Читать книгу Schachnovelle von Stefan Zweig: Reclam Lektüreschlüssel XL - Martin Neubauer - Страница 8

Weitere Figuren: McConnor und der Erzähler

Оглавление

McConnor. Für den schottischen Tiefbauingenieur McConnor ist US-Millionär Geld offensichtlich nur bedrucktes Papier. Er hat sein Vermögen in den USA mit Öl gemacht, wird also den Vorstellungen von der überdimensionalen amerikanischen Kaufkraft voll gerecht, die schon vor dem Ersten Weltkrieg in der deutschen Literatur thematisiert worden ist – beispielsweise in den Romanen Königliche Hoheit (1909) von Thomas Mann oder Die andere Seite (1909) von Alfred Kubin.

McConnor ist von massiger Gestalt, sein kräftiger Körperbau – besonders seine breiten Schultern (S. 18, 21) – signalisieren Entschlossenheit. Er gibt den tüchtigen Erfolgsmensch Erfolgsmenschen ab, für den es selbstverständlich ist, all das zu bekommen, was er will. Als Siegertyp verträgt er es nicht, zu verlieren. Sein ungesunder Ehrgeiz drängt ihn dazu, auf Niederlagen mit immer neuen Herausforderungen zu reagieren; dabei fehlt ihm die richtige Selbsteinschätzung, wie hundsmiserabel er wirklich Schach spielt.

Wie bei Vergleich mit Czentovic Czentovic überwiegen bei McConnor die wenig gewinnenden Charakterzüge, in gewissen Eigenheiten sind sie einander sogar ziemlich ähnlich. Beide sind – jeder auf seine Art – Geschäftsleute, denn für den Weltmeister bedeutet das Schachspiel die ausschließliche Geldquelle. Beide sind auf ihre eigene Person fixiert und zeichnen sich dabei durch eine Selbstsicherheit aus, die schon zur Selbstgefälligkeit und Unhöflichkeit wird.

Seiner Enttäuschung über Dr. B.s Enttäuschung über Dr. B.s Niederlage Niederlage macht sich McConnor recht unsensibel mit der Bemerkung »[d]amned fool« (S. 77) Luft. Dem ›Selfmademan‹ aus Schottland bleibt eine tiefere Einsicht in die Psyche des Exilösterreichers verwehrt. Ihm entgeht, dass die Partie für Dr. B. weit mehr ist als ein bloßer Schlagabtausch zweier Schachspieler, nämlich ein Kampf gegen sich selbst, dem er unterliegt.

Der Erzähler. Aktivität Für Stefan Zweig war die Ich-Form ein gern gewählter Weg, um eine Geschichte zu vermitteln. So auch in der Schachnovelle: Der namenlose Ich-Erzähler ist dabei selbst Teil dessen, worüber er berichtet; er beobachtet und hört zu; er betätigt sich listenreich, indem er zuerst seine Frau, dann McConnor als Lockvogel für Czentovic einsetzt; er arrangiert Begegnungen zwischen den Figuren und vermittelt zwischen ihnen; er greift aktiv in die letzte Partie ein und rettet damit seinen Landsmann.

Dem Wertende Ich-Perspektive Erzähler kommt auch bei der Verteilung von Sympathien und Antipathien eine wichtige Rolle zu, weil der Leser gleichsam durch dessen Augen die anderen Figuren wahrnimmt. Trotzdem ist der Charakter des Erzählers weniger ausgeprägt konturiert als jener von Dr. B., Czentovic oder McConnor. Gewiss schimmert die Person des Verfassers durch: Ihm gleich zeigt der Erzähler kultiviertes Benehmen, eine wache Neugier an der Psychologie seiner Mitmenschen und unternimmt die Schiffsreise in Gesellschaft seiner Frau – auf diese Art hatte auch Erzähler und Autor Stefan Zweig 1940 Europa verlassen. Den Erzähler deswegen auch Zweigs Emigrantenschicksal teilen zu lassen, ihn sogar mit dem Autor gleichsetzen zu wollen, scheint ein etwas voreiliger Befund zu sein,2 zumal über den Zweck seiner Reise ebenso wenig gesagt wird wie über seine gesellschaftliche Stellung oder über seinen Beruf.

In den vier Hauptfiguren der Novelle spiegeln sich auch vier verschiedene Zugänge zum Schachspiel Zugänge zum Schachspiel. Für Czentovic und für Dr. B. ist es kein Spiel mehr, sondern eine fixe Idee, von der beide abhängig sind – jeder auf seine Art. Der eine, weil er seine materielle Existenz darauf gründet, der andere, weil sein Geist daran gebunden ist – zunächst zur Rettung vor der intellektuellen Aushungerung, dann als Droge, die ihn an den Rand des Abgrunds führt.

Für McConnor und den Erzähler hat Schach bei Weitem nicht diese lebensprägende Bedeutung, obwohl der auf Selbstbestätigung ausgerichtete Zugang des Millionärs weitaus ernstere Züge aufweist als jener des Erzählers, der als Einziger in der Novelle das Spiel wirklich als Spiel betreibt, es zur Zerstreuung und zum unbeschwerten Vergnügen pflegt, ohne es perfekt zu beherrschen. Entsprechend erklärt er:

Spiel vs. Ernst »Nun bin ich zeitlebens nie ein ernstlicher Schachkünstler gewesen und zwar aus dem einfachen Grunde, dass ich mich mit Schach immer bloß leichtfertig und ausschließlich zu meinem Vergnügen befasste. […] Ich ›spiele‹ Schach im wahrsten Sinne des Wortes, während die andern, die wirklichen Schachspieler, Schach ›ernsten‹ […].« (S. 17 f.)

So reagiert der Ich-Erzähler als Zeuge im Kampf zwischen Czentovic und Dr. B. auf die Züge der beiden Kontrahenten eher mit Verständnislosigkeit. Unfähig, die Strategien der beiden analysieren zu können, wendet er sich von den Vorgängen auf dem Brett ab und legt sein Augenmerk auf das, was in der Novelle sein eigentliches Metier ist: die Beobachtung menschlicher Verhaltensweisen.

Schachnovelle von Stefan Zweig: Reclam Lektüreschlüssel XL

Подняться наверх