Читать книгу Schachnovelle von Stefan Zweig: Reclam Lektüreschlüssel XL - Martin Neubauer - Страница 11

Schauplätze

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Anders als der Roman liefert die Novelle einen Ausschnitt des Geschehens, stellt es verdichtet, dramatisch zugespitzt vor. Die Verengung auf wenige Schauplätze – das Schiff in der Gegenwartshandlung, die Isolationszelle in der Rückblende – fördert diese Konzentration in der Schachnovelle.

Ein Schiffsreise als literarisches Motiv Schiff, das den Ort für heimatlose Existenzen abgibt und einen kleinen Kosmos, ein Miniaturabbild der Welt vorstellt, ist in der Literatur nichts Außergewöhnliches. In dem unter dem Pseudonym B. Traven 1926 erschienenen Roman Das Totenschiff leistet ein Matrose ohne Pass zusammen mit anderen Staatenlosen Dienst auf einem Schmugglerschiff; in Fred von Hoerschelmanns Hörspiel Das Schiff Esperanza (1953) werden Exilanten, die über den Atlantik illegal nach Amerika gebracht werden sollen, vom Kapitän dem Ertrinkungstod preisgegeben.

In all diesen Beispielen liefert das Schiff das symbolhafte Abbild einer Lebensbühne Schiff Lebensbühne, stetig in Bewegung, aber fremden Lenkern ausgeliefert, ohne dass man als Individuum irgendeinen Einfluss darauf hätte. Zugleich unterstreicht der Schauplatz Schiff die Heimatlosigkeit jener, die sich an Bord befinden, denn die haben im wahrsten Sinne des Wortes das Land, den Boden unter den Füßen verloren. In der Schachnovelle kommt hinzu, dass mit den Passagieren ein Ausschnitt der bürgerlichen Welt dargeboten wird – als hermetischer, also streng nach außen abgegrenzter Zirkel jener, die sich eine Überfahrt leisten können.

Auch der zweite Schauplatz, das Schauplatz Hotelzimmer Hotelzimmer, in dem Dr. B. festgehalten wird, ist im weitesten Sinne ein Ort, der mit Reiseerlebnissen zu tun hat – und der damit auch im weitesten Sinne mit Zweigs Biographie verknüpft ist. Der Weltenbummler und Umhergetriebene Zweig hat gerade diese Erfahrung – das Wohnen auf Zeit in einer neuen, fremden Umgebung – wiederholt in seinen Texten verarbeitet:4 Sommernovellette (1911), Brennendes Geheimnis (1911), Vierundzwanzig Stunden im Leben einer Frau (1927), Untergang eines Herzens (1927), Die zu spät bezahlte Schuld (postum 1951 veröffentlicht) – in all diesen Erzählungen geben Kurorte, Sommerfrischen oder Hotels im sonnigen Süden die Kulisse ab.

Wer unter der zeitgenössischen Literarische Tradition Leserschaft solche Schauplätze nicht aus eigener Erfahrung kannte, der kannte sie höchstwahrscheinlich aus der Literatur, etwa aus den Erzählungen und Schauspielen von Zweigs Zeitgenossen Arthur Schnitzler. Gerade Texte, die das psychologische Moment in der Verhaltensweise ihrer Figuren in den Vordergrund stellten, schätzten das räumliche ›Anderswo‹: Nur Räumliches ›Anderswo‹dort scheint es möglich zu sein, neue Bekanntschaften zu schließen und zugleich ihrer Flüchtigkeit gewiss zu sein, nur dort wird man ermutigt, neue Verhaltensweisen – meist erotische Eskapaden – zu riskieren, zu denen man in gewohnter Umgebung keinen Mut hätte. Das Hotel ist ein Schauplatz, der zum Handeln ermutigt, wo man aus dem Alltag heraustreten und Hauptdarsteller einer unerhörten Begebenheit werden kann.

Negation der Motivtradition Keine Spur davon in der Schachnovelle: Nicht Freiwilligkeit bestimmt den Aufenthalt Dr. B.s, sondern Zwang; keine Dynamik des Wechsels, keine Begegnung mit dem aufregenden Neuen, sondern das Gegenteil geschieht: Handeln wird unmöglich gemacht. Ewiger Gleichlauf ist Teilelement einer Strategie des psychologischen Terrors. So präsentiert das Hotel in der Schachnovelle eine Umkehrung eines bereits geläufig gewordenen literarischen Musters: Aus einem Ort, an dem normalerweise abwechslungsreiche Kontaktaufnahme gang und gäbe ist, wird eine Hölle der Isolation.

Schachnovelle von Stefan Zweig: Reclam Lektüreschlüssel XL

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