschiedenen Farben. Hinter ihm verschloss der Satyr die Höhle wieder mit dem Findling. Er war gefangen. Unbehaglich wandte er sich dem verschlossenen Ausgang zu.

Der Satyr fing seinen Blick auf. »Ich werde dir nichts antun, Mensch!«

Das Lächeln, mit den spitzen Zähnen, wirkte nicht wirklich beruhigend auf ihn.

»Bitte, setz dich doch.« Der Satyr deutete auf die Kissen und hängte Dilgas Waffen an einen Haken an der Wand. Die Fackel steckte er in eine Halterung daneben.

Dilga setzte sich. Das Kissen war erstaunlich fest und der braune Stoff viel weicher als er aussah. Die Fäden der Muster fühlten sich an wie Samt. Oder so, wie er sich vorstellte, dass sich Samt anfühlte. Er hatte den glänzenden Stoff zwar schon gesehen, aber bisher noch nie berührt. Der Satyr entzündete weitere Fackeln und das Feuer unter dem Kessel. Hier in der Enge der Höhle wirkte er noch riesiger. Sein Kopf berührte fast die Decke. »Sind alle Satyr so groß?«, entfuhr es Dilga. Tatsächlich hatte er bisher nur zwei gesehen. Seinen Entführer und den Jungen, den er aus der Falle befreit hatte.

»Groß?« Der Satyr runzelte nachdenklich die Stirn und schüttelte dann leicht den Kopf. »Ich bin nicht groß. Das kommt dir nur so vor, weil du so klein bist.«

Dilga stutzte kurz, dann lachte er. Der Schalk stand dem Satyr deutlich in den Augen.

Der Satyr kniete sich hin und schob eines der Kissen zur Seite. Darunter verbarg sich eine hölzerne Luke. Er öffnete sie und holte ein paar in Wachs gehüllte Gegenstände heraus. »Hast du Hunger?«

Dilga nickte. Sein Magen knurrte tatsächlich. Seit dem Frühstück am Morgen, hatte er noch nichts gegessen. Der Satyr knüpfte eines der Bündel auf und zog eine Leinendecke heraus. Sorgfältig breitete er sie über dem Kissen aus.

»Sprecht ihr alle die Sprache der Menschen?«

»Die Sprache der Menschen«, wiederholte der Satyr gedehnt. Für einen Moment wirkte sein Blick entrückt, so als ob er vor seinem inneren Auge etwas sah. »Wir sprechen und verstehen sie alle«, sagte er dann mit einem merkwürdigen Lächeln.

Der Satyr wandte sich wieder seinen Päckchen zu. Nacheinander wickelte er ein Holzbrett, ein langes Messer, Schinken, Brot und einen verschlossenen Tiegel aus. Zuletzt folgten zwei große Becher. Einen davon stellte er vor Dilga hin. »Entschuldige, ich habe keine Kleineren.«

Ein letztes Mal griff er in das Erdloch und holte eine riesige bauchige Flasche daraus hervor. Er schraubte den Deckel ab und goss klares Wasser in den Kessel. Es zischte leicht, weil die Flammen das Metall bereits erwärmt hatten.

»Womit machst du das?«, fragte Dilga.

Der Satyr sah auf. »Was meinst du?«

»Das Feuer.« Dilga deutete auf die Flammen, die den Boden des Topfes mit Ruß schwärzten.

Der Satyr sah ihn seltsam an, dann gab er Dilga einen schwarz glänzenden Stein, an dem ein kleiner Stößel befestigt war. Wie ein Schmiedehammer an einem Amboss, schoss es ihm durch den Kopf. Er roch Schwefel. Das kam von dem Stößel.

»Drück auf das hintere Ende«, instruierte der Satyr ihn.

Vorsichtig legte Dilga den Daumen auf das hintere Ende des Stößels und drückte es runter. Der nach Schwefel riechende Teil hob sich in die Luft.

»Und jetzt loslassen.«

Er tat wie geheißen. Der Stößel knallte auf den schwarzen Stein und ein Meer von Funken spritzte in alle Richtungen davon.

»Das ist sehr nützlich«, sagte der Satyr und nahm ihm den Feuerstein aus der Hand. »Und viel zuverlässiger als zwei Hölzer aneinander zu reiben.«

Machte der Satyr sich schon wieder über ihn lustig? Dilga beobachtete wie er ein paar Kräuter in den Kessel warf. Sofort zog ein aromatischer Duft durch die Höhle. »Wie heißt du?«, fragte er aus einem plötzlichen Impuls heraus.

»Loirach.«

»Loirach.« Er lauschte dem Klang des Wortes. »Das klingt menschlich.«

Der Satyr prustete los. »Menschlich«, wiederholte er belustigt. Wieder bekamen seinen Augen dieses entrückte Leuchten. »Du bist amüsant, Mensch.« Er nahm das Messer und säbelte großzügige Scheiben vom Brot und dem Schinken ab. »Bedien dich. Du bist mein Gast.« Das letzte Wort betonte er nachdrücklich.

Dilga ließ sich nicht zweimal bitten und langte zu. Das Brot war hell und enthielt Nüsse.

Loirach öffnete den Tiegel und schob ihn Dilga hin. Darin war gelbe Butter. Am Rand des Tiegels baumelte ein Holzspan mit dem man die Butter auf seinem Brot verstreichen konnte. Er kratzte sie sparsam auf seine Scheibe und legte ein Stück von dem Schinken darauf. Herzhaft biss er hinein. Der Schinken war mild geräuchert und die Butter leicht gesalzen.

»Wieso hast du Sitah geholfen?«, fragte Loirach unvermittelt.

Sitah? Vermutlich war das der kleine Satyr. Also war es tatsächlich so, dass Loirach ihn deswegen gefunden hatte. Nachdenklich kaute er zu Ende. »Ich wusste, dass ihr keine Bestien seid«, antwortete er dann einfach.

»Sitah sagte, dass er dich angegriffen und verletzt hat.«

»Nur gekratzt.« Unwillkürlich strich er sich über die verblassenden Narben auf seinem Oberarm. »Geht es ihm gut?«

Loirach rührte die Kräuter im Kessel um und schöpfte dann etwas von der Flüssigkeit mit einer Kelle heraus. Er füllte beide Becher. »Er hinkt noch, aber mit der Zeit wird er wieder ganz gesund werden.«

Dilga nippte vorsichtig an dem heißen Kräutertee. Er schmeckte leicht bitter und füllte seinen Körper mit einer wohligen Wärme.

»Du bist nicht aus Tyralon«, stellte Loirach fest.

Dilga schüttelte den Kopf.

»Woher stammst du? Aus Askalon?«, bohrte der Satyr nach.

Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich gehöre nirgendwo hin«, wich er aus. »Ich bin ein Söldner«, fügte er fast trotzig hinzu.

»Söldner.« Loirach legte den Kopf schief und nickte zögernd. »Jemand, der für Geld tötet?«

Der Ton in Loirachs Stimme verriet ihm nicht, wie er über Söldner dachte.

»Du handelst nicht wie einer«, sagte Loirach schließlich.

Was wusste der Satyr über menschliche Söldner und darüber, wie diese sich verhielten? »Warum bin ich hier, Loirach?«, fragte Dilga unverhohlen.

»Das erkläre ich dir, wenn wir in meinem Heim sind. Wie ich es versprochen habe.«

Überrascht sah Dilga auf.

Loirach lachte amüsiert. »Hast du etwa gedacht, das hier ist mein Heim?«

Natürlich hatte er das gedacht. Woher sollte er wissen, wie das Heim eines Satyr aussah? Bis vor kurzem hatte er noch nicht einmal gewusst, dass sie so etwas hatten. Geschweige denn, dass sie überhaupt mehr als ein Mythos waren.

»Entschuldige, Mensch.« Loirach wischte sich eine Lachträne aus dem Auge. »Ich werde dir alles erklären und dir etwas zeigen. Hab ein wenig Geduld.«

Was blieb ihm anderes übrig? Dilga gähnte herzhaft. Der Tag war lang gewesen und das schmackhafte Essen hatte ihn müde gemacht. Der Satyr holte ein weiteres Bündel aus dem Erdloch und wickelte zwei Decken aus.

»Schiebe dir ein paar von den Kissen zusammen und leg dich schlafen.« Mit den Worten reichte Loirach ihm eine der Decken.

Er nahm sie, ohne sich jedoch zu rühren. Zwei Decken, zwei Becher, schoss es ihm durch den Kopf.

»Was ist?« Der Satyr entrollte seine Decke und schob sich ein Kissen als Kopfkissen hin. Mit dem Körper legte er sich auf den kahlen Boden.

»Nicht dein Heim und von allem ist genug vorhanden für uns beide«, stellte Dilga fest.

»Du hast mich erwischt, Mensch.« Der Satyr setzte sich wieder auf. »Sitah hat deinen Namen gehört und nachdem ich mich versichert habe, dass du der Mensch bist, der mir entkommen ist, habe ich meine Vorbereitungen getroffen.«

»Warum?« Sein Herz schlug schneller. Überdeutlich war ihm die Hilflosigkeit seiner Lage bewusst.

»Tut mir leid, Dilga. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben.« Loirach stand auf und nahm Dilgas Waffen von der Wand. »Hier!« Er hielt sie ihm hin. »Du bist mein Gast. Kein Gefangener!«

»Dann könnte ich gehen, wenn ich wollte?« Dilga rührte die Waffen nicht an.

»Nein«, seufzte Loirach. »Das heißt, nicht sofort. Ich werde dir etwas zeigen. Wenn du dann noch gehen willst, lass ich dich ziehen.«

Loirach sah ihn offen an. Dilga entdeckte keine Falschheit in seinem Blick und keine Tücke. Warum auch? Loirach hatte alle Trümpfe auf seiner Seite. Er nahm seinen Waffengürtel und das Messer und legte beides auf den Boden. Dann schob er sich ein paar Kissen zusammen, zog das Kettenhemd und seine Stiefel aus und wickelte sich in die Decke.

*

Dilgas Versprechen

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